Gallery-Studio OTGO in Berlin

Text: -wn- (Journalist aus Berlin) / Letzte Aktualisierung: 19.04.2023

Eingang zum Gallery-Studio OTGO
Eingang zum Gallery-Studio OTGO in der Berliner Nassauischen Straße 44 - Foto: © -wn-

Mongolisches Gallery-Studio OTGO - Zärtliches Abbild von Pferden und Göttern

Hätte sich der mongolische Maler Otgonbayar Ershuu M.A. (geb. 1981) 2005 auf dem Weg von seiner Heimatstadt Ulaanbaatar (Ulan-Bator) nach Berlin jenem abgasfreien Verkehrsmittel anvertraut, das Tschingis Khans Sohn Batu Kahn (1205-1255) über 750 Jahre früher beim Vorstoß seiner 100000 Reiterkrieger zum niederschlesischen Schlachtort Legnica 1241 benutzte - der junge Künstler hätte nach damaligen logistischen Usancen unterwegs mindestens 140mal das Pferd wechseln müssen. Zumindest traf er - wenn schon nicht im Sattel - so doch mit der verinnerlichten Denkart ein, nach der es für einen Künstler aus dem zentralen Asien - abgesehen von Technik, Talent und Trotz - ohne das "pferdische Prinzip" kein Fortkommen gibt - also nichts geht ohne Beweglichkeit im Denken, nichts ohne Willensstärke, nichts ohne Ausdauer. Diese unbedingten seelischen Dispositionen musste der Absolvent der Mongolischen National-Universität mit dem später in Berlin erworbenen Abschluss eines Masters of Art in sich aktivieren, als er es 2010 wagte, im Kulturdschungel von Berlin-Kreuzberg die erste Galerie eines Mongolen außerhalb der Mongolei zu eröffnen. Sie heißt ZURAG. Ihr reichhaltiges Spektrum wird mit Malerei, Zeichnung, Skulptur, Kalligraphie, Fotografie, Druckgrafik, Musik, Literatur, Video und Installation sowie Performance beschrieben.

Wichtige Infos für Ihren Besuch

Adresse:
Gallery-Studio OTGO
Nassauische Str. 44
10717 Berlin
Tel: 0176/ 65 93 19 99

Anfahrt:
U-Bahn: U7, U9 bis Berliner Straße
Bus: 104 bis U Berliner Straße

Öffnungszeiten des Gallery-Studio OTGO:
Donnerstag: 14:00 Uhr bis 19:00 Uhr
Sonntag: 14:00 Uhr bis 17:00 Uhr

Hinweise
OTGO ist der Künstlername von Otgonbayar Ershuu, der hier arbeitet und ausstellt.

Erste Ausstellung von OTGO

Eine der ersten Ausstellungen dieser Galerie unter dem Motto "Bull and Horse composition" handelte neben nachgeordneten Stieren vor allem von Pferden. Dem Betrachter eröffnete sich eine tierische Präsentation, die vitale Gelassenheit zeigte, hochstrebende Kraft und unschamhaft dargetane Leibespotenz. Urheber war der Maler Chadraabal Adiyabazar (geb. 1979) aus Dsuunmod, dem Zentrum des Töv-Aimaks am Nordrand der Wüstensteppe Gobi. Mit seiner Leidenschaft für beide Tierarten steht Chadraabal nicht allein. Bereits in der mongolischen Literatur aus dem 13. Jahrhundert ist das Pferd eine vielbeschriebene Kreatur, ja es dient als eine Allegorie, die vor etwaiger satirischer Verwendung ziemlich geschützt ist. Über mongolische Pferde macht man einfach keine Witze. Eher sind sie Akteure bewegender Dramen. In der "Geschichte von den zwei Grauschimmelhengsten des Tschingis Khan" (1155, 1162 oder 1167-1227) stehen die Tiere, geworfen von einer schön gebauten und jadeweißen Mutterstute, metaphorisch für benachteiligte und nicht beachtete Untergebene des "ozeangleichen Herrschers". Beide Hengste verlassen deshalb enttäuscht die heimatlichen Weiden. Der eine, der noch zögert, fragt den zum Weggehen fest Entschlossenen:

"Aber sag, wie willst du das Mütterchen
Ermeg Tschagagtschi vergessen,
Die dich getragen und zur Welt gebracht hat?
Bis ihr Rückgrat ermattete, hat sie dich zwölf
Monate getragen,
Hat dich ihre erste gelbe Muttermilch saugen lassen,
Hat dich ihre starke weiße Milch saugen lassen,
Sag nun, wie willst du deine geliebte Mutter
vergessen?"
(Übersetzung Walther Heissig)

Beide Hengste kehren schließlich ihren Ausbruch bereuend aus den Weiten der Steppe zurück - ein Happy End zentralasiatischer Prägung nimmt seinen Lauf. Kaum eine andere nationale Kunst hat das Pferd so vielgestaltig, innig, ja zärtlich dargestellt - wie die mongolische. Es gibt keinen Körperteil - Kopf, Rumpf oder Widerrist - der nicht schon Gegenstand einer ausführlichen rhapsodischen Beschreibung gewesen wäre. Haben doch sogar die Worte "Gefährte" und "Reittier" im Mongolischen einen gemeinsamen Begriff: külüg. Aber zu den pferdischen Rhapsodien kommen auch klare Regeln des Umganges mit den Tieren. In der Überlieferung "Tschingis Khan belehrte Brüder, Söhne und Würdenträger" heißt es mahnend: "Des guten Pferdes Schenkel sollen nicht fett werden" und an anderer Stelle: "Auch ein schnelles Pferd kann ohne Peitsche nicht laufen." (Übersetzung: Walther Heissig) Als Mongolei-Reisender will man das viele poetische Aufheben von Pferden gar nicht recht verstehen - wenn man die Tiere doch stundenlang an der Ujaa neben den Gers (Jurten) angebunden sieht, dem aus zwei Pfählen und einer dazwischen gespannten Leine bestehenden Gerüst. Man lernt: Das mongolische Pferd muss Ausdauer beim Laufen wie beim Stehen und Warten haben, auch wenn es ansonsten als hochbeseeltes Wesen betrachtet wird.

Die Ausstellung "Dröhnende Hufe" - Jedes Tier ein Individuum

Otgonbayar Ershuu bereicherte damals das anfängliche ZURAG-Programm mit seiner Ausstellung miniaturisierter Pferde; ihr Titel: "Dröhnende Hufe". Ganze Herden galoppieren über die Leinwände - jedes Tier ein Individuum. Eine halbe Million Pferde hat er schon gemalt. Und sieht man genau hin, fällt auf: Tatsächlich, da bewegt sich was! Es irrt auch, wer annähme, der Miniaturmaler würde mit seinen Vogelschwärmen ähnlichen Pferdemassen ein bisschen dick auftragen - so dick etwa wie einmal der Südtiroler Fernsehmoderator Markus Josef Lanz (geb. 1969). Der hatte nach einer Mongoleireise seinen Zuschauern mit der Geste eines Landeskundigen einreden wollen, es würden sich in den dortigen Weiten selbst Araten verlaufen. Erstens, ein Arat verläuft sich nicht. Ist einer von ihnen auf einer längeren Heimreise, weiß er etwa: Nach dem dritten großen Flussmäander muss ich vom Ufer wegreiten, bis zum Kleinen Erdfelsen, auf dem nachts die jungen Wölfe winseln, und wenn ich dann am Owoo mit den blauen Stoffstreifen (kultischer Steinhaufen) ankomme, habe ich noch einen halben Tag zu reiten bis zur heimatlichen Talaue. Und zweitens, das Pferd kommt in diesem Land meist in großen Stückzahlen vor. Das hat Otgonbayar Ershuu, obwohl in der Stadt geboren, seit der Kindheit verinnerlicht. In der mongolischen Spielmannsdichtung "Feuer des Zorns" zum Beispiel führen der Pferdehirt Nadmid und seine sechszehn Hilfshirten eine Herde auf Südkurs nach Chengde (vermutlich in die Stadt in der heutigen nordchinesischen Provinz Hebei). In ihrer Obhut befinden sich 800 nicht kastrierte Tiere und 8000 (kastrierte) Wallache.

Der Einwanderer aus Ulaanbaatar erwies sich eines Tages in Berlin als Nomade; er verließ die Galerie ZURAG und zog mit seinen bis dahin gemalten Pferdeherden aus dem wirbligen Kreuzberg acht Kilometer weiter nach Westen in die ruhigere Wilmersdorfer Nassauische Straße. Dort eröffnete er sein Gallery-Studio OTGO, in dem er arbeitet und Besucher empfängt. Unter- und Obergeschoss der neuen Galerie haben eine Grundfläche, die kaum größer ist als das kreisrunde Innere eines normalen Gers. Deshalb stellt der Hausherr gern auch andernorts aus. An Einladungen mangelt es nicht. Im Sommer 2014 zeigte er im Museum Baruther Glashütte in einer Ausstellung einige seiner Bilder, darunter das monumentale Gemälde "HUN - Menschen". Der begeisterte Museumsleiter Dr. Georg Goes schreibt dazu: "Sechseinhalb Meter lang und mehr als zwei Meter hoch ist das farbenprächtige Gemälde. Bei jedem Schritt des Betrachters fängt es an zu flimmern. Die vielen kleinen pixelartigen Punkte beginnen sich zu bewegen. Ganze Flächen und Konturen schieben sich nach vorne, andere treten in den Hintergrund. Erst aus der Nähe wird klar, was hier in Wirklichkeit zu sehen ist: Menschen, Menschen, Menschen, dazwischen hin und wieder Tiere in einem wilden Durcheinander - filigran gemalt in Acryl auf einer Baumwollleinwand."

Mongolisches Pferd
Dieses junge mongolische Pferd soll erstmals an einen Sattel gewöhnt werden. Seine Reaktion ist eindeutig. Foto: © -wn-
Otgonbayar Ershuu brachte mit Fleiß und Talent einen völlig eigenständigen Stil hervor, weswegen er derzeit als der wichtigste zeitgenössische Maler der Mongolei eingestuft wird. Dennoch erinnert sein Schaffen an das Werk des mongolischen Grafikers Baldugiyn (Marsan) Sharav (1869-1939), der im Somon Taishir des südwestmongolischen Gobi-Aimaks geboren wurde. Beide vereint das effektvolle miniaturisiende Herstellen von Bildern mit wenig oder keiner Raumtiefe. Mongol Zurag nennt sich der außergewöhnliche Malereistil, den Baldugiyn Sharav maßgeblich entwickelte. Oft sind auf dessen Bildern Ger-Siedlungen dargestellt. "One day in Mongolia" (Ein Tag in der Mongolei) ist sein berühmtestes Werk, das jeden Aspekt des Lebens von Nomaden auf leicht humoristische Art, aber vollständig und detailgetreu darstellt. Eine wichtige Rolle spielen die Farbe Blau als Symbol für Stabilität, Grün für ewiges Leben, Weiß für ehrsames Nachdenken und Gefühl, Rot für Freude und Gelb für die menschliche Liebe. Beide Maler, deren Geburtsjahre mehr als ein Jahrhundert auseinander liegen, erlebten ihre Reifezeiten völlig unterschiedlich. Baldugiyn Sharav engagierte sich nach der Gründung der Mongolischen Volksrepublik (MVR) am 10. Juli 1921 als Pressezeichner, schuf unter anderem die Motive für die ersten Tugrik-Geldscheine und Briefmarken der mongolischen Post. Bekannt sind seine Illustrationen zur mongolischen Ausgabe des "Robinson Crusoe" von Daniel Defoe (1660?-1731).

Die "Geheime Geschichte der Mongolen" - ein Comic

Eine groß angelegte Buch-Illustration nahm sich Otgonbayar Ershuu vor, indem er aus der "Geheime Geschichte der Mongolen" einen Comic aus rund 3000 Zeichnungen auf 600 Seiten schuf. Es ist die vor etwa 800 Jahren verfasste Geschichte Tschings Khans und des mongolischen Staatswesens, die mit den archaischen Sätzen beginnt: "Einst lebte ein blaugrauer Wolf, geboren mit Vorherbestimmung vom Himmel oben. Seine Gattin war eine falbe Hirschkuh. Sie kamen über den Tenggis-See. Als sie an der Quelle des Onan-Flusses, am Berge Burqan Qaldun, ihr Lager aufgeschlagen hatten, wurde (der Sohn) Bataciqan geboren." (Übersetzung Manfred Taube) Vom bislang größten Reich der Weltgeschichte, das an diesem Lagerplatz seinen historischen Ausgang genommen haben soll, blieben die heutige Mongolei und das nordchinesische Autonome Gebiet Innere Mongolei übrig. Anfang des 19. Jahrhunderts war der russische Sinologe Nikita Jakowlewitsch (Hyacinth) Bitschurin (1777-1853) nicht wenig erstaunt, in der Mongolei kein kriegerisches Reitervolk mehr anzutreffen. "Gegen Fremde sind sie nicht blöde, (sondern) höflich, gefällig, gegen die Ihrigen freundlich." Noch mehr beeindruckten ihn gesetzlichen Regelungen wie die: "Wer einem Reisenden kein Nachtlager gewährt, und ihn erfrieren lässt, der soll um neun Stück Vieh gestraft werden".

Maler Otgonbayer Ershuu M.A.
Der mongolische Maler Otgonbayar Ershuu M.A. in seiner Galerie in Berlin (Aufnahme Herbst 2014) - Foto: © -wn-

Eine weitere Abteilung im Schaffen des mongolischen Galeristen und Malers nimmt die buddhistische Thangkamalerei ein. Das sind auf Baumwollleinwänden gefertigte Darstellungen lamaistischer Götter, die eindeutig von dieser Welt sind; in Pose und Ausdruck zwischen innerer Einkehr und Lebenslust gelegen - schrullig-lebensvolle Typen, mit denen man im Sommer gern eine Schale alkoholhaltigen Airag (Kumys) oder auch gebutterten grünen Salz-Milchtee (suutei zai) trinken würde. Die auf Reisen durch die Mongolei furchtlos die dargebotene Airag- oder Tee-Schale ergreifen - solche oft mongolophilen und von der Hinneigung zu zentralasiatischen Fernen beseelten Deutschen sowie Mitglieder der Berliner kopfstarken mongolischen Community treffen bei verschiedenen Anlässen auch in der Wilmersdorfer Galerie zusammen. Solche Zuläufe nach Deutschland speziell von Menschen aus der Mongolei sind keineswegs neu. Sie gibt es spätesten seit Beginn des 20. Jahrhunderts. Otgonbayar Ershuu steht in einer langen Reihe von meist jungen Mongolen, die sich in Deutschland zur Ausbildung aufhielten. In den 20er Jahren lernten rund 50 junge Mongolen in der Freien Schulgemeinde Wickersdorf, einer Thüringer Reformschule, unter ihnen der spätere Begründer der modernen mongolischen Literatur Daschdordschijn Natsagdordsch (1906-1937). "Mit Kostbarkeiten im Gürtel" (ein um den Deel getragenes Schärpen-Band mit Taschenfunktion) kehrte er heim, heißt es in einem vom Schriftsteller Paul Wiens (1922-1982) übersetzten Gedicht Daschdordschijn Natsagdordschs. In den DDR-Jahren studierten rund 25000 Mongolen an Hoch- und Fachschulen - unter ihnen der 1943 im Altai geborene, heute in Ulan-Bator lebende tuwinisch-mongolische Autor Galsan Tschinag. Sein Germanistik-Studium in Leipzig (1963‒66) beendete er aufgrund von Fleiß und Hingabe mit dem Abschluss "summa cum laude". Der Autor, der vorwiegend in deutscher Sprache schreibt und sich neuerdings als Schamane begreift, tritt in diversen deutschen Talk-Shows im prächtigen Deel als ein an Jesus Christus erinnernder Wunderheiler und Handaufleger in Erscheinung. Jesus war aber bekanntlich kein Schamane; und er hatte ohne eine zur Schau gestellte Trance einen hinreichenden Draht zum Vater oben im Himmel. Auch dem echten mongolischen Schamanen ist es nicht darum zu tun bestaunt und beklatscht zu werden. Er hat dafür gar keine Zeit. Die mongolischen Geister wollen - wenn er dann die große Trommel zu schlagen beginnt - aufwendig und lange angerufen werden, bevor es dem Schamanen so erscheinen kann, als antworteten sie. Da kann er nicht ständig auf die Zuschauer schielen. Echter Schamanismus ist und bleibt eine ehrliche, harte Arbeit.

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