Die Singakademie am Kastanienwäldchen - "Rotznasen" machen Geschichte

Geschichtliches kommt oft als ursprünglich verrückter Vorgang daher.
Die Singakademie in Berlin
Foto © wn
So war das auch an jenem Januartag 1829 mit den beiden jungen Burschen, die sich auf dem Berliner Opernplatz (Bebelplatz) ausgelassen über eine eben hart ertrotzte Zusage freuen. Gewöhnungsbedürftig schon ihr Partnerlook-Outfit: blaue Gehröcke, weiße Westen, schwarze Halstücher, knöchellange Röhrenhosen - vor allem stechen die hellgelben Wildlederhandschuhe in jedermanns Auge. Es ist der knapp 20jährige, später berühmte Felix Mendelssohn-Bartholdy und der Sänger und Schauspieler Eduard Devrient (27), die die Blicke der Umstehenden auf sich ziehen. Beide kommen aus der Singakademie hinter dem Kastanienwäldchen (auf dem Foto mit dem heutigen Heinrich-Heine-Denkmal im Vordergrund). Die beiden Männer sind eingeschriebene Sänger der seit 1790 bestehenden und schon damals ältesten gemischten Chorvereinigung der Welt. Sie haben deren Leiter Carl Friedrich Zelter - einen Rausschmiss in letzter Sekunde vermeidend - die Erlaubnis abgenötigt, die seit der Uraufführung vor hundert Jahren ungespielte weil für unspielbar gehaltene Matthäus-Passion von Johann Sebastian Bach in Szene setzen zu dürfen. Nun witzeln sie darüber, dass ausgerechnet "ein Komödiant" und ein christlich erzogener "Judenjunge" daran gehen, dem Berliner Publikum "die größte christliche Musik wieder(zu)bringen", eine Darstellung der letzten irdischen Stunden Jesu Christi zwischen Gethsemane und Golgatha.

Sing Akademie in Berlin


Zelter schätzt Bachs Musik überaus, befürchtet aber einen Misserfolg, wo doch die Akademie-Sänger bei ihren öffentlichen Konzerten sonst stets den "vollkommensten Beifall einärndten". Er will die Kritiker nicht reizen, die die Akademie gelegentlich elitär nennen und argwillig behaupten, die Zuhörer würden sich "vor Andacht nicht rippeln und auch noch die Augen zumachen, damit die Töne blos in die Ohren hineinziehen". Und nun wollen "so ein Paar Rotznasen" (O-Ton Zelter) diese unberechenbare Passion für zwei Chöre, Solisten und Orchester einstudieren und aufführen. Sind hier zwei religiöse Schwärmer am Werk, wie man sie heute bei Papstauftritten sieht? Etwa als Joseph Ratzinger im August 2005 den Rhein stromabwärts schippert und entrückte Teenager im Uferschlick das Ave-Maria singen? Nein, es geht Mendelssohn und Devirient um eine Musik, von der es in unseren Tagen zutreffend heißt, sie strahle fernab aller Frömmelei einen "phantastischen spirituellen Optimismus" aus, wie es der britische Dirigent John Eliot Gardiner ausdrückt.

Obwohl über der Handlung der Matthäus-Passion tatsächlich ein trauriger Grundton liegt, spricht das Werk das Fühlen heranwachsender wie gereifter Menschen jeglicher Konfession in einer dem Freudigen verwandten Wirkungsstärke an. Der Historiker Johann Wilhelm Loebell wird später notieren: "Streng ist Sebastian allerdings und ernst, aber so, daß selbst bei allem Klagen, Jammern … die Heiterkeit und Freude des Daseyns auf das wunderbarste durchbrechen …" Dieses unerwartete Phänomen erkannte auch das Publikum an jenem von Felix Mendelssohn-Bartholdy vom Klavier aus dirigierten Konzertabend des 11. März 1829: unter ihnen in seiner Loge König Friedrich Wilhelm IV., der Philosoph Georg Wilhelm Friedrich Hegel, der ein wenig skeptische Dichter Heinrich Heine und der erleichterte Akademie-Chef Zelter. Die Akustik des Raumes, heißt es, sei "gut, präcis, deutlich und hinreichend stark, ohne die mindeste Spur von einem der Deutlichkeit schadenden Nachhall oder Echo".

Schon vorher wird die Singakademie ihres Rufes gerecht, ein gern aufgesuchter Ort der "gebildeten Classe" Berlins zu sein: Vom Dezember 1827 bis in den darauffolgenden Frühling hinein hält der Forschungsreisende Alexander von Humboldt im überfüllten Haus seine "Kosmos-Vorlesungen", in denen er eine Tour d'Horizon über die Natur unseres Planeten unternimmt. In der 16. und letzten setzt er sich mit den künstlerischen Darstellungen der Natur auseinander und führt die Kategorie der "gezierten Schwülstigkeit" ein, die er auf einen Mangel des inneren Gefühls bei manchen Malern zurückführt. Ungewollt leitet der große Kosmopolit zur Bach-Passion über, die gerade wegen der Einfachheit und Ehrlichkeit der sie tragenden Musik zum weltweit bekanntesten kirchenmusikalischen Großwerk wird. Das aber erfahren die beiden Kerle vom Opernplatz leider nie. Dem "wundermächtigen Felix Mendelssohn-Bartholdy" (Heine) bleiben nur noch 18 Lebensjahre. Mit ihrem Projekt, das das Berliner Musikleben beseelt, stoßen sie in Europa die Tür auf zu einer tiefgehenden Bach-Renaissance, die Ausgangspunkt heutiger Bach-Pflege ist.

Nur das Haus der Akademie hat ein anderes, von den Zeitläuften bestimmtes Schicksal. Das Gebäude ist heute bekanntlich Spielstätte des angesehenen Maxim-Gorki-Theaters. Hauseigentümer ist aber immer noch die körperlich wie juristisch fortbestehende "Sing-Akademie zu Berlin", ein Vokalensemble, das sein Domizil seit 1964 in der Berliner Philharmonie hat. Die dritte Institution ist die 1963 in Ostberlin gegründete "Berliner Singakademie", deren Heimat das Konzerthaus ist. Man muss warten, bis wieder einmal "Rotznasen" mit hellgelben Wildlederhandschuhen ins Blickfeld kommen.

Wie man zur Singakademie kommt:
In der Straße Unter den Linden, auf Höhe der Neuen Wache und in deren Nähe, halten die Busse der BVG 100, 200, N2, TXL, 147, N6. An der Haltestelle Am Kupfergraben direkt hinter dem Gebäude der Singakademie enden die Straßenbahnlinien 12 und M1 ( Text: -wn- )

Adresse:
Sing-Akademie zu Berlin e. V.
Ackerstr. 3 A
10115 Berlin
Tel: 030/ 20 91 28 30

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