Neuruppin im Landkreis Ostprignitz-Ruppin

Text: -wn- (Journalist aus Berlin) / Letzte Aktualisierung: 18.02.2023

Pfarrkirche Neuruppin
Die Kulturkirche in Neuruppin - Foto: © -wn-

In der Fontanestadt Neuruppin - Festival der Reiselust, Pitaval des Filzes

Hundert Jahre war Theodor Fontane (1819-1898) schon tot, bis sich seine Geburtsstadt Neuruppin im Landkreis Ostprignitz-Ruppin entschloss, den Zusatz "Fontanestadt" anzunehmen - auch wenn der Dichter nur bis zum siebenten Lebensjahr hier wohnte, später noch einmal während eines Schulbesuches für wenige Monate. Die Abwesenheit Fontanes wird, könnte man meinen, durch die frühklassizistische Stadtarchitektur aufgewogen, besonders durch die strengen, sparsam verzierten zweigeschossigen Wohnhäuser sowie das auf Breite angelegte rechtwinklige Straßennetz. In seinem charakteristischen Weichbild würde einem die unglücklich verheiratete Christine Holk aus dem Roman "Unwiederbringlich" nicht deplaziert vorkommen wie auch nicht die gesellschaftlich geächtete Effi Briest - sofern man beiden hier begegnete. Deshalb war die Stadt mit heute ca. 30 700 Einwohnern durch ihr preußisches Flair mit dem "brausenden Schilderer" märkischer Zustände und Vorgänge verbunden wie der Schriftsteller Klabund ihn einmal nannte.

Die Geschichte von Neuruppin

Das besondere Fluidum hat seinen Grund. Nach dem Großbrand von 1787, der in einem Getreidespeicher ausbrach und bei dem über 400 Häuser, die Pfarrkirche St. Marien und zahlreiche öffentliche Gebäude zu Schutt und Asche wurden, erstand Neuruppin neu als eine noch heute einzigartige Stadtanlage. Diese Renaissance ist einer der wenigen Pluspunkte, die man dem ansonsten verschwenderischen und triebhaften Preußenkönig Friedrich Wilhelm II. (Lüderjahn; 1744-1797) zugute halten kann. Es muss übrigens gerade die Ansehnlichkeit der Stadt gewesen sein, die Kurt Tucholsky (1890-1935) zu einem bemerkenswerten Tagebucheintrag veranlasste. Als er im Winter 1925 im damals von den "Schönen und Reichen" noch nicht überrannten Saint-Tropez an der Côte d'Azur eintraf, wo er durch dunkle Gassen ging, wo, so seine Worte, der Wind den Ort durchheult und sich an den Häuserkanten wundstößt - trug er ins Reisebuch ein: "Bei aller Liebe - aber dann schon lieber Neuruppin." Und bei aller Wertschätzung der Côte d'Azur erscheint einem heute angesichts des Gewühls im inzwischen überlaufenen südfranzösischen Fischerdorf die Fontanestadt als sehnsuchtsvolle Alternative. Zu den Vorzügen der Stadt zählt das weitgehende Ausbleiben jedweder Schickeria.

Klosterkirche Neuruppin
Die Klosterkirche Sankt Trinitatis - Foto © Peter Probst
Im Mai 2010 versammelten sich statt dessen 3500 Literaturfreunde zu den ersten Fontanefestspielen, ein Festival bestehend aus Wanderungen, Schifffahrten und Dichterlesungen sowie aus einem Open-Air, in dessen Verlauf Dialoge aus "Unwiederbringlich" die Form theatralischer Rede und Gegenrede annahmen. Der Schwerpunkt lag aber auf einer Fontaneschen Perspektive, über die sich der Literaturort am Ruppiner See mit der weiten Welt in Verbindung zu bringen wusste - auf Reiseliteratur. Die bulgarisch-stämmige Autorin Sybille Lewitscharoff (54) las aus dem Reiseroman "Apostoloff", eine harte Auseinandersetzung mit den Verhältnissen im heutigen Bulgarien. Diese werden als eine abstoßende Melange aus stalinistischer Architektur, rohen Umgangsformen und sonstigen Zuständen beschrieben, die von den Ergebnissen der Französischen Revolution noch unberührt geblieben sind. Die Russin Natalja Kljutscharjowa (29) nahm die Tradition des russischen Schriftstellers Alexander Nikolajewitsch Radischtschew (1749-1802) auf, der mit seinem Roman "Reise von Petersburg nach Moskau" bekannt wurde. Ihr Text "Endstation Russland" hat eine Tour durch das heutige Russland zum Gegenstand - beschrieben mit einer Rigorosität, die der heiter-ironischen und feinsinnigen Schreib-Art Fontanes freilich nicht sehr nahe kommen konnte. Der Autor Christoph Dieckmann (54) hatte seinen Auftritt mit dem gedankentiefen Buch einer Deutschlandreise "Mich wundert, dass ich fröhlich bin". Der Publizist Landolf Scherzer (69) bot am Lesetisch mit Abenteuern angereicherte Reiseliteratur. Fünf Wochen war er entlang der Grenzen zwischen Ungarn, Kroatien, Serbien und Rumänien gewandert. Sein Buch über den osteuropäischen Umbruch heißt "Immer geradeaus: Zu Fuß durch Europas Osten".

Noch aber fehlt der Neuruppin-Roman, der beleuchtet, warum man die Stadt in jüngster Vergangenheit auch "Märkisches Palermo" oder "Korruppin" nannte. Ein solches Buch könnte nur ein Thriller der Extraklasse sein. Mit inzwischen rechtkräftig verurteilten Finanz-Manipulationen, bandenmäßigen Rauschgiftdelikten, illegalem Glückspiel - kurz mit einer feinmaschig organisierten Kriminalität ging die Stadt in die Geschichte des wiedervereinigten Deutschland ein. Landtagsabgeordnete, andere Mandatsträger, darunter ein Bürgermeister, ein Vorstandsvorsitzender, ein Geschäftsführer, der schließlich den Freitod wählte, versuchten sich - teils mit teils ohne Erfolg - als Wendegewinnler östlicher Sozialisation. Straftatbestände wie Vorteilsnahme im Amt, Untreue und Abgeordnetenbestechung wurden verhandelt; einige Urteile haben Rechtskraft. "Stadt unter Filz" ist ein Artikel über das Wirken alter DDR-Seilschaften in der Fontanestadt überschrieben. Dabei hat das Raffen, Korrumpieren und Veruntreuen in Neuruppin immer schon Mahner auf den Plan gerufen. Allein die beiden Verlage F.W. Bergemann und Johann Bernhard, später Gustav Kühn, die auch die berühmten Neuruppiner Bilderbogen herausgaben, brachten aufklärerische Bücher auf den Markt, die vom "Mammondienst und seinem Lohn" handeln. In einer der Mahnschriften von 1798 heißt es: "Allein der Geiz und die Habsucht der Menschen ist so groß, dass sie zur Erreichung ihrer Wünsche lieber zu unerlaubten Mitteln schreiten, als die gewöhnlichen Wege betreten, wodurch sie ein verhältnismäßiges Glück in der Welt machen können." Obwohl dieses Bestreben bis heute anhält, bleibt zu hoffen, dass es beim nächsten Fontane-Festival zumindest mit dem Pitaval des Filzes - jener Anhäufung von Strafrechtsfällen - ein Ende haben wird.

Regelmäßige Veranstaltungen in Neuruppin:

  • Fontane-Festspiele Neuruppin (alle zwei Jahre)
  • Aequinox-Musiktage (jedes Jahr im März zur Tagundnachtgleiche)
  • Fontane-Rallye (jedes Jahr im Frühling)
  • Mai- und Hafenfest (jedes Jahr am ersten Maiwochenende)
  • Dixietage (jedes Jahr Mitte Juli)
  • Ruppiner Segeltage (jedes Jahr im Juli)
  • Korsofahrt (Bootsumzug, am ersten Samstag im August)
  • Weinfest (jedes Jahr Mitte August)
  • Rudern gegen Krebs (jedes Jahr im September)
  • Martinimarkt mit Pferdemarkt (jedes Jahr Anfang November zum Martinstag)
  • Oldie-Basar (jedes Jahr im November)
  • Weihnachtsmarkt (jedes Jahr zum ersten Advent)

Wie man nach Neuruppin kommt:
Von Berlin aus bieten sich die Autobahnen A114, A10 und A24 an. Von der Abfahrt Neuruppin sind es noch ca. sechs Straßenkilometer bis in die Fontanestadt. Zu empfehlen ist auch das Stadtmuseum in der August-Bebel-Straße 14/15, in dem eine Ausstellung über die berühmten Neuruppiner Bilderbogen zu sehen ist.

Die wichtigsten Fakten über Neuruppin im Landkreis Ostprignitz-Ruppin

  • Fläche:
    305,25 km2
  • Höhe:
    44 m ü. NHN
  • Einwohner:
    ca. 30 700
  • Bevölkerungsdichte:
    101 Einw. / km2
  • Stadtgliederung:
    13 Ortsteile
  • Adresse der Stadtverwaltung:
    Karl-Liebknecht-Str. 33/34
    16816 Neuruppin