Schwäbische Bäckereien in Berlin

Text: -wn- (Journalist aus Berlin) / Letzte Aktualisierung: 18.05.2023

Eine Schwäbische Bäckerei in Berlin
Straßenansicht der Schwäbischen Bäckerei in der Prenzlauer Allee 53 - Foto: © -wn-

Schwabens Bäcker in Berlin - Epilog zum Weck-Streit im Prenzlauer Berg

"Ein jedes Volk hat seine Größe; / In Schwaben kocht man die besten Klöße." Unstrittig war das für Heinrich Heine (1797-1856) - wie man in den Neuen Gedichten von 1844 lesen kann. Er schwärmt dort von den Künsten der schwäbischen Küche. Und wer das Ländle bereist, nicht zu vergessen das schwäbisch eingefärbte südwestliche Bayern, der wird bestätigen: Heine hat Recht bis heute. Nichts Abschätziges wird gegen die mundigen Spätzle laut oder - und das schon gar nicht - gegen köstliches badisches Schäufele, die gepökelte und geräucherte Schweineschulter, welche nur eine Variante aus einer ganzen Phalanx von Schäufeles ist. Anders, ja ganz anders verhält es sich beim "Schwabenbrödlein" - wie es Jacob Grimm (1785-1863) und Wilhelm Grimm (1786-1859) im Deutschen Wörterbuch bezeichnen - auch schwäbischer Weck (oder Weckle) genannt. Gewöhnlich ist er länglich und gleich stark, an den Enden auch dünn oder spitz. Das Problem: Als der Weck expandierte und bald sogar Berlin eroberte, wurde er zwar dort sofort gern gekauft, sah sich aber dennoch unverhofftem Widerstand gegenüber. In der Prenzlauer Allee 53 ist zum Beispiel eine der hauptstädtischen Schwaben-Bäckereien täglich ab sechs Uhr geöffnet. Das Wecken-Brötchen-Sortiment ist breit; nolens volends gehört die althergebrachte Ostschrippe dazu. Sie ist ein unbestrittenes Stück gute alte DDR; sehr viele Stücke davon gibt es nicht. Daneben die angeblich knackige Westschrippe und original schwäbische Laugenbrötchen und -brezeln, die als Teiglinge vor dem Ausbacken in Natronlauge getaucht werden und später einen würzigen Geschmack entfalten. Es fehlt auch nicht an mediterranen Weizengebäcken, etwa an französischen Baguetten oder an mit Sauerteig gebackenem badischen Steinofenbrot. Alles ist köstlich. Obwohl die Verkäuferinnen durchaus nicht schwabenstämmig, sondern in Lichtenberg oder Pankow beheimatet sind, hat sich in die Begriffswelt vor und hinter der Ladentheke der Begriff Weck oder Wecke eingebürgert. Wer zehn Schrippen zu kaufen begehrt, muss mit dem freundlichen Rück-Bescheid rechnen: So zehn Weckle für Sie. Daß das Geschäft der Berliner Bäcker aus Schwaben floriert, hat auch mit der Offenheit der Berliner zu tun, die insofern den Braunschweigern aus der Eulenspiegel-Geschichte ähneln, in der der Schalksnarr aufgrund unklarer Absprache mit dem Meister eines Nachts Eulen und Meerkatzen bäckt und diese später vor der St. Nicolaus-Kirche selbst und mit hohem Gewinn an den Mann bringt. "Da stand Eulenspiegel vor der Kirche mit seiner Waare und verkaufte Eulen und Meerkatzen, und löste viel mehr Geld heraus, als er dem Bäcker für den Teig gegeben hatte", heißt es im Volksbuch. In der Berliner Stadtgeschichte wird nachgerade die Offenheit, ja die freimütig an den Tag gelegte Neugier der Berliner gegenüber dem zunächst Fremdartigen hervorgehoben. Allerdings heißt es auch, alles Ortsfremde reizte "nicht nur die Neugierde des Berliners, sondern auch die ... Schadenfreude (wurde) dadurch angeregt". "Ungewöhnliche Kleidung, die neuesten Moden ... oder außerhalb gemachte Erfindungen, neue Theaterstücke werden entweder beifällig aufgenommen oder bewitzelt". So steht es in der Geschichts-Abhandlung "Gemälde des Lebens dieser Residenzstadt (Berlin) und ihrer Bewohner" von 1831.

Adressen einiger schwäbischen Bäckereien in Berlin

Schwäbische Bäckerei
Weserstr. 25
10247 Berlin Friedrichshain
Tel: 030/ 29 35 15 68
Schwäbische Bäckerei
Schönstr. 1
13086 Berlin Weißensee
Tel: 030/ 91 14 79 48
BäckerMann Backwaren und Feinkost GmbH
Südwestkorso 9
12161 Berlin Friedenau
Tel: 030/ 82 20 956

Öffnungszeiten:
Mo - Fr: 06:00 Uhr - 18:00 Uhr
Sa: 06:00 Uhr - 17:00 Uhr
So: 08:00 Uhr - 17:00 Uhr
BäckerMann Backwaren und Feinkost GmbH
Pariser Str. 20
10707 Berlin Wilmersdorf
Tel: 030/ 82 20 956

Öffnungszeiten:
Mo - Fr: 06:00 Uhr - 18:00 Uhr
Sa: 06:00 Uhr - 17:00 Uhr
So: 08:00 Uhr - 17:00 Uhr

Schwäbische Bäcker in Berlin

Schwäbische Bäckerei in Prenzlauer Berg
Aufsteller mit Brotwerbung vor der Schwäbischen Bäckerei in der Prenzlauer Allee - Foto: © -wn-

Um so bemerkenswerter war es, daß vor einiger Zeit im als weltoffenen geltenden Prenzlauer Berg das unschuldige schwäbische Brötchen Objekt eines ausufernden und vom bäckerischen Bereich wegführenden Wecken-Haders wurde. Gelernte Marxisten wissen, daß der Meister in der "Einleitung zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie" seine Erkenntnis festhielt, wonach sich die letzte Phase einer Gesellschaft und ihrer politischen Akteure meist komödienhaft vollzieht. Inzwischen wissen wir, auch der Rückzug eines einzigen Parlamentariers aus dem aktiven politischen Leben kann schon zur Posse werden. Dass diese Annahme keine böswillige Erfindung von Neidern ist, die die Ochsentouren der Parteifunktionäre durch die Gremien hin zu hohen Posten scheuen, das beweist das Beispiel des derzeitigen (2013) Vizepräsidenten des Deutschen Bundestages Wolfgang Thierse (geb. 1943). Bekannt ist er als belesener Literaturwissenschaftler und als ein Sozialdemokrat katholischen Einschlags, der mit eher an Martin Luthers Wortgewalt erinnernden rhetorischen Fähigkeiten ausgestattet ist - und der sich ein bißchen im Gestus des Gewichtigen gefällt. Der Mann war hochgelobt. Mitte der 1990er Jahre sprach er zutreffend von Berlin als einem "Schmelztiegel des Vereinigungsprozesses", und 2009 lobte der deutsche Schriftsteller Friedrich Dieckmann (geb. 1937) in einem Beitrag für die Zeitschrift "Sinn und Form" den "erweiterten Kulturbegriff" des Mannes mit der verwegenen Barttracht. Herausstellte er dessen "großartigen Satz", Kultur und Künste von hüben und drüben schüfen "Erfahrungsräume menschenverträglicher Ungleichzeitigkeit". Die "Kultur der Anerkennung" sei überdies das "zentrale kulturpolitische Projekt der (deutschen) Sozialdemokratie", wird der Vize weiter zitiert. Das alles sei "ein Wort mit tiefem, bis auf Hegel zurückgehendem Hall". Wer würde heute noch eine solche vergeistigende Ehrung erfahren.

Der Genosse hat - nach allem, was man hört - jetzt ein Problem. Ihn scheint der Gedanke an sein weiteres politisches Wirken zu bewegen, wenn er in der nächsten Legislatur weder auf dem Abgeordnetensitz noch im präsidialen Sitzungsvorstand des Hohen Hauses zu finden sein wird. Man will doch annehmen, dass sich eine einträgliche Position in einem parteinahen Institut finden wird. Bewiesen ist es nicht, aber der von ihm vom Zaun gebrochene krämerische Weck-Streit ließ erkennen, daß es ihm um Aufsehen und Zuwachs an Autorität in der Vorphase des Abganges zu tun war. Wäre es tatsächlich so gewesen, so ging es schief. Man will es gar nicht glauben, dass der Mann - statt den Staats- und Weltenzustand zu erörtern - sich anschickte, mit Ungestüm in die Begrifflichkeit des Bäckereigewerbes einzugreifen. Man erzählt, dem Vizepräsident soll es übel aufgestoßen sein, beim Schwaben-Beck, verdammt noch mal, beständig angeschwäbelt zu werden. "Da sage ich: In Berlin sagt man Schrippen, daran könnten sich selbst Schwaben gewöhnen", habe er einem Reporter bissig erklärt. Sein harsches Postulat erinnert an die Klage Friedrich II. (1712-1786), der sich über die vielen deutschen Dialekte mokierte, von denen er meint, sie müßten sich dereinst zu klarem Deutsch vereinen. "Was man in Schwaben schreibt, wird in Hamburg nicht verstanden, und der österreichische Stil erscheint den Sachsen dunkel", hatte der König räsoniert und angefügt: "Ich höre (die Deutschen) ein Kauderwelsch reden, dem jede Anmut fehlt, das jeder nach seiner Laune handhabt."

Schmiererei an der Schwäbischen Bäckerei
Wandschmiererei nahe dem Kollwitzplatz - Foto: © -wn-

Mit dem verzweifelten Mäzenat des SPD-Mannes über die in Bedrängnis geratene Schrippe erhielt diese nun einen nahezu fast eucharistischem Charakter. Das Weckle dagegen sollte das fremde Etwas sein. Im Fortgang der Sache zeigte sich: Die Neigung, mit katholischer Engstirnigkeit im Bäckerladen Sprachregelungen durchzusetzen, ist nicht irrelevant genug, als dass sie einem Politiker nicht zum Verhängnis werden könnte. In vorliegendem Fall nahte das Desaster. Denn der Mann, dessen Gedankenkreise so früh mit dem Hegelschen Weltgeist in Verbindung gebracht worden waren, hatte nicht nur einen Rochus auf den Weck, sondern auch noch auf die Schwaben, wie sie verstärkt um den Kollwitzplatz mit ihren Kindern in Erscheinung treten, die, sobald sie die Muttermilch entbehren können, natürlich Weckle wollen und so dem Begriff zum Weiterleben verhelfen. Der Sozialdemokrat sah die Gefahr einer schwäbischen Überfremdung im Laden wie im übrigen Leben. Niemand weiß, wieviel schwäbisch Gebürtige, sogenannte Besserverdienende, sich inzwischen allein in den Prenzlauer Berg infiltriert haben. Nie sind sie in einer Demonstration als Block in Erscheinung getreten, auf mitgeführten Fahnen die drei baden-württembergischen Löwen auf goldenem Grund zeigend. Niemand hat sie zählen können; anzunehmen ist, daß sie aber sicher mehrheitlich dem "Schwabenbrödlein" zuneigen. Ja, warum auch nicht! Mit vollem Recht schrieb die Zeitung "Die Welt" im Mai 2013: "Der Charme von Berlin bestand lange darin, so selbstbewusst zu sein, dass jeder hier seinen Platz finden konnte. Arme, Reiche, Ausgeflippte, Angepasste - mit Gleichmut bot die Stadt jedem seine Nische. Nicht die Schwaben sind die Spießer, sondern jene, die mit ihrem Hass diesen Geist von Berlin kaputt machen." Statt sich mit dem sozialdemokratischen Pankower Bürgermeister Matthias Köhne (geb. 1966) zu treffen und mit diesem darüber zu konferieren, wie man dem tatsächlich beginnenden Bevölkerungsaustausch im Prenzlauer Berg entgegentreten könnte - beschränkte sich Wolfgang Thierse darauf, in diesen für ihn und für Berlin rufschädlichen Weck-Streit einzutreten, der bewies, dass Wortgewalt nicht immer von Klugheit begleitet sein muss. Dabei hätten die beiden Sozialdemokraten nur einmal hinüber zum Chamisso-Platz im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg blicken sollen. Dort gab es schon vor längerem eine resolute Verordnung des Bezirksamtes, deren Ziel es ist, die traditionell heterogene Zusammensetzung der Wohnbevölkerung zu erhalten. "Das bedeutet, dass Bewohner nicht durch Luxus-Modernisierungen und damit einhergehende Mieterhöhungen ... verdrängt werden sollen bzw. dass nur "Besserverdienende" in der Lage sind, dort eine Wohnung zu mieten", heißt es in dem Dokument.

Entsetzte bis belustigte Reaktionen auf den Weck-Streit des Vizepräsidenten

Inschrift am Tübinger Hölderlin-Turm
Die langjährige Inschrift am Tübinger Hölderlin-Turm mit dem Wortlaut "Der Hölderlin isch et veruckt gwä" (Der Hölderlin ist nicht verrückt gewesen). In grüner Farbe dazwischen: Fritz Hölderlin. Die langjährige Inschrift wurde vor einiger Zeit bei Fassadenarbeiten entfernt. - Foto: © -wn-

Es gab nicht wenige Leute, die auf die Einlassungen des Vizepräsidenten entsetzt bis belustigt reagierten. Man verwies auch auf Hegels schwäbischen Bettnachbarn im Tübinger Stift Friedrich Hölderlin (1770-1843). Der hatte in seinem Brief-Roman Hyperion den schon zu seiner Lebenszeit unter Deutschen herrschenden Kleingeist beklagt. "Es ist auf Erden alles unvollkommen, ist das alte Lied der Deutschen", schreibt der zornige Hölderlin. "Wenn doch einmal diesen Gottverlassenen einer sagte, dass bei ihnen nur so unvollkommen alles ist, weil sie nichts Reines unverdorben, nichts Heiliges unbetastet lassen mit den plumpen Händen, dass bei ihnen nichts gedeiht, weil sie die Wurzel des Gedeihns, die göttliche Natur nicht achten, dass bei ihnen eigentlich das Leben schal und sorgenschwer und übervoll von kalter stummer Zwietracht ist". Es wurde kein Volkstribun aus Wolfgang Thierse. Der Mann, der sich im ex cathedra so wohl fühlt, leidet an jenem verhängnisvollen Einsichtsmangel mancher Politiker im Land. Sie erkennen nicht, dass ihre unbedachten großen und kleinen Missgriffe im Publikum nicht nur Kopfschütteln hervorrufen, sondern auch extremes Gedankengut beleben. Denn: "Korsen, nordamerikanische Indianer und Schwaben verzeihen nie", mahnt Heinrich Heine 1843 in seiner Schrift "Lutetia. Berichte über Politik, Kunst und Volksleben", und er malt sogar die Gefahr einer "schwäbischen Vendetta" an die Wand. Und sie nahm Formen an. Thierses laut geäußerte Weck-Aversion brachte ihm fragwürdige Verbündete ein, die in den Straßen um den Kollwitzplatz mit übelsten Fassadenschmierereien von sich reden machten. Eine anonyme Gruppe schwäbischer Spaßmacher konnte die Geschmacklosigkeit nicht unterdrücken, das von Generationen intensiv angenommene Käthe-Kollwitz-Denkmal des Bildhauers Gustav Seitz (1906-1958) auf dem nach ihr benannten Platz eines Nachts mit Spätzle zu behängen. Am nächsten Tag sagte einer auf dem Platz: "Wer dieses Denkmal beschmutzt, der schlägt auch seine Mutter." Die Vandalen oder andere Dabbschädl (schwäbisch: Dummköpfe) veröffentlichten unter dem trotzigen Schlachtruf "Free Schwabylon" ihr Verlangen: "Wir fordern die Gründung des Bezirks Schwabylon: zwischen der Danziger Straße im Norden, der Metzer Straße im Süden, der Schönhauser Allee im Westen und der Prenzlauer Allee im Osten." Ein Trapez aus Straßenführungen würde - übrigens unter Einschluss des Jüdischen Friedhofes - mit seiner kurzen Seite in Richtung Innenstadt zeigen.

Der Wecken-Hader geht im Frühsommer 2013 allem Anschein nach dem Ende entgegen. Irgendwann sind die skurrilen Attacken gegen das "Schwabenbrödlein" Fußnoten der deutschen Innenpolitik. Vielleicht wird man auch in schwäbischen Kreisen zu Nachsicht bereit sein und über den Vize sagen, was man so barmherzig und liebevoll einst über Friedrich Hölderlin und über seine zweite Lebenshälfte erklärte. In den 1970er Jahren las man am Tübinger Hölderlin-Turm die sympathischste schwäbische "Wandmalerei" (Foto). Wolfgang Thierses Namen in diesen Satz eingesetzt, würde im Dialekt der Schwaben heißen: "Der Thierse isch et veruckt gwä". ("Der Thierse ist nicht verrückt gewesen.") Davon sollte man weiter ausgehen. Der Mann, der dem Hegelschen Weltgeist so nahe sei, hat sich vielleicht einsichtshalber auch schon Weckle gekauft.

Bäcker in Berlin:

Lebensmittelgeschäfte in Berlin:

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