Friedwald Bernau bei Berlin

Text: -wn- (Journalist aus Berlin) / Letzte Aktualisierung: 19.04.2023

Schild Friedwald
Eines der FriedWald-Schilder im Bernauer Forst - Foto © wn

FriedWald Bernau: Auf der Suche nach dem eigenen Grab

Mein Freund der Baum ist tot
Er fiel im frühen Morgenrot
Du fielst heut früh
ich kam zu spät
du wirst dich nie im Wind mehr wiegen
du musst gefällt am Wegrand liegen ...


So seufzt die Sängerin Doris Nefedov (1942-1969) effektvoll am Ende der 60er Jahre. Die Interpretin mit der faszinierend tiefmächtigen Stimme - bekannt auch unter dem Namen Alexandra - besang mit melancholischem Pathos ernste Dinge des Lebens. Im vorliegenden Fall hat ein Baum es ihr angetan. Hätte Alexandra nicht bei einem Autounfall in jungen Jahren einen tragischen Tod erlitten, wäre sie vielleicht auch mit dem Lied "Ein Baum mein Grab" auf einen guten Platz in den damaligen Softcharts gelandet. Der Baum hätte dabei seine Nutzholzfunktion gegen die eines Ortes für langwährende Totenruhe getauscht. Aber zu Alexandras Zeiten war an Beisetzungen von Aschen kremierter Menschen in Wurzelbereichen von Waldbäumen noch nicht zu denken. Erst ab 1993 werden in Deutschland Buchen, Eichen, Fichten, Kiefern und weitere Baumarten zu schweigenden Verwahrern von Ascheresten hingeschiedener Menschen. Es vergehen weitere fünf Jahre bis bei den Aschevergrabungen Urnen aus dem abbaubaren Biowerkstoff Arboform (Flüssigholz) verwendet werden. Die Öffentlichkeit reagiert bis heute mit wachsendem Interesse. Allerdings erklären die forstwirtschaftlichen Betreiber der deutschen FriedWälder immer wieder vorsorglich, dass der Begriff FriedWald kein Synonym für Waldfriedhof ist. Im Gegensatz zu dessen Ruhemöglichkeiten in meist geometrisch angelegten Gräbern, Grüften und Krypten fallen FriedWaldgräber nicht ins Auge. Kein Wunder: Es gibt kein Kreuz, es fehlen Stein und Platte. Pflege entfällt. Macht alles die Natur. Anstelle von (untersagten) Gestecken, Kerzen und Grabsteinen treten Moose, Farne, Wildblumen, Laub und Schnee, die die Baumgräber je nach Jahreszeit schmücken.

Dass wir derzeit eine Abkehr von traditionellen Bestattungsarten hin zur Waldbestattung erleben, mag auch damit zusammenhängen, dass Bäume seit jeher die menschliche Gefühlswelt beflügeln; je umfänglicher und je mehr vom Alter gezeichnet, um so mehr wird dieses Sinnbild des Lebens von Wurzel über Stamm bis Krone verehrt. Wie Bücher enttäuschen auch Bäume den Menschen nicht. Nachdem bei vielen Völkern Bäume, Baumgruppen oder Haine als heilige Orte verehrt wurden, tritt nun hierzulande eine "Demokratisierung" des menschlichen Baumkultes ein: Man will unter der Ägide von Bäumen tot sein, ja selbst vorher bei ihnen wohnen. Eine solche geistige Nähe lässt der Dichter Friedrich Hölderlin (1770-1843) erkennen, indem er im Sinngedicht "Die Eichbäume" ausspricht, was er fühlt: "Aber ihr, ihr Herrlichen! Steht, wie ein Volk von Titanen, / In der zahmeren Welt, und gehört nur euch und dem Himmel ..." Und er schließt: "Fesselte nur nicht mehr ans gesellige Leben das Herz mich, / Das von Liebe nicht lässt, wie gern würd' ich unter euch wohnen!"

Nummernschild an einem Baum im Friedwald Bernau
Das kleine Nummern-Schild am Stamm einer Buche zeigt an, dass sich im Wurzelbereich dieses Baumes ein Urnengrab befindet. - Foto © wn

Sommergrüne Rotbuchen im FriedWald Bernau

Einen Eindruck von der dennoch sichtbaren bestatterischen Besonderheit erhält, wer sich zum Beispiel in den Waldungen südlich des Liepnitzsees im Wandlitzer Seengebiet bewegt. Dieses befindet sich im Naturpark Barnim nördlich Berlins. Da wandelt man bereits im Bernauer FriedWald. Mit seinen 30 Hektar Ausdehnung ist er groß genug, damit sich die hier Bestatteten nicht im Wege liegen müssen. Auf sanft geschwungenem schattigen Gelände wachsen empfangsbereite und schon in Funktion gesetzte sommergrüne Rotbuchen. Zwar sind die schlanken Bäume zumeist noch keine ehrwürdigen botanischen Veteranen. Auch fehlt ihnen trotz ihrer zum Teil ausladenden Starkäste der demonstrative Schutzgestus wie man ihn zum Beispiel an der mediterranen Pinie mit ihrer schirmförmigen Krone sieht, die jeden Mistral unbeschadet über sich hinweg ziehen lassen. Auch mit dem Ölbaum können es die märkischen Buchen nicht aufnehmen. Dieser Baum mit seinem bizarren Stamm überdauert ganze Zeitalter. Und welcher Freund der Bestattung seiner Asche im Wurzelwerk eines Baumes würde es vielleicht nicht als erhebend empfinden, wenn seine Reste im Jerusalemer Garten Gethsemane mit den über tausendjährigen Ölbäumen bestattet werden würde - an dem Ort, an dem der leibhaftige Messias Jesus Christus (4 v. Chr.-30 oder 31 n.Chr.) nachweislich seine letzten Stunden in Freiheit verbrachte.

Für ihre Bestimmung im Bernauer FriedWald, Asche-Urnen in ihren Untergründen aufzunehmen, reicht das Alter der teils über hundertjährigen geselligen Rotbuchen aus. Auch ohne tausendjährige Wuchserwartung verbreiten sie und die laubigen Böden, auf denen sie stehen, eine Stimmung des Vertrauens. Vorgebeugt wird auch einer möglichen misslichen Situation wie man sie aus dem georgischen Volkslied "Suliko" kennt.

Sucht ich ach das Grab meiner Liebsten,
Fragend überall: wer weiß wo?
Weinend klagt ich oft mein Herzeleid:'
"Wo bist du, mein Suliko?"


Das kann im FriedWald nicht passieren; dort findet man jeden - letztlich mithilfe der FriedWald-Verwaltung. Entweder sind an einigen Stämmen in Überkopfhöhe nummerierte Metallplättchen angebracht oder man liest ergänzend auch Namen. Die wenigen Namensschilder an den Buchenstämmen lassen den Eindruck entstehen, dass sich bisher vor allem Menschen aus der künstlerischen und wissenschaftlichen Intelligenz für eine alternative Bestattung entschieden. In einem Gemeinschaftsplatz im Wurzelwerk der Rotbuche BER49 zwischen Kleiberpfad und Schwarzspechtweg ist beispielsweise die Urne mit der Asche des Berliner Pathologen Prof. Dr. sc. Med. Kurt Launzenauer bestattet, der 2015 im Alter von 95 Jahren starb. Der bekannte Wissenschaftler arbeitete am Institut für Pathologische Anatomie der Humboldt-Universität Berlin. In der von ihm und anderen in den 80er Jahren herausgegebenen "Allgemeinen Pathologie - Eine Einführung für Studenten" lässt er erkennen, dass es ihm darum ging, seine Lebenserwartung durch körperfreundliche Lebensführung im Rahmen des bisher für unmöglich Gehaltenen zu maximieren. Denn da sei, meint er, in den Reihen der heute lebenden Menschheit "nach vorn" noch einiges offen. Denn er schreibt: "Setzt man das artspezifische biologische Höchstalter beim Menschen mit nur 120 Jahren an, so liegt die durchschnittliche Lebenserwartung heute noch etwa 50 Jahre unter der erreichbaren Lebensdauer." Am Ende seiner Totenruhe - also am Beginn des nächsten Jahrhunderts - werden die dann Lebenden sehen, ob er - gemessen an der möglicherweise inzwischen erreichten höheren Lebenserwartung - relativ früh starb oder wenn eine Verlängerung menschlichen Lebens aufgrund widriger Umstände ausblieb, er weiter als ein Spätgestorbener gelten kann.

Ein letzter Wunsch: "Lasst mich bitte alle in Ruhe!"

Zu den Bestatteten gehört die Theaterfotografin Barbara Meffert, die eindrucksvolle Künstlerporträts schuf. Unter einer FriedWald-Buche ist die Urne der Wandlitzer Malerin Dorit Bachmann bestattet. Nachdenklich macht das Geleitwort an ihrem Baum: "Das Leben beginnt als Geheimnis und endet als Geheimnis - doch welche wunderbare Zeit liegt dazwischen!" Indessen war ihr irdisches Dasein sehr knapp bemessen. Die Lebenszeit der 2015 gestorbenen Künstlerin betrug 47 Jahre. Am Stamm des Baumes mit der laufenden Nummer BER291 ist der Name der Sprecherzieherin Ilse Boettcher ausgewiesen. Obwohl sie immerhin auf 71 Lebensjahre zurückblicken konnte, muss es in ihrem Leben Umstände gegeben haben, die zu ihrem sarkastischen letzten Wunsch führten: "Lasst mich bitte alle in Ruhe." Von besonderer Tragik ist der frühe Tod des Mitarbeiters im Restaurant Fischerstube am Stolzenhagener See Florian Kröner. Er ging aus unbekanntem Grund mit 27 Jahren aus dem Leben. Wie auch in heutigen Trauerbekundungen üblich wird der Hingeschiedene in einer Anzeige direkt angesprochen, obwohl dieser die Nachricht mit einiger Wahrscheinlichkeit nicht mehr wahrnehmen kann. In der Bekundung seines Arbeitgebers Steffen Köhler in einer Zeitung wird bestätigt: "In unserem Team hinterlässt du als Mitarbeiter, Kollege und Freund eine große Lücke."

Zahlreiche Bäume tragen farbige Bänder an den Stämmen. Ein rotes Band heißt: Hier steht ein noch "freier" Baum, in dessen Wurzeln ein oder zwei Personen beigesetzt werden können. Blau steht für einen "Familien- oder Freundschaftsbaum", der für eine Gruppe von bis zu zehn verwandten oder bekannten Personen gedacht ist. Gelb zeigt an, dass hier die Aschen von bis zu zehn Einzelpersonen in den FriedWald-Urnen mit dem grünen Ginkgoblatt dem Boden des Waldes übergeben werden können. Je nach Beschaffenheit des Untergrundes dauert es wenige Jahre, bis sich eine Urne aufgelöst hat. Dann ist es der Baum allein, der das Andenken an den oder die Verstorbenen wahrt.

Andachtsplatz im FriedWald Bernau
Andachtsplatz im FriedWald - Foto © wn
Auf einer kleinen gerodeten Lichtung in der Nähe des Hauptwegs sind robuste Sitzgelegenheiten aufgestellt und der Wurzelstock einer alten Buche zum Urnentisch gemacht. Von diesem einem germanischen Thing ähnlichen Platz wird das Aschegefäß auf angelegten Wegen zum Grab-Baum getragen und bei einem von den Angehörigen gewählten Ritual bis zu einem Meter tief versenkt. Alle traditionellen Abläufe einer Beerdigung wie das stumme Gedenken an den Toten oder an die Tote, ein Nekrolog und der Trauerzug zum Urnengrab finden in allen Variationen statt. Die Beisetzungen sind weltanschaulich neutral. Man kann das Vaterunser beten oder auch das alte Kampflied "Brüder zur Sonne, zur Freiheit" singen. Es soll schon mongolischer Obertongesang erklungen sein. Meist ist es ein Abschied in Bescheidenheit. Jedoch ist die Vorstellung von schlichten Abgängen aus dem Leben keineswegs völlig neu. 1778 veröffentlichte das "Hannoversche Magazin", ein Periodikum für die höhere Beamtenschaft, einen anonymen Beitrag mit dem Titel "Ueber mein Grab". Der Autor schreibt: "Was mein Grab nicht seyn soll? ... Nicht ein posaunendes Denkmal falscher oder erlogener Tugend ... auch nicht Meisterstück der Kunst eines Marmorarbeiters, - nicht Metall, das der Zeit trotzt; sondern Erde, vermischt mit meinem Staube." Das klingt auch sehr nach Preußenkönig Friedrich II. (1712-1786), der auf einer schlichten Grablegung seiner Leiche bestand: Nachts und "nur in kleinstem Gefolge und beim Schein einer Laterne. ... Ich habe als Philosoph gelebt und will auch als solcher begraben werden, ohne Prunk, ohne Pracht, ohne Pomp."

Eine wachsende Anzahl von Menschen sucht in dieser Zeit den nächstgelegenen FriedWald auf, um sich zumindest erst einmal die Bäume anzusehen. Denn unter dem Aspekt des eigenen Todes hat man wohl einen Baum noch nie betrachtet. An der Buche BER000 von Max und Gertrud Mustermann treffen sich an trockenen Tagen bestattungswillige Menschen, die in Begleitung eines Forstmannes prüfen wollen, ob sie später hier im Wald ihre letzte Ruhe finden können. In der nächsten Stunde ist es den einen um einen ersten Kontakt zum Wald zu tun; andere suchen schon einen passenden Baum, mit dem man in den nächsten Jahrzehnten in stabiler Verbindung stehen wird. Die Suche erinnert auf den ersten Blick an den Besuch einer Baumschule oder eines Botanischen Gartens. Man sieht sich um und sondiert. Unersichtlich bleibt, wer von den Grabsuchern später einem "süßen Tod" entgegensehen kann oder sich gegen ihn wehren wird solange es geht. Es ist schwer sich für einen "richtigen" Baum zu entscheiden; hat man einen ansprechenden im Blick, zieht es einen zum nächsten, der vielleicht mit seinem Stammumfang oder seiner Höhe würdevoller erscheint als der erste. Da steht wieder so ein imposantes Exemplar - leider auf schrägem Boden. Man geht in östliche Richtung. Da hört man die Geräusche der Autobahn A11 - wenn schon nicht laut, aber eben den ganzen Tag. Also wieder zurück das Ganze.

Nun ist die kleine Gruppe Grabsuchender auf dem Rückweg zum Parkplatz. Die einen fanden, was sie suchten und erwägen vorausschauend den Erwerb eines Baumanrechts. Andere überlegen noch. Mancher lässt beim Verlassen des Waldes erkennen, dass er sich eigentlich wie der Prinz von Homburg im gleichnamigen Drama von Heinrich von Kleist (1777-1811) fühlt. Im 3. Akt, 5. Szene, äußert der ursprünglich zum Tode verurteilte Prinz: "Seit ich mein Grab sah, will ich nichts, als leben."

Anfahrt - Wie man zum FriedWald Bernau kommt:
Aus Berlin kommend fährt man vom Berliner Ring auf die Autobahn A11 Richtung Stettin (Szczecin) und verlässt die Autobahn an der Ausfahrt 14 Wandlitz. Man befährt jetzt die Bundesstraße B273. Von ihr biegt man nach ca. vier Kilometern links in die Brandenburgallee ab. Nachdem man nach wenigen Metern erneut links abbog, fährt man (auf schlechtem Weg!) direkt auf den Parkplatz des FriedWaldes Bernau.
Besuchen Sie doch auch mal die Stadt Bernau!

Friedhöfe in Berlin: