Häuser toter Dichter / Die Erwin-Strittmatter-Gedenkstätte "Der Laden"

Wie hieß es noch? Nicht für die Schule - für das Leben lernen wir! Wem wurde dieses aufklärerische Gebot zum Überwinden einer - frei nach Immanuel Kant -
Eingang der Strittmatter Gedenkstätte
Die Erwin-Strittmatter-Gedenkstätte "Der Laden" in Bohsdorf
bei Spremberg. Der Hunt rechts im Bild erinnert an die von
1851 bis 1930 in der Nähe des Dorfes betriebene
Braunkohlengrube Felix. Heute befindet sich dort ein
vielbesuchter Badesee. - Foto: -wn-
unverschuldeten Unmündigkeit der Jugend nicht schon mit erhobenem Zeigefinger nahe gebracht, auch warnend vorgehalten? Wenn sich heute Nachwachsende in Schulbänken Wissen aneignen, wird seit längerem auch kontrovers erörtert, welches denn die erfolgversprechendste Art und Weise ist, dieses Wissen zu erwerben. Das Lernen vollzieht sich entweder nach einem straffen Schul-Lehrplan oder - wie man es etwa von den Waldorfschulen hört - nach kindlichem Gutdünken. An wissenssatten Vorbildern, die ihre Kenntnisse so oder so erwarben - fehlt es zu keiner Zeit. Thomas Mann (1875- 1955) schreibt in seinem 1939 erschienenen Roman "Lotte in Weimar", dem Juristensohn Johann Wolfgang Goethe (1749-1832) sei in der Schulzeit dieses Mahnwort erspart geblieben. Er habe nicht unter "Zwang und systematischer Lernquälerei" leiden, einfach ausgedrückt, nicht pauken müssen. "Nennen wir die Dinge bei Namen", meint im Roman der Goethe-Adlatus Doktor Riemer, "eine eigentliche Schulung hat er (Goethe) seinerzeit nicht erfahren und als Knabe und Jüngling nur weniges gründlich durchgearbeitet".
Sein späterer beeindruckender Wissensstand und die geistige Weite seines Denkens und Fühlens seien "seiner hurtigen Auffassung, seinem festhaltenden Gedächtnis (und) der hohen Lebendigkeit seines Geistes" geschuldet. Johann Wolfgang wird bekanntlich in einem engen Fachwerk-Doppelhaus am Großen Hirschgraben in Frankfurt am Main geboren. Beide Haushälften weichen später einem repräsentativen, viergeschossigen Bau im Stil des Spätbarock. Das neue Haus sei "in ziemlich kurzer Zeit fertig geworden, weil alles wohl überlegt, vorbereitet und für die nötige Geldsumme gesorgt war", liest man in "Dichtung und Wahrheit". Das Haus sei "geräumig genug, durchaus hell und heiter, die Treppe frei, die Vorsäle lustig, und (eine) Aussicht über die Gärten aus mehreren Fenstern bequem zu genießen", heißt es.

Schmuckloser Kotten mit ausgebautem Dachboden, Bäckerei und Laden


Wie anders steht es mit jenem schmucklosen Haus im Landkreis Spree-Neiße am
Strittmatter Gedenkstätte
Blick auf das gesamte 1895 erbaute Gebäude der heutigen
Gedenkstätte. Zu sehen gibt es im Verkaufsraum Teile des
Interieurs der 20er und 30er Jahre. Im angrenzenden Raum,
der einst zur Backstube gehörte, wird eine kleine Ausstellung
zur Familie und zum historischen Umfeld der "Laden"-Trilogie
gezeigt. In einem der Hofgebäude werden wechselnde
Ausstellungen präsentiert. Foto: -wn-
Nordwesthang des Muskauer Faltenbogens, einer flachen eiszeitlichen Endmoräne. In diesem Haus mit Satteldach an der Bohsdorfer Dorfstraße 37 wird ein späterer Kleine-Leute-Dichter zwar nicht hineingeboren, aber er verlebte dort Kindheit und mit Unterbrechung die Jugend: Erwin Strittmatter (1912-1994), den man oft einen ostdeutschen Erzähler nennt, der jedoch ein deutscher Dichter ist, dessen Texte in mehr als vierzig Sprachen übersetzt wurden. Aber im Kotten, in dieser Kate mit ausgebautem Dachboden, mit Bäckerei und Laden, einem kleinen Bauernhof und ein paar Morgen Land geht es ärmlich zu, und deshalb auch nicht besonders heiter und lebensfroh. Die Familie lebt oft am finanziellen Limit. Und doch oder gerade deshalb findet der junge Erwin hier alle - zumindest ihn - inspirierenden Verhältnisse vor, die in ihm den festen und nie mehr revidierten Entschluss reifen lassen: Ich werde Dichter, weil mich das Aufschreiben von Erlebtem und hinzugefügtem Erdachten reizt. Ohne dass er es ausführlich thematisiert hätte, setzt er ausgerechnet in der Bohsdorfer Tristesse auf die Macht der Poesie. Das unscheinbare Haus wird ein Hort, in dem ein junger Mensch lernbereit und kreativ sein Leben angehen will, selbstständig denkend und laut eigenem Bekenntnis nach dem emphatischen Motto des römischen Dichters Horaz (65-8 v.Chr.) Carpe diem! (Nutze den Tag). Vermutlich ahnte er schon seine Begabung für die Wortkunst. Leidenschaft und Schreibdrang sind überreich
Museums-Laden in Bohsdorf
Eines der Regale im Museums-Laden
Foto: -wn-
vorhanden, das spielerische Element wird durch Schreibdisziplin ersetzt. Goethe wirft "Wanderers Nachtlied" mit leichter Hand aufs Blatt. Der Bohsdorfer Jungautor muss anders rangehen. Ihm geht es um "Stilistik, Rhythmus, Sprachzucht, Komposition, Anlage, Wert und Gewicht einzelner Worte", heißt es später rückblickend im Tagebuch. 1926 schreibt er seine erste Geschichte - nicht über Gott und die Welt, sondern über einen Hund. Und so wie in der DDR schreibwütige Leser seiner Geschichten gelegentlich versuchten, den Strittmatter-Stil epigonal nachzuahmen, so steht er damals im Banne der Tier-Erzählungen und meisterhaften Naturschilderungen des Heideschriftstellers Hermann Löns (1866-1914). Erstaunlicherweise ist dem Vierzehnjährigen bereits recht klar, dass er sich zwar von Löns inspirieren lassen kann, er aber nicht so schreiben will wie dieser. In den Erinnerungen heißt es: "Bei einem echten Epigonen hätte diese Hundegeschichte in der Lüneburger Heide spielen müssen. Ich war nie ein zuverlässiger Epigone. Ich schrieb über einen Hund, der uns daheim zugelaufen war. Ich zerbrach mir den Kopf und stellte Vermutungen über die Herkunft dieses Hundes an und schrieb diese Vermutungen an mehreren Winterabenden nieder. An das Oktavheft mit braunem, gemaserten, hartem Deckel erinnere ich mich noch." Die Geschichte erschien ein Jahr später im "Kunstblatt der Jugend", das die Stuttgarter Deutsche-Verlagsgesellschaft herausbrachte. Schreiben und Lernen - das sind die didaktischen Lebensfelder des heranwachsenden Autors. Im zweiten Band seiner Roman-Trilogie "Der Laden" von 1987, in dem das Bohsdorfer Haus zum Gegenstand
Gute Stube der Familie Strittmatter
In der Guten Stube im ersten Stock des Hauses der
Familie Strittmatter - Foto: -wn-
von weltbekannter Literatur wird, erläutert er seine Lernantriebe: "Nach Grodk (sorbisch für das nahe Spremberg) bin ich mehrstenteils geworden, weil mir zu Hause das Gezänk um Geschäfte, Geld und Zinsen das Leben vergällte. Auf die hoche Jungsenschule bin ich raufgemacht, weil es geheißen hat, ich kann dort mehr lernen als bei Rumposchen in Bossdom (der Bohsdorfer Lehrer)." Er wolle gebildet werden, "je schneller ich gebildet werde, desto rischer (rascher) kommt das Leben heran, das ich nach meiner fertiggestellten Bildung führen werde." Im Frühjahr 1947, als er noch einmal für einige Zeit nach Bohsdorf zurückkehrt und Neubauer wird, kommt er ausgerechnet beim Stallausmisten zu einer für ihn wichtigen Erkenntnis. Auswandern oder Weggehen bringt ihn nicht mehr "in Wallung": "Ich lechze nach meinem (noch ungeschriebenen) Werk. Ich muss jetzt hier sein, muss ökonomisch mit meiner Lebenszeit haushalten." Darüber muss sich Walter Ulbricht (1893-1973), der Erfinder des "Bitterfelder Weges", gefreut haben, auf dem Dichter "unseren Menschen" täglich auf die Pelle rücken sollten, um deren heldisch ausgeschmücktes Wirken für den Sozialismus aus
Küchenschrank in der Strittmatter Gedenkstätte
Ein Küchenschrank
Foto: -wn-
nächster Nähe zu beobachten. Obwohl Erwin Strittmatter - wie übrigens auch sein Bruder im Geiste Bertolt Brecht (1898-1956) - viel von der "Weisheit des Volkes" hielten, erhält der Dichter Franz Fühmann (1922-1984) einen Brief Strittmatters, in dem es heißt: "Ich weiß jetzt, was der Bitterfelder Weg ist: Man geht hinaus, sieht sich alles gründlich an, und in Berlin kriegt man mitgeteilt, was man gesehen hat."

Anfahrt - Wie man nach Bohsdorf und nach Schulzenhof kommt:
Bohsdorf erreicht man mit dem Auto von Berlin aus über die Autobahn A13, von der man auf die A15 wechselt und diese bis zur Anschlussstelle Roggosen befährt. Ab da wählt man die Bundesstraße B115 bis Bohsdorf-Vorwerk. Dort biegt man rechts ab in die Bohsdorfer Straße. Nach zweieinhalb Kilometer ist der Ort erreicht. Die Gedenkstätte besitzt einen Parkplatz.
Das Vorwerk Schulzenhof erreicht man von Berlin aus über die Bundesstraße 96, von der man in Gransee auf die Landstraße L222 Richtung Menz/Stechlin wechselt. Zweieinhalb Kilometer vor Menz biegt man links nach Dollgow ein. Am Ende des Dorfes geht rechts der Weg nach Schulzenhof ab.
Text: -wn-

Adresse:
Erwin-Strittmatter-Gedenkstätte "Der Laden" Bohsdorf
Dorfstr. 37
03130 Felixsee
Tel: 035 698/ 221

Öffnungszeiten der Strittmatter-Gedenkstätte:


März - November
Mo - Fr 10 - 17 Uhr
Sa, So Feiertag 10 -12 Uhr und 13 - 17 Uhr

Eintrittspreise Strittmatter Gedenkstätte:


Erwachsene: 2,50 €
Ermäßigt: 0,50 €
(Stand: 12.04.2014)

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