St.-Matthäus-Kirche in Berlin Tiergarten

Text: -wn- (Journalist aus Berlin) / Letzte Aktualisierung: 19.04.2023

Die St.-Matthäus-Kirche in Berlin Tiergarten
Matthäuskirche auf dem Matthiäkirchplatz südlich des Tiergartens - Foto: © -wn-

Die St.-Matthäuskirche wurde 1844/45 erbaut und am 17.05.1846 eingeweiht. Im Zweiten Weltkrieg wurde die Kirche stark beschädigt und 1956 - 1960 wieder aufgebaut. Seit 1988 gehört die Kirche zum Kulturforum.

Die Matthäuskirche in Berlin Tiergarten - Kyrie-Ruf und Halleluja-Lust

"Nomen est omen" - ein Spruch der alten Lateiner; sie drückten damit die Erwartung aus, dass ein Name sinnfällig auf die benannte Sache hindeuten soll. Manchmal scheint es anders zu sein: Im Jahre 1846 bekommt am Südrand des Berliner Tiergartens eine neuerbaute Kirche den auf den ersten Blick wenig zutreffenden Namen eines Jüngers aus der zwölfköpfigen jesuanischen Apostel-Crew, den Namen eines Menschen, den man heute den von Grundsicherung lebenden, "bildungsfernen Schichten" zurechnen würde. Die Rede ist vom armen Zöllner Levi vom Nordufer des galiläischen Sees Genezareth, der sich später Matthäus nennt. Jesus holte ihn mit dem Satz "Folge mir!" direkt vom Arbeitsplatz weg in sein Menschenfischer-Team. Der Abgeworbene ist Autor eines nach ihm benannten neutestamentlichen Evangeliums - zusätzlich weltweit bekannt geworden durch Bachs Matthäus-Passion. Der Name des Apostel Paulus, der den Zwölfen nicht direkt angehörte, hätte den Kirchenneubau - so gesehen - besser bezeichnet. Paulus kam nämlich aus "gutem Hause". Und aus solchen Häusern kamen auch die Kirchgänger der neuen Matthäuskirche, deren Standort man das Geheimratsviertel nannte. Die Kirche des armen Matthäus stand in einem Gelände der "besseren Verhältnisse". Das Viertel war eine Gegend, "wo prunkende Villen den Stadtpark (den heutigen Tiergarten) säumen und luxuriöse Gärten hinter hohen Goldgittern eine Idylle inmitten der Prosa endloser Steinwüste zaubern!" vermeldet ein zeitgenössischer Bericht. Der Schriftsteller und Ägyptologe Georg Moritz Ebers (1837-1898) wohnte hier in der Lennèstraße, und er bestätigt, dass es in diesem Viertel "kein Haus (gab), in dem nicht wenigstens ein Geheimrat zu finden gewesen wäre", unter den Anwohnenden sind auch Wilhelm und Jakob Grimm zu finden. In den "Erinnerungen einer Kellnerin" von Mieze Biedenbach (ein Pseudonym) wird von einer wohltätigen Frau Oberlandesgerichtsrat aus der Matthäikirchstraße berichtet, die "weil sie nichts anderes zu tun hat, sich sehr viel mit der Lösung sozialer Probleme beschäftigt". Sie ist eine eifrige Förderin der "antialkoholistischen Bewegung", bekämpft die Säuglingssterblichkeit, befürwortet die Rechte der unehelichen Mütter und ist die Vorsitzende eines Magdalenenvereins, der sich die Aufgabe gestellt hat, gefallenen Mädchen die Rückkehr in ein geordnetes Leben zu erleichtern.

Infos für Ihren Besuch

Adresse:
St. Matthäus-Kirche
Matthäikirchplatz
10785 Berlin
Tel: 030/ 26 21 202

Anfahrt:
Die Matthäuskirche auf dem Matthiäkirchplatz ist vom Potsdamer Platz aus bequem zu Fuß zu erreichen.
S-Bahn: S+U Potsdamer Platz Bhf: S1, S2, S25
U-Bahn: S+U Potsdamer Platz Bhf: U2
Bus: S+U Potsdamer Platz Bhf: 200, M48, M85

Öffnungszeiten der St.-Matthäus-Kirche:

Dientag - Sonntag: 11:00 Uhr - 18:00 Uhr

Gottesdienste:
Dienstag - Sonntag 12:30 Uhr (Mittagsandacht)
Sonntag 18:00 Uhr (hORA-Gottesdienst)

Kunstwerke in der St.-Matthäus-Kirche:

Zu sehen sind u.a. der "Christuskopf" von Gerhard Marcks, Glasfenster von Sigmund Hahn und die Bibelinterpretationen von Gisela Breitling.

Die St.-Matthäus-Kirche ist eine der weniger bekannten Sehenswürdigkeiten in Berlin. Aber wer schon mal im Tiergarten ist, sollte sich auch dieses Bauwerk mal anschauen.

Die Geschichte der Matthäuskirche in Tiergarten

Viel blieb vom Geheimratsviertel nicht übrig, aber die vom thüringischen Schinkel-Schüler Friedrich August Stüler (1800-1865) gebaute Kirche steht noch, allerdings in neuer Umgebung, auf dem in ihrer Nähe entstandenen Kulturforum zwischen Landwehrkanal und Potsdamer Platz. Seit ihrem Wiederaufbau in den Jahren von 1956 bis 1961 durch den Architekten Paul Emmerich (1876-1958) und dessen Sohn Jürgen (1905-1993) muss sie sich mit der Neuen Nationalgalerie, der Gemäldegalerie, der Philharmonie und, auf der anderen Seite der Potsdamer Straße, mit der Staatsbibliothek ins visuelle Verhältnis setzen. Die dreischiffige und - eine seltene Abweichung von der "heiligen" Ost-West-Linie - mit dem Altar nach Süden ausgerichtete Hallenkirche im Rundbogenstil fällt mit ihrer Backsteinverkleidung, den senkrechten Lisenen und den waagerechten Ziegelstreifen ins Auge. Aus der Luft erwecken die Satteldächer über den drei Kirchenschiffen den Eindruck eines Hamburger Hafenspeichers. Eine weitere Besonderheit ist der in das Nordende des Mittelschiffs gestellte Turm.

Nachdem im Jahre 1843 im Geheimratsviertel ein Verein zum Aufbau einer als dringend notwendig empfundenen neuen Kirche gegründet worden war, kam bei einer Spendensammlung die Summe von 17000 Talern zusammen. Nun ging es um die Bauerlaubnis. Der preußische König Friedrich Wilhelm IV. (1795-1861) erteilte diese nicht nur umgehend am 27. Januar 1844, "er hatte die Gnade, die fehlenden Gelder anzuweisen und (sogar) das Patronat zu übernehmen", heißt es in einer Berliner Kirchengeschichte. Der König, dem bekanntlich mit der Revolution von 1848 noch schwere Jahre bevorstanden, hatte das verständliche Ziel, mehr Ruhe ins preußische Kirchenleben einzubringen. Auf die Nerven ging ihm der unfruchtbare Zank unter den Evangelischen: der Zwist zwischen reformierten oder calvinistischen Christen auf der einen Seite, den unierten Lutheranern und jenen, die sich als Altlutheraner dieser Union verweigerten. "Die Kirchen verknöcherten. Die römische blieb stolz und starr, in der evangelischen herrschte der Buchstabe, und man legte ihn aus, Jeder wie er wollte", schrieb 1861 der Publizist Hermann von Schmettau. Der König wollte Schluss machen mit der unfruchtbaren Selbstbeschäftigung und strebte eine einheitliche, an der Basis tätige preußisch-protestantische Kirche an, eine - wie er es nannte - "Kirche der Apostel" - daher der Name Matthäus für den neuen Bau. Dabei ging es nicht nur um den Verfall der christlichen Sitten, sondern auch um den Verfall bzw. den besorgniserregenden Zustand mancher Kirchen selbst. In der Stadt kursierte zum Beispiel ein Gassenhauer folgenden Inhalts:

Tafel an der Matthäuskirche Berlin
Tafel an der Vorderseite der Kirche - Foto: © -wn-
"Wat ham wa for'n Kirche
bei uns in Tempelhof?
Det Dach, det is mit Stroh jedeckt,
die Mäuse spielen drin Versteck.

Wat ham wa for'n Orjel
bei uns in Tempelhof?
´ne Orjel, die is jarnich da
da spielt einer Mundharmonika."


Um in der neuen Matthäuskirche gleich von Anfang an für ein aktives, also nicht nur kontemplatives Glaubensleben unter den betuchten Schäflein des Viertels zu sorgen, suchte Friedrich Wilhelm unter den Bewerbern den uckermärkischen Pfarrer Karl Albert Ludwig Büchsel (1803-1889) aus. Von diesem wortmächtigen Gottesmann hieß es zwar, er gehöre "nicht zu den oratorisch ... bedeutenden Predigern der Berliner Orthodoxie". Seine rhetorische Anziehung "möchte man vielmehr in der Kühnheit suchen, mit der sich Büschel über die einfachsten kanzelrednerischen und logischen Regeln hinwegsetzt", schreibt der Chronist. Der als "lautere, schlichte, derbe Persönlichkeit" geschilderte Geistliche und seine Hilfsprediger entfalteten ein mit Terminen gespicktes Kirchenleben: Sonntag Gottesdienste um 9.00 Uhr und 15.00 Uhr, Kindergottesdienst um 13.30 Uhr, 17.00 Uhr ein liturgischer Gottesdienst; Freitagabend Bibelstunde und eine Abendandacht am Samstagnachmittag um 17.00 Uhr. Von der Kanzel herunter und später in seinem Buch "Erinnerungen aus dem Leben eines Landgeistlichen" verkündete Pfarrer Büchsel in Richtung derjenigen Gemeindemitglieder, die sich in der Kirche nur deshalb einen Sitzplatz mieteten, damit sie dort öffentlichkeitswirksam ihren Namen anbringen können: "Es gibt solche, die bis an ihr Ende Kyrie Eleison (Herr, erbarme dich), und solche, die (fröhlich) Halleluja singen. Einige essen das Thränenbrot, Andere werden mit Zuckerbrot gespeiset." Pfarrer Büchsel präferierte eine sozialbewußte Basisarbeit, und es hieß, er "wusste aus allen Ständen der Reichshauptstadt eine große Schaar dauernd um seine Kanzel zu sammeln". Vermutlich am Sonntag, den 26. März 1848, predigte er in der überfüllten Kirche vor Soldaten der preußischen Armee - ausgerechnet zum Thema "Die Gefangennahme Jesu im Garten Gethsemane". Bekanntlich hatte Jesus dort zu seinen Häschern gesagt: "Dies ist eure Stunde und die Macht der Finsternis." (Lukas 22,53) Man kann die Themenwahl als vorsichtige Kritik an den Straßenkämpfen vom 18. und 19. März werten, bei denen 270 Barrikadenkämpfer - die sogenannten Märzgefallenen - ums Leben kamen und 183 von ihnen am Mittwoch, den 22. März, nach dem größten Trauerzug in der Berliner Geschichte im Friedrichshain bestattet worden waren.

Nach Krieg und Wiederaufbau wuchs der Matthäuskirche neben Gottesdiensten eine weitere, übers unmittelbar Seelsorgerische hinausgehende Aufgabe zu. Sie erinnert an eine schwärmerische Ahnung Johann Wolfgang von Goethes (1749-1832) in Rom: an eine innige Verbindung von Religion und Kunst. Wie der Italienreisende am 6. Januar 1787 nach einem Besuch des Petersdomes ins Römische Tagebuch schreibt, sei er "im protestantischen Diogenismus so alt geworden, dass mir diese Herrlichkeit mehr nimmt als gibt". Hingegen hörte er von der Orgelempore einer tibernahen protestantischen Kirche eine Pastoralmusik, der "nichts an Klängen abgeht, weder die Schalmeien der Hirten, noch das Zwitschern der Vögel, noch das Blöcken der Schafe". Eine solche Lebensnähe favorisiert ausdrücklich eine Denkschrift der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) aus dem Jahre 2002. Kirchen seien Orte "die das Ohr und den Blick in die Weite führen (und mit) ihren Geschichten und Gesängen über den Tellerrand hinaus (weisen)". Diese beseligende Verbindung von Religiösem und Kulturellem wird in der Matthäuskirche angestrebt. Wahrscheinlich wäre der pantheistisch gesinnte Goethe (der Gott in der Natur sah) ein Kirchgänger geworden, hätte es zu seinen Lebzeiten die heute nun schon jahrelange Aktivität der Berliner Kulturstiftung St. Matthäus gegeben. Sie "fördert durch eigene Projekte und in Kooperationen das nachhaltige Gespräch der Kirche mit Künstlerinnen und Künstlern. Wenn von Dialog die Rede ist, dann im Sinne einer Suchbewegung, die auf Begegnung aus ist, auf Wahrnehmung des Fremden und des Eigenen im Gegenüber zu Bildwerken der Kunst, der Musik und Literatur". Es ist übrigens auch ganz im Sinne des berühmtesten in dieser Kirche ordinierten Pfarrers, des lutherische Theologen und deutschen Patrioten Dr. Dietrich Bonhoeffer (1906-1945). Er erhielt hier während des sonntäglichen Gottesdienstes am 15. November 1931 die kirchlichen Bestätigung der Befähigung zum geistlichen Amt. Das von ihm befürwortete Prinzip von der Diesseitigkeit der Kirche steht im Einklang mit seinem Verlangen nach einem (auch) religionslosen und weltlichen Reden über Gott, die Kirche, den Gottesdienst und das Gebet. Und ebenso seine Sentenz "Kultur ist der Spielraum der Freiheit..." findet in der Kirche St. Matthäi praktische Ausformung. Und was bekommt man - außer Gottes Wort - dort nun zu hören und zu sehen? Eine Vereinigung von Glaube und Musik findet zum Beispiel in der sonntäglichen hORA (Stunde) statt, die Liturgie, Predigt und Musik in Einklang bringt und - wie es heißt - "die Kultur des Glaubens zu den künstlerischen Ausdrucksformen in Beziehung setzt". Ökumenische Vespern und Christliche Bildbetrachtungen geben zusammen mit der Reihe erlesener "Matthäusmusik" dem glaubensorientierten und weltzugewandten Kulturgeschehen die nötige Breite - ein durch und durch lutherischer Anspruch. "Die Musik ist die beste Gottesgabe - und dem Satan sehr verhasst", erklärte der Reformator in einer seiner Tischreden, die 1603 in Jena erschienen. "Ich habe neulich zu Hofe eine harte scharfe Predigt gethan wider das Saufen", sagte er bitter und beklagte heftigst, das dort die "Musica und alles Ritter- und Saitenspiel" nicht mehr ausreichend gepflegt würden. Das hat sich geändert. 2012 zum Beispiel wurde als das evangelische Themenjahr "Reformation und Musik" ausgerufen.

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