Ausstellung in der Zitadelle Spandau

Redaktion: K. K. / Letzte Aktualisierung: 03.08.2023

Figuren hinter dem Proviantmagazin der Zitadelle Spandau
Figuren der Siegesallee vor ihrer Aufstellung hinter dem ehemaligen Proviantmagazin Foto © wn

Zitadelle Spandau: "Enthüllt. Berlin und seine Denkmäler" - "Good day, Lenin"

Auch eine originell scheinende Idee kann sich als dummer Flop erweisen. In solches Fahrwasser gerät 1973 der Liedermacher und Sänger mit der rauchigen Stimme eines in die Jahre gekommenen Maurerpoliers Reinhold Andert (geb. 1944). Im Jahre zwei der Honecker-Periode befällt ihn eine Eingebung, mit der er das politische Liedschaffen im Land zu bereichern gedenkt: Ein Treffen mit Wladimir Iljitsch Lenin (1870-1924). Und so sollten sich die Dinge im Lied entwickeln: Ein junger Ostdeutscher betritt klopfenden Herzens den Roten Platz in Moskau; er will zur Leiche des "kleinen, kahlköpfigen Mannes mit dem hohen Schädel und dem schlauen Tatarengesicht", wie der Arbeiterdichter Max Barthel (1893-1975) den Hingeschiedenen beschreibt. Von diesem unverweslichen Mann aus Simbirsk (Uljanowsk) schwärmt der Dichter Johannes R. Becher (1891-1958), dieser hätte kräftig an den Schlaf der Welt gerührt "mit Worten, die Blitze waren". Den Schriftsteller Maxim Gorki (1868-1936) aber ängstigen die Blitze. Schon im Juli 1918 schreibt er in der (bald verbotenen) Zeitschrift "Nowaja schisn" (Neues Leben): "Lenin und seine Mitstreiter sind zu jedem Verbrechen fähig, sie sind bereits vom faulen Gift der Macht infiziert". Wie recht er haben sollte! Manche sagen, Lenin sei der erste Stalinist gewesen. Das hindert heute Tausende Russen und Touristen nicht daran, zum und durchs Mausoleum - nicht stehenbleiben! - zu wandeln, sofern die Reliquie nicht mal wieder in der Geheimlösung des Schönheitsbades liegen muss.

Die Wallfahrer bilden draußen auf dem Platz die bekannte Schlange. Meist kommen sie aus Richtung der Twerskaja ulica (früher Gorkistraße) herauf, unterqueren das Auferstehungstor und bewegen sich zwischen Kaufhaus GUM und Mausoleum in Richtung der Basilius-Kathedrale, um nach einer großräumigen Kehre zu Lenins (vorerst?) letztem Ort zurückzukommen. Reinhold Anderts Jugendfreund läuft mit kleinen Schritten mit und wird - so die Idee - zum Liebling der Leute in der Schlange. Vor allem nachdem er sich als junger ostdeutscher Sozialist outet, ruft der erste Sowjetmensch, der das hört, den Vorderleuten arglos zu:

Skulptur Friedrich II.
Teilansicht der beschädigten Skulptur von Preußenkönig Friedrich II. - Foto © wn
"Macht Platz da - für den da,
er ist aus Berlin
er will mit uns, Genossen,
zusammen zu Lenin!"


Der Junge wird weiter und weiter voran geschoben. Denkbar ist nun, dass man ihm auf seinem Weg nach vorn Drushba und Molodiez zuruft - Freundschaft und Prachtkerl. Man ihn küssen will. Andere rufen ihm eine inniges "Bogh s toboju" zu - Gott segne dich. Wäre es auf dem Roten Platz nicht untersagt, selbst einen Kleinen zu heben, hätte man wegen der so spontan entstandenen Freundschaft schnell ein paar Gläschen zusammen mit Brot und Speck und Gurke oder Zwiebel zu sich genommen. Was nun, fragt man sich, wäre gegen solch ein liebenswürdiges Geschiebe in Richtung Lenins Leiche zu sagen? Eigentlich nichts. Da wäre nur: Unser Texter lässt keinen der Sowjetniks aus seinem privaten politischen Bilderbuch auch nur mal vorsichtig anfragen: Sag mal, Söhnchen, ist dein Vater im Juni 1941 auch in die Sowjetunion eingefallen? Der Junge - so müsste man das Lied schlechterdings weiterschreiben - merkt plötzlich, dass er es mit nicht wenigen russischen Hinterbliebenen oder mit deren Kindern und Kindeskindern zu tun hat. Reinhold Anderts Idee trüge ab da nicht mehr. Da hülfe nur ein geschickt ins Spiel gebrachter SED-Herold quasi als Deus ex Machina. Der Emissär vom Werderschen Markt in Berlin hätte auf dem Roten Platz einschweben können - wie am 28. Mai 1987 der Privatpilot Mathias Rust (geb. 1968) mit seiner Cessna 172. Er würde das Wort ergriffen und die DDR als einen antifaschistischen Staat herausgestellt haben, in dem für die Opfer des Hitlerfaschismus normierte Trauerakte mit feststehenden Redewendungen und Ritualen stattfänden. Eine Kollektivschuld der Deutschen jedoch am deutschen Faschismus? Nein, denn die DDR sei nicht aus dem Deutschen Reich (1871 - 1945) hervor gegangen, sondern sei vielmehr ein gut geratenes Kind der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD). Da stutzt der alte Hafenarbeiter Kasumow, Wsjewolod Alexejewitsch, aus Rostow am Don und fragt ungläubig seinen Vormann in der Schlange: "Aus einer Partei wird ein Staat, geht das?" Der sagt: "Hörst doch, Väterchen, bei den Deutschen gehts."

Ein Gang durch 800 Jahre märkischer Geschichte

Schade, dass Reinhold Andert sich heute zu keinem klärenden Revival seines verunglückten Lenin-Liedes entschließen kann. Die Neufassung könnte anfangs im Torhaus der Zitadelle Spandau spielen, in dem der Kartenkontrolleur - ähnlich wie im Lied - einer Besuchergruppe zuruft:

"Macht Platz da, für den da
der ist aus Tjumen
er will mit Ihnen zusammen
Lenins Kopf besehen."


Denn "Good day, Lenin" heißt es seit dem Frühsommer 2016 im ehemaligen Proviantmagazin der Zitadelle zwischen den Bastionen Brandenburg und Königin. Zwar liegt der Kopf der Leninfigur des sowjetischen Bildhauers Nikolai Wassiljewitsch Tomski (1900-1984) ganz am Ende der Exposition "Enthüllt. Berlin und seine Denkmäler", aber eine nur originelle Zugabe ist der Koloss deshalb nicht. Bestimmt die gesamte Figur doch mehr als zwanzig Jahre lang das Zentrum des heutigen Berliner Platzes der Vereinten Nationen und gehört somit in die Geschichte der Stadt. Es bekommt nun in der Zitadelle der Politspruch "Lenin snami" (Lenin mit uns) eine neue Bedeutung. Zumindest kann man sich daran erinnern, dass Lenin den Deutschen eine Wertschätzung nicht verwehrte. Das belegt sein Brief an den Funktionär Lew Borissowitsch Kamenew (1883-1936): "Lernt von den Deutschen, ihr verlausten russischen kommunistischen Faulenzer!"

Ist der Besucher am Granitkopf angekommen, hat er in der Ausstellung einen Zeitraum von fast 800 Jahren durchschritten - beginnend bei Albrecht dem Bären (1100-1170), der gegen slawischen Widerstand 1157 die Mark Brandenburg gründet, bis zum deutschen Kaiser Wilhelm I. (1797-1888). Mit diesem endet das märkisch-preußische Personal-Tableau der eindrucksvollen Schau. Der Hohenzoller mit dem herkulischen Backenbart zu beiden Seiten des ausrasierten Kinns macht ein Gesicht, als ob er gerade etwas Bedeutendes abkündigen will. Gewisse seiner Aussprüche bleiben eingedenk. Zuerst das Schlechte. Am 18. März 1848 handelt sich der damals 51-jährige den verächtlichen Titel "Kartätschenprinz" ein. Das Schimpfwort geht zurück auf seine skandalöse Ablehnung der demokratischen Bürgerforderungen in Berlin. In Gegenwart seines überforderten Bruders König Friedrich Wilhelm IV. (1795-1861) sagt er: "Nein, das (Eingehen auf das Volksverlangen) soll nicht geschehen! Eher soll Berlin mit allen seinen Einwohnern zu Grunde gehen. Wir müssen die Aufrührer mit Kartätschen zusammenschießen." (Zitiert nach Wilhelm Zimmermann, "Die deutsche Revolution", Karlsruhe 1851) Seine spätere Metamorphose vom herzlichen Reaktionär zum beliebten Patriarchen ist einmalig in der Geschichte. Der Historiker Christopher Clark (geb. 1960) schreibt im Standardwerk "Preußen - Aufstieg und Niedergang 1600-1947", aus dem Prinzen von Preußen (Wilhelms erster Titel), der angesichts des Volkszornes sogar nach Großbritannien flüchten muss, sei später ein "ehrbarer und weithin bewunderter Mensch (und) eine Persönlichkeit mit der Würde eines biblischen Patriarchen" geworden. Selbst der Belletrist Theodor Fontane (1819-1898) ist von Wilhelms würdigem Wesen fasziniert. Der märkische Dichter steht wie viele Menschen zumindest einmal unter dem Fenster des kaiserlichen Arbeitszimmers im Alten Palais, um für Sekunden einen Blick des Monarchen auf sich gerichtet zu sehen. Und als es geschah, gebiert er hochgestimmt die Zeilen: "Am Fenster steht er, grüßt uns freundlich mild, / Und jeden trifft's, als träf' ihn Heil und Segen". Nach seinem Tod im "Drei-Kaiser-Jahr" 1888 kommt in Preußen ein Kantus auf, der mit dem humorig-quengelnden Verlangen beginnt: "Wir wollen unseren alten Kaiser Wilhelm wieder haben!" Dass dem Lied auch noch die Melodie des fanfarengestützten "Fehrbelliner Reitermarsches" unterlegt ist, macht die Sache scheinbar dringlich.

"Straße der Allerbesten" - die ehemalige Berliner Siegesallee

Kopf des ehemaligen Berliner Lenindenkmals
Der Kopf des ehemaligen Berliner Lenindenkmals - Foto © wn

Die Reihe der aus toskanischem Carrara-Marmor gefertigten historischen Skulpturen, an denen man in der Ausstellung vorbeiwandelt, ist Teil der ehemals 32 Denkmalgruppen, die zu beiden Seiten der Berliner Siegesallee standen. Unter Leitung des Architekten Gustav Friedrich Halmhuber (1862-1936) und des Bildhauers Reinhold Begas (1831-1911) schufen 27 Bildhauer zwischen 1895 und 1901 die Standbilder. Dargestellt waren sämtliche Markgrafen und Kurfürsten Brandenburgs sowie acht der neun preußischen Könige und Kaiser - außer Auftraggeber Kaiser Wilhelm II. (1859-1941). Die 2,75 Meter großen Markgrafen, Kurfürsten und Könige standen mit Nebenfiguren auf halbrunden Sockeln. Die etwa 750 Meter lange Allee verlief vom heutigen Platz der Republik vor dem Reichstag bis zum Kemperplatz in der Nähe der Einfahrt des Tiergartentunnels. Seit dem Zweiten Weltkrieg und im Zuge der späteren Einebnung der Allee wurden viele Figuren beschädigt, ein Teil gilt als verschollen. Einige wurden anderswo aufgestellt.

Diese preußische "Straße der Allerbesten" im Herzen Berlins ist damals oft das Ziel von Spott und Häme. Der spitzzüngige Schriftsteller und Journalist Kurt Tucholsky (1890-1935) schreibt im August 1928 in der "Vossischen Zeitung" über einen Bankbeamten, der erstmals durch die Siegesallee gelaufen war: "Und ich höre immer noch die raue, etwas kehlige Stimme, mit der er ... in der Siegesallee sagte: Ick bin jewiß in meine Jewerkschaft als radikaler Mann bekannt. Aber wenn ick det hier allens so ansehe, da muss ick doch sahrn: Ordnung muss sein, Herr Doktor! Ordnung muss sein!" In der "Arbeiter Illustrierte Zeitung" schreibt Kurt Tucholsky im Jahr darauf die unernsten Zeilen:

"Da stehn in Panzer und Lederkollern
die bessern Herren von den Hohenzollern.
Und man fragt sich, sieht man die Schnallen und Maschen:
Wann hat sich der Junge eigentlich gewaschen?
Wahrscheinlich an hohen Feiertagen,
wenn er hinging, sein Vaterunser zu sagen."


Heute nun, da die ausgestellten Skulpturen wie magaziniert beieinander stehen, fehlt die ursprünglich erhabene, hoheitsvolle Wirkung. Vielmehr erzeugen die geretteten und restaurierten Skulpturen eine intime Atmosphäre, man kommt ihnen näher, sieht Einzelheiten an Körper und Kleid. Da steht zum Beispiel der erste König in Preußen Friedrich I. (1657-1713); er zeigt sich mit adlerbekröntem Zepter, dem Knauf eines Königsschwertes und mit einer Lorbeerkranz geschmückten Allongeperücke. Der pompöse weite Mantel und der reich bestickte Rock überdeckt seine körperliche Behinderung, eine verkrüppelte Schulter nach einem Unfall im Kleinkindalter. Die Berliner Bevölkerung nannte ihn den "schiefen Fritz". Nach dem Tode seines Vaters, des handlungsstarken Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg (1620-1688), hatte er sich zunächst Kurfürst Friedrich III. von Brandenburg genannt. Sein Lebensstil ist ein Gemenge aus Prunken, Prassen und Partymachen. Der Sohn, Friedrich Wilhelm I. (1688-1740), den man als dickbäuchigen "Soldatenkönig" in der Ausstellung sieht, übernimmt später einen ruinierten Staatshaushalt und führt umgehend ein schmerzhaftes Sparregime ein.

Friedrich Wilhelm III. - erster preußischer "Frauenbeauftragter"

In der Eingangshalle fällt der Blick rechterhand auf zwei Skulpturen, die nicht in der Siegesallee standen. Es ist das Denkmal für Preußenkönig Friedrich Wilhelm III. (1770-1840), das der Bildhauer Friedrich Drake (1805-1882) schuf. Die Skulptur steht auch im Berliner Tiergarten. Das nebenstehende Denkmal für die Königin Luise (1776-1810) fertigte der Bildhauer Erdmann Encke (1843-1896) nach der Totenmaske und einer Büste der Frau an. Das Originaldenkmal steht wieder auf der Luiseninsel im Tiergarten. Luises Mann ist wohl - abgesehen vom dem an Kehlkopfkrebs erkrankten "99-Tagekaiser" Friedrich III. (1831-1888) - der tragischste Preußenherrscher. Er ist ein volkstümlicher Mann, der einfacher Lebensführung zuneigt. Es wird ihm nach einer leichtfertigen Kriegserklärung an Frankreich im Jahre 1806 die Niederlage Preußens in der darauf folgenden Doppelschlacht bei Jena und Auerstedt am 14. Oktober 1806 angelastet. Friedrich Engels (1820-1895) nennt ihn deshalb den "größten Holzkopf, der je einen Thron bestiegen hat". Zwar ermöglichte er nach einigem Zögern die preußischen Reformen, doch schloss er sich nur zögernd dem Bündnis Russlands und Österreichs gegen Napoleon I. (1769-1821) an. Später erwies er sich als Reform-Bremse. Privat spielt der gehemmte Mann sogar den Frauenbeauftragten. Mit der berüchtigten Kurzbemerkung "Mir fatal" verfügt er die Verbannung der berühmten Prinzessinnengruppe Johann Gottfried Schadows (1764-1850) ins Depot. Die erst 1919 ausgestellte Skulptur zeigt die Kronprinzessin und spätere Königin Luise zusammen mit ihrer Schwester Friederike (1778-1841). Schadow hatte es gewagt, durch die fließenden Gewändern der beiden Mädchen deren Busen und Hüften sehr, aber tatsächlich: sehr andeutungsweise durchscheinen zu lassen.

Mit der Ausstellung ist die Zitadelle Spandau um eine museale Kostbarkeit reicher. Und wenn Sie, lieber Leser, diesen Berliner Kulturort besuchen, und beim Eintreten zufällig hinter sich eine rauchige Stimme sagen hören: Würden Sie bitte einen Moment Platz machen - dann treten Sie freundlicherweise zur Seite. Es ist dann nicht der Haushandwerker, sondern wahrscheinlich der Textdichter Reinhold Andert, der mit einer russischen Delegation den Leninkopf besuchen will und wieder eine ganz tolle Idee im Kopfe hat. Weitere Informationen über die Zitadelle Spandau

Wie man zur Zitadelle Spandau kommt:

Anfahrt mit den Öffentlichen Verkehrsmitteln:
U-Bahn U7, Station "Zitadelle"
S-Bahn S3, S9 Station "Spandau",
Bus X33 bis Zitadelle sowie Fern- und Regionalbahn (Bhf. Berlin-Spandau)

Anfahrt mit dem Auto / Bus:
z.B. über die Straße am Juliusturm
Im Umfeld gibt es ausreichend PKW- und Busparkplätze. Die Zitadelle Spandau befindet sich außerhalb der Berliner Umweltzone.

Öffnungszeiten der Zitadelle Spandau

an 365 Tagen geöffnet:
Fr - Mi: 10:00 Uhr bis 17:00 Uhr
Do: 13:00 Uhr bis 20:00 Uhr

Eintrittspreise der Zitadelle Spandau:

(inklusive Museen, Juliusturm, Ausstellungen)
normal 4,50 €
ermäßigt 2,50 €
(Schüler, Kinder (bis 14 Jahre), Studenten, Arbeitslose, Sozialhilfeempfänger, Schwerbehinderte ab 50% Minderung der Erwerbsfähigkeit gegen Vorlage des entsprechenden Ausweises)
Familienkarte 10,- € (2 Erwachsene und bis zu 3 Kinder)
Gruppenkarte 3,50 € / Person (ab 10 Personen)