Tegeler Hafenbrücke in Berlin

Text: -wn- (Journalist aus Berlin) / Letzte Aktualisierung: 19.04.2023

Tegeler Hafenbrücke in Berlin
Die Tegeler Sechserbrücke über den Tegeler Fließ; Blick auf ihr nördliches Ende - Foto: © -wn-

Die Tegeler Hafenbrücke in Berlin ist eine Fußgängerbrücke an der Einfahrt zum Tegeler Hafen. Sie ist 91 Meter lang und war schon oft Kulisse für Dreharbeiten.

Die Tegeler Hafenbrücke - Über Sechserbrücken musst du gehen

"Berliner Jungens, die sind richtig, Berliner Jungs sind auf dem Kien! Mit keinem Sechser in der Tasche, da sag'n se kess: "Wat kost' Berlin?"" Der Erfolgstitel der "Schöneberger Sängerknaben" (1947 -2011) mit diesen einprägsamen Anfangszeilen ist ein Marsch-Fox aus dem Jahre 1950. Wort und Weise stammen aus der Feder der damals blutjungen Berliner Kabarettistin und Stimmungssängerin Erika Brüning (1926-2011).
Der Titel sollte besonders unter der Jugend der Nachkriegszeit eine Stimmung des Mutes zum Aufbruch verbreiten, wobei in dieser prä-feministischen Zeit die Berliner Mädchen einfach unter den Tisch fielen. Bleibt nebenbei die Frage: Aus welcher Urform rekrutiert sich die später eher selten benutzte Wendung "auf dem Kien sein"? Stand Kienholz Pate, das früher gesammelt und als Helligkeit verbreitender Kienspan verkauft wurde? Warum aber bedeutet "auf dem Kien sein" umsichtig und eben helle sein? An der Klärung dieser Frage wird offenbar noch gearbeitet. Fest steht: Der Kien-Begriff verschwand - das Schlagwort vom Sechser hingegen nicht.
Wenn man in Berlin im 19. Jahrhundert schon knapp bei Kasse war - zumindest einen oder mehrere Sechser musste man schon in der Tasche haben, wollte man überhaupt durch die Stadt kommen, und das heißt auch, hier und da über die Spree zu gelangen. Einige wichtige Brücken der Innenstadt waren nämlich mautpflichtig. Die Gebühr betrug einheitlich einen Sechser, damals die Hälfte eines Groschens. So kam im Volksmund der Begriff Sechserbrücke auf, nicht als Einzelname sondern als nichtamtliche Benennung einer Gattung von Flussübergängen. Die Bezeichnung hielt sich selbst nach der Einführung des Dezimalsystems ins preußische Geldwesen, also nachdem aus dem Sechser ein Fünfer geworden war. Der Fünfer hieß weiter Sechser. "Ohne einen Sechser in der Tasche" wurde es - bildlich gesprochen - schwer, am teils ausgelassenen Leben abends in Berlin teilzuhaben, auch wenn die zeitgenössischen Berichte dem Berliner ein wenig kostenaufwendiges Freizeitverhalten bescheinigen. "Der Berliner ist im Allgemeinen an große Leckereien und eben so an Vielessen nicht gewöhnt, und der (schlechte) Ruf ... lässt sich auf Berlin höchstens im Genusse des Branntweins anwenden, der hier in so vielen Läden und Schenken feil geboten wird", heißt es in der 1831 erschienenen amüsanten Fibel "Berlin wie es ist - Ein Gemälde des Lebens dieser Residenzstadt und ihrer Bewohner ...". Als übrigens Franz Biberkopf in Alfred Döblins (1878-1957) bekanntem Roman "Berlin Alexanderplatz" nach der notwendig gewordenen Armamputation in Magdeburg zurück nach Berlin kommt, geht er "auf die Wohlfahrt" und beantragt "Stütze". Man erklärt ihm dort, sein Anspruch würde geprüft, und er fragt enttäuscht zurück: "Und was mach ich inzwischen?" "So rasch verhungert keiner in Berlin", ist die Antwort des Beamten. Wie Döblin schreibt, hat Biberkopf zu diesem Zeitpunkt zumindest einige Pfennige in der Tasche.
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Die Tegeler Hafenbrücke - eine bekannte Brücke in Berlin

Tegeler Hafenbrücke südliche Ende
Das südliche Ende der Tegeler Sechserbrücke mit dem einen der beiden inzwischen unbesetzten Maut-Offices Haus - Foto: © -wn-

Soweit bekannt, waren mindestens vier namhafte Berliner Brücken von der Mautpflicht betroffen. Es wurde "von denen über eine Brücke Fahrenden, Reitenden oder Gehenden" ein Passage- oder Brücken-Geld erhoben, wie die in 242 Bänden erschienene Oeconomische Encyclopädie (1773-1858) berichtet. Hiervon seien "aber die Posten und Postbedienten gänzlich befreiet". Der Schriftsteller Karl Gutzkow (1811-1878) beschreibt im 1831 herausgebrachten Buch "Berlin - Panorama einer Residenzstadt" seinen ganz persönlichen Blick auf die heutige 1821/24 gebaute Schlossbrücke. Der Autor, der in der Stallstraße, der heutigen Universitätsstraße, wohnte, sah, dass "diese Passage ... für ein kleines Brückengeld gestattet (war), welches von einer Gesellschaft, die diese Verbindung auf eigene Kosten anlegte, erhoben wird. Jeder Bürgerliche zahlt am Ende der Brücke eine Kleinigkeit. Das Militär ist frei." Diese Befreiung von der Brücken-Maut empfand Gutzkow, der zur oppositionellen Gruppe "Junges Deutschland" zählte, als sozial ungerecht. "Wär' ich Offizier, ich würde es für beleidigend halten, wollte man mir zumuten, (mich) von einer Steuer dieser Art, die den Ärmsten trifft, zu befreien." Edel gedacht von ihm - und dieses Denken zeigt auch: Nicht alles war schlecht in Preußen. Auch Heinrich Heine (1797-1856), der 1822 noch am Bauplatz dieser Brücke vorbei kam, schlägt in seinen "Briefen aus Berlin" einen kritischen Ton an. An der Baustelle notiert er: "Die Vorrübergehenden wundern sich über die vielen Baumaterialien, die hier herumliegen, und die vielen Arbeiter, die hier sich herumtreiben und schwatzen und Branntwein trinken und wenig tun. Hier nebenbei war sonst die Hundebrücke; der König (Friedrich Wilhelm III.) ließ sie niederreißen und lässt an ihrer Stelle eine prächtige Eisenbrücke verfertigen. Schon diesen Sommer hat die Arbeit angefangen, (sie) wird sich noch lange herumziehen, aber endlich wird ein prachtvolles Werk dastehen." Zu welch ätzenden Formulierungen der geistreiche Spötter wohl gefunden hätte, wären zu seiner Zeit Versuche, einen Start- und Landplatz für Flugapparate zu bauen, im Gange gewesen und immer wieder fehlgeschlagen, wie wir das heute (2013) fassungslos zur Kenntnis nehmen müssen.
220 Meter weiter in Richtung Alexanderplatz mussten die Berliner ab 1889, wenn sie aus Richtung Schlossbrücke kamen, über eine weitere neue und gebührenpflichtige Brücke laufen, über die "Cavalier-Brücke" - ebenfalls eine Sechserbrücke. An ihrer Stelle hatte es dort lediglich einen hölzernen Übergang gegeben. Die Nachfolgerin ist die bis 1947 nach Kaiser Wilhelm II. (1859-1941) und heute nach Karl-Liebknecht (1871-1919) genannte innerstädtische Spreebrücke, über die man die Museumsinsel in nordöstliche Richtung verläßt. Auch die Schillingbrücke, eine Verbindung zwischen den Ortsteilen Friedrichshain sowie Kreuzberg und Mitte, war zunächst eine Sechserbrücke. Das massive Bauwerk entstand zwischen 1871 und 1873. Seit 1990 steht sie unter Denkmalschutz. Der Berliner Publizist Frank Eberhardt (geb. 1931) machte schließlich auch die Jannowitzbrücke als eine gebührenpflichtige Überführung aus. Nicht verwunderlich, daß das Berliner Brückenzoll-System auch bald seinen literarischen Niederschlag erfuhr. Die im hiesigen Eduard Bloch Theater-Verlag 1859 unter mit dem Titel "Schmonzes-Berjonzes" erschienenen "Gedichte und Scherze in jüdischer Mundart" machen sich über die Maut lustig. Ein Autor, der sich Mazzebäcker a. D. Nathan Tulpenthal nennt, schreibt humorig in seinen "Veitel Heimans's Reisebriefen an seine Gattin Esther in Inowraclaw" (Woiwodschaft Kujawien-Pommern): "Dann bin ich auf ein Brückche gewesen, kümmt der Einnehmer und sogt: Das ist die Sechser-Brücke und Sie müssen geben e Sechser, wenn Sie hier thun gehen. Vor wos e Sechser, sag ich, wird ich denn satt wenn ich geh auf den Brückcher? Er hot gelacht, aber den Sechser hab ich doch müssen geben."

Die Sechserbrücke in Berlin am Tegeler Hafen

Familien-Friedhof der Humboldts
Nördlich der Sechserbrücke und zu Fuß zu erreichen liegt der Park des Schlosses Tegel, das heute noch im Besitz von Nachfahren der Humboldt-Familie ist. Das im Herbst aufgenommene Foto zeigt im Hintergrund den Familien-Friedhof der Humboldts und ihrer Anverwandten.
Foto: © -wn-

Die letzte Sechser-Brücke von Berlin und Umgebung befindet sich in Tegel. Das Besondere: Sie gehört nicht nur zu dieser Brückengattung; sie heißt auch so bis heute. Die Reiseführer erwähnen sie als ein touristisches Highlight, als die Hafenbrücke, die Sechserbrücke heißt. Die 1909 gebaute, 91 Meter lange Fachwerkbogenbrücke aus Stahl überspannt die Einfahrt des Tegeler Hafens an der Mündung des Tegeler Fließes. Der über 30 Kilometer lange Bach entspringt nordöstlich von Basdorf in Brandenburg und fließt in einer südwestlich verlaufenden eiszeitlichen Rinne schließlich in den Tegeler See und über ihn in die Havel. Ein Sechser war auch in Tegel zu zahlen, wenn man von dem Dorf Tegel "mit 22 Feuerstellen und 124 Menschen" (1806) hinüber wollte auf die einer Halbinsel ähnlichen Domäne, die von der nördlichen Mauer des Hafens und dem oberen östlichen Ufer der Großen Malche gebildet wird; sie ist eine Bucht des Tegeler Sees. Hier am Nordende der heutigen Greenichpromenade wartete am Ende des 19. Jahrhunderts der als geschäftstüchtig geschilderte Fischer Paul Siebert (oder Siewert) mit einem Boot auf die Fahrgäste. Er hatte ein Fischgeschäft in der Berliner Straße Nr. 6 und betrieb zusätzlich den vielbenutzten Fährdienst. (Sein Bruder Max besaß einen Bootsverleih in Tegel.) Am Beginn des 20. Jahrhunderts nahm der Ausflugsverkehr enorm zu. Immer mehr Berliner wollten zur Großen Malche, an deren Ufer sich inzwischen zahlreiche stark frenquentierte Ausflugslokale etabliert hatten wie das Klippsteinsche Sommeretablissement oder der Kaiserpavillon. Das Geschäft mit den Ausflüglern brummte. Deshalb kam Paul Siebert bald darauf, über den Auslauf des etwa 80 Meter breiten Fließes eine Holzbrücke zu bauen - es ist die Geburtsstunde der Tegeler Sechserbrücke. Die Lustbarkeiten der Haupstädter im Grünen und am Wasser wurden allerdings auch kritisch beleuchtet. In einem im Natorff Verlag erschienenen Stadt-Führer moralisiert der anonyme Autor, in den Vergnügungen söhe man "eben das Oberflächliche der Berliner Fröhlichkeit, daß unter Hunderten kaum Einer weiß, warum er vergnügt ist, und während alle äußeren Gebehrden für einen inneren Frohsinn sprechen, ist das Herz doch kalt und bleibt kalt und wird nie warm werden". Starker Tobak - aber es gab massive gegenteilige Meinungen, wie wir von Friedrich Wilhelm August Schmidt (1764-1838) erfahren, den man auch Schmidt von Werneuchen nannte. Der evangelische Gottesmann verfaßte 1798 die in Berlin und Göttingen erschienenen Romantisch-Ländlichen Gedichte, von denen eines heißt "Einladung zu einer Lustfahrt nach Tegel. An Herrn Regimentsquartiermeister und Auditeur (Kriegsgerichtsrat) Knüppel in Berlin". Schmidt lockt unter anderem mit den Worten: "Morgen, statt des Kochs verwürzter Speisen, / Gnüge dir ein ländlich Mittagsmahl; / Ärmlich soll's nicht seyn: aus seinen Reusen / Holt der Fischer uns den besten Aal; / Ihren fettsten Puter uns zu köpfen / Weigert sich die flinke Wirthin nicht; / Wilde Erdbeer'n bringen uns in Töpfen / Auch die Kinder gern zum Nachgericht."

Sieberts hölzerne Brücke wird 1905 durch den heutigen 91 Meter langen stählernen Übergang ersetzt. Paul Siebert verliert seine erkleckliche Nebeneinnahmen. Sein ferneres Schicksal verliert sich im Dunkel der Geschichte. Die zunächst erhobenen Sechser flossen nun in die Tegeler Gemeindekasse, im Jahr, heißt es, bis zu 7000 Mark. An Sonn- und Feiertagen benutzten bis zu 28000 Ausflügler die neue Brücke. Erst 1922 lohnte sich der Brückenzoll nicht mehr, weil die Einnahmen die Personalkosten überstiegen. Mautfrei überqueren heutzutage besonders in den Sommermonaten weiterhin Tausende Ausflügler die Sechserbrücke in beide Richtungen. Der dichtwütige Pastor Schmidt, den Theodor Fontane (1819-1898) als einen Autoren schildert, der die "Dinge, die sich in Prosa ebenso gut hätten sagen lassen, (lieber) in Versen abmachte" - dieser umtriebige Gottesmann hat in seiner - gelegentlich sehr pathetischen Art - aber doch wohl das getroffen, was der heutige Tegelbesucher immer noch nachvollziehen kann: "Du, unsers Vaterland's Natur, / Ein Dummbart nur / Kann deinen Reitz bezweifeln..."

Wie man zur Tegeler Hafenbrücke kommt:

Mit dem Auto benutzt man von Berlin aus die Autobahn A111 bis zur Abfahrt Waidmannsluster Damm, biegt links in ihn ein und kurz darauf wiederum links in die Karolinenstraße. Begrenzte Parkmöglichkeiten gibt es Am Tegeler Hafen. Bis zur Greenichpromenade am Ufer des Tegeler Sees sind ca. 500 Meter zu laufen. Tegel ist auch mit der U-Bahn U6 zu erreichen (Station Alt-Tegel).

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