Mühlberg an der Elbe - Wenn die Geschichte Epochen-Zeichen setzt

In den meisten Fällen möchte man lieber nicht dabei gewesen sein. Denn historische Begebnisse sind mitunter gefährlich für Akteure oder einfach für anwohnende
Frauenkirche in Mühlberg
Mühlberger Frauenkirche, gebaut von 1487 bis 1525;
rechts der Ostgiebel des Rathauses. - Foto: -wn-
Menschen. Schlimmster Fall bleibt Krieg. Andererseits besitzen geschichtliche Vorgänge einen Schau- und Erlebniswert, und - wenn Leidensdruck vorliegt und Angst nicht Raum greift - trägt man selbst dazu bei, einem Ereignis geschichtlichen Rang zu verleihen. Später lässt sich dann sagen: Ja, so war das damals. Die Öffnung der innerdeutschen Grenze 1989 war ein Vorgang dieser exorbitanten Güteklasse, ein freudiges Ereignis, zu aller erst für die, die in der Nacht vom neunten zum zehnten November 1989 unterwegs waren am Wall. Die Demonstration der Siebzigtausend hingegen einen Monat zuvor um den Leipziger Innenstadtring fällt unter die Rubrik historisch, Untergruppe gefährlich. Zugriffe unterblieben zwar zum Glück.
 
Sehenswürdigkeiten in Mühlberg:
  • Gedenkfriedhof Mühlberg
  • Kloster Marienstern
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    Geschichte der Stadt Mühlberg / Elbe

    Erich Loest (geb. 1926) schildert jedoch im Roman "Nikolaikirche" Gedankenspiele eines demoralisierten Stasi-Generals, der aus der Leipziger Zentrale an der "Runden Ecke" sinnierend auf den "konterrevolutionären" Zug hinuntersieht: "Der Strom bog unter den Baumkronen heraus, untergehakt die erste Reihe. Der General stellte sich vor, zwanzig IM hätten sich in die zweite geschmuggelt, in diesem Augenblick, auch sie untergehakt, verlangsamten sie den Schritt, so dass eine Lücke klaffte, und dann: Feuer frei! (auf die erste Reihe) für die Scharfschützen hinter den Balkonbrüstungen … zwanzig Schüsse, zwanzig Tote …". Sicherlich hatten die Demonstranten - bei inzwischen nachlassender Angst - statt dessen jenes erhebende Befinden, von dem im September 1792 auch ein waffenloser Kriegsgefährte des Weimarer Herzogs Karl August (1757-1828) erfüllt war - nämlich Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832). Ins Tagebuch "Campagne in Frankreich" schreibt der am 1. Koalitionskrieg von 1792 gegen die französische Armee teilnehmende Dichter einen Satz - und der ist seitdem geflügelt. So hatte es sich zugetragen: Nachdem die in Richtung Paris vorstoßenden preußisch-österreichischen Verbände durch die berühmte Kanonade von Valmy am 20. September von einem "Haufen von Schneidern und Schustern" überraschend gestoppt worden waren - so schmähte man anfangs die unterschätzte französische Armee - da kam Goethe dieser bewusste, nicht schlechte Gedanke. Abends im Kreis der Offiziere erwartete man von ihm wieder eine Geistreichelei, und so kam er darauf, den Preußenkriegern klarzumachen: "Von hier und heute geht eine neue Epoche der Weltgeschichte aus, und ihr könnt sagen, ihr seid dabei gewesen." Zur neuen Epoche gehörten natürlich erst einmal die folgenden Menschen vernichtenden Napoleonischen Feldzüge durch Europa mit der abschließenden Leipziger Völkerschlacht im Oktober 1813 - und erst Jahre später zeichnete sich die eigentliche Strahlkraft der Französischen Revolution von 1789 ab. Seit dem treten alle möglichen historischen Orte und eben solche Abläufe verstärkt ins öffentliche Bewusstsein.

    Ein Ort, an dem das Nachempfinden nicht selbst erlebter Geschichte möglich ist, ist das rechtselbische, südwest-brandenburgische Städtchen Mühlberg. Die freundliche
    Rathaus in Mühlberg
    Die Tür des Rathauses - Foto: -wn-
    Landstadt mit rund 4300 Anwohnern (2010) lag einmal direkt am Ufer der Elbe, die hier in ausholenden Mäandern Richtung Torgau das flache Land durchfließt. 1853 begradigte man den zu Hochwasser neigenden Strom, indem man den stadtnahen Mäander unterbrach und das Wasser in ein neues Flussbett geradeaus zwang. Zurück blieben die beiden mit der Elbe verbundenen separaten Bogenteile, die das Städtchen nicht daran hindern, weiter eine Hafenstadt sein. Die Maßnahme im 19. Jahrhundert galt auch dem Schutz der stadtarchitektonischen Kostbarkeiten wie zum Beispiel der Klosterkirche auf dem Gelände des ehemaligen Zisterzienser Nonnenstifts mit Refektorium, Propstei und Hospiz. Auf dem Neustädter Markt fallen das Rathaus von 1543 und die Frauenkirche ins Auge. Der um 1225 begründeten Kommune fällt es allerdings zu, ihren Namen heute mit dem Ausgang eines fragwürdigen Religionskrieges verbunden zu sehen. Es ist die Schlacht bei Mühlberg am 24. April 1547. Sie beendete den Schmalkaldischen Krieg, in dem sich die papsttreuen Verbände von Kaiser Karl V. (1500-1558) und die im reformatorischen Schmalkaldischen Bund organisierten protestantischen Mächte gegenüberstanden. Dem Krieg waren Verhandlungen beider Seiten vorausgegangen, von denen der Historiker Heinrich Lutz schreibt, es seien Gespräche gewesen "in denen es ja nicht nur um innerdeutsche, sondern um weltweite Entscheidungen ging. Aber es ist für den heutigen Betrachter … vielleicht unmöglich, ein sicheres Urteil über die innere Möglichkeit oder Unmöglichkeit der Religionsgespräche von 1540/41 zu gewinnen". Zumindest ist es wichtig zu wissen, dass sich damals innerchristliche Kriege abspielten, bei denen es um nichts anderes als um das "richtige" Abendmahl ging. Auf die Frage, was das verabreichte Brot und der dazu gegebene Wein nun genau bedeuten sollen, sind die in Rede stehenden katholischen und evangelischen Deutungen sicher auch für den normalen Christenmenschen irritierend. Martin Luther (1483-1546) rief dazu auf, in den geheiligten Naturalien "Leibsbrot" und "Blutswein" zu sehen, während sich die katholische Lesart darauf versteift, dass der Wein und das Brot sich während des Abendmahls tatsächlich in Blut und Fleisch des Gekreuzigten verwandeln - nur dass man es eben nicht sieht.

    Wegen solcher kasuistischen Annahmen zog man damals ins Feld und tötete sich gegenseitig im Namen des alten Herrn dort oben im Himmel. Und selbst heute - ein knappes Halbjahrtausend später - ist der Streit ums Abendmahl noch nicht beendet. Zumindest aber ist die christliche Kriegsbereitschaft einer friedfertigen katholischen Arroganz gegenüber den Evangelischen gewichen.
    Denn die Vatikanische Seite will weiterhin nicht anerkennen, dass die Evangelischen einer ihnen gleichgestellten Kirche angehören. Verwunderlich, dass die heutigen Papisten in ihrer Uneinsichtigkeit verharren. Sie fürchten offenbar nicht jene Strafe, zu der der Christengott - aus einem Sturm heraus rufend - seinen Knecht Hiob ermunterte: "Streu aus den Zorn deines Grimms, schaue an alle Hochmütigen und demütige sie" (Hiob 40,11). Aber das ist ja gerade bei Mühlberg erfolglos versucht worden. Die Evangelischen zogen den Kürzeren. Als der im Esszelt nahe der Stadt speisende und sich in Sicherheit wähnende sächsische Kurfürst Johann Friedrich I. (1503-1554) von den über die neblige Elbe gekommenen Kaiserlichen überrascht wurde, hatte er schon fast verloren. In den "Denkwürdigkeiten aus der sächsischen Geschichte" beschreibt der Dresdener Schriftsteller Karl August Engelhardt (1768-1834) den entscheidenden Morgen so: "Der 24. April war nun der unglückliche Tag, der Johann Friedrich so viel kostete. Undurchdringlicher Nebel deckte beide Ufer der Elbe, so dass die kurfürstlichen Truppen nicht einmal die Weidensträucher am jenseitigen Ufer, geschweige denn die Feinde, erkennen konnten." Die Kaiserlichen setzten über und siegten auf ganzer Linie. Der Verlierer Friedrich nannte sich zwar "der Großmütige", war tatsächlich aber - was jetzt wichtig wurde - der Übergewichtige. Man kann ihn sich gut und gerne als den Fußballmanager Reiner "Calli" Calmund (geb. 1948) mit Hut und Harnisch vorstellen. Die Leibesfülle hinderte den Kurfürsten letztlich daran, sich fluchtweise abzusetzen. Er wird festgenommen. Engelhardt weiter: "Der Tag ist längst zu Ende, denn die Schlacht hat bis um sieben Uhr Abends gedauert - dicke Finsternis liegt auf der ganzen Gegend - das Gewinsel der Verwundeten, die letzten Seufzer der Sterbenden durchächzen die Luft." Vom Beginn einer neuen Epoche konnte in Mühlberg keine Rede sein.

    Ungeklärt muss bleiben, was geschehen wäre, hätte sich der dickleibige Friedrich retten und neue Truppen zusammenziehen können. Vermutlich würden die
    Das Stadtwappen von Mühlberg
    Das Stadtwappen in Gestalt einer Kleinplastik über der
    Rathaustür mit den Jahresangaben 1543, dem Jahr der
    Fertigstellung des Gebäudes, und 1943 - Foto: -wn-
    Protestanten trotzdem auch heute noch nach Vatikan-Audienzen mit enttäuschten Gesichtern über den Petersplatz laufen. Kein Gedanke, dass ein ökumenischer Erfolg von historischem Rang erreicht worden wäre. Zu einem weiteren geschichtlich belangvollen Misserfolg kam es 1730 vor den Toren der Stadt. Es ist der damalige Kronprinz und spätere König in Preußen Friedrich der Zweite (1712-1786), der mit seinem Vater Friedrich Wilhelm I. (1688-1730) an die Elbe gekommen war, wo Sachsenkönig August II. (1670-1733) vom 31. Mai bis zum 28. Juni eine als "Spektakel des Jahrhunderts" gepriesene Truppen-Schau abhielt. Es war das "Große Campement bei Mühlberg", das eher nahe dem sächsischen Zeithain stattfand. Einen "Scheinkrieg (mit) Festen aller Art", nannte Goethe das Manöver, die begleitenden Opern- und Komödienaufführungen, die Gelage und das fünfstündige Feuerwerk auf der Elbe mit feuerspeienden Walfischen und Delphinen. Strafgefangene mussten im Inneren der drapierten Schiffe Böller, Knaller und Raketen zum Abschuss bringen. 30000 Mann hatte August aufgeboten, die auf dem 1000 Hektar großen Areal exerzierten und um sich ballerten. "So schickte sich das Heer so fort, / Musquet und Mörsel loß zu brennen; / Ein Pulver-Dampff und Schweffel-Dufft, / Verfinsterte den Kreiß der Luft, / Man fühlte recht die Erde beben", preist ein Augenzeuge die auf sächsische Eigenwerbung angelegte Veranstaltung. Im Trubel dieses Fest-Lagers offenbart der junge Friedrich seinem mitgereisten Jugendfreund Hans Hermann von Katte (1704-1730), er plane wegen des beständigen Ärgers mit dem pietistischen Vater nach London zu fliehen. Es bleibt jedoch bei der Ankündigung. Während einer Inspektionsreise des Vaters aber wird es konkret. Friedrich will in der Nacht vom 4. zum 5. August vom Quartier bei Steinsfurt in Baden-Württemberg aus über Frankreich nach England zu fliehen. Die Flucht misslingt, der festgesetzte Kronprinz wird auf der Festung Küstrin interniert, Katte als Mitwisser dort am 6. November desselben Jahres enthauptet. Auch die Frage bleibt offen, wie sich Preußens Geschichte ohne Friedrich II. vollzogen hätte. Da er blieb, beginnt 1740 die Friderizianische Epoche der preußischen Geschichte, ein mit Wohl und Wehe durchmischter Vorgang.

    Unklar bleibt auch, warum der (zu Unrecht in Vergessenheit geratene) sächsische Schriftsteller Gottlieb Wilhelm Rabener (1714-1771), den man wegen seiner Neigung zur Satire auch den "deutschen Swift" nennt, die Stadt Mühlberg in eine seiner Parodien einführt. In der Geschichte "Lebenslauf eines Märtyrers der Wahrheit" wird die Stadt als Geburtsort dieses Kämpfers angegeben. "Daß ich im Jahre 1674, den 17. September, zu Mühlberg, einem Städtchen an der Elbe, geboren bin, solches scheint kein Umstand von besonderer Wichtigkeit zu seyn", heißt es in der in der Ich-Form verfassten Erzählung. Der Mann bekennt: "Das habe ich mit andern Menschen gemein, dass ich meinem Namen die Unsterblichkeit wünsche, wenn auch gleich der Körper verwesen muss." Sein Lebensweg ist von Niederlagen und Misserfolgen geprägt, die sich einstellen, weil er jedermann unmissverständlich seine Meinung sagt. "Allein, meine Ehrlichkeit, mein Eifer für die Wahrheit, meine billigsten Absichten wurden schlecht belohnt. Man mied meine Gesellschaft, man verachtete, man verspottete, man verabscheute mich …" so geht seine Klage. Später scheint sich der Wahrheitsverkünder aus Mühlberg den Verhältnissen angepasst zu haben: "Es gieng mir alles nach Wunsche, und ich weis nicht, ob die Leute daselbst (nun) die Wahrheit besser vertragen konnten, oder ob es daher kam, dass ich nicht alles öffentlich sagte, was ich bey mir selbst dachte", überlegte der Mann. In diesem Moment ist dem heutigen Leser plötzlich nicht mehr klar: Ist es ein Geschichte von früher, oder ist sie eine von heute.

    Wie man nach Mühlberg/Elbe kommt:
    Von Berlin aus erreicht man die Stadt im Landkreis Elbe-Elster am günstigsten über die Bundesstraße B101. Nach etwa 130 Kilometern biegt man in Bad Liebenwerda rechts auf die Straße L66 ein. Bis nach Mühlberg sind es dann noch rund 17 Kilometer.
    Text: -wn-

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