Jüdischer Friedhof Schönhauser Allee

Text: -wn- (Journalist aus Berlin) / Letzte Aktualisierung: 19.04.2023

Jüdischer Friedhof in der Schönhauser Allee in Prenzlauer Berg
Auf dem Jüdischen Friedhof Prenzlauer Berg sind über 23 000 Menschen begraben - Foto: © -wn-

Der jüdische Friedhof in der Schönhauser Allee wurde hauptsächlich von 1827 bis 1880 genutzt. Hier sind auch einige bekannte Persönlichkeiten aus dieser Zeit begraben.

Der jüdische Friedhof Prenzlauer Berg - Bis ans Ende aller Ewigkeit

"Wie man in Berlin sagt, man geht zu Tisch, zu Wein, zu Ball, so sagt man auch, man geht: zur Leiche". So listete der Berliner Feuilletonist Ernst Ludwig Kossak (1814-1880) schöne und eher existentielle Anlässe auf, die die Hauptstädter seinerzeit bewogen, sich zu bestimmten Zwecken zu vereinen. Die Bestattung der Leichname jüdischer Verstorbener sind dabei Ereignisse mit außergewöhnlichen Erwartungen an das Danach. Nicht um die Frage ging es, ob die Totenkiste eine "schöne Leiche" füllte oder wie augenfällig der Schmerz der Hinterbliebenen war. Vielmehr ist es das noch heute fortgeltende Begehren einer garantiert ewigen Totenruhe. Die jüdischen Begräbnisplätze bieten seit alters her eine unbegrenzte Liegezeit. Jedes Grab ist für eine Ewigkeit von unbekannter Dauer berechnet - bis zum vielzitierten Jüngsten Tag. Die irdischen Besorgungen am toten Körper vor Beginn dieser Ruhezeit regelte im 19. Jahrhundert einem zeitgenössischen Bericht zufolge die "Begrabungsgesellschaft, welche sich mit dem Begraben und Reinigen der Todten beschäftigt. Der Arme bezahlt nichts, weder für den Gottesacker noch für Todtenkleider, der Reiche nach Gefallen." Das lässt aufhorchen: Befinden sich doch die Kosten für Begräbnisse nach jüdischem Ritus inzwischen in einem namhaften vierstelligen Bereich.

Wichtige Infos für Ihren Besuch

Adresse:
Jüdischer Friedhof
Schönhauser Allee 25
10435 Berlin
Tel: 030/ 92 53 330

Anfahrt:
U-Bahn: U2 Senefelderplatz
Bus: N2 Sredzkistr.
Tram: M10 Husemannstr.

Öffnungszeiten des jüdischen Friedhof Schönhauser Allee:

  • Montag - Donnerstag:
    08:00 Uhr - 16:00 Uhr
  • Freitag:
    07:30 Uhr - 13:00 Uhr
  • Schabbat (Samstag), Sonntage und Feiertage geschlossen

Sehenswertes:

  • Lapidarium (60 Grabsteine sowie Schautafeln über jüdische Friedhofskultur und Trauerrituale)
  • Gedenktafeln (Am Eingang an der Friedhofsmauer, neben dem Lapidarium, im Nordwesten des Friedhofs im Boden)
  • Judengang (Außenseite des Friedhofs zwischen südöstlicher Begrenzungsmauer und den Höfen der anschließenden Gebäude - Nur für Führungen geöffnet!)

Wissenswertes über den jüdischen Friedhof Schönhauser Allee

Der etwa fünf Hektar große jüdische Friedhof an der südlichen Schönhauser Allee beherbergt solche "Orte der ewigen Ruhe", aus denen die Bestatteten - so die Vorstellung - einstens leiblich wieder auferstehen. Eine Besonderheit hat dieses Gräberfeld: Es ist - außer für Besucher - geschlossen. Bestattungen gab es zwischen 1827 und 1880. Rund 23000 mal wurde in diesen 53 Jahren das vom demutsvollen Amen (Ja, gewiss) der umstehenden Trauergäste unterbrochene Totengebet Kaddisch gesprochen. Täglich müssen demnach zwischen ein und zwei Begräbnisse stattgefunden haben. Später gab es noch wenige Grablegungen - wenn ein Familiengrab vorhanden war. Bald aber war die Fläche zwischen Schönhauser Allee, Kollwitz-, Knaack- und Wörtherstraße ausgelastet und überdies verbot das inzwischen novellierte preußische Landrecht Beerdigungen in der Nähe von Wohngebieten - es war die Geburtsstunde des am Ende des 19. Jahrhunderts noch frei liegenden Weißenseer Jüdischen Friedhofes, des später größten in Europa. Trotz seines - für jüdische Verhältnisse - jungen Alters ist der Friedhof im Prenzlauer Berg ein Refugium aus sich selbst überlassenen Kleinbiotopen mit bemoosten Steinen und manchmal um sie herum gewachsenen Bäumen sowie aus Inseln neuer bürgerlicher Gepflegtheit. Mit etwas Phantasie sieht man hinter den noch stehenden, schrägen und liegenden Steinen, die die Bombardements des Krieges und Vandalismus hinter sich haben, den Todesengel aus der jüdischen Sagenwelt hervortreten - begleitet vom Raben, der Adam und Eva zeigen musste, wie sie ihren von Bruder Kain erschlagenen Sohn Abel unter die Erde bringen können. Der Jerusalemer Lyrikerin Yvonne Livay (geb. 1942), ein Kind jüdischer Emigranten, fielen nach einem Besuch in dieser Nordberliner Oase der Ruhe die Worte ein: "Efeu / über allem - / ohne Wege und Laut / stumm / verwuchert Grün / Asche und Staub / in Wunden / mitten am Tag ...".

Gräber bekannter Persönlichkeiten auf dem jüdischen Friedhof in der Schönhauser Allee

Wie alle Friedhöfe erhält auch dieser geschichtliche Prominenz durch berühmte Grabinhaber. Im Erbbegräbnis wurde noch nach Schließung der Anlage der Maler und Grafiker Max Liebermann (1847-1935) beigesetzt. Der Komponist und Generalmusikdirektor der Berliner königlichen Oper Giacomo Meyerbeer (1791-1864) fand hier die letzte Ruhe. Der ebenfalls bestattete Jurist Hermann Makower (1830-1897) gilt als der erste jüdische Deutsche, dem die preußischen Behörden den Titel Königlicher Notar verliehen - eines der vielen Zeichen dafür, dass sich nicht wenige liberale Juden in die Gesellschaft integrierten und Ansehen gewannen. Das "humoristisch-satyrische" Wochenblatt Kladderadatsch reagierte 1856 auf die jüdischen Assimilierungserfolge mit einer Karikatur, auf der polnische Juden aus feiertäglichem Anlass öffentlich rasiert, frisiert und ihre zerschlissenen Kittel und Joppen ausgebessert bekamen. Die Aufnahme von Juden ins preußische Alltagsleben hatte Grenzen. Die häufigen jüdischen Trauerzüge, die vom Scheunenviertel den Schönhauser Weg herauf gezogen kamen, störten Preußenkönig Friedrich Wilhelm III. (1770-1840) wenn er sie auf seinen Fahrten ins Pankower Schloss Schönhausen überholte.
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Der Judengang

Verwunderlich: Denn sonst hielt sich der Monarch, den man beim Stralauer Fischzug oder im Tiergarten begegnen konnte, seine Nähe zum Volk zugute. Es machte aber wohl einen Unterschied, ob Majestät einem Trauerzug mit verinnerlicht blickenden Judenmenschen begegnete oder ob er sich beim Erntefest in der Sommerresidenz Paretz von ihm umstehenden Bauernmädchen und Mägden die Erntekrone zureichen ließ. In einem Bericht aus Paretz heißt es, "der König, in gleicher Herablassung (wie die tanzfreudige Ehefrau Luise), forderte die Oberhofmeisterin von Boß auf und tanzte ebenfalls mit." Die Unlust des depressiv veranlagten Königs jedoch, das Leben dann auch zu nehmen wie es auf der Straße kommt, wird mit dem (heute verschlossen gehaltenen) "Judengang" in Verbindung gebracht. Er verläuft an der "Hypotenuse" des Friedhofsdreiecks von Nordost nach Südwest und bot den Trauerzügen die Möglichkeit, aus der heutigen Knaackstraße über einen Seiteneingang in den Friedhof zu gelangen. Die Besonderheit wird auch mit dem Religionsgesetz Halacha in Verbindung gebracht, das den Kohanim, einer Untergruppe der ehemals für den Tempel verantwortlich gewesenen Leviten, das Betreten von Friedhöfen aus Gründen der Reinheit verbietet. Geklärt ist das Ganze bisher nicht.

Streit um die Neue Synagoge

Spuren von Krieg und Vandalismus auf dem Jüdischen Friedhof Schönhauser Allee
Krieg und Vandalismus hinterließen ihre Spuren - Foto: © wn

In die Betriebszeit des Friedhofes fällt ein Richtungsstreit in der jüdischen Gemeinde Berlin. 1865, ein Jahr vor der Einweihung der Neuen Synagoge in der Oranienburger Straße, erschien im Berliner Commission-Verlag Späth ein beschwörendes "Wort an die Berliner jüdische Gemeinde zur Repräsentantenwahl" im selben Jahr. Der anonyme Autor erinnert an einen Wortkrieg, der auf dem Friedhof unter Trauergästen ausgebrochen sei. "... und der Geist der Zwietracht, der mit kalten finstern Flügeln unlängst über der vordersten Gräberreihe schwebte, klammerte sich an den Grundstein des neuen Prachthauses, drückte jedem Quader, jeder Säule und jeder Kuppel sein Brandmal auf". Hintergrund: Mit dem Bau der von der Öffentlichkeit überwiegend bewunderten Neuen Synagoge war in der jüdischen Gemeinde der Streit über die Versuche der liberalen Juden ausgebrochen, den Gottesdienst im neuen Haus zeitgemäßer zu gestalten. Die konservativen Kräfte saßen unter den Repräsentanten, die liberalen im Vorstand der Gemeinde. Strittig war, ob in der Synagoge eine Orgel spielen dürfe, ob auch gekürzte Gottesdienste gottgefällig seien, ob überholte Liturgien entfernt und bei einigen Gesängen und Gebeten die deutsche Sprache benutzt werden dürfe. Die Reformer machten geltend, die Pflichtgebete seien "von einem ... Chaos von Hymnen, Chören, Sprüchen und rabbinischen Abhandlungen umgeben". Die "Folge alles dessen ist, dass die meisten Gebeten gedankenlos hingesprochen werden, und dass dasjenige, was ein Seelenerguss sein soll, zu einer mechanischen Lippenthätigkeit degradirt wird". Die Debatte wurde beendet, indem sich die Konservativen, die die Neue Synagoge schon allein wegen der Orgel als "schönes Theater, aber (als) keine Synagoge..." ansahen, 1872 abspalteten und die heute wieder existierende Israelitische Synagogengemeinde Adass Jisroel gründeten. So war der Konflikt entschärft, und die reformerischen Juden in der Neuen Synagoge glaubten, voll in Deutschland angekommen zu sein. Wie hatte der Anonymus voller Hoffnung und - wie wir heute wissen - mit tragischem Optimismus geschrieben? "Die aufgeklärten Deutschen ... haben das Judenthum stets nach seinem innerem Werthe (positiv) aufgefaßt, ... und der Pöbel wird stets, oder noch sehr lange fortfahren, uns als eine Horde asiatischer Zigeuner zu betrachten, deren religiöser Hauptzug in der Antipathie gegen Schweinefleisch besteht." In der Intention des Pöbels hatte man sich getäuscht. Keine jüdische Weisheit, keine Prophetie und keine noch so drastische Annahmen über die weltendliche Apokalypse ließen zunächst auch nur eine Ahnung vom Unglück aufkommen, das 68 Jahre später einsetzte und in kurzer Zeit die meisten von ihnen - Orthodoxe wie Liberale oder Säkulare - hinwegraffte.

Friedhöfe in Berlin: