Johann Wolfgang Goethe in Berlin

Text: -wn- (Journalist aus Berlin) / Letzte Aktualisierung: 13.03.2023

Schloss Schönhausen
Am 20. Mai 1778 kommt Goethe an der Seite seines Herzogs Karl August durchs Pankower Gebiet. "Von Berlin um 10 über Schönhausen auf Tegeln", vermerkt er im Tagebuch. Nicht belegbar ist, ob beide der im Schloss Schönhausen lebenden Ehefrau Friedrich II. Elisabeth Christine (1715-1797) einen Besuch abstatteten. / Foto: © - wn-

Erfahren Sie in diesem Artikel was Johann Wolfgang Goethe in Berlin erlebt hat.

Johann Wolfgang Goethe in Berlin - einmal und nie wieder

Niemand war bei der Ankunft in Berlin erschienen; handelte es sich doch immerhin um den damaligen Newcomer-Dichter Johann Wolfgang Goethe (1749-1832). Der "Herr Legationsrat v. Göthe" sei am 15. Mai 1778 in der fünften Nachmittagsstunde im Gasthof Erster Klasse "Hotel de Russie, bei der Witwe Obermann", am Boulevard Unter den Linden 23 nahe der Kreuzung Friedrichstraße abgestiegen. Die als hochklassig geltende Unterkunft wird vom Journalisten Julius Rodenberg (1831-1914) später in seinen "Bildern aus dem Berliner Leben als "kein sehr wohnliches oder einladendes Haus" geschildert. "Im Erdgeschoß war ein kleiner Zigarrenladen, im zweiten Stock ein Restaurant, das nur noch wenig frequentiert ward, wo (aber) es einen erlesenen "Salate du Prince Pueckler" gab, den Fürst Pückler gelegentlich selbst mischte, und (es gab) einen Ballsaal, in dem nicht gerade die beste Gesellschaft von Berlin tanzte", schreibt der Chronist. Wie die ,,Berlinischen Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen'' berichten, hätten sich in Goethes Begleitung die "Herren Kammerjunkers von Wedell und von Ahlefeld aus Weimarschen Diensten" befunden. Niemand stellte die Frage, wer der Goethe-Reisegefährte von Ahlefeld ist. Das Inkognito hatte bis dahin gehalten. Der Herr von Ahlefeld ist der zu diesem Zeitpunkt 20jährige Karl August, spätere Großherzog von Sachsen-Weimar-Eisenach (1758‒1815). Er ist auch derjenige Fürst und Dienstherr, der mit dem neun Jahre älteren Goethe lebenslang eng befreundet bleibt. Die Reisegesellschaft war früh gegen Sechs im Übernachtungsort Treuenbrietzen aufgebrochen und zunächst nach Potsdam gefahren, wo sie das Großes Militär-Waisenhaus und den Langen Stall (Exerzierhaus) in Augenschein nahm. In Goethes Tagebuch heißt es: "Nachmittag nach Sanssouci. Castellan ein Flegel." Der König abwesend. Er befindet sich im schlesischen Schönwalde (heute Stoszowice) und bereitet sich dort - geplagt von Hämorrhoiden, Darmblähungen und Gicht - auf seinen letzten Krieg vor, den man den Bayerischen Erbfolgekrieg nennen wird.

Die Berlin-Reise ist kein Ausflug in den preußischen Frühling. Karl August führte in Berlin, Potsdam und Dresden interne Gespräche, bei denen er mögliche Folgen des rund zwei Monate später beginnenden Bayerischen Erbfolgekrieges für sein Herzogtum herausfinden will. Auch geht es um Friedrichs Ansuchen an den Weimarer Hof, das Anwerben von Soldaten auf seinem Hoheitsgebiet zuzulassen. Österreich, das im Siebenjährigen Krieg (1756‒1763) auf Schlesien hatte verzichten müssen, wollte sich nun - als 1777 die bayerische Linie des Wittelsbacher Herrschergeschlechts erloschen war - ein Stück herrschaftslos gewordenes Bayern einverleiben. Der Wiener Plan stieß nicht nur auf bayerische, sondern auch auf preußische Gegenwehr. Am 3. Juli 1778 bricht Friedrich II. durch Einmarsch in Böhmen und Mähren den Krieg - wie so oft - präventiv vom Zaun; er nimmt einen unerwarteten Verlauf. Wegen der schlecht organisierten rückwärtigen Dienste auf beiden Seiten kommt es zu keinen nennenswerten Kampfhandlungen, sondern im Wesentlichen nur zum Mundraub von Kartoffeln. Daher der für eine Kriegshandlung ungewöhnliche Name: Kartoffelkrieg. Auf der österreichischen Seite nannte man dieses Requirieren von Lebensmittel für die Soldaten einen "Zwetschkenrummel". Dieser Krieg war der letzte des kämpferischen Philosophen von Sanssouci.

Alte Bibliothek am Opernplatz
Die Alte Bibliothek am Opernplatz (heute Bebelplatz) - der letzte Großbau der friderizianischen Epoche. Während Goethes Berlin-Aufenthalt war sie noch im Bau. Nach fünfjähriger Bauzeit wurde sie 1780 fertig gestellt.
Foto: © -wn-
Das alles lag noch im Zukünftigen, als Berlin-Besucher Goethe, der Endzwanziger, nach dem Zimmerbezug noch einmal das Haus verlässt und sich auf dem Linden-Boulevard umschaut. Er lässt er sich vom Promenieren, Flanieren und manchem Geckentum beeindrucken; Jahre später wird er die Gemächlichkeit des Weimarer Frauenplanes eher zu schätzen wissen. Aber zunächst empfindet er wohl, was später Heinrich Heine, ein Liebhaber der Linden, schreiben wird: "Ja, Freund, hier unter den Linden / Kannst Du Dein Herz erbaun, / Hier kannst Du beisammen finden / Die allerschönsten Fraun." Heine war in dieser Beziehung kein Kostverächter, und zwar in ganzer sozialer Breite, wobei er deshalb halbkonspirativ zu Werke gehen musste. "Blamier mich nicht, mein schönes Kind, / Und grüß mich nicht unter den Linden; / Wenn wir nachher zu Hause sind, / Wird sich schon alles finden", heißt es im Gedicht. "Goethes Liebesleben", schreibt Thomas Mann in einer Goethe-Phantasie "ist ein seltsames Kapitel. Die Kenntnis seiner Liebschaften ist bildungsobligatorisch, im bürgerlichen Deutschland musste man sie herzählen können wie diejenigen des Zeus ... diese Friederiken, Lotten, Minnas und Mariannen". Hier geht es um eine Lotte - um die bereits mit einem Anderen verlobte Charlotte Henriette Buff aus Wetzlar (1753-1828). Goethe war der Dritte im schicksalhaften Dreiecksverhältnis, aus dem er sich nach einiger Zeit zurückzog und die Liaison psychisch zu bewältigen suchte. Die bei ihm, dem unglücklichen Liebhaber, einsetzende suizidale Krise habe er mit dem vierwöchigen Aufschreiben des "Werthers" erfolgreich aufgearbeitet - leider mit einem Schuss am Schluss - zum Glück auf dem Papier. Diese literarische Arbeit brachte ihm nicht nur Zustimmung und geschäftlichen Erfolg, sondern auch eine "literarische Gegendarstellung" ein: Die "Freuden des jungen Werthers" verfasst und 1775 herausgebracht vom Berliner Publizisten und Verlagsbuchhändler Christoph Friedrich Nicolai (1733-1811). Im ersten Teil, der sich Gespräch nennt, heißt es: "Die Kräfte die in ihm ungenutzt ruhten, hätt er sie entwickelt und gebraucht, so würd ihm in kurzen die Welt wenigstens so gefallen haben, wie dem kleinen Knaben, den er ungeachtet seines Roznäschens küsste, und die Welt würd ihm die Hand geboten haben, eben wie's freymütige Kind." Auch Nicolais Werther hantiert mit Pistolen. Sie sind allerdings mit Hühnerblut geladen. Der sterbensbereite Werther erfährt schließlich, dass Lotte für ihn frei ist - ein Happy Ende der Sonderklasse.

Goethes Berliner Besuchsprogramm

Das Berliner Besuchsprogramm ist angefüllt mit Dutzenden Terminen. Besuche im Opernhaus und in der Hedwigs-Kathedrale. Ein erster Besuch bei dem von ihm verehrten Maler, Zeichner und Radierer Daniel Chodowiecki (1727-1801) in der damaligen Großen Frankfurter Straße, einem Mitglied, späteren Direktor der Akademie der bildenden Künste in Berlin. Karl August und er sind zum Essen bei Friedrichs Bruder Prinz Heinrich eingeladen; der ist auch dabei gerade, den Säbel einzupacken und sich kriegsfertig zu machen. Sie spazieren nachts durch den Tiergarten. An einem der Tage besucht er die für ihre gelegentlich gereimten Briefe berühmte Schriftstellerin Anna Louisa Karschin (1722-1791). Sie berichtete dem Dichter Johann Wilhelm Ludwig Gleim darüber: ,,Er kam, lassen Sie sich's (von meiner) Tochter sagen wie Er gekommen ist, uns gefiel er gut ... aber andere Herrn sind gar nicht zufrieden mit Ihm.

Goethes Wohnhaus am Weimarer Frauenplan
Goethes Wohnhaus am Weimarer Frauenplan. Es war zunächst seine Dienstwohnung. 1807 bekam er das Haus offiziell vom Herzog Karl August geschenkt. Seit 1998 gehört es als Teil des Ensembles "Klassisches Weimar" zum UNESCO-Weltkulturerbe. / Foto: © -wn-
Er machte keinem Dichter die Cour, ging nur bei Moses Mendelssohn, bei Chodowiecky, bei Mahler Frisch, bei seinen Landsmann den Thonkünstler Andrä und bei mich ... Er scheint übrigens zum Hypochonder gebauet zu sein, ist kein Wunder, das sind alle gutten Köpfe.'' Logisch, dass er auch am Haus Nicolais vorrüberging. Der Grundzug der Briefe Goethes aus bzw. über Berlin ist überwiegend kritisch. In einem Brief an seinen Freund Merck schreibt er: ,,In Berlin war ich im Frühjahr ... Wir waren wenige Tage da und ich guckte nur drein wie das Kind in (einen) Schön-Raritäten Kasten. Aber Du weißt, wie ich im Anschauen lebe; es sind mir tausend Lichter aufgegangen. Und dem alten Fritz bin ich recht nah worden, da ich hab sein Wesen gesehn, sein Gold, Silber, Marmor, Affen, Papageien und zerrissene Vorhänge und hab über den großen Menschen seine eignen Lumpenhunde raisonnieren hören." Und an Frau vom Stein schreibt er am 19. Mai: "Wenn ich nur könnte bey meiner Rückkunft Ihnen alles erzählen wenn ich nur dürfte. ... So viel kann ich sagen je größer die Welt desto garstiger wird die Farce und ich schwöre, keine Zote und Eseley der Hanswurstiaden ist so eckelhaft als das Wesen der Grosen Mittlern und Kleinen durch einander." In ihrem historischen Roman "Deutschland im Sturm und Drang" (Jena 1867) beschreibt die Unterhaltungsschriftstellerin Luise Mühlbach (1814-1873) Goethes leicht arroganten Abschied von Berlin: "Lebt wohl", ruft er, "Ihr Musen und Grazien des Sandes und des Staubes ... Lebe wohl, Berlin, ... Du Stadt der Dichtkunst ohne Poesie, Du Babylon der Weisheit und Philosophie.
Ich habe Dich gesehen mit Deinen geschminkten Wangen, Deinem koketten Lächeln, Deinen üppigen Gliedern und Deinen verführerischen Reizen. Mich aber sollst Du nicht berücken (betören) mit Deiner trügerischen Schöne. ... Schön magst Du sein für Sclavenseelen, der freie Mann, der wendet Dir den Rücken und streuet Asche, Asche, Asche auf Dein Haupt. Leb' wohl, Berlin, auf Nimmerwiedersehen." In der Zeitschrift für Literatur und Kultur "Sinn und Form" umschreibt die Chemnitzer Schriftstellerin Angela Krauss 2011 den Abgereisten mit den Sätzen: "Thomas Mann ist Schriftsteller. Goethe ist nicht Schriftsteller, sondern Gestirn." Es kann als sicher gelten, dass er's wusste. Wie wäre er sonst in einem seiner Briefe auf den Satz gekommen: "Ich weiß nicht, was ich Anzügliches für die Menschen haben muss, es mögen mich ihrer so viele." Die Berliner kann er nicht im Auge gehabt haben. "Die Frömmler" schreibt er seinem engen Berliner Freund, dem Musikpädagogen Carl Friedrich Zelter, "habe ich von jeher verwünscht, die Berliner, so wie ich sie kenne, durchaus verflucht, und daher ist es billig (verständlich), dass sie mich in ihrem Sprengel in den Bann thun".

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