St. Marienkirche in Frankfurt / Oder

Text: -wn- (Journalist aus Berlin) / Letzte Aktualisierung: 18.02.2023

Marienkirche in Frankfurt / Oder
Nordseite der St. Marienkirche Frankfurt (Oder) - Foto: © wn

Die Marienkirche in Frankfurt (Oder): Herr Gott ist unbekannt verzogen

Martin Luthers Laudatio auf Gottvertrauen und festen Glauben, der Reformations-Evergreen "Ein feste Burg ist unser Gott" wird in der weit über 750-jährigen Geschichte der Frankfurter Marienkirche im vorigen Jahrhundert von schweren Largo-Seufzern übertönt. Aus der ehemaligen Hauptpfarrkirche am Oberkirchplatz nahe dem Oderufer, deren Bau 1253 begann, zog der Herr Gott aus - weil er musste. Krieg war gekommen, der die Kirche - erstmals in ihrer Geschichte - in Schutt und Asche legte. Luthers Lied, das Heinrich Heine begeistert die "Marseiller Hymne der Reformation" nannte -hier kam es zum Schweigen...
Über die architektonische Formenfülle des heute zum Teil rekonstruierten und vor allem wieder original überdachten Kirchenbaues, den die Stadt Frankfurt für kulturellen Zwecke pachtete, schreibt der Bau- und Kunsthistoriker Ernst Badstübner (geb. 1931) im März 1989 in der Zeitung der DDR-CDU "Neue Zeit": "Ursprünglich war die Kirche eine weiträumige Halle, fünfschiffig das Langhaus... Zwei stattliche Türme an der Westseite deuteten darauf hin, dass mehr als nur eine (einfache) Pfarrkirche für die neu gegründete Stadt (Frankfurt an der Oder) gebaut worden war. Besondere markgräfliche Förderung stellt auch die Verwendung von Backstein unter Beweis, (da) sie ... in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts keine Selbstverständlichkeit (war). Aber Frankfurt gehörte zu den von Markgraf Johann I. (1213-1266) bevorzugten Städten." Trotz der großzügigen Subventionen zog sich die Errichtung des Erstbaues hin. Das bestätigt der theologische Schriftsteller Christian Wilhelm Spieker (1780-1858) in einer 1853 erschienenen Stadtgeschichte: "Mit der Erweiterung der Stadt begann der Bau der Marienkirche. Vollendet und geweiht wurde sie um das Jahr 1325." Von folgenreichen Baumängeln ist später die Rede. "Da plötzlich, am zweiten Pfingstfeiertag (15. Mai) des Jahre 1826, abends halb 8 Uhr, stützte das mürbe Gebäude (des Südturmes) mit einem gewaltigen Krachen zusammen", schreibt Christian Wilhelm Spieker. Niemand wurde verletzt. Frankfurt habe sich daraufhin "zu der Restauration unserer herrlichen Marienkirche" entschieden. Die Stadt beschloss, "dies Prachtwerk ihrer frommen Altvorderen in ihrer ursprünglichen Einfachheit und Größe ... wieder herzustellen". Am 20. Juni 1830 sei "die in neuem Glanze strahlende Kathedrale (wiederum) geweiht" worden. "Sie ist Frankfurts Stolz und schönster Schmuck", lobpreist der Chronist.

Wo sich in der Literatur jemand auf Frankfurt (Oder) zubewegt, wird der Turm der spätgotischen Marienkirche, auch Oberkirche genannt, als erster Blickpunkt der Stadt wahrgenommen und beschrieben. Etwa in Theodor Fontanes (1819-1898) historischem Roman "Vor dem Sturm". Im Kapitel 87 sind der Gutsherr Berndt von Vitzewitz und der preußische Generalmajor von Bamme im Winter 1812/13 auf dem Weg in die Stadt. Über die Gegend, durch die beide Männer fahren, heißt es: "Über das weit nach rechts hin gebreitete Plateau (des Oderbruches) waren zahlreiche Gehöfte ausgestreut, während nach links hin das ganz in der Tiefe liegende, nur von Kropfweiden eingefasste Odertal sich schlängelte. Und in eben dieser Tiefe, keine halbe Stunde mehr von unseren Reisenden entfernt, stieg jetzt auch das Ziel ihrer Fahrt, die Stadt selber herauf, deutlich erkennbar an dem gekupferten Hut der Oberkirche und den vielen goldenen Kugeln, die wie Butterblumenknospen das grüne Spitzdach umstanden." Gutsherr und Generalmajor wollen sich mit Landsturmmännern beraten, wie die in der Dammvorstadt (heute Slubice) nach dem gescheiterten Russlandfeldzug Napoleons verbliebenen französischen Besatzer vertrieben werden können. Seit Tagen erwartet man - so war es im tatsächlichen Geschichtsverlauf - ungeduldig einen Aufruf des zögerlichen preußischen Königs Friedrich Wilhelm III. (1770-1840), mit dessen Signal der Befreiungskrieg gegen die noch bestehende Napoleonische Herrschaft beginnen sollte. Am 17. März 1813 wandte sich der Monarch im Fluchtort Breslau endlich mit dem erwarteten Aufruf "An Mein Volk".

Langhaus Marienkirche in Frankfurt / Oder
Das Langhaus des inzwischen original überdachten und teilweise rekonstruierten Kirchengebäudes - Foto: © wn
Theodor Fontane hatte in Frankfurt auch persönliche Erlebnisse. Wir erfahren von den Abläufen der Gottesdienste in der Marienkirche. Der unermüdliche märkische Rechercheur sammelte in den 70-er Jahren des 19. Jahrhunderts in der Stadt Material für den Band Oderland der "Wanderungen durch die Mark Brandenburg". An einem Sonntagvormittag sitzt er in der Marienkirche, und seinen Notizen ist zu entnehmen, dass es schon zu damaliger Zeit pastorale Verkünder des Evangeliums gab, die aus Gewohnheit oder Unvermögen über die Köpfe ihrer Zuhörer hinwegpredigten. Der Dichter notiert, er habe "eine so schlechte und magere Predigt ... lange nicht gehöret. Denn es war der Vortrag so indiscret (wenig gewinnend), dass (der Pastor) nur lauter bekehrten Christen predigte, deren er wohl (in Wirklichkeit) wenige vor sich haben mochte". Die Kanzelrede sei eine "ausgedörrte" Deutung der christlichen Lehre gewesen, "deren Theile kaum aneinanderhingen". Der Pastor habe überhaupt nicht erkennen lassen, dass er die Leute im Kirchenschiff von der Segnungs-Fähigkeit des Heiligen Geistes überzeugen wollte. Anscheinend war der Mann denjenigen Klerikern ähnlich, von denen der russische Dichter Alexander Nikolajewitsch Radischtschew (1749-1802) schrieb, "das fette Lamm im Topf (sei ihnen) lieber als das Lamm aus der Herde Christi". Theodor Fontane berichtet auch von einem Konzert in St. Marien am selben Sonntag: "In der Oberkirche war eine schöne Musique. Ein Dankfest wurde gefeiert, weil Gott vor etwa 200 Jahren (anno 1565) die Kontagion (Seuche) und Wassers-Noth (Hochwasser) abgewandt (hatte). 2 Paar Pauken, die Trompeten und eine schöne Orgel machten ein gewaltiges Gethöne. Die Leute haben unter der Music die Gewohnheit, dass sie ein Gebet oder sonst etwas lesen, weil, wie einer sagte, sie doch vom Text der Music nichts verständen."
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Die "Pluderhosen-Predigt" in Sankt Marien

Im 16. Jahrhundert löste dagegen eine neue Modewelle in St. Marien heftigste Kanzelreden aus. Der Kulturhistoriker Jacob von Falke bringt in seinem 1858 erschienenen Buch "Die deutsche Trachten- und Modenwelt" einen Vorgang zur Sprache, der sich damals in der Oberkirche zugetragen haben soll. In Rede stand das Tragen der aufgekommenen weiten, knie- bis wadenlangen Überfallhosen, kurz Pluderhosen genannt. Diese Mode zu ächten und zu verbieten, verlangte der Frankfurter evangelische Theologe Andreas Musculus (1514-1581), der hier mit der "Dogmenstrenge eines Großinquisitors" (Fontane) in Erscheinung trat. Jacob von Falke berichtet: "Die Studenten waren es auch, welche den ersten Widerspruch der Frankfurter Geistlichen hervorriefen. Im Jahre 1555 hatte eines sonntags in der Oberkirche zu Frankfurt an der Oder der Diaconus gegen diese Mode gepredigt, und als er am nächsten Sonntag wieder die Kanzel betrat, fand er sich gegenüber an einem Pfeiler ein Paar mächtige Pluderhosen, welche die Studenten dort aufgehängt hatten. Da trat Dr. Andreas Musculus auf und hielt eine gewaltige Rede, welche er später in Druck gab unter dem Titel: "Vom zerluderten, Zucht- und Ehrverwegenen pludrigten Hosenteufel; Vermahnung und Warnung"." Die inkriminierte Hose nennt er "zerlumpt, unverschämt, geflammt und flämisch".

Bald aber bewegt die Bürgerschaft andere Fragen als die, ob man Pluderhosen tragen sollte oder nicht. Die folgenden Jahrhunderte sind kriegserfüllt. 1626 kommt der Dreißigjährige Krieg (1618-1648) in die Stadt. Sie wird von den Schweden erstürmt. In diesen Kriegsjahren verringert sich die Einwohnerschaft von 12000 auf 2360 Menschen. Nahe der Stadt, in Kunersdorf (Kunowice), erlebt Preußenkönig Friedrich II. (1712-1786) am 12. August 1759 seine schwerste Niederlage im Siebenjährigen Krieg (1756 - 1763). Tausende Soldaten bleiben am frühen Abend dieses blutigen sonntags meistenteils unversorgt sterbend oder schon entseelt auf dem Schlachtfeld zurück. Kein Geistlicher lässt sich blicken. Nach dem Ersten Weltkrieg füllt sich die Stadt mit Flüchtlingen aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten.

Marschall Shukow - "Menschliches, Allzumenschliches": Tee und Testosteron

Dann bricht der 16. April 1945 an. Nebel liegt in der noch dunklen Niederung der Oder. Sechs Grad warm ist die Luft. Es kommt zu einem Vorgang, der kaum den Rang eines geschichtlichen Ereignisses hat, aber dennoch des Erwähnens wert ist. Um fünfzehn Minuten vor drei Uhr morgens bestellt der Oberbefehlshaber der 1. Belorussischen Front der Sowjetarmee, Marschall Georgi Konstantinowitsch Shukow (1896-1974), im unterirdischen Befehlsstand am östlichen Oderufer ein Glas schwarzen Tee. Der Tee, hebt der Marschall in seinen "Erinnerungen und Gedanken" so nebenher wie möglich hervor, sei von einem Mädchen gebracht worden, das "auf den für das russische Ohr fremdklingenden Namen Margot" hörte. Die Erwähnung des Mädchens in einem Buch, in dem es sonst nur um Offensiven, Angriffe und Schusssektoren geht, ist merkwürdig. Einigen Aufschluss über Leidenschaften des Marschalls, die über den Genuss von Tee hinausgingen, gibt die russische Schriftstellerin Sonja Margolina (geb. 1951). Mit unverblümten Worten beschreibt sie im Buch "Kaltzeit: Ein Klimaroman", dass "Shukow junge Dolmetscherinnen wie am Fließband vögelte und der ganze Stab es hören konnte". In dem ungezeichneten Beitrag "Shukows Frauen", den die russische Suchmaschine Yandex listet, heißt es, das Liebesleben des erfolgreichen Hitlerbezwingers sei "zweideutig, heftig, verwirrt, glücklich und tragisch" gewesen. Obwohl er später als Kriegsheld in Bronze gegossen wurde, sei er "ein ganz gewöhnlicher Mensch" gewesen.

Nach dem Tee, auf die Sekunde genau um 3.00 Uhr, beginnt zur Überraschung der deutschen Seite ein verheerendes Trommelfeuer auf Frankfurt. Es ist die Eröffnung der Großoffensive gegen Berlin. An zwei Tagen flog das 3. Bomberfliegerkorps der Sowjetischen Luftstreitkräfte 343 Einsätze auf Frankfurt und Beeskow und warf insgesamt 260 Tonnen Bomben ab. Die begonnene "Berliner Operation" gilt als der größte Gegenangriff in der Militärgeschichte. Die Operation, die sich bald auf das östliche Vorfeld der Seelower Höhen verlagerte, hatte eine entscheidende Bedeutung für den Sieg über den Hitlerfaschismus. Frankfurt hatte an diesem Sieg keinen anderen Anteil, als dass die Innenstadt zu 93 Prozent durch sowjetische Bomben zerstört wurde. (Siehe auch den Beitrag "Die Seelower Höhen - Ach, ihr Wege / trostlos, endlos weit")

Kirchenfenster Marienkirche in Frankfurt / Oder
Detail aus einem Kirchenfenster: Die drei Weisen aus dem Morgenland und Maria mit dem Jesuskind - Foto: © wn

Höhepunkt des bisherigen Wiederaufbaues: Die Rückkehr der Chorfenster aus Russland

Zu den zerstörten Gebäuden zählte die Marienkirche. Trotz mehrerer Notsicherungen stürzten stehengebliebene Gebäudeteile ein. Am Abend des 24. April brannte der Turm und fiel Wochen später in sich zusammen. Die zu diesem Zeitpunkt fast 700-jährige Kirche - sie gab es nicht mehr. Seit Ende der 70-er Jahre ist der Wiederaufbau im Gang mit dem Ziel, Teilbereiche zu rekonstruieren, um den Bau im Ganzen für die Nutzung als "Kunstforum" einzurichten. Ab 1980 beginnt die abschnittweise Sicherung und Instandsetzung. 1998 werden die Hauptdächer über Chor und Langhaus rekonstruiert; der 21 Meter hohe Dachstuhl ist der größte Holzdachstuhl, der im 20. Jahrhundert je errichtet wurde. Eine weitere wichtige Maßnahme ist die Instandsetzung des Nordturms mit der Erneuerung der farblichen Fassade der Entstehungszeit. Zum erregend positiven Schicksalsjahr wird 2007: Eingebaut werden die ersten der aus 111 Glasmalereifelder bestehenden Chorfenster, die seit ihrer Rückkehr aus Russland, wohin sie als Beutegut gelangten, aufwändig restauriert worden waren. 2008 kehrten die letzten Fenster in die Oderstadt zurück. Man macht sich keiner Übertreibung schuldig, bezeichnet man die Fenster aus den Jahren 1360 bis 1367 als ein Frankfurter Wunder. Themen sind die Schöpfung und die Erlösung des Menschen. Die eindrucksvollen Fenster wollen glaubensstärkend wirken. Und für den Fall, dass bei einem Schäfchen der Glaube dennoch an Stärke verliert, hält das dritte Fenster eine Warnung vor dem Antichrist bereit. Es ist der Mann, der als falscher Jesus mit kruden Thesen auftritt und die Menschen zu sündhaftem Tun verführen will. Nicht immer wird der Antichrist aber als Popanz ernst genommen. In einem launigen Nachtwächtergedicht des Dichters Franz von Dingelstedt (1814-1881) heißt es: "Lass keiner sich im Schlaf berücken / Vom (vulgo Zeitgeist) Antichrist / Und sollte wen ein Alplein drücken / Dankt Gott, dass es nichts Argres ist / Das Murren, Meistern, Zerr'n und Zanken / Das Träumen tut es freilich nicht / Drum schluckt sie runter, die Gedanken / Bewahrt das Feuer und das Licht!"

Einiges spricht dafür, dass im entwidmeten Kirchenhaus der Geist der Barmherzigkeit noch umgeht. Dass dies von Menschen in Frankfurt zumindest so empfunden wird - dafür sprechen an den Gott der Christen gerichtete schriftliche Fürbitten, die fortlaufend an ein übermannshohes Holzkreuz in einem Seitenraum geheftet werden. Man liest: "Lieber Gott, steh bitte unseren Kindern bei, auf dass sie immer den rechten Weg gehen. Danke dass ich meine schwere Krankheit so gut überstanden habe." "Lieber Gott, ich bitte dich, meinem Vater ewigen Frieden zu geben. ... Im Gedenken an meinen verstorbenen Vater (53)." "Lieber Gott, ich bitte Dich um eine glückliche Partnerschaft und dass es meinem Kind gut geht." Russisch: "Lieber Heiliger Vater, ich bitte Dich, mich gesund zu erhalten und zu segnen. Bitte lass mich klug werden." "Danke für meinen wunderbaren Mann, meinen guten Sohn und vor allem für unser gemeinsames Glück. Lieber Gott, beschütze auch unser noch ungeborenes Kind!"
Unbekannt bleibt, ob den Bittgesuchen entsprochen wurde. Ein Rechtsanspruch auf Erfüllung besteht bekanntlich nicht.

Wie man in Frankfurt (Oder) zur Sankt Marienkirche kommt:

Die Sankt Marienkirche hat die Adresse Oberkirchplatz 1. Vom Marktplatz der Stadt zur Kirche sind es nur wenige Schritte.

Öffnungszeiten der St. Marienkirche Frankfurt / Oder

Die Kirche ist täglich geöffnet

  • 01. Oktober bis 30. April 10:00 Uhr - 16:00 Uhr
  • 01. Mai bis 30. September 10:00 Uhr bis 18:00 Uhr

Führungen in der Marienkirche Frankfurt / Oder

Führungen können mit der Tourist-Information Frankfurt (Oder) in der Karl-Marx-Straße 1 vereinbart werden. Telefon: (0335) 32 52 16

Über Veranstaltungen informiert die Internetseite www.st-marien-ffo.de

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