Des Kurfürsten banger Marsch vom Rhein zum Rhin

Preußische Märsche sind eilige Stücke. Von Anfang an wird nicht gefackelt, zackig ist der Ton, gerade der Takt,
Kirche
Die 1858 erbaute Fehrbelliner Stadt-Kirche mit dem 41 Meter
hohen Turm. Der Entwurf des Gotteshauses stammt vom
Königlichen Baumeister Friedrich August Stüler (1800-1865).
Foto © wn
Vorwärts ist angesagt. Es ist - um dies klarzustellen - ein anderes Vorwärts als das verzweifelte, das der ratlose deutsche Politiker Erich Honecker (1912-1994) einst mit sich überschlagender Stimme skandierte: "Vorwärts immer - rückwärts nimmer". Ins Spiel bringt sich beim Hören dieser Marschmusik der rühmende Beiname des preußischen Generalfeldmarschalls "Vorwärts"- so nannte man Gebhard Leberecht Fürst Blücher von Wahlstatt (1742-1819). Er trug in der Völkerschlacht bei Leipzig (16. - 18. Oktober 1813) entscheidend zum geschichtsbestimmenden Sieg über die Verbände Napoleon I. bei.
In seiner wortkargen Art hatte Preußenkönig Friedrich Wilhelm III. (1770-1840), der sich übrigens weniger von Märschen beeindrucken, sondern vielmehr von russischen Romanzen zu Tränen rühren ließ, auf dem Leipziger Marktplatz zu Blücher gesagt: "Schon wissen, lieber Blücher, immer große Stücke auf Sie gehalten. Ihre Sache ganz brav gemacht. Werde nicht vergessen." Was sich da aber unter den Siegern an fröhlichen Räuschen freisetzte, lässt sich vielleicht erahnen, lässt man den Marsch "Preußens Gloria" aufklingen, diese draufgängerische Mischung aus anfeuerndem, mit ein wenig Elegie versetzten Klang. Die Rede ist von dem heute populärsten Heeresmarsch der deutschen Bundeswehr. Erstmals erklingt er 1871 in Frankfurt (Oder).
Und es gibt nicht nur Kritiker solcher Musik, die auf das Widersprüchliche des Preußentums abheben; es gibt auch Spötter. In seinem "Buch Le Grand" macht sich Heinrich Heine (1797-1856) beispielsweise über den sich überstürzenden "Dessauer Marsch" von 1706 mit seinen imposanten Trompetensoli lustig. "Wusste ich (beim Erlernen der französischen Sprache) nicht, was ‚betise' (dumm) sei, so trommelte er (Monsieur Le Grand) den Dessauer Marsch, den wir Deutschen, wie auch Goethe berichtet, in der Champagne getrommelt - und ich verstand ihn." Auf einer Sonderposition im Turnus der preußischen Märsche steht der rhythmisch nicht weniger scharf akzentuierende "Yorcksche Marsch" in F Dur. Er bildet die Brücke zur Klassik, denn der Komponist heißt Ludwig van Beethoven (1770-1827). Er komponierte ihn 1809 als "Marsch für die böhmische Landwehr". Ein in jeder Weise historisches Ereignis, das sich am 30. Dezember 1812 im heutigen südwestlitauischen Taurage (Tauroggen) vollzog, veranlasste ihn, den Marsch aus Begeisterung umzuwidmen. Deshalb heißt das Musikstück heute "Yorkscher Marsch" - eine Melange aus resolutem Ernst und Frohsinn. Was geschah in Tauroggen? In dem Bewusstsein, dass es ihm den Kopf kosten kann, hatte der preußische Generalfeldmarschall Johann David Ludwig Graf Yorck von Wartenburg (1759-1830) eigenmächtig die Konvention von Tauroggen unterzeichnet.
Damit löste sich das preußische Hilfschor aus dem Verband der französischen Armee und ging ein Bündnis mit der russischen Seite ein. Der stockkonservative Yorck erwies sich als mutiger Fortschritts-Denker. Monate später legalisierte Friedrich Wilhelm III. die Konvention. Als "Yorckscher Marsch" gehört das Stück noch heute zu den populärsten Stücken des borussischen Musikarsenals. Und trotz des allgemeinen Preußenhasses wurde der Marsch in der Nationalen Volksarmee der DDR als Präsentiermarsch und anderweitig als musikalisches Fanal für die ostdeutsch-sowjetische Freundschaft intoniert. Diese frenetisch herausgestellte Freundschaft hielt bekanntlich kein halbes Jahrhundert; der Marsch aber wird seit über 200 Jahre gespielt. Jahrzehnte jünger ist die fanfarengestützte Komposition des deutschen Tonkünstlers Richard Henrion (1854-1940) - der etwas hetzende und für sumpfige Gelände wenig geeignete "Fehrbelliner Reitermarsch", der nur für Bläser und Tamboure gemacht scheint. 1875 zum 200. Jahrestag der Schlacht bei Fehrbellin am 28. Juni 1675 wurde er erstmals gespielt. 13 Jahre später - nach dem Tod von Kaiser Wilhelm I. (1797-1888) - bekommt dieser "Fehrbelliner Reitermarsch" durch eine Verballhornung noch zusätzliche Popularität.
Reiterstandbild des Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm
Reiterstandbild des Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm
von Brandenburg vor dem Schloss Charlottenburg.
Es wurde von Andreas Schlüter (um 1660-1714) geschaffen.
Foto © wn
Er wird zum Gassenhauer. Nach seiner Melodie sangen damals die Berliner: "Wir wollen unsern alten Kaiser Wilhelm wiederhaben".
(Anderen Quellen zufolge wurde der Reitermarsch erst im Jahre 1893 komponiert.)

Das Ungestüm dieses Marsches geht vermutlich auch auf jene außergewöhnliche Truppenbewegung zurück, zu der sich der Große Kurfürst Friedrich Wilhelm (1620-1688) Anfang Juni 1675 entschließen musste. Er saß mit einem 15000 Mann starken Heer rechts des Maines im unterfränkischen Schweinfurt, wohin er nach einer Rheinüberquerung gekommen war. Friedrich Wilhelm nahm am Reichskrieg gegen Frankreich teil, dessen Bestandteil wiederum der sich anschließende Schwedisch-Brandenburgische Krieg (1674-1679) war. Dieser begann, als der Kurfürst erfuhr, dass die Schweden "in die Märkischen Grenzen eingebrochen" seien. Am 6. Juni 1675 hielt der Monarch deshalb eine "Heerschau" ab und begann eine Serie von täglichen Eilmärschen zunächst in Richtung Magdeburg. 15 Tage brauchten die drei Kolonnen für die rund 310 Kilometer. Die Zeit drängte, und es war die bange Frage, ob die sich festsetzenden Schweden in absehbarer Zeit überhaupt zu besiegen sein werden. Angesichts der wenigen militärischen Kräfte, die in Brandenburg zurückgeblieben waren, war die schleunige Rückkehr des Hauptheeres geboten. Am 21. Juni war Magdeburg erreicht. "Die Mark sehnte sich nach ihrem Befreier. Und sie brauchte nicht lange auf ihn zu warten. Friedrich Wilhelm war schon unterwegs, sich an den Schweden für ihre Treulosigkeit zu rächen", schreibt später der Urenkel Friedrich II. (1712-1786), der damit auf das Schutzbündnis anspielt, das Brandenburg-Preußen und Schweden 1673 mit zehnjähriger Laufzeit geschlossen hatten. Friedrich II., mit dem der Kurfürst das Attribut "der Große" gemeinsam hat, wird in seinen "Denkwürdigkeiten zur Geschichte des Hauses Brandenburg" den Scharfblick des Urgroßvaters als bewunderungswürdig und dessen Tatkraft als staunenswert bezeichnen. Als der Noch-Prinz Friedrich 1739 seinen "Tugendkatalog des aufgeklärten Idealmonarchen" (Wikipedia) verfasste, nämlich das kriegskritische Traktat "Antimachiavell, oder über die Grenzen des bürgerlichen Gehorsams", war er sich im Klaren darüber, dass der Urgroßvater damals kein Aggressor war. Zum Zeitpunkt des Erscheinens des "Antimachiavels" war es offensichtlich noch nicht ausgemacht, dass der Autor dieser ambitionierten Schrift im Jahr darauf - kaum König in Preußen geworden - seinen ersten Krieg vom Zaune brach, mit dem er Schlesien, Teil des Habsburgischen Reiches, für Preußen beanspruchte. Zwar hatte er geschrieben: "Der Krieg ist ein solcher Abgrund des Jammers" und "Von allen Kriegen die gerechtesten und unvermeidlichsten sind die Verteidigungskriege." Im Falle Schlesiens ging es aber nicht um Verteidigung, sondern um Eroberung. Aber laut Friedrich war es eben so: "Über Könige gibt es keinen Gerichtshof,
26 Standbilder von brandenburgischen Markgrafen und Kurfürsten
26 Standbilder von brandenburgischen Markgrafen und
Kurfürsten sowie preußischen Königen stehen
vorübergehend im Museumshof der Zitadelle Spandau.
(Aufnahme vom Januar 2012) Sie stammen aus der
Siegesallee, einem ehemaligen Prachtboulevard des
Tiergartens zur Zeit des Kaisers Wilhelm II.
Nach ihrer Restaurierung werden sie ab 2014 als
Teil der neuen Daueraustellung "Enthüllt -
Berlin und seine Denkmäler" zu sehen sein.
Foto © wn
keine Obrigkeit hat über ihre Händel ein Urteil zu fällen, so muss denn das Schwert über ihre Rechte und die Stichhaltigkeit ihrer Beweismittel entscheiden."

Die Schlacht bei Fehrbellin 1675


Am 25. Juni 1675 stand der Große Kurfürst mit seiner Streitmacht vor Rathenow. Unterwegs hörten sie, dass die Schweden in der Mark ein Schreckensregiment führten, das selbst den Terror des Dreißigjährigen Krieges in den Schatten stellte. Ein Sprichwort entstand in dieser schweren Zeit: "Der Schwede ist kummen mit Pfeifen und Trummen (Trommeln), hat alles genummen, hat Fenster zerschlagen, das Blei davon tragen..." Nach einem Überraschungsangriff auf die schwedische Garnison in Rathenow gelang den Brandenburgern ein erster Sieg über die Aggressoren. Diese waren beeindruckt und zunehmend desorientiert. Ihre Hauptmacht zog sich in Richtung Rhinluch zurück, wo die Schweden nördlich davon eine Verteidigungslinie aufbauen wollten. Dazu mussten sie in Richtung Fehrbellin marschieren, wo es einen unzerstörten festen Weg durchs sumpfige Luch gab. Nun rückte die osthavelländische Stadt am Zusammenfluss von altem und neuem Rhin in den Mittelpunkt preußischer Geschichte. Es ist der frühe Morgen des 28. Juni 1675. Zwischen dem heutigen Storchendorf Linum und Fehrbellin stehen sich 5600 brandenburgische Reiter, 12 dreipfündige Kanonen und 1000 Mann Infanterie auf 146 Wagen und auf schwedischer Seite eine Übermacht aus 7000 Infanteristen, 4000 Reitern und 38 Geschützen gegenüber. Die Taktik des Kurfürsten im Gelände wird in Heinrich von Kleists (1777-1811) Schauspiel "Prinz Friedrich von Homburg" so erläutert: "Der Schweden flücht'ges Heer, zu gänzlicher / Zersplitterung, von dem Brückenkopf zu trennen, / Der an dem Rhynfluß ihre Rücken deckt. / Die Schweden in den Sumpf zu jagen suchen, / Der hinter ihrem rechten Flügel liegt." Die Brandenburger griffen zunächst einen schwedischen Flügel an und rieben ihn auf. Diese Teilniederlage demoralisierte bald die übrige schwedische Phalanx. "Stundenlang wogte der Kampf, bis die Kräfte der Schweden nachließen. Der aufsteigende Nebel zeigte ein völlig zersprengtes, fliehendes schwedisches Heer", heißt es in einem Bericht. So sei in einem Feldzug von nur wenigen Tagen das bewährte, selbstbewusste Heer des schwedischen Reiches von der Macht eines einzelnen deutschen Fürsten besiegt worden. Über die Siegestrophäen berichtet die Chronik: "Wir nahmen auch 6 Dragoner-Fahnen, welche sehr schön waren, wie auch ihre Paucken mit den Pauckenschlägern …" Die Verluste der Schweden sollen 4000 Tote und Verwundete betragen haben. 400 Landsknechte gingen in Gefangenschaft. Die Brandenburger Seite hatte etwa 500 Tote zu beklagen. Der Krieg war damit noch nicht beendet; erst nach weiteren Gefechten gab es am 29. Juni 1679 den Frieden von Saint-Germain.

Mit viel Ehrerbietung wird dem Kurfürst am Schluss bescheinigt, bei der Schlacht erfolgreich das Prinzip "Divide et impera" (teilen und herrschen) angewandt zu haben.
Windmühle bei Gülpe
Windmühle bei Gülpe, 20 Kilometer nördlich von Rathenow,
einem der Kampfplätze im
Schwedisch-Brandenburgischen Krieg
Foto © wn
Der Historiker Günter Barudio (geb. 1942) ist bei der Bewertung Friedrich Wilhelms eher skeptisch: "Mit seinem Sieg bei Fehrbellin über schwedische Truppen im Jahre 1675, der schon immer von der borussischen Geschichtsschreibung militärisch und politisch überschätzt wurde, glaubte er, seine Reputation für sein Haus weiter gesteigert zu haben, zumal er sich dabei zum Sachwalter ‚teutscher' Belange machen konnte und seinen Ruf als ‚Großer Kurfürst' festigte." Nachdem alle Schlachten geschlagen waren, gaben die Belletristen und Reimeschmiede ihre gezielten Salven ab und notierten, was Märsche nicht sagen können. Der Rechtsprofessor Felix Dahn (1834-1912) brachte sich in Stellung mit den Worten "Der Fremde reißt an sich altdeutsche Marken. / Heil dir, du brandenburgisch Schwert! - Hell blitztest / Du auf bei Fehrbellin und du gewannst / Nach langer Zeit den ersten deutschen Sieg." In einem vaterländischen Jubelgedicht des Schriftstellers Otto Weddigen (1851-1940) heißt es: "Den Schwed' schlug er bei Fehrbellin, / Der musste flugs aus Deutschland fliehn; / Es zeigte hier in off'ner Schlacht / Der Brandenburger seine Macht." Ein weiteres Hohelied auf den Kurfürsten entwirft der dichtende Offizier Joachim Winterfeld von Damerow (1873-1934), in dem er feststellt: "Da kommt er auf schnaubendem Hengste geritten, / starrnackig, die Stirn wie gehämmertes Eisen." Obwohl Theodor Fontane (1819-1898) immer von sich meinte: "Ich alter Preußenverherrlicher bin doch eigentlich für alles zugeschnitten, nur nicht gerade für Preußen", konnte er nicht umhin, die Vorgänge im Rhinluch sogar so zu schildern als sei er selbst dabei gewesen:
"Um vier Uhr morgens der Donner begann!
In den Gräben standen sechstausend Mann,
Und über sie hin sechs Stunden lang
Nahmen die Kugeln ihren Gang.
Da war es zehn Uhr. Nun alles still,
Durch die Reihen ging es: ‚Wie Gott will!'
Und vorgebeugt zu Sturm und Stoß
Brach das preußische Wetter los."
Das - wie manche Historiker gelegentlich relativierend schreiben - Scharmützel bei Fehrbellin verschwand weitgehend in den Tiefen der Geschichte und mit ihm auch die vaterländischen Lobpreisungen dieses in der deutschen Geschichte bellizistischen Ausnahmefalles - eines nachweislich nicht mit vorgetäuschter Verteidigung begonnenen Krieges. Hingegen bleibt ein leises, durch seine schöne Empirie wirkendes Lied genau aus dieser Zeit bis heute in der Erinnerung zahlreicher Menschen - und wird gesungen. Zum Zeitpunkt der Schlacht war es erst 22 Jahre bekannt, wurde also fünf Jahre nach dem Ende des verheerenden und demoralisierenden Dreißigjährigen Krieg erstmals gedruckt. Es ist ein geistliches Sommerlied, populär geblieben wie ein Evergreen: "Geh aus, mein Herz, und suche Freud in dieser lieben Sommerszeit an deines Gottes Gaben". Sein Autor, der evangelisch-lutherischer Theologe Paul Gerhard (1607-1676), der als Kirchenlieddichter zu Recht mit Martin Luther (1483-1546) verglichen wird, tritt uns mit seinen Texten nicht als religiöser Schwärmer entgegen, sondern als Mann, der unter den Menschen tätige Hoffnung auf ein friedliches Leben stärken will. Offensichtlich gelingt ihm dies bis heute. Der Liedtext wurde 2013 360 Jahre alt. Er wir natürlich vornehmlich in den Kirchen gesungen. Und er ist vermutlich auch kein Quotenhit und füllt keine Säle; er hat jedoch - wie zahlreiche Märsche aus preußischer Zeit - einen prominenten Platz in der deutschen Kultur gewonnen.

Wie man nach Fehrbellin kommt:
Von Berlin aus mit dem Auto benutzt man die in Pankow beginnende Autobahn A114 Richtung Hamburg, wechselt auf die Autobahnen A10 und A24. Von der Abfahrt Fehrbellin bis in die Stadt sind es noch rund vier Kilometer. Zwischen Fehrbellin im Landkreis Ostprignitz-Ruppin und dem Storchendorf Linum liegen rund zehn Straßenkilometer (L16).
Weitere Information gibt es auf www.Fehrbellin.de.
Text: -wn-

 
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