Liebesschlösser in Berlin

Text: -wn- (Journalist aus Berlin) / Letzte Aktualisierung: 19.04.2023

Liebesschlösser in Berlin
Einer der beiden Reichsadler mit "Schlösser-Schmuck" im Geländer der Weidendammer Brücke, die die Friedrichstraße überquert - Foto: © -wn-

Liebesschlösser sind Vorhängeschlösser, die von Verliebten an Brücken oder Gittern befestigt werden, um symbolisch die Liebe zu verewigen. Auch in Berlin findet man viele Liebesschlösser!

Liebesschlösser traubenweise - "Hundert Reize schmücken Dich"

Als "weichliches Geschwätz junger Schwärmer" klassifiziert der für seine geistesscharfen Aphorismen bekannte deutsche Schriftsteller Georg Christoph Lichtenberg (1742-1799) in seinen Vermischten Schriften Liebesschwüre und ähnliche Ehrenworte anreizenden Charakters. Nicht viel dahinter, meint er skeptisch, das Meiste sei Luft, und schwülstig sei es auch. Viel davon wirkt heute eher lustig. Das bestätigt eindrucksvoll der in Frankfurt/Main erschienene "Taschen Kalender der neuesten englischen und deutschen Moden für das Jahr 1798". Über die Wonnen einer zuvor wortgewaltig errungenen weiblichen Zuneigung heißt es dort in einer ausschweifenden Epistel:

"Wenn noch so wild der Sturmwind saust,
Vom Dach der Regen prasselt,
der Schornstein heult, die Woge braust,
Und Schnee und Hagel rasselt;
An Liebchens Busen ruht er warm,
Und lauscht dem Sturm in Liebchens Arm."

Zu allen Zeiten gibt es jedoch auch den redlich mit Sympathiebekundungen werbenden männlichen Liebhaber und Verehrer, der aber irgendwann wissen will, ob sein Werben Aussicht auf Erfolg hat. Zu diesen Menschen gehört der Rezeptar in der "Polnischen Apotheke" (später Dorotheenstädtische Apotheke) in der Berliner Friedrichstraße 153. Es ist der 26jährige Theodor Fontane (1819-1898), der zu diesem Zeitpunkt dabei ist, das Herstellen flüssiger und pulverisierter Gemische zu erlernen. Er wird am frühen Abend des 8. Dezember 1845 - bei minimalem Wortaufwand - etwas Entscheidendes für sein Lebensglück tun. Gegen 16.30 Uhr ist draußen die Sonne untergegangen, und der kalte Donnerstag beginnt sich langsam einzudunkeln. Dass Theodor Fontane in der nächsten halben Stunde die berühmte Weidendammer Brücke, die drittälteste Spreeüberquerung der Innenstadt, noch um ein paar Grad prominenter machen wird - auf diesen Gedanken kann er natürlich nicht kommen. Und so kommt die Sache ins Rollen: Der junge Mann wird an diesem Abend von seiner 21jährigen Bekannten Emilie Rouanet-Kummer (1824-1902), die er schon als Fünfzehnjähriger kennenlernte, von der Apotheke abgeholt. Sie schlendern die Friedrichstraße hinunter in Richtung Oranienburger Tor. Noch vor der Brücke entschließt er sich, ihr jetzt in aller Sachlichkeit die Frage aller Fragen zu stellen: nämlich ob sie ihn heiraten wolle. Später schreibt er: "Es war wenige Schritte vor der Weidendammer Brücke, dass mir dieser glücklichste Gedanke meines Lebens kam, und als ich die Brücke wieder um ebenso viele Schritte hinter mir hatte, war ich denn auch verlobt." Beim Abschied "nahm ich plötzlich, von einer kleinen Angst erfasst, ... noch einmal die Hand des Fräuleins und sagte ihr mit einer mir sonst fremden Herzlichkeit: "Wir sind aber nun wirklich verlobt." Sie bejahte. Was sich zwischen den beiden auf der Brücke zugetragen hatte, ob sie sich vielleicht im Ergebnis ihres Übereinkommens ergänzend küssten oder nur fest an den Händen hielten - das wissen wir nicht. Festzuhalten ist, seine Liebeserklärung und sein Werben sind verbaler Art. Es gibt keine buhlerischen Bekundungen. Theodors Liebeswerben kommt eher einer Verhandlungssache gleich.
Es geht sachlich zu. Man mag sich. Man kommt überein. Der gemeinsame Entschluss mündet nach fünf Jahren in eine Eheverbindung. Es folgt ein 48 Jahre andauernder Ehestand, und das enge menschliche Verhältnis beider kann man am ehesten ihren Briefen entnehmen. Mit Blick auf die dort berichteten Einzelheiten und Verläufe erkennt der Leser auf das Vergnüglichste, dass die Feststellung des Frauenkenners Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832), ein Liebesverhältnis sei "das wunderlichste Verhältnis von der Welt", keineswegs nur dichterischer Phantasie, sondern dem wahren Leben geschuldet ist.
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Liebesschlösser an der Liebesbrücke in Riga
Liebesschlösser an der Liebesbrücke im Park am Ufer des Stadtkanals in der Rigaer Altstadt - Foto: © -wn-

Und als die beiden ins Dunkel der nördlichen Friedrichstraße weitergegangen waren, blieb die Brücke in jeder Weise unverändert zurück - was unter dem hier ins Auge gefassten Gesichtspunkte bedeutsam ist. Es verging dort noch ein halbes Jahrhundert bis die beiden schwarz gezungten und mit ausgebreiteten Schwingen scheinbar zu Balzflügen abhebenden Reichsadler als Bestandteil eines neuen schmiedeeisernen Ziergitters eingefügt wurden. Aber selbst wenn die beiden stolzen Aare in Fontanes Jugend schon dagewesen wären, hätte es doch niemand gewagt, an ihnen aus irgendeinem Grund irgendetwas zu befestigen, und selbst wenn es ein in bestimmter Weise fixierter Liebesschwur gewesen wäre. Denn unbekannt waren solche privatesten Gelübde keineswegs; sie waren (und sind) doch nichts weiter als die Fortsetzung der alten Minne mit anderen Mitteln, die das Geistige wie das Körperliche in lyrische Töne umzusetzen wusste. Liebesschwüre gab es im 19. Jahrhundert zur Eigenverwendung wie auch in literarischer Form.
In großer Anzahl und in der Berliner Mundart, die das euphorische Element noch verstärkte, verfasste sie der Journalist des Vormärz Adolf Glaßbrenner (1810-1876).
Bei ihm heißt es zum Beispiel:

"Jott, wat bist Du niedlich,
Un so appetitlich!
Un Deine Brust
Ist Jötterlust"
oder

"Hundert Reize schmücken Dich,
Jöttliche, ich liebe Dir!"
oder
"Wenn ick, liebe Friederike,
Dir so still bescheiden kieke,
O, dann denkt mein Herz bei sich:
Diese oder keine nich!"


Keine 150 Jahre später wird man auf der Brücke ein Beispiel dafür sehen, wie sehr der Liebesschwur seine Worthaltigkeit weitgehend verliert und eine eigentümliche Materialisierung erfährt. Die bekannten, bunten und nur gelegentlich mit Namen versehenen Liebesschlösser kommen auch in Berlin in Mode, und zwar in Massen. Zu schade, dass es Carl von Bülow (1923-2011), genannt Loriot, nicht mehr erlebt. Er hätte angesichts einer hereinbrechenden Schlösser-Schwemme, die für private Zweisamkeiten steht, vermutlich den Eisenwaren-Detaillisten Herrn Schlagzangenberg erfunden. "Mooment", hätte der gesagt, "ich zeige Ihnen gleich etwas Passendes: Hier haben wir gleichschließende Vorhangschlösser zum Verschließen einfacher Verschlüsse mit Kratz- und Dellenschutz. Außerdem führen wir die Standardausführung mit einem identisch bestifteten Profilzylinder und einem vorteilhaften Bohrmuldenprofil. Wir liefern das Vorhangschloss ohne und mit Sicherheitsüberfallen in verschiedenen Größen und mit verschiedener Gelenkanzahl. Was darf es denn nun sein?"

Liebesschlösser auf der Weidendammer Brücke in Berlin

Die Weidendammer Brücke ist heute nur einer von vielen Berliner Orten, an dem Liebesschlösser haufenweise angebracht sind. Wir sehen sie in unterschiedlich großer Stückzahl auch auf der Eisernen Brücke in der Bodestraße an der Museumsinsel, auf der Warschauer Brücke, Westseite Richtung Alex, und auf der Jannowitzbrücke. Auf der Weidendammer Brücke sind vor allem beide Reichsadler mit den Mini-Schlössern behängt. Die Schlüssel ruhen unfindbar im Grundschlamm der Spree. Sie sollen anzeigen, dass ein solch metallgewordener Liebesschwur nicht mehr rückgängig gemacht werden kann - eine Annahme, die sich in eklatanter Weise mit dem Leben beißt. Denn in Deutschland wird gegenwärtig (2013) jede zweite Ehe wieder geschieden. Es ist nicht bekannt, dass die aufgekommenen Liebesschlösser die Lage auch nur annähernd entspannt hätten. Aber es soll ja wohl auch nur ein schöner Gag sein. Die kleinen U-Bügel der Schlösser umschließen auf der Weidendammer Brücke neben länglich dünnen Elementen des Geländers alles sonst an den beiden Vögeln, was sich umschließen lässt. Und wo Krallen, Spalten und Ritzen weiteren Liebesschlossbügeln keinen Raum mehr lassen, bilden sie Trauben aus Schlössern wie schwärmende Jungbienen, die bei der Standortsuche im Apfelbaum eine Pause machen.
Das Auffallende an den Schwur-Schlösser ist der Rückzug des Persönlichen in die selbst auferlegte Anonymität. Im Grund machen die Schlösser den Eindruck einer unangemeldeten Demonstration vermummter Menschen. Es sind kollektivistische Zusammenschlüsse von unerkannt bleiben wollenden Menschenpaaren. Im Vergleich mit dem verschwiegenen Liebesschloss ist der Grabstein eine - wenn auch Stein gewordene - nacherlebbare Kurzgeschichte. Die Verunzierungen von zumeist Kunstwerken verursachen überdies Umweltschäden, indem es durch elektrolytische Korrosion des edleren Messings der Schlösser gegenüber dem unedleren Eisen der Brücken zu Rostschäden kommen kann. In Berlin ist das Anbringen eines Vorhängeschlosses an öffentlichen Einrichtungen eine Ordnungswidrigkeit und kostet über 30 Euro, natürlich nur wird man beim Liebesverschluss in flagranti erwischt.

Vorbei scheinen die Zeiten, in denen es noch persönliche Botschaften in aller Offenheit gab. An einer Feldscheune im Brandenburger Landkreis Ostprignitz-Ruppin konnte man im letzten Winter die meterlange Botschaft lesen, über die sich möglicherweise der Besitzer des Gebäudes nicht freut, aber doch wohl die Adressatin: "Martina ich liebe dich Patrick" (Foto). Am Stamm einer Buche im Wald südlich des Liepnitzsees auf dem Barnim-Plateau haben sich "H.T. und MK am 22. 3. 99" (Foto) verewigt. Hier waltet Nachsicht unter den Forstleuten. Ein paar Buchstaben oder ein Herz, heißt es, brächten den Baum nicht zum Absterben. Ein persönliches Bekenntnis andernorts: Als an einem Septembertag des Jahres 2007 ein Frachtschiff den kleinen Binnenhafen der Wolga-Stadt Jaroslawl verlässt, taucht an der Kai-Mauer eine bisher verdeckte frische, vermutlich von einem Flussschiffer hinterlassene Botschaft auf (Foto). Frei ins Deutsche übersetzt ist zu lesen: "Irinka, mein Liebes! Bald werden wir zusammen sein! Ich liebe Dich!" (frei übersetzt; Irinka - Koseform von Irina.) Aber auch sarkastische Töne werden im Rahmen dieser auf Ergebnisse getrimmten Liebeslyrik angeschlagen. Kurt Tucholsky alias Theobald Tiger (1890-1935), war nicht nur ein hervorragender Publizist, sondern auch ein tragischer Womanizer. Als solcher setzt er im September 1930 in der Weltbühne einen ganz anderen Akzent beim Verfassen einer Liebesbotschaft.
Er schreibt an eine Frau, die er wohl vor Augen hat:

"Ich liebe dich. Weil ... nämlich ...
Du bist so himmlisch dämlich!
Mein blondes Glück! Von Zeit zu Zeit
tu ich ein bisschen fremd gehn.
Die andern Frauen sind so gescheit
und lassen das noch im Hemd sehn.
Dann kehr ich reuig zu dir zurück
und genieße tief atmend das reine Glück ...
Dumm liebt zweimal.
Nämlich:
Du bist so himmlisch dämlich -!"


Leider ist jedoch das Anbringen von Liebesschlössern in Berlin verboten. Es ist sogar eine Ordnungswidrigkeit, die mit einer Geldstrafe geahndet wird. Und die Schlösser werden auch regelmäßig entfernt.

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