Das Grab von Felix Mendelssohn-Bartholdy

Text: -wn- (Journalist aus Berlin) / Letzte Aktualisierung: 19.04.2023

Gräber der Eltern von Felix Mendelssohn-Bartholdy
Die Gräber der Eltern von Felix Mendelssohn-Bartholdy. Foto © wn

Felix Mendelssohn-Bartholdy - Das Grab, singend, klingend, nachts

Gräber schweigen; doch man hört von Ausnahmen. Am Grab eines Tonsetzers etwa höre man Musik - natürlich nur, wenn man etwas Werkkenntnis besitzt. In den allermeisten Fällen, in denen totales Grabesschweigen herrscht, äußern sich Verstorbene gelegentlich mit vorab verfassten post-mortem-Botschaften. Auf dem Dreifaltigkeits-Friedhof I in Berlin-Kreuzberg gibt es Zustände absoluter und um einige Grade geminderter Totenruhe.

Familiengrab Bartholdy
Das Familiengrab Bartholdy auf dem Dreifaltigkeits-Friedhof I in Berlin-Kreuzberg / Foto: © wn

Hier bittet die verstorbene Schriftstellerin jüdischer Abstammung Rahel Varnhagen von Ense (1771-1833) die Vorübergehenden inständig auf einer im Efeu liegenden Tafel: "Gute Menschen - wenn etwas Gutes für die Menschheit geschieht - dann gedenkt freundlich in Eurer Freude auch meiner." Es ist dieser optimistischen Frau ehrendes Erinnern sicher. Trat sie doch sehr bestimmt für jüdische und Frauen-Emanzipation ein und führte in Berlin einen bekannten literarischen Salon, in dem sich Dichter, Naturforscher, Politiker und andere geistige Hochkaräter über gesellschaftliche Verantwortung und Strategien austauschten. Die Dame, selbst auch von Bildung, hieß damals noch Rahel Levin, und die Zeit der Begegnungen in ihrem Haus in der Mauerstraße 36 wird die Publizistin Hannah Arendt (1906-1975) später das "gesellschaftliche Judenparadies in Preußen" nennen. Sie meint "jene kurze Zeitspanne, da der alte Judenhass wirklich abgetan und der moderne Antisemitismus noch nicht geboren war". Mit dem Preußischen Judenedikt, das König Friedrich Wilhelm III. (1770-1840) 1812 erlässt, werden die in Preußen lebenden Juden Inländer und Staatsbürger. Doch die Entwicklung ist bald rückläufig. Unter dem "romantischen" Nachfolger Friedrich Wilhelm IV. (1795-1861) wird der neue Status wieder infrage gestellt. Juden sind - nur ein Beispiel - von Führungspositionen weitgehend ausgeschlossen. Jedenfalls wird man heute die Bitte Rahel Varnhagen von Enses, wo angebracht, gern erfüllen, auch wenn sich in Deutschland die Dinge für die Juden nicht zum Guten wendeten. Ein "Glück" für die berühmte Saloniere und ihre Gäste - dass sie damals nicht in die Zukunft blicken konnten und die über die europäischen Juden hereinbrechende Shoa nicht ahnten. Zwar liegen aus Grabestiefen keine brauchbaren Nachrichten vor. Wenn nun aber die Einsamkeit, die die frühere Gesellschaftsdame an ihrem letzten Ort umgibt, einer völligen Stille gleichkommen sollte, so hat man sich die Lage am unweit gelegenen, mit einem Eisenzaun bewehrten Grab der Familie Bartholdy wohl anders vorzustellen. Die Anlage kann mit einigem Recht als einer der Mittelpunkte dieses Friedhofes mit seinen meist gepflegten alten Gräbern gelten. Liegt sie doch zudem in Sichtnähe der ehemaligen Kapelle des Totenackers, in der seit einiger Zeit eine Dauerausstellung zur Familiengeschichte der Mendelssohns, und damit auch der Bartholdys, eingerichtet ist. Hier kann der Besucher auch eine Reproduktion der reizvollen Ölskizze des Malers Carl Joseph Begas (1794-1854) betrachten, die den mädchenhaft wirkenden Felix Mendelssohn-Bartholdy zeigt.
Der Zwölfjährige, der mit einem eigensinnigen "Bitte stör mich nicht"-Blick aus dem Bild schaut, komponiert um diese Zeit bereits ausdrucksstarke Tonfolgen.

Eine kollektive Grabanlage der Bartholdys

Sechs Steine stehen hinter dem Gitter der kollektiven Grabanlage, von denen der dritte von rechts auf das Grab des erwähnten Wunderkindes hinweist;

"JACOB LUDWIG FELIX MENDELSSOHN BARTHOLDY
Geboren zu Hamburg am 3. Febr. 1809
Gest. zu Leipzig am 4. Nov. 1847"
liest man auf dem marmornen Kreuz. Man muss schon musikalisch völlig unbedarft sein, um an dieser Grabanlage unter den Linden mit ihren weit ausladenden Geästen nicht ein paar Melodien im Ohr zu haben, die dieser Enkel des deutschen Philosophen Moses Mendelssohn (1729-1786) einst notierte. Zumindest klingt hier auf - und wer kennte ihn nicht! - der feierlich-heitere Hochzeitsmarsch aus der Bühnenmusik zu "Ein Sommernachtstraum" (op. 61). Heinrich Heine (1797/99-1856) nennt den begnadeten Komponisten dieses bis heute populären Werkes "ein musikalisches Wunder und (einen) zweiten Mozart". Der Freund des Gelobten seit frühen Tagen, der Schauspieler, Sänger und Theaterleiter Philipp Eduard Devrient (1801-1877) sieht in ihm eine "sonnenhelle Persönlichkeit". Etwas anders der "Zuchtmeister" unter den Musikkritikern des 19. Jahrhunderts im deutschsprachigen Europa, Eduard Hanslick (1825-1904). Der schränkt ein: "Dass Mendelssohn (später) die Kraft und den Aufschwung Beethovens nicht besitzt, dass seine sanfte, feine Natur manchmal dem Weichlichen verfällt, das wird ebenso wenig jemand leugnen, als damit etwas Neues sagen."

Im Familiengrab liegt ein weiteres musikalisches Talent, die Komponistin der deutschen Romantik, Schwester Fanny Cecilia (1805-1847). Der 38jährige Bruder wird ihr ein halbes Jahr nach ihrem Tod ins Grab folgen. Die Geschwister unterhielten eine herzliche Beziehung. Bruder Felix verhielt sich ihr gegenüber generös, auch weil ihm eine Karriere möglich war - ihr aber, einer Frau, kaum. 1831 schreibt er ihr aus Paris: "Das (Ge)Wissen schlug mir ..., als ich von Deiner neuen Musik las, die Du mit Umsicht zu Vaters Geburtstag dirigirt hast, und als ich mir vorwerfen musste, Dir noch kein einziges Wort über Deine vorige gesagt zu haben, denn ohne das kommst Du bei mir nicht (durch), College!" Mit dem letzten lobenden Wort will er sagen: Du bist mir gleich. Aber er sparte gerade deshalb auch nicht mit Kritik: "Wie (zum) Teufel kannst Du Dich unterfangen, Deine G-Hörner so hoch anzusetzen? Hast Du je ein G-Horn das hohe G nehmen hören, ohne dass es gequackelt hätte?" Er muss nicht befürchten, von ihr missverstanden zu werden. Fanny Cecilia liebt ihn. Links von Felix Mendelssohn-Bartholdy liegt sein jüngstes Kind, der Sohn Felix August Eduard (1843-1851).
Der Knabe starb an den Spätfolgen einer Maser-Erkrankung. Die Mutter, die 1853 in Frankfurt (Main) bestattet wurde, ist die bildschöne hugenottische Französin Cécile aus Lyon. Neben dem Grab von Felix August Eduard befindet sich das der Nichte Felicia Henriette Pauline (1844-1863). Links außen in der Anlage sieht man den niedrigen Grabstein des Landwirts, Unternehmers und Schriftstellers Ludwig Felix Sebastian Hensel (1830-1898). Der Sohn von Schwager Wilhelm Hensel (1794-1861) und der Schwester Fanny Cecilia betrieb im ostpreußischen Großbarthen, dem heutigen russischen Osjornoje im Kalinigrader Gebiet, ein großes Gut. Vater Wilhelm, der in der Anlage die Rechtsaußen-Position inne hat, war Maler, Porträtist - und patriotisch gesinnter Völkerschlacht-Teilnehmer. Theodor Fontane meint anerkennend im Band "Spreeland" der "Wanderungen durch die Mark Brandenburg", er gehöre "ganz zu jener Gruppe märkischer Männer, an deren Spitze, als ausgeprägteste Type, der alte (Bildhauer Johann Gottfried) Schadow stand. Naturen, die man als doppellebig, als eine Verquickung von Derbheit und Schönheit, von Gamaschentum und Faltenwurf, von preußischem Militarismus und klassischem Idealismus ansehen kann. Die Seele griechisch, der Geist altenfritzisch, der Charakter märkisch." Wilhelm Hensel trägt als Maler zur "Geräuschkulisse" des Bartholdy-Grabes bei. Als sein wichtigstes Werk gilt die Ölskizze "Christus vor Pilatus". Die Szene hat nicht nur für den im Garten Gethsemane gefangen gesetzten Jesus Christus (4 v. Chr.-30 oder 31 n.Chr.) existentielle Bedeutung - auch für nachfolgende jüdische Generationen. Pontius Pilatus, der in den Jahren von 26 bis 36 n. Chr. römischer Statthalter in den Provinzen Judäa und Samaria war, verurteilte den Gefangenen, wie überliefert, zum Tode. Wilhelm Hensels Bild zeigt einen Teil des Praetoriums, der Residenz des Statthalters, in dem anwesende Juden von Pilatus lautstark gestikulierend die Kreuzigung Jesu fordern. Dieses Verlangen und seine Begründung führten zu der von Antisemiten gern benutzten Behauptung, die Juden hätten Jesus umgebracht. Ins Feld geführt wird das Neue Testament der Bibel, in dem von zum Prozess gerufenen "Hohenpriestern, Oberen und dem Volk" die Rede ist. Bereits vor Jahren wies der israelische Jurist Chaim Herman Chon (1911-2002) nach, dass eine solche frenetische Forderung vor Pilatus gar nicht erhoben werden konnte. In seinem Buch "Der Prozess und Tod Jesus aus jüdischer Sicht" schreibt Chaim Herman Chon: "dass kein Jude und auch kein anderer Außenstehender bei dem Prozess anwesend gewesen sein (konnte), weil der römische Statthalter ihn in camera (geheim) abhielt und die Öffentlichkeit überhaupt nicht zugelassen war." Lesen Sie auch: Mendelssohn Ausstellung in Berlin auf dem Dreifaltigkeitsfriedhof

Grab von Felix Mendelssohn-Bartholdy
Das Grab des Komponisten Felix Mendelssohn-Bartholdy im Familiengrab / Foto: © wn

Wenn Elfen und Kobolde ihr Spiel beginnen

Doch diese historisch kreuzgefährlichen Misstöne werden auf dem Dreifaltigkeits-Friedhof I übertönt von dem, was der Musikschriftsteller August Friedrich Wilhelm Reissmann (1825-1903) über Felix Mendelssohn-Bartholdys Geniestreich-Ouvertüre zum "Sommernachtsraum" schreibt: "So luftig und leicht, wie die Einleitungs-Accorde der Ouvertüre zum Sommernachtstraum, sind wol noch nie Accorde verbunden, noch nie instrumental dargestellt worden. Sie führen uns sofort ein in das ... aus Duft und Mondenschein gewobene Reich der Phantasie, in welchem Elfen und Kobolde ihren Reigen, ihr neckisches Spiel mit den Sterblichen beginnen." Und das kann man sich eben im Ambiente des Dreifaltigkeits-Friedhof I gut vorstellen, wenn der Abend über die Gräber niedergeht und die letzte Krähen-Gruppe in der Lindespitze sich aufmacht zur abendlichen Krähen-Sammelstell auf dem Dach des nahegelegenen Tempelhofer Flughafengebäudes, von wo die Vögel schließlich die umliegenden Schlafbäume anfliegen. Die Schließzeit des Friedhofs (20.00 Uhr) verhindert, dass man dem Bartholdy-Grab in singendem, klingendem Zustand begegnen kann, eben in der ansteigend euphorischen Stimmung des Sommernachtstraumes. Recht bekannt ist die gleichnamige Komödie von William Shakespeare (1564-1616), von der alles ausgeht und in der die Fee Titania von ihrem Gemahl Oberon zur Strafe für ihren Ungehorsam dazu verdammt wird, sich in das erste lebende Wesen, das sie nach dem Erwachen erblickt, zu verlieben. Und das ist der in einen Esel verwandelte Weber Zettel aus Athen. Und so spielt das Stück in einem verzauberten Wald in der Nähe des sommerlichen antiken Athens. Bereits im Alter von 17 Jahren, also1826, ist Felix Mendelssohn-Bartholdy von dieser Geschichte beeindruckt, und er komponiert die Ouvertüre, die er der 16 Jahre später geschaffenen mehrsätzigen Bühnenmusik zum Sommernachtstraum unverändert voranstellte. Bereits in der Ouvertüre treffen die verschiedenen Personengruppen, die im Spiel sind, aufeinander: Da ist die höfische Gesellschaft mit ihren Liebeshändeln, die robuste Welt der Handwerker, erkenntlich an den sogenannten Rüpelspielen, und das Reich der zarten Elfen des im Streit liegenden Königspaars. In der fortgeschrittenen Dämmerung beginnt das ausschweifende Treiben. Mit vier langausgehaltenen Bläserakkorden wird in der Ouvertüre der Blick auf das monddurchglänzte Feenreich des Oberon geschildert. Die Bläser werden noch einmal bei der Reprise (Wiederholung) und am Schluss die starken Akkorde intonieren. Nun fallen die Elfen in Massen ein, um bald von liebenden Paaren abgelöst zu werden; Elfen selbst - sie lieben ja nicht in unserem Sinne. Die Rüpelszenen werden laut und lassen eine gemütvolle Stimmung nicht aufkommen. Ein Übriges erledigen die durchdringenden königlichen Jagdfanfaren. Und, als ob nichts gewesen wäre, beenden die Akkorde der Bläser nach etwas mehr als zwölf Minuten das Spektakel. Mit der "romantischen Naturbeseelung, dem Waldesrauschen, dem Zauber der Mondnacht und dem Flüstern der Elfen und Nixen" habe der Komponist ein Werk geschaffen, das "in seiner märchenhaften Poesie eines der schönsten Zeugnisse der musikalischen Romantik" geworden sei, heißt es in einer der vielen lobenden Rezensionen.

Partymachen ist keine Erfindung der Jetztzeit

Die vielen Elogen schlossen gelegentlich auch die Erwartung ein, dass sich der Komponist in der Konkurrenz der Tonsetzer seiner Zeit durchsetzen und zur Spitze gelangen würde.
Doch dieser mied das Gespinst aus Lob, Missgunst und Intrige. Er wollte eigenständig sein und das Komponieren als Lustbarkeit betrachten. So musste sich 1831 auch Philipp Eduard Devrient bescheiden lassen. "Du machst mir Vorwürfe", schreibt der Komponist aus Mailand, "dass ich schon 22 Jahre (alt bin), und doch noch nicht berühmt sei; ich kann darauf nichts anderes antworten, ... ich kann nichts dafür, denn ich schreibe ebenso wenig um berühmt zu werden, als ich schreibe, um eine Kapellmeisterstelle zu erhalten." Ob seine Arbeit "Ruhm, Ehre, Orden, Schnupftabacksdosen und dergl. einbringt, kann meine Sorge nicht sein". Im Übrigen wollte das Wunderkind auch mal ganz verrückt sein können, woraus man ersieht, daß das Partymachen keineswegs eine Erfindung der Jetztzeit ist. Im Jahr zuvor schreibt er dem Freund aus Weimar, wo er im Goetheschen Haus am Frauenplan ein Konzert gibt: " ... und ich spielte den ganzen Abend allein: Concertstück, Aufforderung (zum Tanz), Polonaise in C von Weber, drei Wälsche (französische) Stücke, Schottische Sonate. Um zehn war es aus; ich blieb aber natürlich unter dummem Zeug, Tanzen, Singen u.s.w. bis zwölf ... Der Alte (Goethe) geht immer um neun Uhr auf sein Zimmer, und so wie er fort ist, tanzen wir auf den Bänken, und sind noch nie vor Mitternacht auseinander gegangen."

Wie man zum Dreifaltigkeits-Friedhof I kommt:
Der Dreifaltigkeits-Friedhof I gehört zu den Friedhöfen vor dem HalleschenTor am unteren Mehringdamm. Die Gesamtanlage besteht aus den Friedhöfen I, II und III der Jerusalems- und Neuen Kirchengemeinde, dem Friedhof I der Bethlehems- und Böhmischen Gemeinde, dem Friedhof der Herrnhuter Brüdergemeinde und dem hier beschriebenen Friedhof I der Dreifaltigkeitsgemeinde. Auf diesem Friedhof, den man über den Mittelweg und dann rechterhand erreicht, befindet sich die rekonstruierte kleine Kapelle mit ihrer sehenswerten Dauerausstellung zur Geschichte der inzwischen weit verzweigten Familie Mendelssohn. Der Mehringdamm ist mit der U-Bahn U7 zu erreichen. Der Eingang zum Friedhof befindet sich in der Nähe des U-Bahnhofes Gneisenaustraße

Es gibt übrigens auch einen Mendelssohn Platz in Berlin - in Kreuzberg am Jüdischen Museum.

Friedhöfe in Berlin: