Der Gülper See bei Rhinow: Touchdowns und Take-offs

"Dumm wie 'ne Saatgans" sei der alte Deichgraf, ist in Theodor Storms Meisternovelle "Der Schimmelreiter" zu lesen - eine ziemlich unerhörte Verbalinjurie. Hoffentlich
Gülper See
Blick auf den Gülper See
Foto © -wn-
dachte Storm selbst nicht so verächtlich über die Saatgans und wusste, dass dieser bemerkenswerte Wildvogel zu den vielen Anpassungs-Wundern der Erdgeschichte zählt, wenn ihm auch keine auffallende Intelligenz nachgesagt werden kann. Betrachten wir ein einziges Saatganspaar: Den ganzen Sommer über fütterte und huderte es auf einer Insel des nordnorwegischen Porsangerfjordes die ausgebrüteten Nachkommen. Nach dem Einsetzen einer genetisch ausgelösten herbstlichen Flugunruhe sind beide Monogamisten in der Lage, mit Kind und Kegel zum 2000 Flugkilometer entfernten Gülper See (Foto) im Nordwesten des Landkreises Havelland aufzubrechen. Nach rechtzeitigem Verlassen der Flughöhe von 9000 Metern legen sie am Ufer des flachen Binnengewässers in einer von polygonen Feldern, mäandernden Fließen und einsamen Fluren geprägten Landschaft einen punktgenauen Touchdown hin. Ein innerer, auf das Erdmagnetfeld und den Sonnenstand reagierender Kompass hilft ihnen dorthin zu navigieren, wofür sie Koordinaten erblich erwarben. Aus diesem Grund sind Zehntausende nordische Wildgänse auf ihrem Weg nach Süden oder auf dem Rückweg nicht nur in der Lage den Gülper See zu finden - im Grunde können sie ihm gar nicht ausweichen. Das seit 1967 unter Naturschutz stehende Binnenwasser inmitten des Naturparks Westhavelland ist einer der größten Rastplätze für mehr als 100000 Wildgänse und rund 1500 Kraniche in Mitteleuropa. Wie von einem unsichtbaren Dispatcher geführt, landen die Flugkolonnen in Abständen am Ufer, machen den nachfolgenden Platz, indem sie auf die Seemitte schwimmen, wo sie die Nacht verbringen. Nachdem sich die Vögel während der nächsten Tage in der Umgebung einige Nahrungsreserven angefressen haben, machen sie sich bald auf die Weiterreise.

Am 660 Hektar großen See, der über den Fluss Rhin mit der Havel verbunden ist, finden die Ankömmlinge aus dem Norden allerdings alles andere als eine Fjordidylle vor. Zehntausende Artgenossen sowie andere wilde Feldgänse vollführen im Herbst und Frühling zeitgleich den touristisch angesagten "Gänseeinfall am Gülper See", dem man auf Wunsch betreut von Naturwacht-Rangern und mit etwas Späher-Glück am südlichen Seeufer beiwohnen kann. Die Ankunft von kleineren Trupps, größeren Scharen oder eines kaum überblickbaren Wildvogelheeres ist immer ein imposantes Schauspiel, das viele mit Kameras, Ferngläsern und Spektiven ausgerüstete Naturfreunde ans Südufer zieht. Das Beobachten dieser Betriebsamkeit und das Belauschen der animalischen Kehlschreie, der das Niedergehen abbremsenden Flügelschläge und das Peitschen des Uferwassers ist möglich auf dem seenahen Weg zwischen der Priezener Bockwindmühle auf der Höhe der Komorankolonie und dem einige Hundert Meter westlich gelegenen ornithologischen Beobachtungsstand. Dieser steht ebenfalls jedermann offen.

Vogelbeobachtung am Gülper See
Vor, während und nach den kopfstarken Ankünften und Abflügen findet am See und im übrigen Naturpark ein betriebsames Standvogelleben statt. Hat man sich - mit einigen ornithologischen Vorkenntnissen ausgerüstet - in das Getriller, Gekrächze und Gezirpe hineingehört, kann man bald etwa den Ruf des unsichtbar bleibenden Wachtelmännchens pickperwick ausmachen. Und während ein Trupp verspäteter Grausgänse mit majestätischem gagaga den Standplatz überfliegt, kommt ein Bekassinen-Männchen in Balzstimmung vorbei, dessen meckerndes, durch Flügelschlag entstehendes Geräusch seiner Art auch die Bezeichnung Himmelsziege einbrachte. Natürlich fehlt Frau Nachtigall nicht. Jeder Versuch ihren zarten, wehklagenden Schlag zu transkribieren muss selbstredend scheitern. Auf blassgelben Beinen und mit einem munteren tiu-tiu stolziert der Flussregenpfeifer durch den Ufersand. Von der Bartmeise im Gebüsch ist nichts zu erfahren; sie hat Futter im Schnabel. Es meldet sich dafür die Rotdrossel. Von ihresgleichen sagen die Ornithologen, sie plaudere und schwätze: jedenfalls klingt es wie tji-dädädä. Hat man dann noch den näselnden Paarungsruf des Rothalstauchers öööö gehört, der seine Intimitäten auf dem schwimmenden Nest ableistet, und sieht in der Luft dem Fischadler dabei zu, wie er mit einer Brasse in seinen schwarzen Krallen lautlos nestwärts fliegt - hat man in einer kurzen Zeitspanne ein munteres Scherzo aus der großen Vogelstimmen-Sinfonie gehört.

Übertönt wird diese Sinfonie vom Lärm der anfliegenden und weiterziehenden Schwärme. Der Aufbruch der Vögel ins Hohe und Weite macht manche Menschen melancholisch, zumindest nachdenklich. Auch in einem Theaterstück Anton Tschechows sinniert die von Fernweh erfasste russische Seele: "… sie fliegen und fliegen, und was für Gedanken auch in ihren Köpfen sich regen mögen, ob hohe oder niedrige - sie werden immer wieder fliegen, ohne zu wissen, warum und wohin."

Der Weg zum Gülper See
Von Berlin aus benutzt man die in nordwestliche Richtung verlaufende Bundesstraße 5. In Friesack biegt man links in die Landstraße L 17 Richtung Rhinow ab. Von dort führt die Straße L 117 nach Prietzen am Gülper See. Der Weg zur Bockwindmühle ist ausgeschildert. Hinter der Mühle beginnt der ornithologische Pfad in Richtung Gülpe. Zahlreiche Schautafeln geben Auskunft über die vorkommenden Vogelarten.
Die Internetseite des Besucherzentrums des Naturparks Westhavelland
www.nabu-westhavelland.de informiert u.a. über geführte Exkursionen im Gebiet des Gülper Sees. Weitergehende Informationen sind auch unter Tel.: 03386 / 21 12 27 abzufragen.
Text: -wn- / Stand: 19.06.2014


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