Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz

Text: -wn- (Journalist aus Berlin) / Letzte Aktualisierung: 05.10.2022

Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz
Die Berliner Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz / Foto: © -wn-

Die Berliner Volksbühne - Müllers Manuskripte makuliert

Ein Besuch bei der inzwischen alten Dame war schon immer ein Erlebnis - die tausend schwarzen Nazijahre nicht gerechnet. Aber mitzählen muss man sie ja doch. Deshalb steht die Volksbühne mittlerweile als eine über hundertjährige kunstreiche Institution im Dreieck des Rosa-Luxemburg-Platzes. Gebildet wird dieser von einem Stück der Linienstraße sowie von kurzen Strecken der beiden Straßen, die nach dem Kaufmann Johann Heinrich Weydinger (1773-1837) und der marxistischen Politikerin Rosa Luxemburg (1870-1919) benannt sind.

Die Volksbühne in Berlin

Die Eröffnung des Hauses vollzieht sich am Mittwoch, dem 30. Dezember 1914. Im Jahre 1890 hatten 2000 Teilnehmer der Gründungsversammlung des Vereins "Freie Volksbühne" im großen Saal des "Böhmischen Brauhauses" in der Friedrichshainer Friedenstraße beschlossen, das Musenhaus zu bauen. Einer der Gründerväter, der Prediger und Journalist Bruno Wille (1860-1928), stellte damals klar, diese Volksbühne müsse - im Gegensatz zu den Staatstheatern - "Stücke wählen, von denen ein gewisser 'sozial kritischer' Hauch ausgehe". Besonders der Berliner Arbeiterschaft sollten neben zeitgenössischen und zeitkritischen Stücken auch klassische "bildungsbürgerliche" Dramen präsentiert werden, und das zu erschwinglichen Preisen. Der Versammlungsbericht erwähnt auch einen Mann, der das Wort ergriff, "schlicht und im Werktagsrock, wie er aus der Fabrik kam, mit ungestärktem Hemd; Leiden malten sich auf seinen Zügen, und nicht leicht fand er die Worte. Aber anrührend war es zu hören, wie nun dieser Arbeiter ein Programm entwickelte, das jeder ... hätte unterschreiben können: Wir wollen nicht die ewige Lüge auf den Brettern sehen, rief er, wir wollen die Wahrheit erfahren über das Leben, und lieber das Schreckliche sehen, Laster und Krankheit, als dass wir uns einen blauen Dunst vormachen lassen von edlen Grafen, die mit Hundertmarkscheinen um sich werfen, und von Kommerzienräten".

Logo der Volksbühne
Das Logo der Volksbühne: Das laufende Rad. Der Bühnen- und Kostümbildner Bert Neumann (geb. 1960) schuf das - auch Räuber-Rad genannte - Logo aus Anlass der ersten Inszenierung von Frank Castorf im Jahre 1992. Der neue Intendant brachte damals "Die Räuber" von Friedrich Schiller auf die Bühne. / Foto: © wn

Mit dem Baubeschluss sollte der im 19. Jahrhundert sehnsuchtsvoll hin und her gewendete Begriff "Volksbühne" endlich Realität werden. Bereits im Jahre 1861 schreibt der Publizist und Verleger Adolph Reich in seiner "Berliner Dramaturgie": "Volksbühne bedeutet vor allen Dingen eine Bühne, welche denen gewidmet ist, die ohne Hilfe eines Opernguckers sehen, ohne Hülfe von Glaceehandschuhen fühlen, und ohne Hilfe eines Rezensenten empfinden können; und welche gewöhnlich glückliche Besitzer eines Herzens, oder eines Kopfes, oder auch beider sind." Drastische Worte findet Adolph Reich für das Theaterwesen seiner Zeit. Die Bühnen hätten "den traurigen Ruhm (erworben), ... fast noch kein einziges 'vernünftiges' Stück vorgeführt" zu haben. "Seichte fade Inszenierungen, und geistloses verknöchertes Komödiantentum sind die beiden Genien dieser Bühnen; und wenn hin und wieder ein seltener Künstler gleich einem feurigen Kometen durch die trostlose Nacht unserer dramatischen Welt dahinzieht, so verzeichnen wir dieses Phänomen in unseren Kalendern ..."

Das Ziel der Gründer war es, eine deutsche "Besucherorganisation zur Entwicklung einer Volkstheaterkultur" zu schaffen, wie das "Lexikon der Kunst" des Leipziger Seemann Verlages anmerkt. Der Theaterbau sollte teilweise aus freiwilligen Beiträgen der Arbeiter finanziert werden. Eine Million Reichsmark kam schließlich zusammen. Auch den Schauspielern sollten Honorare gezahlt werden können, die zwar zu gering waren, um Reichtum anzuhäufen, aber doch auskömmlich sein sollten. Denn wie sahen die Bühnenhonorare im 19. Jahrhundert aus! Sogenanntes Spielgeld setzte sich oft aus knappen Ablohnungen für einzelne Leistungen auf der Bühne zusammen. Das bestätigt eine erhalten gebliebene Abrechnung, die die Wochen-Einnahmen eines "Komikers und Sängers" auflisten: "Diese Woche 6 Arien gesungen: 6 Gulden; einmal in die Luft geflogen: 1 ft. (Forint), einmal ins Wasser gesprungen: 1 ft., einmal begossen worden = 34 kr. (Kronen), zwei Ohrfeigen bekommen = 34 kr. - worüber dankbar quittiert wird."

Volksbühne 1914: Eines der größten deutsche Musenhäuser

Kaum eine Zeitung in Berlin, die das neue Theater mit seiner breit ausladenden, zurückhaltend eleganten Vorderfront nicht zu loben wusste. Übersichtlich sei das Haus gegliedert und mit seinen 2000 Plätzen eines der größten deutschen Musenhäuser überhaupt. Der Zuschauerraum und die Wandelgänge seien frei von kaltem Stuck und protzigen Goldzierraten, dafür getäfelt mit kostbarem, dem Auge wohltuenden glänzenden und matten Hölzern. Die Technik in Schnürboden und Bühnenunterbau war für damalige Verhältnisse hochmodern. Auch der Theaterkritiker Heinrich Stümcke (1871-1923) ist des Lobes voll: Die Volksbühne "wurde mit Recht als ein schöner Beweis stolzer Volkskraft und sieghaften Vertrauens in die Zukunft gepriesen, als im Dezember 1914 die große Zahl der hauptstädtischen Theater um einen wahrhaft monumentalen Prachtbau bereichert wurde." Doch es war Krieg. Rund 150 Tage waren vergangen, seit am 2. August desselben Jahres mit der Besetzung Luxemburgs durch deutsche Truppen der Erste Weltkrieg (1914-1918) begann.

Rosa-Luxemburg-Platz mit der Volksbühne
Blick auf einen Teil des Rosa-Luxemburg-Platzes vom Kino Babylon aus gesehen. / Foto: © wn

Die Eröffnung der Volksbühne wurde vor diesem zeitlichen Hintergrund als "Kulturtat inmitten des Kriegslärms" gefeiert, "um die uns unsere Feinde staunend beneiden können" (wikipedia). Das politisch-satirische, nichtsdestotrotz beflissen national ausgerichtete Wochenblatt Kladderadạtsch untertitelte in der Ausgabe vom 9. August 1914 eine Karikatur mit dem nicht spaßig gemeinten Aufruf: "Auf, deutsche Brüder, die Hunnen kommen!" Im Inneren wendet sich das Blatt mit einer redaktionellen Erklärung im Stile Wilhelminischer Scheindramatik an die Leser, in der es heißt: "Wiederum ist eine schwere Zeit über unser Vaterland hereingebrochen, aufs neue ist unserem Volk das Schwert in die Hand gezwungen, und ruchlos ... ist ein Krieg durch Neider und Hasser jäh vom Zaun gerissen worden." Diese Propaganda blieb nicht ohne geistige Folgen, so dass auch die Besucherzahlen der Volksbühne vorübergehend zurückgingen, weil dort der Krieg eher zurückhaltend beurteilt wurde. Der Psychoanalytiker Erich Fromm (1900-1980) wird 1976 im Bestseller "Haben oder Sein" auf diese Zeit zurückkommen: "Beim Ausbruch des Ersten Weltkriegs kam es zu einem der dramatischsten Fälle eines irrationalen Ausbruchs des Verlangens nach Einssein. Über Nacht gaben Menschen lebenslange Überzeugungen wie Pazifismus, Antimilitarismus oder Sozialismus auf; Wissenschaftler warfen ihre jahrzehntelangen Schulung in Objektivität, kritischem Denken und Unparteilichkeit über Bord, um an diesem großen Wir-Gefühl teilzuhaben."

Am Eröffnungstag der Volksbühne sollte sich die "Gardine" (Kurt Tucholsky) öffnen und Goethes Sturm-und-Drang-Stück "Götz von Berlichingen" über die Bühne gehen. Daraus wurde nichts. Während der Dekorationsprobe in der Nacht zuvor hatte es eine Havarie an der Untermaschinerie, der Versenkeinrichtung des Bühnenbodens, gegeben. Der halbe Bühnenraum war unbespielbar. Man musste man auf die technisch weniger aufwendige Inszenierung des heiteren Dreiakters "Wenn der junge Wein blüht" des norwegischen Dichters Bjørnstjerne Bjørnson (1832-1910) ausweichen. In dem harmlosen Stück geht es um häuslichen Krieg und Frieden. Der Autor führt den Frauen lächelnd vor Augen, was Männer aus dem Hause treibt, wenn dort kein Einvernehmen herrscht. Kein Stoff für Feministinnen.

Bis zum Ende der Weimarer Republik wurden in der Volksbühne u.a. folgende Inszenierungen aufgeführt:

  • 1919: "Die Heirat" von Nikolai Gogol
  • 1921 "Antigone" von Sophokles
  • 1922 "Die Ratten" von Gerhart Hauptmann
  • 1923 "Der tote Tag" von Ernst Barlach
  • 1914 "Die Meistersinger von Nürnberg" von Richard Wagner
  • 1924 "Die Geschichte vom Soldaten" von Charles Ferdinand Ramuz und Igor Fjodorowitsch Strawinsky
  • 1924: "Der befreite Don Quichotte" von Anatoli Lunatscharsky 1925:"Der Kaufmann von Venedig" von William Shakespeare
  • 1926 "Nachtasyl" von Maxim Gorki
  • 1929 "Die Affäre Dreyfus" (Uraufführung) von Wilhelm Herzog (Pseudonym René Kestner) 1930 "Die Matrosen von Cattaro" von Friedrich Wolf

An der Volksbühne wirkten unter anderem als Theaterleiter bzw. Regisseure Max Reinhardt (1873-1943), Erwin Piscator (1893-1966) und Benno Besson (1922-2006).

Die Beckmessereien einer "führenden Partei"

Nachdem die Volksbühne während des Naziregimes als "Theater am Horst-Wessel-Platz" gleichgeschaltet und das Gebäude später schwer beschädigt worden war, begann 1950 der vierjährige Wiederaufbau des Hauses. Überlebende Mitglieder des Vorkriegs-Ensembles bespielten in den Jahren 1945 bis1954 das Theater am Schiffbauerdamm als Ausweichstätte. In der Ära Besson (1969-1978) "etablierte sich das Haus als eines der wichtigen Zentren des kritischen Regietheaters und der Neoavantgarde in der DDR und darüber hinaus", schreibt die Publizistin Dr. Antje Dietze (geb. 1980) in ihrer Arbeit "Ambivalenzen des Überganges: Die Volksbühne ... ". Nachdem die Volksbühne in den Weimarer Jahren polizeilichen Argwohn, später faschistische Gleichschaltung erlebte, brach nun eine Zeit an, in der eine "führende Partei" den Beckmesser gibt und strenge ideologische Kontrolle ausübt. Einige Inszenierungen der Jahre bis 1989 wären deshalb geeignet, selbst Gegenstände von Theateraufführungen zu werden - sozusagen bühnenreife Schilderungen der Wege von den Ideen der Autoren bis zum Verbot der Stücke meist kurz nach den Premieren. Da ist "Moritz Tassow" von Peter Hacks (1928-2003). Das Stück wird am 5. Oktober 1965 uraufgeführt. Der Protagonist ist ein sozialistischer Utopist, der in seinem Dorf eine urwüchsige, unbürokratische Spielart des Sozialismus einführen will. Er scheitert an dem Parteipragmatiker Mattukat, und im "richtigen Leben" wird das Stück nach der Uraufführung abgesetzt. Wollte sich doch die "führende Partei" nicht von einem rüpelhaften Sauhirten sagen lassen, wann, wie und wo der Sozialismus demokratisch ist. Auch die Inszenierung des Stückes "Die Umsiedlerin" von Heiner Müller (1929-1995) löst nach der Premiere im September 1961ein umgehendes Verbot aus. Das Stück behandelt Schicksale von Menschen während der Zeit der verordneten Genossenschafts-Gründungen. Das Verbot ergänzen 32 Parteistrafen, die diejenigen Kulturfunktionäre erhielten, die die Aufführung befürwortet, zumindest nicht gestoppt hatte. Damit es so aussah, als hätte es Müllers Texte überhaupt nicht gegeben, wurden fast alle Manuskripte beschlagnahmt und makuliert. Über die Aufbewahrungsorte zweier dem Reißwolf nicht überantworteter Manuskripte schreibt Heiner Müller in den Erinnerungen "Krieg ohne Schlacht - Leben in zwei Diktaturen": "In der Akademie gab es noch ein Exemplar, das war mit einer Kette befestigt, und man musste es dort lesen. Im Schriftstellerverband lag auch ein Exemplar an der Kette." Nur Leseberechtigte durften Einsicht nehmen. George Orwell lässt grüßen.

2017 wird voraussichtlich eine der großen "Spielzeiten" der Volksbühne zu Ende gehen: die seit 1992 andauernde Intendanz Frank Castorfs (geb. 1951) aus dem Berliner Prenzlauer Berg, wo er in der Familie des kiezbekannten Detaillisten für Licht- und Sonnenschutz Werner Castorf (1922-2012) aufwuchs. Die verfremdenden, ulkreichen und oft mit derben Beigaben angereicherten Inszenierungen klassischer Stoffe des Händlersohnes werden von Wissenschaft und Publizistik als postdramatisches Theater, gelegentlich als skandalöses Stückezertrümmern bezeichnet. Besonders das martialische Kürzen von bisher für unantastbare gehaltener Texte hätte den Rezensenten Peter Panter alias Kurt Tucholsky (1890-1935) auf den Plan gerufen. 1929 schreibt dieser in der Weltbühne über eine Inszenierung des Don Carlos von Friedrich Schiller (1759-1805), für die der Regisseur Leopold Jẹßner (1878-1945) verantwortlich zeichnete. Dieser war - wie Frank Castorf - dafür bekannt, in seinen Inszenierungen gesellschaftspolitische Fragen anzusprechen. Kurt Tucholsky polemisiert: "Ich mag die Regisseure nicht, die die Stücke zuschneiden wie die Wintermäntel. Wenn Jeßner den Carlos anders sieht als Schiller, dann möge er uns ein neues Stück schreiben - den Schiller lasse er so, wie er da ist." Vermutlich aber wären Tucholsky und Castorf dennoch Freunde. Und man müsste lange darüber nachdenken, wer von beiden unter dem Strich der künstlerisch originellere oder umtriebigere ist. Nicht fern liegt auch der Gedanke, dass - nachdem offenbar die Zeit des Zertrümmerns endet - nun eine solche überraschenden Montierens beginnen könnte.

Verkehrsinformation:
Die Volksbühne sowie das Kino Babylon befinden sich direkt am Rosa-Luxemburg-Platz. Er ist mit der U-Bahn U2, aber auch vom Alexanderplatz bequem zu Fuß zu erreichen.

Adresse:
Volksbühne
Linienstraße 227
10178 Berlin Mitte
Telefon: 030/ 240 65-5
Was wann gespielt wird, erfährt man unter https://www.volksbuehne.berlin/#/de/spielplan

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