DDR-Museum: "Lotrecht muss die Mauer sein!"

Ein Museum im Museum - so kann man die Eisenhüttenstädter Sammlung individueller Habschaften aus dem DDR-Alltag wohl nennen. Obwohl die Stadt mit den
Dokumentationszentrum Alltagskultur der DDR in Eisenhüttenstadt
Seit 1994 ist das Dokumentationszentrum Alltagskultur der
DDR in einem denkmalgerecht sanierten Haus in der
Eisenhüttenstädter Erich-Weinert-Allee untergebracht.
Foto: -wn-
vielen denkmalgeschützten Häusern heute noch menschlichem Wohnenwollen entgegenkommt, hat sie doch inzwischen selbst musealen Charakter. Sie ist das größte deutsche Flächendenkmal - ein respektables Beispiel für ostdeutschen Städtebau nach 1945 und der (gescheiterte) Versuch, Arbeit, Wohnen und Kultur in Einklang zu bringen. Eisenhüttenstadt - Standort des wichtigsten Hüttenwerkes des Landes - entsteht 1961 aus dem Zusammenschluss der ehemals zur Zisterzienserabtei Neuzelle gehörenden Leineweberstadt Fürstenberg und einer neugebauten, zunächst Stalinstadt genannten Wohnstadt, deren Architektur an klassizistische Formen erinnert.

Adresse:
Dokumentationszentrum Alltagskultur der DDR
Erich-Weinert-Allee 3
15890 Eisenhüttenstadt
Telefon: 033 64/ 41 73 55

Öffnungszeiten des DDR Museums:


April bis September: 10:00 Uhr - 18:00 Uhr
Oktober bis März: 11:00 Uhr - 17:00 Uhr

Eintrittspreise im Dokumentationszentrum:


Erwachsene 4€
Ermäßigt 2€
Kinder bis 7 Jahre freier Eintritt
Führungen 50€

Geschichte des Dokumentationszentrum Alltagskultur der DDR


Hier wird am Anfang der 90er Jahre die Idee geboren, ein Dokumentationszentrum ostdeutscher Alltäglichkeiten einzurichten. Zehn Ausstellungsbereiche zeigen inzwischen den Alltag in vielen Facetten. Die Anzahl der Exponate scheint unübersehbar. Verständlich, dass die Haushaltstechnik besondere Aufmerksamkeit erregt und unter Besuchern zu Ausrufen führt wie "Guck mal, das hatten wir doch auch!" Ein wenig nostalgisches Geblüt ist dabei nicht zu verhindern. Doch es gibt viel Stoff zu ernsthaftem Nachdenken und Besinnen. Eine Zeitungsseite wird präsentiert, die einen Eindruck gibt von der auf dem Land lastenden Zensur. In der Größe einer Streichholzschachtel druckt die Zeitung "Neues Deutschland" am 29. April 1986 auf Seite 5 eine verharmlosende TASS-Meldung über die drei Tage zuvor stattgefundene Explosion des Reaktors im Atomkraftwerk von Tschernobyl (Foto). Mit der Kleinstmeldung wird das Jahrhundertereignis versuchsweise kleingeschrieben.

Ausstellungsstücke im DDR-Museum


Manches Wiedersehen ist angenehm, etwa mit einem Schulbuch aus den 50er
Bleiverglastes Fenster in Eisenhüttenstadt
Eines der bleiverglasten Fenster im Treppenaufgang des
Museumsgebäudes. Die Gestaltung des Malers und
Grafikers Walter Womacka (1925-2010) aus den Jahren
1954/55 trägt den Titel "Aus dem Leben der Kinder". Sie
erinnert an die frühere Bestimmung des Gebäudes als
Kinderkrippe. - Foto: -wn-
Jahren, das man in der Kindheit selbst im Ranzen trug. In ihm wird neben bunten Bildern mit fröhlichen Menschen der Maurerberuf vorgestellt. "Schaut gut zu, wie der Geselle / flink den Stein fasst und die Kelle. / In den Mörtel setzt er dicht / Stein auf Stein und Schicht und Schicht. // Von den Pfeilern zu den Ecken / sich gerade Wände strecken. / Das vor allem prägt Euch ein: / Lotrecht muss die Mauer sein!" Der Reimeschmied kann freilich nicht absehen, welchen schicksalhaften Doppelsinn dieser letzte Satz bald erhalten wird. Dann wieder sind diverse Auszeichnungen zu sehen, auf Urkunden vermerkt oder ausgehängt auf "Straßen der Besten". Die Titel des staatssozialistischen Werktätigenadels beginnen meist mit den Worten "Verdiente" oder "Verdienter". Der Schriftsteller Durs Grünbein (geb. 1962) erinnert sich, dass er in der Kommode seines verstorbenen Großvaters eine Urkunde fand, die den Verstorbenen als Mitglied einer täglich im Schweine- und Rinderblut watenden Schlachter-Brigade der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft auswies. Die Urkunde "lag zuunterst in dem Kommodenfach, begraben von nie benutztem Briefpapier, alten Rätselzeitungen und einer Jubiläumschronik der Vereinigten Fleisch- und Wurstwerke Dresden", schreibt Grünbein. Es war jener Großvater, der auf den Spaziergängen oft an Schaufenstern stehen blieb, "die spärlichen Auslagen (prüfte), in denen jede kleine Veränderung einer Offensive gleichkam, hier ein neues Bügeleisenmodell, da ein fescher Rasierpinsel." Kein Pinsel, kein Stift, kein Heft erscheint den Museologen heute zu gering, als dass aus ihnen nicht Exponate zum Erhellen zurückliegender Zeiten werden können. In den vergangenen Jahren hat das Museum mit zahlreichen Sonderausstellungen den Alltag ausgeleuchtet: Das Leben in der Platte, der Einkauf im Konsum, die Plakat-Kultur, das bewegte Jahr 1953 und die sinnarm-unterweisende Werbung.
Andere Räume erläutern zeitgedehnte Zustände, besonders das politische System.
Staubsauger aus DDR-Zeiten
Staubsauger made in GDR - "So wie wir heute arbeiten,
werden wir morgen leben", Losung, 1953 - Foto: -wn-
Es wird erklärt, warum die für sozialistisch gehaltene Lebensweise, die sich gerade in Eisenhüttenstadt entwickeln sollte, letztlich eine Fiktion war, und es wird über die oppositionellen Milieus der 1980er Jahre berichtet sowie über deren staatliche Bekämpfung. Das Mitglied des Museumsbeirates, der Berliner emeritierte Professor Dr. Dietrich Mühlberg (geb. 1936) glaubt in seinem 2003 veröffentlichten Aufsatz "Vom langsamen Wandel der Erinnerung an die DDR" herausgefunden zu haben: "Mehrheitlich wird eine gute Zeit erinnert." Differenzierter als dieser Professor mit dem verklärenden Blick aufs Vergangene beschreibt der Hallenser Linguist Manfred Bierwisch (geb. 1930) seine Rückschau: "Ja, die DDR war grau, ihr Sozialismus hat nie funktioniert, und am Ende war es einfach ein kaputtes Land, dem nicht mehr zu helfen war. Und doch ist da mehr gewesen, als ein bloß missmutiger Rückblick wahrzunehmen in der Lage ist. Da gab es Widerborstigkeit und Neugier, nicht weniger Intelligenz und Scharfsinn als in anderen Weltgegenden, und in den Grautönen gab es sehenswerte Schattierungen…"

Der Aufbau Eisenhüttenstadts wird von mancherlei dichterischen Elogen begleitet. Der
Radios aus DDR-Zeiten
Rundfunkgeräte made in GDR - "Jeder jeden Tag mit guter
Bilanz" Losung, 1981 Foto: -wn-
Schriftsteller Rudolf Leonhard (1889-1953) verfasst 1951 einen orgiastischen Bericht über den im Jahr zuvor erfolgten symbolischen ersten Axthieb zum Baubeginn des Hüttenkombinats. Klein-Fritzchen sollt daraus ersehen, wie man im Sozialismus den Bau eines solch kolossalen Kombinats-Betriebes leitet. "Der (Industrie-) Minister (Fritz) Selbmann stellte sich vor den Lageplan und erklärte, wie er sich das Werk wünsche, wie er sie das Werk denke: hier, die Kulturgebäude müssten näher an die Verwaltung, die Gesundheitspflegeanstalten lägen besser dort … Jede dieser Erklärungen war zugleich eine Anweisung an irgendeinen Abteilungsleiter, jeder … quittierte sie mit der Zusicherung, dass so gehandelt werden würde." Am Schluss liest man: "Und nun, ich schwöre es, ich habe es selbst gesehen, ging es los: der Minister, dem man ein Beil gegeben und der eine der kleinen Kiefern umgehauen hatte, saß noch nicht wieder in seinem Wagen, er war noch nicht wieder auf der Straße, da ratterten schon die Traktoren los und legten, die Lichtung vergrößernd, Bäume um." Der Schriftsteller Peter Hacks (1928-2003) formuliert im Gedicht Traumstadt: "Baut eine Stadt, erbaut sie nach der Träume Schnur, / Vom Stoff der Kühnheit, auf Entschlusses Fundament, / Wo ihr euch selbst begegnet, euerer Wirklichkeit./ Denn wie ihr leben wolltet, lebtet ihr ja nicht." Der Grund für den Bau in Odernähe waren keine Träume, sondern die durch die deutsche Teilung notwendig gewordene Errichtung des Eisenhüttenkombinates Ost, das zunächst den Namen des Funktionärs Hermann Matern erhält, später nach Stalin benannt war. Bis zu 16000 Beschäftigte verdienten hier ihr Brot und hatten annehmbare Wohnungen.

Vermutlich befindet sich im Magazin des Museums auch jener Gedichtband des
Zeitungsmeldung von 1986
TASS-Meldung über die Explosion des Reaktors im
Atomkraftwerk von Tschernobyl am 26. April 1986,
abgedruckt auf Seite 5 in der Zeitung "Neues Deutschland"
vom 29. April 1986 Foto: -wn-
Lyrikers und Brecht-Meisterschülers Heinz Kahlau (1931-2012), der die 1966 verfasste "Fürstenberger Ballade" enthält. Sie handelt von den drei jungen Zimmerleuten Robert, Werner und Kurt, von denen es heißt "Die machen da die Erde glatt / und bauen Eisenhüttenstadt - / Bedankt euch mal bei ihnen, / sie würden das verdienen". Es hört sich jedoch nicht nach dem gepriesenen, aber nie existierenden sozialistischem Wettbewerb an, was da, wie Kahlau schreibt, los war: "Der Abend trieb sie nass und müd / zurück in die Baracken. / Sie krochen in das Stroh zu dritt / und mussten die Läuse zerknacken." Mit dem Jugendfreund Robert läuft es nicht so gut; er will zurück zu seinem Mädchen. "Fast vierzehn Tage blieb er fort / und hat sein Geld versoffen. / Dann warf ihn die Partei hinaus / und schickte ihn ins Dorf nach Haus. / Das hat ihn am schwersten getroffen." Es gibt ein Happy End, Robert erscheint geläutert wieder auf der Baustelle, die örtliche Menschengemeinschaft nimmt ihn wieder auf.

Ein anderes Schicksal widerfährt Minister Selbmann (1899-1975). Nachdem sich
Einige Waren des täglichen Bedarfs
"Waren des täglichen Bedarfes" Made in GDR - "Mein
Arbeitsplatz - mein Kampfplatz für den Frieden",
Losung, 1984 Foto: -wn-
Walter Ulbricht (1893-1973) im Juni 1953 geweigert hatte, zu den aufgebrachten Arbeitern zu sprechen, ist Selbmann das einzige Regierungsmitglied, das am späten Vormittag des 16. Juni 1953 in der Leipziger Straße auf einen herbeigebrachten Tisch klettert und sich den demonstrierenden Industriearbeitern stellt. "Wir wollen mit der Regierung sprechen!" steht auf ihren Transparenten. 1958 ist er seinen Job los - wegen "abweichender Haltung", wie Ulbricht mit neuem Oberwasser befindet. Man wirft ihm vor, an Verzögerungen und Pannen im EKO Mitschuld zu tragen.
Selbmann wird Schriftsteller und verfasst antifaschistische Romane; da geht es ruhiger zu. Trotz seines Mutes am 16. Juni wandelt er sich nicht vom Saulus zum Paulus. Es will nicht das Bild vom arbeiterfreundlichen Funktionär entstehen. Den Aufstand vom 17. Juni wird er als einen "unerhörten Schandfleck der deutschen Arbeiterbewegung" bezeichnen. Ein Gedicht aus der Feder des Schriftstellers Heiner Müller (1929-1995) zeigt, wie Hoffnung auf bessere Zeiten durch elementare Enttäuschungen zunichte gemacht wurden - auch angesichts solcher eklatanter Fehldeutungen wie der aus dem Munde Fritz Selbmanns. Müller beschreibt das Schicksal eines "Mannes aus Stalinstadt Bezirk Frankfurt Oder" nach dem Tod des Moskauer Generalissimus. In dem Gedicht, das eigentlich eine freudige Ode auf die Zukunft hätte sein können, heißt es: "Auf die Nachricht vom Klimawechsel in Moskau / Nahm (er) stumm von der Wand das Porträt des geliebten / Führers der Arbeiterklassem des Weltkommunismus / Trat mit Füßen das Bild des toten Diktators / Hängte sich auf an dem frei gewordenen Haken."

Zunächst sieht an der Oder alles nach stabilem Wirtschaftswachstum aus.
Überall regt sich was. Knappe 150 Kilometer nördlich beginnt 1960 auch das
Erstattungs-Mitteilung der Deutschen Post der DDR
"Erstattungs-Mitteilung" der Deutschen Post der DDR; die
Ausgaben 1-2/1988 der sowjetischen außenpolitischen
Zeitung "Nowoje wremja" (Neue Zeit) waren in der DDR
verboten worden und wurden gegenüber den Postkunden
als "der Dt. Post nicht übergeben" bezeichnet. In den
konfiszierten Ausgaben gab es Artikel zum Thema
Sozialismus und Demokratie. - "Von der Sowjetunion lernen
heißt siegen lernen!", Losung 70er Jahre Foto: -wn-
Erdölverarbeitungswerk im uckermärkischen Schwedt (heute PCK Raffinerie) den Betrieb. Im Süden entsteht das Gaskombinat Schwarze Pumpe. Die Werke sind Beispiele eines vielversprechenden Wirtschaftsaufbruches im wenig besiedelten Osten der DDR. Der tschechische Wirtschaftsreformer Radoslav Selucky (geb. 1930) spürte bei Gesprächen 1967 in Berlin herausgestelltes Selbstbewusstsein: "Die Funktionäre, mit denen ich zusammentraf, waren wie gewöhnlich schrecklich stolz auf die erreichten Erfolge und gaben mir unverhüllt zu verstehen, dass ihr Modell des Sozialismus auch in der Tschechoslowakei angewendet werden sollte. Tschechen hatten damals in der DDR keinen guten Ruf: man hielt uns für Revisionisten, Liberale und rechte Elemente … wegen unserer Filme, Literatur, politischer Diskussionen und der Wirtschaftsreform … In der DDR gebärdete sich jeder offizielle Funktionär, als sei er im Besitz letzter Wahrheiten." Als heute in die Geschichte Hineinblickende wissen wir, dass für solchen Stolz immer weniger Anlass bestand. Es sind die Jahre, in denen sich - unvorstellbar für manchen - das Ende ankündigt. Noch gibt es (um drei Ecken herum errechnete) Produktionszuwächse von 5 Prozent. Die Versorgung der Bevölkerung mit Konsumgütern nimmt zu, die Reallöhne steigen jährlich um 2%. Trotzdem will sich das staatssozialistische Elysium nicht auftun. In einem Vortrag 2007 in Wittenberg spricht der Historiker Martin Sabrow (geb. 1954) die Ursache an: "Die Kosten der … sozial- und konsumpolitischen Maßnahmen wie die wachsenden Ausgaben für den Militär- und Sicherheitsbereich erzwangen im Verein mit den steigenden Rohstoffpreisen der siebziger Jahre eine Senkung der Investitionsquote und führten die DDR in eine Verschuldungskrise." Die Ausstellung zeigt diese Vorgänge mit ihren Mitteln. Sie will der fortlebenden Nostalgie entgegenwirken. "Ich war im Behagen der Jugend zu einer Art von Optimismus geneigt …", schreibt Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832) in seiner Autobiografie "Aus meinem Leben". Hier hakt die Sammlung ein und sucht auch all die Bürger vor dem Vorwurf billigen Mitläufertums zu schützen, die in den Anfangsjahren aus den Aufbau-Aufrufen Hoffnung schöpften und sich heute zumindest freuen, im Museum ihrem alten Staubsauger wieder zu begegnen. Man hatte so ein Gerät nicht einfach bestellt, bekommen und bezahlt; man hatte es mit Aufwand an Zeit und Nerven erworben. Da können sich die Systeme ändern wie sie wollen - ein Wiedersehen mit dem alter Sauger kann durchaus bewegend sein.

Wie kommt man zum DDR Museum in Eisenhüttenstadt?
Von Berlin nach Eisenhüttenstadt benutzt man mit dem Auto die Autobahn A12 Richtung Frankfurt (Oder). Von der Abfahrt Frankfurt (Oder)-Süd führt die Bundesstraße B112 bis nach Eisenhüttenstadt.
Text: -wn- / Stand: 19.05.2014

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