Börnicker Pappel bei Bernau

Text: -wn- (Journalist aus Berlin) / Letzte Aktualisierung: 18.02.2023

Börnickes schwarze Pappel - Besuch bei der alten Dame

Kommt eine schwarze Pappel (Populus nigra) ins fortgeschrittene Alter, hält sie "nicht (mehr) viel auf Ordnung in ihrem Haus". Erstaunlich. Der Publizist Karl-Heinz Engel aus Woggersin bei Neubrandenburg beobachtete ein regelrechtes Ast- und Zweige-Chaos unter den nicht mehr jungen Pappel-Kronen. Unregelmäßig aufgebaut und ausladend seien die Bäume in ihrem Lebensherbst. Deshalb sähen sie auch meist "ruppig und struppig" aus. "Was (an ihnen) wachsen will, das wächst, was stirbt, das stirbt und hängt noch lange im Geäst. Mal treiben Zweige steil nach oben, dann wieder kreuz und quer", heißt es in seinem Buch "Baumriesen zwischen Berlin und Rügen". Seit Jahren trägt der baumkundige Autor Wissenswertes über ungewöhnliche Naturaltertümer zusammen.

Eine Pappel mit solch außergewöhnlichem Gepräge kann man im Fünfhundert-Seelen-Dorf Börnicke betrachten. Das Örtchen - zur nahe gelegenen Stadt Bernau gehörig - liegt auf einer welligen, von der Eiszeit geformten Fläche.

Pappel in Börnicker
Die Schwarze Pappel in Börnicke bei Bernau - Foto: © -wn-
Die Kaltzeit hinterließ hier kleine, oft fast kreisrunde und trichterartige Hohlformen. Diese Sölle entstanden durch Abschmelzen von Eis in den ehemaligen Vereisungsgebieten. Am nordwestlichen Dorfrand, etwa 80 Meter abseits der Chausseestraße, steht von Holunder und Ahornen in die Mitte genommen die etwa 180 Jahre alte Schwarzpappel, die laut Karl-Heinz Engel so ein "ein klassischer Fall für Unaufgeräumtheit" ist. Der Baum gliche einer "weit gewandeten Greisin". Was aber im Geäst wie Verwilderung und Verfall aussieht, ist in Wahrheit eine Vorsorgemaßnahme der Pappel, der die Evolution eingab, dass der Wuchsdrang in die Höhe aus Gründen einer lebenserhaltenden Photosynthese stets mit einem raumgreifenden horizontalen Wachstum einher gehen muss. Es gibt auch auffallend dickere Äste, Wasser- oder Angstreise genannt; sie entstanden, als sich einmal die Boden- oder Lichtverhältnisse änderten. Der zerklüftete und stellenweise grünlich schimmernde ca. 30 Meter hohe Stamm mit den wuchernden Maserknollen und beulenartigen Wülsten hat einen Umfang von 9,11 Metern (Mai 2015). Unter den Schwarzpappeln zwischen Ostsee und Berlin nimmt der Baum den ersten Platz ein. Hat man es durch Kraut, Gestrüpp und hohes Gras von der Chaussee bis zu der alten Dame geschafft, glaubt man angesichts des monströsen Stammes sich in der Bühnendekoration eines Weihnachtsmärchens zu befinden, aus der plötzlich der Holländer Michel ("Das kalte Herz") oder der bösartige Langbartzwerg ("Schneeweißchen und Rosenrot") hervortreten könnten.

Am Beginn des 19. Jahrhunderts wird die Schwarzpappel, die ihren Namen von der aschgrauen Farbe von Rinde und Zweigen hat, wegen ihres schnellen Wuchses mit einem Mal als "der neue europäische Wachsbaum" wahrgenommen. Der Naturforscher Johann Matthäus Bechstein (1757-1822) beschreibt sie in seiner "Vollständigen Naturgeschichte der deutschen Holzgewächse" mit den Worten: "Die schwarze Pappel geht eigentlich den Oekonomen mehr an, als den Forstmann, denn sie wächst nicht im Walde. Sie ist ungemein schnellwüchsig, erlangt in 50 Jahren eine außerordentliche Höhe und Dicke, ... (sie) breitet sich mit ihren wagerecht stehenden, starken und langen Aesten weit aus und erlangt ein schönes Aussehen, macht in der Jugend eine zugespitzte, im Alter aber eine stumpfe, kegelförmige Krone." In Börnicke ist heute zu sehen, dass Pappeln Einzelgänger sind. Von einem Pappelwald hat man noch nichts gehört. Dennoch müsste man annehmen, dass sich der schnellwüchsige Baum großflächig verbreitet. Im Gegenteil: Die Pappel ist selten geworden. Zu den Gründen für das langsame Verschwinden des Baumes mit einer Vorliebe für feuchte Böden, zählen die Veränderungen und Verluste natürlicher Flussauen sowie das Auspflanzen fremder Pappelarten oder Kreuzungen mit diesen. Mit der Wahl zum Baum des Jahres 2006 will die Stiftung "BAUM DES JARHES - Dr. Silvius Wodarz" (geb. 1930) dem drohenden Schicksal der Pappel entgegenwirken.

Die Schwarzpappel ein Baum der Steppe

Wenn diese Baumart im landläufigen Denken auch nicht die Prominenz von Eichen, Buchen und Tannen besitzt - blieb sie doch in den vergangenen zwei Jahrtausenden menschlicher Geschichte sichtbar und präsent. Bereits aus dem Alten Testament der christlichen Bibel ist zu erfahren, dass die Pappel viel Wasser braucht. Auch Gottvater wusste das. Er verkündet Jakob, einem der Erzväter der Israeliten, er werde dessen Nachkommen segnen, so dass sie dann "aufschießen werden wie Gras nach dem Regen, wie Pappeln an Wassergräben". (Jesaja 44,4) Als Ort eines geschichtsbekannten (und bis heute nicht aufgeklärten) Suizids sieht hingegen der evangelische Theologe Friedrich August Eduard Handtmann (1842-1912) die Pappel. Der Bibelkundler schreibt, am Ast einer Schwarzpappel habe sich der Apostel Judas Iskariot, der Jesus in der Nacht von Gethsemane (vermutlich im Jahr 4 vor Chr.) verriet, stranguliert. Er will hierin sogar einen Grund für das Pappelrauschen gefunden haben. Judas' ruheloser Geist durchschwirre wimmernd ihre Äste, so dass das Laub zittert und bebt. Der griechischer Dichter Homer, der im 8. Jahrhundert v. Chr. im ionischen Kleinasien (heute Türkei) lebte, erwähnt in der "Odyssee" die "wassergenährten Schwarzpappeln". In ihrem Schatten habe man Altäre für Nymphen gebaut, die als Spenderinnen der Fruchtbarkeit galten und vermutlich aus diesem Grund mit einer andauernd starken Libido ausgestattet waren. Sie sollen in Quellen, Seen, im Meer und im Wald gelebt haben. Und mittags tanzten sie, heißt es, bevorzugt unter Schwarzpappeln. Tauchten Männer oder Faune auf, zogen sich die überwiegend wenig bekleideten Gottheiten keineswegs verschämt zurück. Im Gegenteil...

Es ist auch nicht verwunderlich, dass die Schwarzpappel in die deutsche Dichtung einging. Der heute vergessene Lyriker und Sachbuchautor Arthur Koetz (1896-1953) veröffentlichte am 19. August 1951 in der Tageszeitung der DDR-CDU "Neue Zeit" "Geschichten um eine Schwarzpappel". Sie sind - für eine Tageszeitung - überraschend poetisch. Der Autor schreibt: "Von der Birke, lieber Baumfreund, kannst du singen; kämpfen mit der Eiche und dich an der Akazienblüte berauschen, aber vom Pappelbaum musst du schlecht und schlicht erzählen. Er ist weder ein lyrischer Baum wie die Birke, noch ein dramatischer gleich der Eiche, er ist unter den Bäumen die gewichtig ausladende Gestaltungsform der Epik, des Romans und des Berichtes. Dieser Baum hat Muße und lässt seine Freunde gelassen an sich herankommen. Wenn du ihn aber eines Tages gefunden hast, dann drückt er dir rauh und herzlich die Hand und lässt sie zeitlebens nicht mehr los." Ja, zumindest in Börnicke ist es so: die alte Pappel bleibt jedem in Erinnerung, der einmal vor ihr stand. Von ähnlichen Gefühlen ist auch der meisterhafte Beschreiber der norddeutschen Heide Hermann Löns (1866-1914) erfasst. In seinem Buch "Da draußen vor dem Tore" erinnert er sich: "Seltsam fremd klingt das Rauschen (der Pappel) dem, der schärfer darauf hinhört. Das klappernde Geraschel, dieses wilde Geflatter, es hat einen undeutschen Klang, weist auf südliche Herkunft. Die Schwarzpappel ist der Baum der Steppe, deren Eintönigkeit sie dort unterbricht, wo ein Fluss, ein See, eine Quelle ihre durstigen Wurzeln tränkt."

Ein Bestseller in diesen Tagen: "Das geheime Leben der Bäume"

Börnicker Pappel
Das bekannte gelbe Naturdenkmal-Schild mit der Waldohreule (im Bild unten) ist der einzige Hinweis auf die Besonderheit der Börnicker Schwarzen Pappel. Dass der Baum zwischen Ostsee und Berlin der älteste seiner Art ist, erfährt man jedoch nicht. - Foto: © -wn-

Wer warum die Börnicker Schwarzpappel in den 1830er Jahren pflanzte, bleibt unbekannt. Möglich ist es auch, dass die Pappel aus eigenem Antrieb als angeflogener Same am Dorfrand niederging. Aus dem originellen, wortflinken Buch "Das geheime Leben der Bäume" des deutschen Försters und Buchautors Peter Wohlleben (geb. 1964) wissen wir, dass es "Pionierbaumarten" gibt, die bei ihrer Fortpflanzung "auf den ganzen Komfort (eines Waldes) und die Sozialgemeinschaft pfeifen und grundsätzlich eigenbrötlerisch das Weite suchen". Zu den Baumarten, die ihre leichten flugfähigen Samen mit Hilfe des Windes weit ins Land schicken, zählt die Pappel. Peter Wohlleben schreibt sogar von Revierkämpfen unter den ankommenden Samen: "Denn unter den Erstbesiedlern entbrennt ein Wettrennen um einen Platz an der Sonne. Zu diesen hastigen Vertretern gehören verschiedene Pappelarten wie die Zitterpappel, dazu Sandbirken oder auch Saalweiden." Wie die "Oekonomische Encyklopädie" (1727-1796) des Berliner Enzyklopädisten Johann Georg Krünitz (1728-1796) mitteilt, lieben die Samen "einen feuchten Boden und wachsen darin zu einer erstaunlichen Höhe und Dicke auf. Ihr Wuchs ist ungemein schnell, in wenigen Jahren liefern sie starke Stangen, geben reichlich Schatten und erlangen ein ehrwürdiges Aussehen." So geschah es auch in Börnicke.

Es läge nahe, die alte Pappel in Verbindung mit dem Agronomen und preußischen Landesökonomierat Albrecht Philipp Thaer (1794-1863) zu bringen, der im Jahre 1839 das Rittergut Börnickes übernahm. Er war der dritte Sohn des berühmten Agrarwissenschaftlers Albrecht Daniel Thaer (1752-1828). Dem innovativen Landwirt, der sich wie der Vater mit veredelter Schafzucht und einer effektiven Fruchtfolge auf den Feldern befasste, war es auch um die Erhaltung der Wälder zu tun. Er pflanzte - wenn vielleicht keine Pappeln - aber doch wichtige Waldbaumarten auf freien Flächen an. Seine "grüne" Aktivität ist insofern bemerkenswert, als zu seiner Zeit der Gedanke der Aufforstung brach und wüst gewordener Stellen nicht sehr verbreitet, ja neuartig war. So schrieb ein Forst-Magazin im Jahre 1785: "Bei unsern Landleuten fehlt es ... sehr an Holzpflanzlust, und wo dergleichen Anlagen vorhanden, dienen sie nicht selten zur Kühlung des Frevels nichtsnüzzigen Pöbels."

Es ist schwierig, die Börnicker Pappel zu besuchen

Während sich in Börnicke und Umgebung in der Thaer-Zeit ein reges und ertragreiches Landleben entfaltete, standen im Preußenland die Zeichen auf Sturm. 1840 starb der Zauder-König Friedrich Wilhelm III. (geb. 1770). Dessen Bilanz tendiert zum Negativen. Vor allem sein Versprechen auf eine von vielen geforderte Verfassung blieb uneingelöst. Nun ruhten alle Hoffnungen auf seinem Sohn und Nachfolger Friedrich Wilhelm IV. (1795-1861). Dieser entpuppt sich als ein Romantiker auf dem Thron. Viel tat er für Kunst und Architektur. Während der Revolution von 1848 aber versagte er, indem er die Zeichen der Zeit nicht erkannte. Er verwirft die Ziele der Revolutionäre, denen er sich zunächst hinterhältig angedient hatte. Es kommt zum Gemetzel vom 18. März in Berlin. Am Nachmittag des 22. März muss er allerdings ein übers andere Mal seinen Hut ziehen. Nach einem Gottesdienst werden an diesem geschichtsträchtigen Märztag am Gendarmenmarkt kurze Ansprachen von einem evangelischen, einem katholischen und einem jüdischen Geistlichen gehalten, bevor die aufgebahrten Särge der erschossenen Barrikadenkämpfer ab halb Drei unter großer Anteilnahme der Berliner Bevölkerung zum Friedhof der Märzgefallenen in den Friedrichshain gebracht werden. Der Weg des Trauerzuges geht über die Charlottenstraße und die Linden zum Schlossplatz hin, wo Friedrich Wilhelm IV. steht, Trauer vortäuscht und seine in Ohnmacht fallende Frau gerade noch auffangen kann. Das Geschehen in Berlin hindert den Monarchen später nicht daran, alles für eine Restauration der alten Verhältnisse zu tun. Er lehnte im April 1849 die deutsche Kaiserkrone ab, die ihm eine "plebejische" Delegation der Preußischen Nationalversammlung (Paulskirche) angeboten hatte - ein selten-dummer Affront aus manischer Angst vor den Bürgern im Lande.

Denkmal auf dem Berliner Schillerplatz
Denkmal für Albrecht Daniel Thaer, den Begründer der modernen Landwirtschaftslehre in Preußen. Die Skulptur auf dem Berliner Schinkelplatz schufen der Bildhauer Christian Daniel Rauch (1777-1857) und der Bildhauer Hugo Hagen (1818-1871), der das Denkmal nach Rauchs Tod vollendete. - Foto: © -wn-
Die preußische Zeit durchlebte die Börnicker Pappel ohne Schaden. Am Beginn der zwölf Nazijahre in Deutschland (1933-1945) hätte sie - statistisch gesehen - schon ins Totholz fallen müssen. Aber sie ignorierte die für ihre Art vermutete Lebenserwartung (100 Jahre) bisher um rund 80 Jahre. Niemand weiß, ob sie tatsächlich im Lebensherbst oder gar erst in der Mitte ihrs Lebens steht. Nichts spricht dafür, dass die alte Dame bald Opfer eines Sturmes werden könnte. Ihr Problem ist aber: Sie ist einsam wie eine Ahne, die im Altenheim frisch gewindelt und gewaschen "Mensch ärgere dich nicht" oder Halma spielt, und im Sommer "Im Frühtau zu Berge" und im Winter "Alle Jahre wieder" singt. Kaum jemand besucht die Schwarze Pappel - es kann sie wegen eines fehlenden gangbaren Weges kaum jemand besuchen. Von der Börnicker Chaussee, die nach Bernau führt, ist es leichter - Wanderlust vorausgesetzt - auf dem sie querenden Jakobsweg ins 2573 Kilometer entfernte Santiago de Compostella zu gelangen als von derselben Straße die kurze Entfernung zur Schwarzen Pappel zu überwinden. So stehen die Dinge im Herbst 2016.

Wie man zur Schwarzen Pappel kommt:

Von Bernau fährt man auf der Börnicker Chaussee ins gleichnamige Dorf. 1,2 Kilometer vor dem Ort heißt die Straße Chausseestraße. Diese befährt man bis am Dorfeingang links eine lange Baumgruppe ins Auge fällt. Hier steht die Schwarze Pappel. Der Baum hat die Geo-Koordinaten E13°38.25803' / N52°39.9204'. Das Auto parken kann man wenige Meter dahinter links im Bereich der Kreuzung Chausseestraße / Börnicker Dorfstraße.

Literaturhinweise:

Das im Text erwähnte im Münchener Ludwig Verlag erschienene Buch "Das geheime Leben der Bäume" von Peter Wohlleben steht im Oktober 2016 auf Platz zwei der Sachbuch- Bestsellerliste des Magazins "Der Spiegel".
Das Buch "Baumriesen zwischen Berlin und Rügen" von Karl-Heinz Engel erschien im Steffen Verlag Berlin.

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