Homosexuellen Denkmal in Berlin

Text: -wn- (Journalist aus Berlin) / Letzte Aktualisierung: 19.04.2023

Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen
Das Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen im östlichen Teil des Tiergartens in Berlin (Herbst 2015) - Foto © -wn-

Das Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen / Dieses MUSS der ganzen Welt

Ortsfremde rätseln. Wenn sie aus dem Inneren des Berliner Tiergartens kommen und dem östlichen Waldrand an der Ebertstraße zustreben - dann erhebt sich oft die Frage: Was ist denn das hier? Auf der anderen Straßenseite sehen sie durch die Bäume schon den Südrand des großflächigen Denkmals für die ermordeten Juden Europas. Aber hier - noch diesseits im lockeren Wald - schiebt sich plötzlich ein übermannshoher Betonkoloss ins Blickfeld, man könnte sagen: ein kompakter Kleingigant. Bei dem scheinbar nicht ins waldige Weichbild passenden Betonklotz handelt es sich um das 2008 eingeweihte Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen. Auf den ersten Blick macht es den Eindruck, als sei es eine stehen gelassene Verteidigungsbatterie aus dem Zweiten Weltkrieg. Bei genauem Hinsehen fällt auf: Ein regelmäßiger Quader ist der Koloss nicht. An der Vorderfront ist er oben breiter als unten, und er neigt sich leicht zur Seite.
Das quaderähnliche Gebilde ist also derjenigen Opfergruppe gewidmet, deren Schicksal in Hitlerdeutschland heute bisher wenig beachtet wurde. Schöpfer des unmaßigen Denkmals sind die Architekten und Designer Michael Elmgreen aus Kopenhagen (geb.1961) und Ingar Dragset aus Trondheim (geb. 1961). Ihr Werk weist in eine düstere Vergangenheit. Im Jahre 1934 tritt der Münchner Kriminologe Prof. Edmund Mezger (1883-1962) mit dem neuartigen Begriff "Volksaufartung" hervor. Er fordert, durch "Eliminierung volks- und rasseschädlicher Bestandteile und durch Ausmerzung ungeeigneter Elemente die rassenmäßige Zusammensetzung des Volkes zu heben". Er zielt auch auf homosexuelle Männer. Adolf Hitler (1889-1945) hatte sich in seinem 1925 erstmals erschienenen Pamphlet "Mein Kampf, Band eins" zur Liebe zwischen Männern noch nicht offen erklärt und geschrieben: "Der Junge, der in Sport und Turnen zu einer eisernen Abhärtung gebracht wird, unterliegt dem Bedürfnis sinnlicher Befriedigungen weniger als der ausschließlich mit geistiger Kost gefütterte Stubenhocker. Eine vernünftige Erziehung ... darf ferner nicht aus dem Auge verlieren, dass die Erwartungen des gesunden jungen Mannes von der Frau andere sein werden als die eines vorzeitig verdorbenen Schwächlings." Hitler und seine Anhänger hielten Homosexualität für eine erworbene Eigenschaft, später auch für eine "widernatürliche Veranlagung". Schon wenige Monate nach der nationalsozialistischen Machtergreifung wurden im März 1933 der deutschen Homosexuellenbewegung alle Grundlagen entzogen, Lokale, Vereine und Verlage wurden geschlossen, Zeitschriften verboten. Im Herbst 1934 setzt die systematische Verfolgung homosexueller Männer ein. Die Namen von über 100000 geraten auf polizeiliche "Rosa Listen". Rund 50000 Männer, gegen die man Spitzenberichte ins Feld führt, werden nach dem seit 1872 geltenden Strafrechtsparagrafen 175 zu Haftstrafen verurteilt. Der "175er" stellt "sexuelle Handlungen zwischen Personen männlichen Geschlechts" unter Strafe. Etwa 10000 schwule Männer werden in Konzentrationslager verschleppt, annähernd 5000 dort zu Tode geschunden.

Homosexuellen Denkmal in Berlin 2008
Das Denkmal im Jahr 2008 - Foto © -wn-

Drei faschistoide Anschläge auf das Denkmal

Neben der Darstellung der historischen Dimension will das Denkmal auch auf heutiges Tun und Lassen und darauf hinwirken, dass nun endlich andere, nicht weniger wertvolle menschliche Beziehungen - darunter die homosexuellen - durchweg anerkannt werden müssen. Dieses MUSS schickt das Denkmal der ganzen Welt. Um das Anliegen augenscheinlicher zu machen, haben seine Schöpfer an der vorderen Seite ein quadratisches Fensterchen eingelassen, dessen nach innen schräg gestellte linke Seite den Blick des Herangetretenen nachgerade in das Denkmal hineinführen will. Man schaut wie in einen Guckkasten. Was dort auf einer Endlosschleife vorgeführt wird, ist nichts, was nicht auch zur Berliner Straßenszene gehört: Zwei Männer küssen sich. Nicht aufregend, aber als Hineingucker wähnt man in diesem Moment, ein Voyeur zu sein. Lernen lässt sich, sofern nicht schon bekannt: Küsse von Mann zu Mann sind offenbar dieselben tief gefühlten und auf Weiteres zielenden oralen Körperkontakte wie bei den - sogenannten normalen - Heteros auch. Für das Ausbringen launiger Gedanken zum Thema gleichgeschlechtliches Küssen im Freien besteht allerdings wenig Anlass. Das zeigen drei faschistoide Anschläge auf die Sichtscheibe des Denkmals in letzter Zeit. Die Schandtaten erinnern daran, dass es in der öffentlichen Wahrnehmung sexueller Ausprägungen immer noch aggressiv Verblendete gibt. Selbst unter den Bedingungen einer im bürgerlichen Rechtsstaat weitgehend erreichten Gleichstellung von Lesben bzw. Schwulen und Heterosexuellen weist die öffentliche Meinung den gleichgeschlechtlich Liebenden oft genug noch eine Außenseiterrolle zu. Das war auch in der DDR der Fall, wo der Paragraph 175 im Jahre 1987 gestrichen wurde, in der BRD (alt) sieben Jahre später. Besonders ab 1986 gibt es in der DDR Versuche, auf die Feindseligkeiten gegenüber gleichgeschlechtlich Liebenden aufklärerischen Einfluss zu nehmen. Am 26. April geht die Philosophin und Ethikerin Helga E. Hörz (geb. 1935) in einem überraschenden Interview mit der "Berliner Zeitung" in die Offensive und erklärt: "...obwohl in der sozialistischen Gesellschaft ... vor allem auf die Partnerschaftsbeziehungen zwischen Frau und Mann orientiert wird, in der sich das natürliche Bedürfnis des Menschen, sich fortzupflanzen und in seinen Kindern ein Stück Selbstverwirklichung zu finden ... muss die Diskriminierung anderer sexueller Varianten, die die Würde und Integrität der Persönlichkeit nicht verletzen, abgelehnt werden. Aus dieser Sicht darf auch die Homosexualität nicht als ein Problem gesonderter Art betrachtet, sondern muss ... wie andere Partnerbeziehungen akzeptiert ... werden." Die neue, besonders aus politischen Nützlichkeitserwägungen entstandene "Einsicht" war nach unten durchgestellt: Denn wenige Tage später, am 8. Mai 1986, dem Tag der Befreiung vom Faschismus, werden, wie die Presse ankündigte, (erstmals) "zu Ehren der homosexuellen Opfer des Faschismus ... in der Mahn- und Gedenkstätte Oranienburg/Sachsenhausen Kränze niedergelegt".
Der Streit darüber, ob dem homosexuellen und lesbischen Verlangen nach "erwiderter Liebe" (Guido Westerwelle) Alltäglichkeit zugebilligt werden kann oder nicht, durchzieht die Geschichte. Oftmals geht es dabei sogar heiter zu. Der griechische Dichter Lukian (120-180 n.Chr.) greift das Thema in den "Göttergesprächen" auf. Er lässt die Zeus-Gattin Hera kräftig vom Leder ziehen angesichts der Liebeleien ihres Mannes mit dem jungen Mundschenk Ganymed, den er sich extra von der Erde mit nach oben nahm. Hera keift: "Seitdem du dieses phrygische Bürschchen vom (kretischen) Idaberg entführt und hierher gebracht hast, bist du weniger aufmerksam gegen mich." Vor aller Augen würde er, Zeus, beim Gelage den Ganymed küssen, "und dieser Kuss schmeckt dir besser als der Nektar, so dass du oft, ohne Durst zu haben, zu trinken verlangst". Drastischer äußert sich der für seine lebhaften Satiren bekannte römische Dichter Gaius Valerius Catullus (84 v.Chr. - um 54 v.Chr.). Den Schriftsteller Publius Ovidius (Ovid) Naso (1. Jahrhundert v. Chr.) verspottet er: "Naso, ein großer Mann bis du gewiss. Doch meidet dich halt, wer wirklich groß. Du bist groß - hintenrum, Schwulen zur Lust." Ernsthaftere, dennoch strittigere Töne schlägt der österreichische Nervenarzt Sigmund Freud (1856-1939) an. Er sieht in der gleichgeschlechtlich Liebe ein homophiles Krankheitsbild und meint, es sei bedeutungsvoll, "wenn wir ... gemahnt werden, gerade der homosexuellen Wunschphantasie eine innigere, vielleicht eine konstante Beziehung zur Krankheitsform (der Paranoia) zuzusprechen".

Blick ins Denkmal
Blick ins Innere des Denkmals: Auf einer Endlosschleife küssen sich zwei Männer (2015) - Foto © -wn-

Magnus Hirschfeld: Homosexualität ist keine Krankheit

Als ein empathischer Neuerer und Befreier auf dem Gebiet der Sexualpolitik tritt der deutsche Arzt und Mitbegründer der ersten Homosexuellen-Bewegung Magnus Hirschfeld (1868-1935) auf den Plan. Mit seiner bereits 1896 erschienenen Arbeit "Wie erklärt sich die Liebe der Männer und Frauen zu Personen des eigenen Geschlechts?" wendet er sich vehement gegen gesellschaftliche Diskriminierung von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transsexuellen sowie queeren (von der Norm abweichenden) Personen. So ist für ihn Homosexualität keine Krankheit. Er meinte sogar, man dürfe eigentlich "wissenschaftlich ... gar nicht von Mann und Weib sprechen, sondern nur von Menschen, die größtenteils männlich oder größtenteils weiblich sind".

Gnadenlos zeigt sich hingegen die christliche Bibel; selbst die Autoren des Neuen Testaments, dem man größere Lebensnähe zubilligt als dem alten, sind unfähig, normale Liebesbeziehungen zweier Männer oder zweier Frauen zu akzeptieren. Im Gegenteil: Es wird kräftig kriminalisiert. In den Briefen des Religionsgründers Paulus (gest. 60 od. 62 n.Chr.) werden gleichgeschlechtliche Beziehung in einen Zusammenhang gebracht mit Unzucht, Knabenschändung (1. Korinther 6,9) oder allgemein mit "schändlichen Leidenschaften" (Römer 1,26f.). Der führenden Apostel fühlte sich vom alttestamentarischen Gott unterstützt, den der britische Evolutionsbiologe Clinton Richard Dawkins (geb.1941) einen "der unangenehmsten Charaktere der Literaturgeschichte" nennt. Gottvater sei "eifersüchtig und ungerecht, ein Rassist, Schwulenhasser und Kinderkiller, ein übler Korinthenkacker, Megalomane (Größenwahnsinniger) und ethnischer Säuberer". Nicht verwunderlich, dass sich die Stigmatisierung unschuldiger, darunter christlicher Menschen im Wirken der katholischen Kirche bis in die Gegenwart zieht. Anfang Oktober 2015 wird im Kirchenstaat der polnische Prälat Krzystof Olaf Charamsa (geb. 1972) aus dem Dienst entfernt, weil er sich öffentlich zu einem Lebenspartner bekennt. Diesen Rausschmiss leistet sich der Vatikan, in dessen weltweiten Strukturen es Berichten zufolge nicht nur sorgsam verborgene Homosexualität unter Kirchenmännern, sondern auch pädokriminelle Zölibatäre gibt (zumindest gab), die Jesus' menschenfreundliche Aufforderung an seine Jünger "Lasset die Kindlein zu mir kommen und wehret ihnen nicht ..." (Lukas 18,16) empörend falsch auslegten.

Bekenntnis und Klage eines schwulen Fabrikbeamten

Wie stark, aufrichtig und unabdingbar ein Begehren nach gleichgeschlechtlicher Liebe sein kann, geht aus der verzweifelten Wortmeldung eines 31-jährigen Fabrikbeamten hervor, die der Stuttgarter Verlag Ibidem im Jahre 1909 publiziert: "Ich kann nicht mehr ohne Männerliebe bleiben, ohne eine solche werde ich ewig in Disharmonie mit mir selbst bleiben ... Gäbe es eine Ehe zwischen Männern, so glaube ich, würde ich eine lebenslängliche Gemeinschaft nicht scheuen, welche dagegen mit einem Weibe mir etwas Unmögliches scheint ... Da aber diese Liebe für verbrecherisch gilt, so werde ich zwar durch Befriedigung derselben in Harmonie mit mir selber, nie aber mit der Welt unserer Zeit sein." Anders die Lebenssituation des capre-sischen homosexuellen Mannes namens Tiberios, der seine geschlechtliche Orientierung unbeschwert lebt. Ihn hat der Schriftsteller Otto Julius Bierbaum (1865-1910) im dreibändigen Roman "Prinz Kuckuck" beschrieben, der von 1906 bis 1908 erschien: Tiberios sei gewesen "der natürliche, in sich ganz und gar ungebrochene, selbstsichere, zur Männerliebe geborene Jüngling ohne Weichlichkeit, ohne alle Flauheit und Halbheit (des) Fühlens und Denkens. Es fehlte ihm jede Empfindung dafür, dass es etwas Peinliches, Fatales um seine Veranlagung sei. Er machte gegen niemand ein Hehl daraus, auch nicht gegen die Weiber, die er übrigens keineswegs abstieß, oder von denen er abgestoßen wurde. Die hübschesten Mädchen im Hafen (von Capri) waren sogar verliebt in ihn, und er konnte sie ganz gemütlich bei den Schultern packen und mit ihnen scherzen. Wenn sie aber zärtlich werden wollten, lachte er und rief aus: 'Lasst mich zufrieden!'" Er bittet die Frauen, mit denen er freundlichen Umgang hat "um Bewahrung eures gütigen Wohlwollens", erotische Nähe jedoch ergäbe sich für ihn "beim besten Willen nicht".

Nahe dem Denkmal im Tiergarten hat sich auch derjenige deutsche Autor auf seinem Sockel positioniert, der das Thema der "anderen Erotik" nicht umging - einmal nachgerade auf Heinesche Art: Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832). Denn er lässt den zweiten Teil des "Faust"-Dramas mit einem Griff in die Trickkisten enden: Mephisto, der an Faustens Grab vertragsgemäß dessen Seele übernehmen will, geht plötzlich leer aus. Warum? Weil er sich - das ist Goethes Einfall - in einen der (männlichen) Engel verguckt:
"Dich langer Bursche, dich mag ich am liebsten leiden;
Die Pfaffenmiene will dich gar nicht kleiden,
So sieh mich doch ein weitig lüstern an!
Auch könnt ihr anständig-nackter gehen;
Das lange Faltenhemd ist übersittlich.
Sie wenden sich! - Von hinten anzusehen,
Die Racker sind doch gar zu appetitlich!"


Weil er so hocherregt das Süßholz raspelt, bemerkt er nicht, dass die Engel vor dem Abflug heimlich Faustens Seele mit sich nehmen. - Vielleicht kommt eine Zeit, in der wir uns über eine von Engelärschen entfachte Notgeilheit des Teufels unbefangener als heute amüsieren können.

Wie man zum Denkmal kommt:
Das Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen erreicht man bequem zu Fuß vom Potsdamer Platz aus. Dazu begibt man sich in die Ebertstraße und läuft etwa 450 Meter in Richtung Brandenburger Tor. Das Denkmal ist von der Straße aus zu sehen. In unmittelbarer Nähe des Brandenburger Tores (westliche Seite) befindet sich das weitere 450 Meter entfernte Denkmal für die ermordeten Sinti und Roma Europas. Auf dem Weg dahin passiert man rechts das Denkmal für die ermordeten Juden Europas.
Besuchen Sie auch das Schwule Museum in Kreuzberg!

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