Über das Leben von Erwin Strittmatter

Im Aufbringen didaktischer Mühen als eine Möglichkeit aus "kleinen Verhältnissen"
Backofen in der Strittmatter Gedenkstätte
Der stillgelegte Backofen, in dem Erwin Strittmatters Bruder
Heinrich (1917-2002) Brot buk - Foto: -wn-
aufzusteigen liegt die Bedeutung des Hauses, der heutigen Gedenkstätte "Der Laden" in Bohsdorf. Hier begann alles. Doch ein Großteil des Lebens, Schaffens und aller politischen Auseinandersetzungen und akzeptierten Vereinnahmungen des Erwin Strittmatter vollziehen sich andernorts: Ab 1954 lebt er mit seiner dritten Frau, der späteren nicht weniger angesehenen deutschen Lyrikerin Eva Strittmatter (1930-2011) im Dolgower Vorwerk Schulzenhof. Hier entstehen die wesentlichen Werke mit ihren rasch populär werdenden literarischen Figuren: Der eigenwillige Bauer Ole Bienkopp etwa, der die führende Rolle der Partei listig in Frage stellt, der Wundertäter Stanislaus Büdner, der vom poetisierenden Bäckergesellen zum kritischen Schriftsteller wird, Esau Matt, dessen Familie mit den Erlösen eines Krämerladens über die Runden kommen will, oder Tinko, das erlebnishungrige Nachkriegskind - sie alle sind in mancherlei Sinn auch Bohsdorfer Herkunft. Die Figuren sprechen von der großen Lebenserfahrung ihres Schöpfers, seiner Reife und seiner unverstellten Liebe zu jeglicher Kreatur. Überdies reichert er die DDR-Literatur mit einem humorigen Element an. Im von der Parteipresse zunächst verrissenen "Bienkopp"-Roman kennzeichnet er zum Beispiel die doktrinäre Bürgermeisterin des ostelbischen Fleckens Blumenau Frieda Simson so: "Was der Musterstab, der in Paris in einem Keller aufbewahrt wird, für die Geometer der Welt ist, das ist Frieda Simson für die Partei in Blumenau." Seine Schreibart bewog 1965 den Literaturkritiker Werner Neubert (geb. 1929) in der Zeitschrift Sinn und Form überraschenderweise zu einem frohlockenden Beitrag zum Thema "Satire im sozialistischen Roman". Das verwunderte; war doch der DDR-Roman mehr als genug von tiefem Ernst, moralisierender Tendenz und Bekenntnistreue belastet. Werner Neubert ist auch jener parteitreue Publizist, der in den 1970er Jahren dem weltbekannten Schriftsteller Stefan Heym (1913-2001) absprach, überhaupt ein DDR-Schriftsteller zu sein.

Erwin Strittmatters unerzählte Erinnerung


Aus Bohsdorf nach Schulzenhof nimmt Erwin Strittmatter eine bis zum Lebensende
Backstube in der Strittmatter Gedenkstätte
Spruch an der Wand der ehemaligen Backstube
Foto: -wn-
unerzählte und ihn, was vermutet werden kann, belastende Erinnerung mit. Unmittelbar nach dem Krieg hatte er selbstkritisch geschrieben: "Ich habe durch meine politische Ignoranz in der Nazizeit zugelassen, dass hier in Deutschland in den Konzentrationslagern Kommunisten von Faschisten umgebracht wurden." Und: "Der Partei (der NSDAP) oder der SS noch sonst einer ihrer Gliederungen habe ich nicht angehört." Vierzehn Jahre nach seinem Tod tritt der Schriftsteller und Literaturwissenschaftler Werner Liersch (geb. 1932) mit der nicht aus der Luft gegriffenen Behauptung an die Öffentlichkeit, Erwin Strittmatter habe dem III. Bataillon des "SS-Polizei-Gebirgs-Jäger-Regiments 18" angehört, das auf dem Balkan und in Griechenland an der Bekämpfung von Partisanen teilnahm. Er schreibt: "Den Fragebogen (der SED) beginnt Strittmatter mit einer kleinen, aber wichtigen Manipulation. Er ist im April 1941 zur "Schutzpolizei" und nicht, wie in Wirklichkeit, zur
Hof der Strittmatter Gedenkstätte
Im Hof des Strittmatter-Anwesens in Bohsdorf
Foto: -wn-
(der SS zugeordneten) ‚Ordnungspolizei' einberufen worden." Er soll zwei Spezialausbildungen zur Partisanenbekämpfung absolviert haben. Werner Liersch ist fair genug einräumen, dass es keinen Hinweis darauf gibt, wonach Erwin Strittmatter an Kriegsverbrechen teilnahm.
Am Beginn der DDR-Jahre hatte dieser sich jedenfalls so geäußert: "Ich habe trotz meiner Zugehörigkeit zur Schutzpolizei, außer bei der Ausbildung auf dem Schießstand, nie eine Gewehr- oder Pistolenkugel abgeschossen. Das gehörte zu meinem individualistischen Programm ... Es gelang mir auch, es einzuhalten." Eva Strittmatter hat später - was immer dafür der Anlass war - ein Gedicht mit dem Titel "Schuld" geschrieben:

Ach, wieviel Schuld in meinem Leben.
Wer wägt gerecht die eigne Schuld?
Wie schnell hat man sich selbst vergeben.
Doch das Gedächtnis hat Geduld,
wenn andre uns mit Gram geschlagen.
Wir wissen noch nach tausend Tagen
Gewicht und Preis der fremden Schuld.

Es gibt keine Stelle im Werk ihres Mannes, das auf eine wenn auch nur verhaltene Kriegslust und Menschenverachtung hindeutet. Man findet nicht einmal eine ähnliche ästhetisierende militärische Reminiszenz wie wir sie in Goethes "Campagne in Frankreich" nachlesen können. Der damalige embedded writer verheimlicht in seinen Erinnerungen an den deutsch-österreichischen Feldzug 1792 gegen Frankreich nicht, von Katastrophen fasziniert zu sein. "Einige (französische) Dörfer brannten zwar vor uns auf, allein der Rauch tut in einem Kriegsgebilde auch nicht übel", heißt es dort. Für Erwin Strittmatter endet der Krieg 1945 per Selbstentlassung im südböhmischen Ort Horny Plana (Oberplan) am Moldaustausee, in dem der Schriftsteller Adalbert Stifter (1805-1858) geboren wurde.

Am 31. Januar 1994 geht er nach überreichen Schaffensjahren in seiner Schulzenhofer Sterbestube aus dem Leben. Man kann ihn an seinem Lebensabend
Grab von Eva und Erwin Strittmatter
Die Gräber von Eva und Erwin Strittmatter auf dem kleinen
Friedhof des Vorwerkes Schulzenhof (bei Dollgow). Auf
Eva Strittmatters Grabstein ist die zweite Strophe des
Gedichtes "Ich liebte sie" von Alexander Puschkin zu lesen,
das dieser 1829 nach Rückkehr aus seiner Verbannung auf
dem elterlichen Gut Michailowskoje (Gouvernement Pskow) in
Petersburg schrieb. Das traurige Liebesgedicht ist der
Generalstochter Gräfin Karolina Sobanskaja (1793 od.
1795-1885) gewidmet, in die Puschkin unglücklich verliebt war.
Auf dem Grabstein Eva Strittmatters ist zu lesen: "Ich liebe sie.
Hoffnungslos. Schweigend. / Wie ein Geschlagener sich
ergibt. / Aufrichtig. Zärtlich. Fallend. Steigend. / Geb Gott,
dass Sie ein anderer je so liebt." Die Worte auf dem Grabstein
des Ehemannes stammen, wie dieser am Ende des dritten
Bandes "Des Ladens" schreibt, von Eva: "Löscht meine
Worte aus und seht: / der Nebel geht über die Wiesen …"
Foto: -wn-
dennoch nicht sonderlich glücklich nennen, eher ist er verbittert. Dafür gibt es auch zurückliegende Gründe. Im Jahr 1972 schon kommt er auf einen beispiellosen Gedanken: Wenn er jetzt "aus der Partei austreten würde, wonach mir ist, weil ich die letzten Jahre meines Lebens gern außerhalb einer Sekte zubrächte, wie ich es vom vierzehnten bis zum fünfunddreißigsten Lebensjahr tat, würde man ein Hexentreiben gegen den ‚abgefallenen' Str. (es ist wohl Star gemeint) eröffnen." Er unterlässt den Schritt. Zu sehr ist er auch eingebunden. Lange aber schon verschwunden ist sein "Kellnerlächeln", von dem er gesagt hat, er habe es "auch später, als ich (in der Jugendzeit) kein Kellner mehr war, nicht in den Lumpensack (geworfen), denn ich benötigte es immer wieder einmal, es wurde von mir verlangt, und obwohl wir unsere Gesellschaft doch revolutionierten, wird es heute noch dann und wann von mir verlangt." Bis zuletzt hat er, der Atheist, sich an den Gedanken geklammert, dass mit dem irdischen Hingang nicht alles aus ist, der Exitus nur eine Verwandlung in ein anderes Medium ist. Am 5. Februar 1994, einem klaren, sonnigen Wintertag, erleben das einsame Schulzenhofer Begräbnisfeld und Wege und Stege ringsum den Ansturm von rund 300 Trauergästen. In dem Augenblick, in dem am Ende der Trauerfeier die sechs Männer den über der Grube bereitgestellten Sarg an Seilen hinunterließen, fuhr, für jedermann hörbar, eine ungestüme zornige Windböe durch die Wipfel der umstehenden Tannen. Es war einer jener Winde, die immer wieder etwas in ihr Schreibheft, in den Wald, eintragen, so steht es in Strittmatters feinsinnigem "Schulzenhofer Kramkalender". Wer dem dort Geschilderten mit wachen Augen nachspüren will, muss nach Dollgow und dort in das nordwestlich vorgelagerte Vorwerk Schulzenhof fahren. Er wird nicht ohne Erlebtes nach Hause kommen.
Text: -wn-


Bekannte Werke von Erwin Strittmatter:
  • Der Laden
  • Tinko
  • Der Wundertäter
  • Ole Bienkopp
  • Schulzenhofer Kramkalender
  • Die Holländerbraut
  • Der Weihnachtsmann in der Lumpenkiste
  • Geschichten ohne Heimat

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