Die Heilandskirche in Sacrow an der Havel: ruiniert, beschmiert, saniert

Man kann darüber streiten, was barbarischer ist: wenn Leute äußere Wände eines historischen Gebäudes beschmieren,
Heilandskirche Sacrow
Die Heilandskirche in Potsdam-Sacrow am Ufer der Havel
im Frühjahr 2014 / Foto: -wn-
um ihre unwichtige Anwesenheit vor Ort als Beleg zu hinterlassen oder wenn hinter denselben Wänden das Interieur wissentlich dem Verfall und der Zerstörung preisgegeben werden.
Darüber hätte man im hektischen Herbst 1989 philosophieren können, wenn ausreichend Zeit dafür gewesen wäre - als schließlich auch wieder Zutritt war zur bisher gesperrten kleinen Heilandskirche von Sacrow am Havelufer mit ihrem über zwanzig Meter hohen Campanile - die Wahrnehmungen damals sind schrecklich. Beide vandalischen Heimsuchungen - das Beschmieren und das Zerstören - erscheinen fast wie eine über das Gotteshaus gekommene Vergeltung - ähnlich der Bestrafung des vom Gottesglauben abgefallenen israelischen Volkes.
Das Alte Testament beschreibt seine Maßregelung mit den Worten:
"Ich (Gott) will mein Angesicht von ihnen abwenden … ja, Räuber sollen darüber kommen" (Hesekiel 7,22).
So erging es dem (freilich zu keiner Schuld fähigen) Kirchlein; es fiel unter die Räuber.
Denn nach 1945 kommt in Deutschland-Ost das vermeintlich Revolutionäre so recht in Fahrt; und das ist gleich am Beginn dieser paradoxen Zeit kein gutes Omen auch für Schlösser und Kirchen. Die Einmann-Diktatur und die proklamierte Volksherrschaft münden bald in eine irrationale Oligarchie des Mittelmaßes und des geschichtlichen Versagens. Zwischen dem 7. September und 30. Dezember 1950 wird das reparaturfähige Berliner Stadtschloss in die Luft gesprengt.
Am 30. Mai 1968 fliegt die Klosterkirche St. Pauli des Leipziger Dominikanerklosters in die Luft. Am 22. und 28. Januar 1985 wird die Evangelische Versöhnungskirche in der Bernauer Straße dem Erdboden gleich gemacht. Eine aus dieser Opferkirche gerettete Christusfigur steht heute - schon fast wie ein Wahrzeichen - vor der Gethsemanekirche im Prenzlauer Berg, verbreitet Gelassenheit und mahnenden Bedacht, selbst angesichts der Verunreinigung durch den Kot angeflogener und sich auf Jesu Kopf und Schultern niedergelassener Ringeltauben. Die Heilandskirche in Sacrow aber bleibt zumindest stehen, auch ihr Campanile. Er ist wohl der einzige kirchliche Glockenturm weit und breit, den Grenzsoldaten als Beobachtungsposten nutzen.
Die kamen in der Zeit nach dem Mauerbau in dieses Dorf Sacrow zwischen der Havel,
Schloss Sacrow
Schloss Sacrow von Norden her gesehen
(Februar 2013) Foto: -wn-
die sich hier zum Jungfernsee dehnt, und dem benachbarten, in Wälder eingebetteten Sacrower See. Zu aggressivem Religionshass hochgeputschte junge Menschen, die annahmen Sozialisten zu sein, ruinierten mit der Zeit das Innere des einem ankernden Schiff ähnlichen Saalbaues mit seiner halbrunden in die Bucht hinein zeigenden Auswölbung und seinem schmalen Säulenumgang, in dem sich zwei Menschen gerade so begegnen können. Die Heilandskirche mit ihren Außenmauern aus gelben Klinkern und den eingelassenen blass-glasierten Ornamentziegeln sowie den Säulen des Umganges mit den schönen Palmettenenden stand im Grenzgebiet. Und das war das Verhängnis. Hier sicherte seine Grenze jenes aus Ruinen auferstandene, der Zukunft zugewandte Lese-, Kultur- und Helden-Land - die DDR. Am Heiligabend 1961 wird der letzte Gottesdienst gefeiert. Wenige Tage danach erhält der damalige Pfarrer Joachim Strauss (1912-1996) die Nachricht, daß die Inneneinrichtung der Kirche schwer beschädigt worden sei. "Von unbekannter Hand" hieß es, dabei konnte der Vandalismus im Sperrgebiet nur von Grenzsoldaten ausgegangen sein. Man legte keinen besonderen Wert darauf, die Wahrheit zu verschleiern. Eine weitere Nutzung der Kirche sei jedenfalls ausgeschlossen, teilte das Grenzkommando abschließend mit. Und nur darum ging es.

In den folgenden Jahren zeigt der Verfall, was in ihm steckt. Dach, Fußboden, die hölzernen Wandpaneele, das Gestühl sowie die Kanzel geraten in einen nicht mehr reparablen Zustand.
Selbst vor der hölzernen Empore machen die Verheerer nicht halt.
Säulengang der Heilandskirche
Der der Havel zugewandte äußere Säulengang der
Heilandskirche Foto: -wn-
Aus unbekanntem Grund wird sie herausgerissen. Da hatte man auch in diesem Grenzabschnitt das "Kommunistische Manifest" total falsch verstanden, in dem es ja tatsächlich heißt:
"Der Kommunismus … schafft die ewigen Wahrheiten ab, er schafft die Religion ab".
Karl Marx (1818-1883) war indessen viel zu klug und betonte an anderer Stelle, dass er die menschenfreundliche christliche Ethik (Bergpredigt) in sein System wohlweislich mit aufgenommen hatte.
Nicht vorausahnen konnte selbst er, was der in Cambridge lebende Philosoph und Kulturkritiker Francis George Steiner (geb. 1929) etwa 165 Jahre nach dem Erscheinen des Manifestes aufzuschreiben sich veranlaßt sah: "Der kollabierende Kommunismus ist in eine oft fanatische Religiosität zurückgetorkelt.
" In der Tat: Es gab das gedruckte Heilige Wort der Partei, die zu Apokryphen erklärten, verschwiegenen Texte, die von der Parteilinie abwichen, es gab kultisch verehrte Führer, Mahnreden in Richtung der Zweifler, einen versprochenen paradiesischen Endzustand, zehn Gebote und Strafen bei sündhaftem Verhalten. Aufgeklärter Atheismus macht anders von sich reden. So vergehen die Jahre im Sperrgebiet von Sacrow. Mindestens fünf Flüchtende kommen im Gebiet um die Heilandskirche ums Leben: 1961 der 19jährige Grenzsoldat Lothar Lehmann, der auf der Flucht im Wasser des Jungfernsee einen Kälteschock erleidet, aufgegriffen wird und auf dem Weg ins Lazarett stirbt. Im selben Gebiet ertrinkt 1962 die 53jährige Erna Kelm.
Im März 1963 wird der 23jährige Potsdamer Horst Plischke beim versuchten Durchschwimmen der Jungfernsee von einem Grenzboot aus erschossen.
Am 4. November 1975 wird der Sacrower Lothar Hennig von einem Grenzsoldaten getötet.
Statue der Thusnelda
Statue der Thusnelda (gest. 17 n. Chr.) im benachbarten
Schlosspark von Sacrow. Die Dame war die Gemahlin
des Cheruskerfürsten Arminius (17 v. Chr. - 21 n. Chr.),
des Siegers in der Varusschlacht im Jahr 9 n. Chr.
Die Statue des Bildhauers Albert Wolff (1814-1892)
wurde 1904 von Sanssouci nach Sacrow gebracht.
Auf Thusnelda geht der Begriff "Tussi" zurück.
Foto: -wn-
1986 ertrinkt der 35jährige Rainer Liebeke im nördlichen Teil des Sacrower Sees beim Versuch aus der DDR zu fliehen.

Gotteshaus und Turm haben noch aus anderem Grund eine denkwürdige Geschichte: Gebaut werden sie zwischen den Jahren 1841 und 1844, im politisch anschwellenden Vormärz also, in einer Zeit, von der man hätte annehmen können, daß es für einen Herrscher wichtigeres gibt, als in einsamen Refugien Kirchen bauen zu lassen.
Der Architekt des Sacrower Projektes ist Ludwig Persius (1803-1845), ein begabter und viel beschäftigter Schinkel-Schüler in Preußen. Zumindest der Entwurf des Bauplanes stammt von dem König, der gerade erst ein Jahr auf dem Thron sitzt: von Friedrich Wilhelm IV. (1795-1861).
Man nennt ihn einen Romantiker und einen hochgebildeten Freund der Künste. In die Geschichte geht er jedoch vor allem damit ein, daß er am 22. März 1848 die an ihm in der dritten Nachmittagsstunde auf dem Schlossplatz vorbei getragenen Leichen von 183 Märzgefallenen mit gezogenem Hut grüßen muss - mit - wie wir sicher annehmen können - kaum gefühlter Traurigkeit.
Im Gegenteil: "Der Thron wankt in diesem Sturm mehr als zuvor. Das absolute Königsthum beugt sich nicht bloß vor dem Volk, es demüthigt sich auf's Tiefeste vor demselben", schreibt der Historiker Wilhelm Zimmermann (1807-1878) in seinem Buch "Die deutsche Revolution". Im Jahr darauf (April 1849) lehnt Friedrich Wilhelm die deutsche Kaiserkrone ab, die ihm eine Delegation des Frankfurter Deutschen Nationalparlaments (Paulskirche) angeboten hatte. Man müßte lange über die Frage nachdenken, ob diese schroffe Ablehnung die weitere preußisch-deutsche Geschichte wesentlich beeinflußte oder fast nicht. Daß er am Beginn der 1840er Jahre Zeit und Muse hatte, noch ein Gotteshaus mit Campanile zu entwerfen, ist erstaunlich, denn - wie der Historiker Christopher Clark in seinem Preußen-Buch schreibt - "die Frustration, die sich nach der Thronbesteigung Friedrich Wilhelm IV. in den Kreisen der Liberalen breitmachte, war kein vorübergehendes Phänomen, vielmehr signalisierte sie einen unumkehrbaren Anstieg der politischen Fieberkurve.
Die oppositionelle Politik erlebte eine Radikalisierung". Beispiele gibt es viele. 1845 verfasst Heinrich Heine (1797-1856) sein berühmtes Gedicht "Die Schlesischen Weber", in dem der Romantiker auf dem Thron direkt angesprochen wird:
"Ein Fluch dem König, dem König der Reichen,
Den unser Elend nicht konnte erweichen,
Der den letzten Groschen von uns erpresst,
Und uns wie Hunde erschießen lässt -
Wir weben, wir weben!"
Unüberhörbar ist der Ruf nach sozialer Gerechtigkeit, nach Demokratie - und besonders nach einer deutschen Verfassung, die schon der ewig zaudernde Friedrich Wilhelm III. (1770-1840) versprochen hatte.
Im Schlosspark
Winterlicher Blick aus dem Schlosspark auf
die Heilandskirche / Foto: -wn-
Und auch der Sohn beendete bald die ihn nervende Verfassungsdebatte mit der Bemerkung, er sei in dieser Sache überhaupt völlig falsch verstanden worden.

Das in der vormärzlichen Atmosphäre in Sacrow entstandene verträumte Refugium, findet auch im Werk von Theodor Fontane (1819-1898) seinen Niederschlag; im Havelland-Band der "Wanderungen durch die Mark Brandenburg" von 1873, in dem er die detailreichen Alltagsbeschreibungen des von 1774 bis 1794 amtierenden Fahrländer Pastors Johann Andres Moritz wiedergibt, der auch für Sacrow zuständig war. Warum ihn Fontane einen namentlich ungenannten "havelländischen Landgeistlichen aus Sacrow" nennt, bleibt offen.
Im metaphorischen und launigen Gedicht "Spätes Ehestandsglück", wo es um Wolke sieben in Verbindung mit einem Rückzug ins Private geht,
gibt Theodor Fontane ein Bild "von meinem früh'ren und jetzigen Leben".
"Ich hielt es aufrichtig mit Schelling und Hegel,
Jetzt bin ich für Pankow, Schönhausen, Tegel,
Ich hielt es früher mit Wieland und Herder,
Jetzt bin ich für Sacrow und Pichelswerder…"
- kurzum ein Hohelied auf die ländliche Beschaulichkeit und das genussvolle Bewegen in ihr, ohne dass einen die Weltgeschichte noch groß aufregt.
In der "Lebensgeschichte des Barons Friedrich de La Motte Fouqué - Aufgezeichnet
Außenwand der Kirche
Ausschnitt aus der südlichen Außenwand der Kirche
Foto: -wn-
durch ihn selbst" wird der schwere Abschied des später in der Gedankenwelt der Ritter gebliebenen Schriftstellers von Sacrow literarisch dokumentiert.
Fouqué (1777-1843), der im Dorf neun Kindheitsjahre verlebt, schreibt (in der dritten Person): "So lag also die frühere Kinderzeit hinter ihm, und wir machen billig einen Abschnitt in dieser Lebensschilderung, indem wir noch einen Rückblick auf die anmutige Halbinsel Sacrow werfen, von der es sich nur mit innigster Wehmut scheiden ließ. … Thränen quollen aus den Augen der Fortziehenden, Thränen aus den Augen der Rückbleibenden. - Seegen immerdar über dir, du liebes Sacrow!"
1989 kommt der Potsdamer Germanist Klaus-Peter Möller (geb. 1960) auf den nicht mehr gesperrten Südzipfel der Sacrower Halbinsel. Er, der Autor des amüsanten Buches "Der wahre E - Ein Wörterbuch der DDR-Soldatensprache", sieht als erstes, dass Außenwände der Kirche zum Medium einer Sammlung von Anwesenheitsbelegen geworden waren: "Als ich nach dem Mauerfall die Heilandskirche … besuchte, die jahrzehntelang ein Schattendasein geführt hatte, eingemauert, vergessen, heimgesucht nur von den Fledermäusen und den Grenzern, fand ich die charakteristischen Kacheln an den Außenseiten von Kirche und Turm übersät mit Inschriften aus den unterschiedlichsten Zeiten, so dass hier eine ganze Kulturgeschichte Europas von den Steinen abzulesen war." Die "Beschriftungen" gehen weit zurück ins 20. Jahrhundert. Im Jahre 1939 verewigten sich auf einem der Ornamentziegel "Hermann Conrad und Anna Conrad". Es ist das Jahr, ab dem Sacrow zu Potsdam gehört.
Ein oder eine "St. Michael" unterlegt den Namenszug mit einem schlangenartigen Tier,
Ornamentziegel
Ein im Jahre 1939 "beschrifteter" Ornamentziegel
Foto: -wn-
das an die Sage von der Schlangenkönigin aus der Sacrower Heidenzeit erinnert, die eigentlich - wie meist in solchen Verwandlungsfällen - eine schöne, auf ihre Errettung wartende Prinzessin ist. Die ehemalige Anti-Hitler-Koalition findet ihren Niederschlag: "Boris Kalenkow 23/VIII.1945" lautet die eine Aufschrift, eine andere "Good look from the Church of Heiland of Sacrow, May 1947". "Besonders zahlreich waren die Inschriften von ehemaligen Angehörigen der Deutschen Grenzpolizei und der Grenztruppen der DDR", schreibt Hans-Peter Möller. Neben solchen Einträgen wie "Rentier + Eisbär" gibt es den auf einen der Ziegel geschriebenen anonymen Hilferuf "Bitte, Vater, hilf mir" oder " I love you - unbekannt". Nach einer fast 30jährigen Verwahrlosung wurde die Heilandskirche in den 1990er-Jahren restauriert. Manchen mag es angesichts dieser Wiedergeburt nicht mehr vollends gelingen, bei der bisherigen Überzeugung zu bleiben, daß es keine Wunder gibt. Als Kleinod figuriert die Inselkirche heute in der Potsdamer Havellandschaft, die von der Pfaueninsel bis nach Werder reicht und mit ihren Schlössern und Gärten als Ensemble seit 1990 als Weltkulturerbe unter dem Schutz der UNESCO steht.

Wie man zur Heilandskirche in Sacrow kommt:
Mit dem Auto von Berlin aus benutzt man die Bundesstraße B2/B5 (Heerstraße) und biegt später auf der B2 Richtung Kladow links ab (Wilhelmstraße).
Von Kladow sind es noch etwas mehr als vier Kilometer bis Sacrow. Im Ort ist es günstig, links in die aus der Gegenrichtung kommende Krampitzer Straße einzubiegen.
Sie führt zu einem geräumigen Parkplatz, von dem ein schöner Fußweg von etwa 400 Metern Länge bis zur Heilandskirche und zum Schloss führt.
Der Internetseite www.heilandskirche-sacrow.de kann man weitere Informationen und Veranstaltungshinweise entnehmen.

Öffnungszeiten der Heilandskirche Sacrow:


Jan/Feb/Nov/Dez Sa u. So 11 - 15.30 Uhr
März/April/Sept/Okt Di bis Do. 11 - 15.30 Uhr, Fr. bis So 11- 16 Uhr,
Mai bis Aug. Di bis Do 11 - 16 Uhr, Fr. bis So. 11-17 Uhr
Text: -wn-

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