Der Parsteiner See nahe Chorin: Laute Stille - stilles Wasser

Text: -wn- (Journalist aus Berlin) / Letzte Aktualisierung: 18.02.2023

Ufer vom Parsteiner See
Blick auf den Parsteiner See vom südöstlichen Ufer aus gesehen. Foto © wn

Nichts regt sich am See, den man den Parsteiner nennt. Auf dem in seine Wasser hineinragenden Pelitzwerder am südlichen Ufer herrscht - jedenfalls an einem Frühsommertag 2015 - laute Stille; unstill scheint sie, weil ihr Ende in der Luft zu liegen scheint. Man wartet auf Geräusche. Kann doch nicht sein, dass hier nichts passiert und nichts zu hören ist. Das Kleinbiotop ist ein entlegenes Naturdenkmal, das in den vergangenen Jahrhunderten seine Gestalt geändert hat. Es wandelte sich von einer in Ufernähe liegenden Insel zum heute landverbundenen Werder. Als ab dem 17. Jahrhundert der Seewasserstand um Meter fiel, entstand die heutige fußläufige Verbindung zum Küstensaum. Etwa 200 alte Bäume wachsen hier. Grande Dame des Eilandes ist eine 550jährige Winterlinde (Tilia cordata), die mit ihren herzförmigen, an der Unterseite rotbraun behaarten Blättern auffällt. Alte Stieleichen (Quercus robur) behaupten sich, sommergrüne Elsbeer-Laubbäume (Sorbus torminalis) und einige verwilderte Hausbirnen (Pyrus communis). Diese lassen auf frühere Anwesenheit von Menschen schließen. Wer sagts denn! Jetzt hört man was. Es ist die unscheinbare kurzschwänzige Singdrossel (Turdus philomelos). Mit einem gackernden Alarmruf stößt sie in die Stille hinein. Die buntgefiederte Wacholderdrossel (Turdus pilaris) antwortet sofort; sie fliegt mit hochtonalem Gesang auf den See hinaus, um schleunigst wieder zurückzukehren. Und noch einer meldet sich.

Es erklingt der Reviergesang eines sattsam bekannten Vogels - des Kuckucks (Cuculus canorus), der mit dem Ruf seine angebliche Harmlosigkeit unterstreichen will - bevor das Weibchen die Eier gegen alle Übung in fremde Nester legt. Und jetzt kommt es sogar von unten. Zu hören ist der leise, eher lustig wirkende Stressruf einer aus unbekanntem Grund aufgeschreckten Gemeinen Feldmaus (Microtus arvalis). Schließlich scheint sich auch eine alte See-Sage zu bewahrheiten: Denn von Fröschen ist nichts zu sehen und nichts zu hören. Dabei müssten sie hier munter herumspringen. Aus dem Anfang April abgelegten Laich hätten zunächst Kaulquappen und später Frösche werden müssen. Die Sage nimmt Bezug auf das 1231 gegründete Inselkoster Mariensee und erzählt, in dem "Mariensee (früherer Name des Parsteiner Sees) befindet sich zwar eine große Zahl von Fröschen, aber so viele ihrer auch darin sind, so lässt doch keiner irgend jemals sein Gequäck vernehmen". Die Überlieferung behauptet, "als noch Mönche in dem Kloster wohnten, hätten die Frösche mit gewaltigem Gequäk die Andacht derselben gestört, so dass die frommen Brüder ... Gott gebeten (hätten), jene auf ewig verstummen zu machen, und das sei auch augenblicklich in Erfüllung gegangen." Und Gott soll reagiert haben.

Ein Rehbock beendet Pianissimo-Töne der Natur

Aber dann ist dieses Konzert aus Pianissimo-Tönen nahe der Hörbarkeitsgrenze auf dem Werder zu Ende. Ein in der Deckung stehender Rehbock (Capreolus capreolus) schmält (schreckt) besitzanzeigend. Man steht wahrscheinlich in seinem Revier. Sein ärgerliches Hööhöö fliegt auch hinaus aufs stille Wasser und ist womöglich auf dem jenseitigen Campingplatz zu hören, der sich am Südostufer als schmale Siedlung aus Wohnwagen meist älteren Typs hinzieht. Einige der Überwinterer sehen noch recht mobil aus, andere wiederum machen den Eindruck, als seien sie am letzten Standplatz angekommen. Die schmale Anlage mit ihren kleinflächigen Standplätzen, deren Grenzen sorgsam und auch ein bisschen drohend mit Steinen, Kleingewächsen und Zäunchen markiert sind, erinnert daran: Ach ja, es war nicht alles schlecht im damaligen Leben.

Der Blick vom Werder hinaus auf den See gibt nicht alles preis, was zu diesem Gewässer zu sagen ist. Man hat es beim Parsteiner See mit einem in der Mark Brandenburg nicht seltenen Zungenbeckenseen zu tun, die immer entstanden, wenn Gletscherzungen Becken freischoben. Ferner haben die Geologen Anhaltspunkte dafür, dass der See in Teilen auch ein Toteissee ist, dessen Becken durch das Abschmelzen von zur Ruhe gekommenen Eisblöcken entstand. Das Landbuch der Mark Brandenburg beschreibt das Gewässer und seine Umgebung so: "Der Parsteiner See ist in seiner von Norden nach Süden gerichteten, etwas östlich schwenkenden Haupt-Erstreckung 1 volle Meile (ca. 7532 Meter) lang und in seiner größten Breite ... 800 Ruten (etwa 3000 Meter) breit. Das westliche Ufer ist indes so zackig, dass diese größte Breite stellenweise auf die Hälfte ihrer Ausdehnung verkleinert wird und an der Nordseite bei dem (anderen) Parsteiner Werder ... eine See-Enge entsteht, welche den nördlichen Theil des Sees ... von der Hauptmasse des Wasserbeckens absondert."

So sehr man vor den präzisen geografischen Beschreibungen des Landbuches den Hut zu ziehen hat - so bedurfte doch ein See wie der Parsteiner - um erst richtig bekannt zu werden - auch einer prominenten Feder, die ihn auf schöngeistige Weise beschreibt. Eine Edelfeder erschien in der Tat eines Tages am Ufer. In den 1870er Jahren war der märkische Intensiv-"Wanderer" Theodor Fontane (1819-1898) vor Ort. Von den Gestaden beeindruckt, schreibt er später: "Dieser weitgedehnte See, überall eingefasst durch prächtig geschwungene Uferlinien, gewährt ein Landschaftsbild voll imponierender Schönheit ... " Als er diesen Eindruck gewinnt, steht er in der Mitte des Werders, der zu diesem Zeitpunkt offenbar schon Halbinsel ist und Ziegen-Insel genannt wird. Theodor Fontane kam nicht allein. Bei ihm ist der befreundete Architekt und Direktor der Berliner Bauakademie Richard Lucae (1829-1877). Von diesem erhalten wir eine Vorstellung von der detailliebenden Arbeitsweise des Schriftstellers. Richard Lucae schreibt nach der gemeinsamen Landpartie in einem Brief an eine Freundin über diesen Tag: "Fontane war übrigens zum todtlachen komisch. An jedem alten Stein wollte er womöglich einen ganzen Roman ablesen (u. that es meist auch), u. ich sollte ihm von jedem Schnörkel womöglich Tag u. Stunde seiner Geburt bestimmen. Ich könnte über diesen kleinen Ausflug eine ganze Novelle schreiben. Der Eifer, der unsern alten Nöhl (Fontanes Spitzname) für eine Arbeit beseelt, ist wirklich rührend u. ein Buch, das mit solcher Liebe u. Ausdauer geschrieben wird, muss viel Gutes enthalten." Der Briefschreiber meint die 1873 erstmals erschienenen und bis heute lesenswerten "Wanderungen durch die Mark Brandenburg - Havelland".

Theodor Fontane - ein gut vorbereiteter Rechercheur

Vor seinem Erscheinen auf dem Pehlitzwerder ist er selbstverständlich - wie es seine Art war - gut vorbereitet. Er wusste, dass auf der Insel am Beginn des 19. Jahrhunderts zwölf Personen in einem Fischerhaus lebten. Im benachbarten kleinen Dorf Parstein (oder Paarstein) lebten um diese Zeit 315 Bewohner an - wie man Haushalte nannte - fünfzig Feuerstellen. Die Einwohnerschaft bestand aus 114 Ganz- und aus zwei Halbbauern, letztere bearbeiteten eine Ackerfläche von nicht über sieben bis zehn Hektar Größe. Ferner gab es zwölf Ganzkossäten (Hintersassen), die zwar frei, aber dennoch vom Grundherren, dem Choriner Amt, wirtschaftlich abhängig waren. Schließlich waren vier Büdner ansässig, die eigene Häuser, jedoch nur wenig Land dazu besaßen. Die sieben Parsteiner Einlieger waren grundbesitzlose Landarbeiter, die bei Bauern zur Miete wohnten und sich bei ihnen verdingten.

Theodor Fontanes Ermittlungen publizistisch verwertbarer Fakten auf der Insel sind beschwerlich. Dennoch lässt er - mittlerweile ein Mittfünfziger - nicht davon ab, in Gestrüpp, Gebüsch und hüfthohen Wildwuchs nach Zeugen der Vergangenheit zu suchen. Denn so war die Lage nach seinen Worten auf dem Werder: "Die Insel zeigt im Übrigen auf den ersten Blick nichts Besonderes; sie macht den Eindruck eines vernachlässigten Parks, in dem die Natur längst wieder über die Kunst hinausgewachsen ist. Es vergeht eine Zeit, ehe man die Trümmer entdeckt und überhaupt in dem bunten Durcheinander sich zurechtfindet; dann aber wirkt alles mit einem immer wachsenden Reiz. ... Was noch vorhanden ist, ragt etwa zwei Fuß hoch über den Boden und reicht in seinen charakteristischen Formen völlig aus, einem ein Bild des Baues zu geben, der hier stand."

Choriner Klosterhof
Der Choriner Klosterhof während eines Konzertes; im Hintergrund die Klosterkirche, in der das Orchester spielt und der andere Teil der Zuhörer auf Bänken sitzt. Foto © wn

Die Besonderheit der Trümmer: Sie standen nicht lange als Mauer. Von 1231 bis 1272 - keine 50 Jahre lang - bestand auf der Ziegeninsel das erwähnte Zisterzienser-Kloster Mariensee; es ist der Vorläufer des in Chorin später neu gebauten Konvents. "Das Kloster blieb hier nicht lange, vielleicht weil ihm der Raum zu eng ward, noch wahrscheinlicher weil es durch Ueberschwemmungen litt ... ", schreibt der Prenzlauer französisch-reformierte Prediger und Amateurhistoriker J. M. de la Pierre. Es entstand auf dem Eiland eine regelrechte Bedrohungslage, und das Generalkapitel der Zisterzienser im französischen Citeaux gab den Auftrag, in der Nähe einen neuen Platz zu suchen. 1273 zog man "propter incommoda plurima" (wegen sehr vieler Nachteile) vom Parsteiner zum Amtssee, dem heutigen Standort des Klosters Chorin. Nichts werde an dem bekannten "Ora et labora"-Leitmotiv (Beten und arbeiten) des Ordens geändert, heißt es in den im Mutterkloster in Citeaux ausgearbeiteten Leitlinien. "Die Mönche unseres Ordens müssen von ihrer Hände Arbeit, (von) Ackerbau und Viehzucht leben". Daher benötigen sie "zum eigenen Gebrauch Gewässer, Wälder, Weinberge, Wiesen, Äcker (abseits von Siedlungen der Weltleute) sowie Tiere". Theodor Fontane fügt hinzu, dass das "Kloster Chorin nicht viel ... anderes zu bedeuten hatte als eine große mönchische Ökonomie, in der es auf Erhaltung und Mehrung des Wirtschaftsbestandes, aber wenig auf die Heilighaltung ideeller Güter ankam". Deshalb sind auch die Choriner Mönche in einem Brandenburgischen Sittengemälde mit verewigt, das der Berliner Verleger Karl Matzdorff (1765-1839) in seiner eigenen Buchhandlung in der Straße An der Stechbahn nahe dem Schloss anbot. Die Schrift nannte sich "O Zeiten O Sitten". Wir lesen: "Unwissenheit und Aberglaube beherrschten eine lange Zeit hindurch die ganze Mark Brandenburg, und an feine Sitten war nicht zu denken. Priester und Mönche waren so unwissend und sittenlos ... Im elften und zwölften Jahrhundert ging der Unsinn so weit, dass, wenn die Bauern an einem Sonn- oder Festtage in der Schenke tanzen wollten, der Pfarrer die Geige dazu spielte. Lange blieb diese abgeschmackte Gewohnheit, und konnte auch nicht eher abgeschafft werden, bis der Papst mit dem Bannstrahl dazu kam und sie gänzlich untersagte". In einem lateinischen Spruch werden die "lustigen" Pfarrer und die trinkfreudigen Mönche "turpissima pestis" genannt - eine "beschämende Pest".

Goethe: Baukunst ist "eine erstarrte Musik"

Während sich die Spuren der wirtschaftlichen Tätigkeit des Zisterzienserordens in der Brandenburger Geschichte weitgehend verloren, haben sich die Zeugnisse seiner Baukunst noch so weit erhalten, dass wir heute deren aus Einfachheit und Strenge herrührende überzeitliche Schönheit erkennen und uns - je nach Temperament - daran erfreuen können. Die Choriner Zisterze ist ein Meisterwerk der Backsteingotik. Die Basilika, die auf den Prunk eines Turms sowie auf Glasmalerei und Bauskulptur verzichtet, ist gestreckt und kreuzförmig; eindrucksvoll die filigrane Ziegelbauweise, mit der sich das Kloster an der Westfront einladend in Szene setzt. Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832) nannte die Baukunst "eine erstarrte Musik" Im Gespräch mit seinem literarischen Sekretär Johann Peter Eckermann (1792-1854) meinte er: "Und wirklich, es hat etwas; die Stimmung, die von der Baukunst ausgeht, kommt dem Effect der Musik nahe." In diesen Effekt mischt sich in Chorin von Zeit zu Zeit pure Musik, die - ohne lautmalerisch zu sein - die lauten und leisen Töne der Natur aufklingen lässt. Das ist seit über einem halben Jahrhundert der Fall, während des alljährlichen Choriner Musiksommers, dessen Anziehungskraft immer noch zunimmt. 2015 etwa war Ludwig van Beethovens (1770-1827) Sechste Sinfonie auf dem Programm, die ländliche Pastorale; hier gibt es lauschige Szenen am Bach, später donnern Gewitterschläge und peitscht der Sturm. Auch Camille Saint-Saens (1835-1921) Freiluftmusik bei Eis und Schnee für vierstimmigen Männerchor "Serenade d'hiver" (Winter-Serenade) war angezeigt. Vier vor Kälte bibbernde Männer huldigen einer schönen Frau an deren geschlossener Tür und singen: "Der Wind lässt uns frieren, aber was macht das, / Wenn Ihr glutvolles Antlitz / Uns einen Sonnenstrahl zuwirft, / Der uns erwärmt vor Ihrer Tür." Das Alphorn-Konzert des Schweizer Jazz-Saxophonisten und Komponisten Daniel Schnyder (geb. 1961), der im Jazz wie in der Klassik zu Hause ist, bringt schroffe Natur in Kirchenraum und Klosterhof. Das Horn gebärdet sich eingangs wie ein erregter Platzhirsch, dem das Orchester mit zutraulichen Tönen zu schmeicheln sucht. Sodann verfällt das Horn in eine launisch-elegische Stimmung, als ob es auf der Suche nach dem Schönen in der Welt ist. Nun verfällt es gar ins Schrille und Laute und muss immer wieder vom Orchester zur Vernunft gebracht werden. Das Ende ist jedoch fröhlich, ja karnevalesk. Jedes Jahr wiederholt sich so oder auch anders der Zusammenklang von strengem zisterziensischem Ora et labora und einer beseelenden, zumindest gefühligen Bella musica.

Verkehrshinweise:

Von Berlin aus benutzt man die Autobahn A11 nach Norden bis zur Abfahrt Joachimsthal. So dann fährt man auf der Bundesstraße B198 rund 12 Kilometer bis zum Abzweig Richtung Herzsprung und Parstein. Zum See sind es weitere zwei Kilometer.

Von Parstein zum Kloster Chorin sind es mit dem PKW keine 15 Kilometer. Man fährt zunächst auf der Straße L28 in Richtung Brodowin und wechselt dort auf die Straße L2022. Diese führt zur Bundesstraße B2, an der das Kloster Chorin liegt. In Klosternähe befindet sich ein kostenpflichtiger Parkplatz für PKW und Busse

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