Sowjetisches Ehrenmal Schönholzer Heide

Text: -wn- (Journalist aus Berlin) / Letzte Aktualisierung: 19.04.2023

Sowjetisches Ehrenmal in der Schönholzer Heide
Blick in das Sowjetische Ehrenmal in der Schönholzer Heide. Für die Grundsanierung der Anlage in den Jahren 2011/2013 wandte der deutsche Staat über zehn Millionen Euro auf. - Foto: © -wn-

Das Sowjetische Ehrenmal in der Schönholzer Heide (Pankow) wurde 1947 bis 1949 errichtet und hat eine Fläche von 27 500 Quadratmetern.

Sowjetische Ehrenmal in der Schönholzer Heide - Picknick am Pamjatnik

Picknick am Grab - das gibt es in Russland vor allem zu Ostern, wenn die Lebenden ihre verstorbenen Angehörigen aufsuchen und Zeit mit ihnen verbringen. Picknick am Pamjatnik, am Denkmal, in der Nähe von Soldatengräbern - das findet vor allem am Neunten Mai statt, dem Tag des sowjetischen Sieges über Hitlerdeutschland; im heutigen Deutschland etwa am Sowjetischen Ehrenmal in Berlin Treptow oder am Ehrenmal in der Schönholzer Heide mit seinen über 13000 Bestatteten. Das slawisch intendierte Essen verleiht den Arealen aufgrund der hierzulande ungewöhnlichen Sitte zweifellos Exotik.

Doch vorherrschend sind andere Gedanken. Auf dem drei Hektar großen Gelände in Pankow tut sich dem Besucher einer der vielen ernsten Orte auf, an denen mit Blick auf die Geschichte des Homo sapiens zu resümieren ist: Die Verderbnis eines großen Teils der Menschheit nahm über die Jahrhunderte kaum ab. Krieg und seine Opfer waren und sind gegenwärtig. Einzig im Bereich der heutigen bürgerlichen Rechtsstaaten gibt es - geschichtlich einmalig - Standards friedlichen Verhaltens und zumindest Versuche, Interessen immer wieder im Vollzug der Gewaltenteilung und auf der Basis von Verträgen auszugleichen. Aber noch im Jahre 1939, dem Jahr, in dem mit dem deutschen Beschuss der polnischen Westerplatte der Zweite Weltkrieg ausgelöst wurde, hatte der Soziologe Nobert Elias (1897-1990) in seinem berühmten wie umstrittenen Werk "Über den Prozess der Zivilisation" optimistisch "eine deutliche Kurve der Mäßigung und der humanisierenden Affekttransformationen" erkannt. Mit anderen Worten: Die Menschheit sei bis zu diesem Zeitpunkt immer friedlicher geworden - ein Irrtum. Die allererste Enttäuschung über die Menschheit erlebte bereits der jüdisch-christliche Gott. In der Genesis der Bibel (1. Mose, 5) heißt es "dass die Bosheit der Menschen groß war auf der Erde und alles Sinnen und Trachten ihres Herzens immerfort nur böse war, da gereute es ihn, die Menschen ... geschaffen zu haben." Und er reagierte mit einer rigorosen Strafaktion: "Ich will die Menschen, die ich geschaffen habe, vom ganzen Erdboden weg vertilgen ... denn ich bereue es, sie geschaffen zu haben." Aber auch die Sintflut brachte nicht viel anderes als Chaos, Krieg und Katastrophen. Es gab und gibt auf der Erde bis heute eine breite Skala der Gewalt von Menschen gegen Menschen. Unzweifelhaft steht an vorderer Stelle das Auslöschen und das Verrohen jungen Lebens: Verbrechen an Kindern und auch Verbrechen abgerichteter Kinder an anderen. In diese Reihe des Barbarismus gehören ebenso schwerste Verbrechen Erwachsener in Gegenwart unbeteiligter argloser Kinder.

1988/89 produzieren die sowjetischen Filmgesellschaften Mosfilm Moskau und Belarusfilm Minsk einen Antikriegsfilm, für den der weißrussische Schriftsteller und ehemalige Partisan Aliaksandr (Ales) Adamowitsch (1927-1994) die Vorlage lieferte. Regisseur ist Elem Germanowitsch Klimow (1933-2003), der mit seinem 1974 gedrehten Film "Agonia" über den sibirischen Wanderprediger Grigori Jefimowitsch Rasputin (1869-1916) bekannt geworden war. Der weitere Film mit dem aus der biblischen Apokalypse (Offenbarung des Johannes) herrührenden Titel "Komm und sieh" ("Idi i smotri") sollte zeigen, was deutsche Kriegsgräuel aus jungen Menschen, wenn sie sie schon überleben, seelisch machen. - Und so schaut an einem Herbsttag 1988 der unionsbekannte Maskenbildner Waldimir Prokofjewitsch Bolotnikow (geb. 1938) auf den Drehplan und sieht, dass es an der Zeit ist, den damals 16jährigen, zuvor im Moskauer Gebiet gefundenen talentierten Schüler Aleksej Krawtschenko (geb. 1969) zu sich zu rufen, um die besondere Maske zu probieren. An ihr wird - neben der schauspielerischen Leistung des Jungen, der heute ein bekannter Schauspieler ist - im Wesentlichen die Aussage des Filmes abhängen. Die Handlung spielt 1943 in Weißrussland. Aleksej Krawtschenko sitzt an einem Frühherbsttag in der Maske und "wird gealtert". Auf einige Gesichtspartien wird eine Art Gummimilch aufgetragen und später abgetrocknet, so dass hier und da feine Fältchen zum Vorschein kommen. Das Gesicht erhält außerdem ein gedunsenes Aussehen; das Jugendliche im Antlitz schwindet.

Wichtige Infos über das Sowjetische Ehrenmal Schönholzer Heide

Adresse:
Sowjetisches Ehrenmal
Schönholzer Heide
Germanenstr. 17
13156 Berlin

Anfahrt:
Bahn: S1, S2, S25 Bahnhof Schönholz
Bus 155 Ehrenmal Schönholz

Die seelische Verwundung des sowjetischen Jungen Florian

Figur Mutter Heimat
Die traditionelle Figur "Mutter Heimat". Im Sockel zu ihren Füssen liest man: "Nicht vergebens waren der Tod und das vergossene Blut der Sowjethelden / Nicht vergebens der Kummer und die Tränen der Mütter, Witwen und Waisen / Sie rufen zum Kampf für den dauernden Frieden unter den Völkern auf. - Foto: © -wn-

Der Junge Florian, genannt Fljora, den Aleksej Krawtschenko spielt, wird eine seelische Beschädigung unvorstellbaren Ausmaßes erleben und aus der Filmhandlung als ein früh gealterter Heranwachsender herausgehen. Als ein junger Partisan ist er Zeuge von Vernichtungssaktionen der Wehrmacht. Er erlebt, wie die Bewohner eines weißrussischen Dorfes in einer Scheune bei lebendigem Leibe verbrannt werden. Solche Verbrechen sind keineswegs neu in der Geschichte. Man lese die leidenschaftliche Klage des Lyrikers Andreas Gryphius (1616-1664) über die menschlichen Folgen des Dreißigjährigen Krieges (1618-1648): "Threnen des Vatterlandes / Anno 1636" ("Tränen des Vaterlandes") überschreibt er sie und benennt am Schluss besonders die seelischen Schäden: "Doch schweig ich noch von dem was ärger als der Todt. / Was grimmer den die pest / undt glutt undt hungers noth / Das nun der Selen schatz so vielen abgezwungen." So war es im Falle des Jungen Fljora. Im Manuskript heißt es über die letzte Szene: Die Kamera schaut auf Fljora. Sein Gesicht ist ausdruckslos in der Verzerrung versteinert. Er sieht niemanden mehr an, er sieht nur in sich hinein. Dann schießt er auf das im Schmutz liegende Hitlerbild. Trotz der Alterung in der Zeit der Jugend ist der Junge zum Weiterleben bestimmt. Anders als es das Schicksal für jene Russen und Russinnen wollte, die - in mittlerem Alter bis blutjung - ihr Leben verloren und in Deutschland begraben liegen. Zum Beispiel auf dem Areal des Gräberfeldes in der Schönholzer Heide. Unter den Bestatteten sind 7875 der etwa 80000 bei der Schlacht um Berlin im März/April 1945 gefallenen Soldaten der Roten Armee, darunter 120 Frauen sowie 3225 in einem Internierungslager bei Dörnitz umgekommene Kriegsgefangene. Der Tod der Rotarmisten war nicht nur die Folge eines hingebungsvollen Patriotismus und ihres Kampfeswillens. Sie wurden auch Opfer von Terminen. Heutige Militärhistoriker machen geltend, dass die unermesslichen Menschenopfer auf sowjetischer Seite mit rein militärischen Gründen nicht erklärt werden können, sondern mit dem brachialen politischen Druck des Oberbefehlshabers Josef Wissarjonowitsch Stalin (1879 od. 1878-1953) im Moskauer Kreml.

Vom Platz vor dem Obelisken im Zentrum des Ehrenmals sieht die traditionelle russische "Mutter Heimat" auf die Gräber herab. Die vom Bildhauer Iwan Gawrilowitsch Perschudtschew (1915-1987) geschaffene Frau mit geflochtenem Haarkranz und einem gefransten russischen Tuch über den Schultern erinnert an die Pieta der Grafikerin und Bildhauerin Käthe Kollwitz (1867-1945) in der Berliner Neuen Wache. Die rechte Hand der Mutter-Heimat-Figur liegt auf einem Kranz, die linke hält das Tuch, das den vor ihr liegenden toten Soldaten bedeckt. Ihr Blick zeigt Schmerz, aber eher ist es Ernst und jene Entschlossenheit, wie sie in einem gefühlstiefen Liebesgedicht des vorigen Jahrhunderts bekundet - ja verlangt wird. Geschrieben hat es der Schriftsteller Konstantin Michailowitsch Simonow (1915-1979). Es heißt "Wart auf mich" (Schdi menja) und ist ein eindringlicher Appell an die Soldatenfrauen daheim, vom Warten auf den Mann nicht abzulassen, was aber auch heißt, ihn und sein Opfer nicht zu vergessen, denn viele kamen nicht nach Hause. "Warte, wenn vom fernen Ort / dich kein Brief erreicht. / Warte - bis auf Erden nichts / deinem Warten gleicht", heißt es in dem Gedicht, das beim Anlesen zunächst einen propagandistischen Eindruck macht. Bereits im Jahre 1942 schrieb der aus dem ukrainischen Donbass stammende Schriftsteller Dmitrij Borisowitsch Kedrin (1907-1945) im Gegensatz zu diesen patriotischen Tönen ein ziemlich unpathetisches Gedicht über die Rotarmisten. "Der Husar, der sich ins Feuergefecht warf, / schrieb im Biwak Verse. / In den Salons die Schönheiten fesselnd, / war der Husar oftmals ein Dekabrist." (liberal gesinnter junger Adliger) "Den Husaren bist du nicht sehr ähnlich: / in Fellhosen gekleidet / bist du einfach ein Tagelöhner / der Leidensfabrik des Krieges." Der Berliner Autor Gert Loschütz (geb.1946) sieht in den nach Deutschland vorgestoßenen Rotarmisten noch etwas anders: Es seien die "mit Panzern und Panjewagen in die Stadt (Berlin) einrückenden Soldaten der eben noch bei den Seelower Höhen kämpfenden und vor Hass auf alles Deutsche glühenden Sowjetarmee".

Russisches Volksfest am Neunten Mai in Treptow und Pankow

Kommt man am Neunten Mai zum Ehrenmal nach Treptow oder zu dem in der Schönholzer Heide, wird man von Zuständen nichts zu spüren, die mit Hass gegenüber Deutschen beschrieben werden könnten. Mancher mag auch verwundert sein, an diesem Tag keine weihevolle Feierstunde zu erleben, sondern ein innig-fröhliches Fest russischer Familien und deutscher Freunde der reichen russischen Kultur, die nur bedingt mit aktueller Politik etwas zu tun hat. In der DDR - zu Zeiten der nassen deutsch-sowjetischen Bruderküsse auf Mund und Wange - gab es am Tag des Sieges nur eine Losung: "Dank Euch, ihr Sowjetsoldaten!". Die vier Worte stammen aus einer mit deklamatorischen Floskeln überladenen Ode des Dichters Johannes R. Becher (1891-1958). Er skandiert dort: "Wer hat vollbracht all die Taten, / Die uns befreit von der Fron? / Es waren die Sowjetsoldaten, / Die Helden der Sowjetunion. / Dank euch, ihr Sowjetsoldaten, / Euch Helden der Sowjetunion!" Zweifellos sind die Reime formvollendet, aber - wie man sieht, verschweigt der Autor die historische Leistung der westlichen Alliierten ganz und gar - eine schmachvolle "Historizität". Ausgeblendet wird generell auch jener Umstand, der vermutlich einzig im noch heute sehenswerten DEFA-Film "Ich war neunzehn" von Konrad Wolf (1925-1982) einmal zumindest zaghaft anklingt. Der Regisseur und Sohn des deutschen Schriftstellers Friedrich Wolf (1888-1953) vermeidet in dem Film Klischees und hohles Pathos und verschweigt das Thema Vergewaltigung deutscher Frauen nicht: Ein verängstigtes deutsches Mädchen will auf einer sowjetischen Kommandantur übernachten, weil es "lieber mit einem als mit jedem" zu schlafen bereit ist. Zu den strikten Tabus der DDR-Zeit zählen die Vergewaltigungen deutscher Frauen, derer sich Angehörige der Roten Armee schuldig gemacht haben. (Selbst im Frühjahr 1946 geborene Ostdeutsche, die nachweislich russische Väter haben, schwiegen später meist darüber. Solche Kindschaften passten nicht zu den übertriebenen Freundschaftsbekundungen zum "Lande Lenins".)

Wie sich heute aus Dokumenten ergibt, war sich die sowjetische Armeeführung der Gewalt von Rotarmisten gegen deutsche Zivilisten, besonders gegen Frauen und Mädchen, bewusst. Der Chef der Politischen Verwaltung der 2. Belorussischen Front, Generalleutnant Andrej Dmitrijewitsch Okorokow (1905-1979) beklagte im Frühjahr 1945 den "politisch-moralischen Zustand der sowjetischen Truppen auf dem Territorium des Gegners". Die Vergewaltiger einschließlich der Plünderer verlören "das Gesicht eines Kämpfers der Roten Armee, halten nach leichter Beute Ausschau, streben nach leichtfertiger Lebensweise. Zuerst vergewaltigen sie eine Deutsche und dann eine Polin. Der Offizier befiehlt (in einem Fall), damit aufzuhören, und der Soldat zieht die Pistole und erschießt den Offizier." Es habe ferner Fälle gegeben, "da waren alle Fahrzeuge einer Einheit mit Seidenstoffen, Tischdecken und anderem Plunder vollgestopft, und die transportierte Munition reichte nur noch für eine halbe Gefechtsladung". Der Krieg sei noch nicht zu Ende, "aber vielen führenden Offizieren steht der Sinn nur nach Klamotten", kritisierte Generalleutnant Okorokow.

Der streitbare Literaturkritiker polnischer Herkunft Marcel Reich-Ranicki (1920-2013) setzte sich einmal mutig der unzutreffenden Unterstellung aus, er würde das Vergewaltigen von Frauen und Mädchen in dieser Zeit relativieren. Denn er erklärte: "Wer ... meinen sollte, dass eine jede an einer wehrlosen Frau begangene Untat besonders grausam sei, der muss daran erinnert werden, dass jene Deutschen, die die Ermordung von Millionen Juden geplant, angeordnet, organisiert und durchgeführt haben, keine Rücksicht auf das Geschlecht der Opfer nahmen." Und er erinnerte daran, "wie Deutsche jüdischen Müttern - bitte lesen Sie weiter! (schreibt Marcel Reich-Ranicki) - ihre kleinen Kinder entrissen und deren Schädel an Häusermauern zerschmetterten..." Der kämpferische Weltweise wollte sagen: Die Brutalisierung während des Krieges war allgegenwärtig.

Der deutsche Slawist und Herausgeber russischer Gegenwartsliteratur Fritz Mierau (geb. 1934) schrieb 2005 in der Zeitschrift "Sinn und Form" - so als wollte er Russlandreisende auf slawische Leidenschaften vorbereiten: "Während im Westen selbst in nahen freundschaftlichen Beziehungen gewisse Formen der Distanz gewahrt werden, ist diese Grenze in Russland weit gesteckt. Das führt zu beträchtlichen Schwierigkeiten im persönlichen Umgang. Bei den Russen muss man sich ergeben können." Er hat Recht. Wenn wir Heutigen auch im Verhältnis zu den toten Russen in deutscher Erde zu einer ähnlichen Nähe herausgefordert werden, sollte man "sich ergeben" und das Gefühl von Dankbarkeit nicht verdrängen. Distanz wird dennoch bleiben beim Besuch der Ehrenmale, weil wir restlos alle Opfer des Krieges und der Gewalt im Blick haben und nicht in die Fußstapfen des Ruhmverkünders Johannes R. Becher treten wollen. Es gibt noch weitere Sowjetische Ehrenmale in Berlin.
Zum Beispiel das Sowjetische Ehrenmal in Treptow im Treptower Park.

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Sehenswürdigkeiten in Berlin: