Komponisten-Friedhof Berlin

Text: -wn- (Journalist aus Berlin) / Letzte Aktualisierung: 19.04.2023

Grabanlage Bechstein auf dem Komponisten-Friedhof Berlin
Die überlebensgroße "Trauernde Muse" des Bildhauers Walther Schmarje (1872-1921) in der Grabanlage der Familie des Klavierbauers Carl Bechstein (Ausschnitt) - Foto © wn

Friedhof II. der Sophiengemeinde in Berlin Mitte

Hier stellen wir den Friedhof II. der Sophiengemeinde in Berlin Mitte vor. Da auf diesem Friedhof viele Komponisten beerdigt sind, nennt man ihn auch Komponisten-Friedhof.

Der Komponisten-Friedhof in Berlin: Humor und Harm und alte Gräber

Für Atheisten ist klar: Man stirbt nicht gern und hängt zumeist am Leben. Der Grund liegt auf der Hand. Alle Menschen, die an kein göttliches Überwesen und noch weniger an bewohnbare himmlische Gefilde glauben, gehen davon aus: Nach dem Exitus des Körpers gilt der aus antikem Denken stammende und von Preußenkönig Friedrich II. (1712-1786) gern kolportierte Spruch "Post mortem nihil est", zu Deutsch: (Es) ist nach dem Tode nichts. Verständlich, dass man deshalb so lange als möglich leben möchte. Denn die so denken, glauben zu wissen, dass es für das Nichts am Ende absolut kein Weiter gibt. Man zerfällt nach Zeitablauf wieder in Atome. Der gottferne Friedrich zitierte seinen Denkspruch nachgerade leidenschaftlich, so wie er auch in seinen instruierenden "Morgenstudien" den Neffen und Nachfolger Friedrich Wilhelm II. (1744-1797) darauf hinweist, "für einen König (sei es generell) nicht weise, selbst Religion zu haben".

Für Atheisten scheint es bequem zu sein, einem als anstrengend empfundenen Gläubigsein mit beständigem Beten, Büßen und Bekennen enthoben zu sein. Hier aber teilen sich die Wege. Mancher übertreibt es mit der Gottlosigkeit - nämlich dann, wenn die christliche Zentralgestalt, der gemeuchelte Jesus Christus (4 v. Chr.-30 oder 31 n.Chr.), in seiner weltgeschichtlichen Bedeutung nicht erkannt oder ignoriert wird. Handelt es sich doch bei ihm um den intellektuellsten, weitdenkendsten und friedfertigsten Menschen des religiösen Lebens überhaupt. Denn es sind dessen vernünftige Maßgaben auch nach zwei Jahrtausenden bedenkenswert - für Gläubige wie für Bekenntnislose. Fortlebt das Verlangen des sogenannten Gottessohnes nach Nächsten- und sogar nach Feindesliebe, nach Mitleid und tätigem Erbarmen, nach empathischer Annahme des Anderen. Daraus ergibt sich: Man kann auch ohne Gott dem Nazarener nahestehen und seine Impulse bedenken. In der DDR, einem Staat mit hasserfülltem Atheismus, war schon allein die Feindesliebe konterrevolutionär und somit justitiabel. Jesus hätte dort sein zweites Gethsemane erlebt (die Verhaftung, Matthäus 26, 36-56). Und was er wohl in dieser schon einmal erduldeten enttäuschenden Lage gefühlt haben könnte, schrieb der konvertierte Christ und Dichter Heinrich Heine (1797 od. 1799-1856) im Gedicht "Himmelsbräute" auf:

"Jesus, der die Güte selbst,
Weinte sanft ob unsrer Fehle,
Und er sprach: Vermaledeit
Und verdammt sei eure Seele!"


Das zielt im Nachhinein auch auf die ehemaligen primitiven sozialistischen Hassprediger. Aber sowohl deren geistige Verwirrung wie auch der qualifizierte hasslose Atheismus laufen gemeinsam auf den Verzicht auf jedwede Überlebenshoffnung nach dem Tod hinaus. Im Gegensatz dazu haben es Juden, Christen und Muslime gut. Auf sie wartet, glauben sie, ein hinlänglich üppiges und konfliktfreies Leben nach dem Tod. "Ewiges Leben" heißt das in den Kanons der drei zwar unter Gewalt entstandenen, jedoch auf Frieden gegründeten Abrahamitischen Religionen. Der Koran beispielsweise beschreibt in Sure 47 das Paradies mit den verführerischen Worten: "Darin sind Bäche von Wasser, das nicht faulig wird, und Bäche von Milch, deren Geschmack sich nicht ändert, und Bäche von berauschendem Getränk - ein Genuss für die Trinkenden - und Bäche von geläutertem Honig." Die Sure 37 bringt nun gar die vielzitierten und manche Männerphantasie erregenden "grossäugigen Huris" (liebesbereite Mädchen mit ewiger Jungfräulichkeit) ins Spiel. Sie würden den im Paradies Aufgenommenen gegenüber die Augen "sittsam niederschlagen und seien unberührt als ob sie wohlverwahrte Eier wären". Zu den tragischsten Irrtümern der jüngeren Weltgeschichte gehört die Erwartung der terroristischen Selbstmordattentäter, wonach sie sich nach ihren irdischen Verbrechen bald darauf in den Armen besonders vieler und besonders reizvoller Jungfrauen wiederfinden werden.

Letzte Orte ohne Paradies-Service

Grabmale Bach und Lortzing auf dem Komponisten-Friedhof Berlin
Die Grabmale für die beiden Komponisten Friedrich Wilhelm Ernst Bach (vorn) und Albert Lortzing - Foto © wn

Während die Gläubigen das Gestade des Paradieses vorher nicht besichtigen können, bleibt den Ungläubigen immerhin, den Ort zu inspizieren, an dem sie ihre letzte Ruhe finden wollen. (Das können die Gläubigen natürlich auch, aber das Grab ist für sie nur eine Unterwegs-Station.) Zu den Berliner Friedhöfen, die zum Beschauen und Bestatten einladen, zählt der 1827 angelegte, später erweiterte Friedhof II der Sophiengemeinde in der Bergstraße 29. Der an ein Trapez erinnernde Totenacker wird begrenzt von der Bernauer, der Acker-, der Garten- und der Invalidenstraße; an seiner südöstlichen stumpfen Spitze befindet sich der kleine Pappelplatz. Schon beim Eintreten glaubt man, in ein Arboretum gelangt zu sein. Die dichte Vegetation und die augenblicklich einsetzende Ruhe, die einen umgibt, vermitteln den Eindruck, in eine Welt gekommen zu sein, die durchaus entrückte paradiesische Züge hat. Allerdings findet man hier nur Letzte Orte ohne Paradies-Service. Von Bächen mit Milch oder gefügigen Jungfrauen kann hier nicht die Rede sein. Der Besucher des Friedhofes wandelt unter den zuweilen von Farnen umgebenen Altbäumen, unter geraden und schief gewachsenen Eschen, auch unter Trauereschen mit ehrwürdig überhängenden Ästen und Zweigen, er kommt vorbei an den die Erdböden verschattenden und von Efeu umschlungenen Ahornen und Kastanien. Bei sonnigem Wetter bewirkt deren dichtes Geäst jenen flackernden Effekt, den der Maler Max Liebermann (1847-1935) in seinen impressionistischen Bildern gern zum Tragen kommen ließ: in Gestalt der berühmten "Liebermann'schen Sonnenflecken". Farbliche Punkte setzen die etwa zehn Meter hohen Rotdorn-Bäume - die Kleinen unter den Großen - sowie die schnellwüchsigsten Bäume Europas, die Götterbäume, sowie eine Anzahl von Robinien.

So sehr ein Friedhof ein von Trauer geprägter Ort ist, waren doch Begräbnisse, die hier stattfanden, einerseits härmende Todesfälle, aber auch gemeinschaftlich wahrgenommene Vorgänge mit enormem Schauwert. Der Vater des Berliner Feuilletons Ernst Ludwig Kossak (1840-1880) beschreibt in seinem Buch "Berlin und die Berliner" ein hiesiges Leichenbegängnis mit den Worten: "Wie man in Berlin sagt, man geht zu Tisch, zu Wein, zu Ball, so sagt man auch, man geht zur Leiche; die Leichenbegängnisse rangiren demnach mit anderen Belustigungen der märkischen Menschheit, sie können von mehr oder minderer Modernität sein, man kann dabei eine größere oder kleinere Gelegenheit haben, Luxus zu entwickeln oder sich an Anderer Aufwand satt zu sehen." Wenn man hierin eine heitere Facette des Berliner Bestattungswesens erkennen will, so wird man auf dem Friedhof II der Sophiengemeinde bald sehen, dass er tatsächlich "fröhliche Orte" besitzt. Denn nicht umsonst heißt der Gottesacker auch "Komponisten-Friedhof". Im Mittelteil fällt ein übermannhohes, am Fuß rostendes und von Vogelexkrementen nicht verschont gebliebenes Metallkreuz auf, das auf einem kleinen Betonwürfel steht. (Frühsommer 2017) Es ist das Grabmal für den letzten Enkel Johann Sebastian Bachs (1685-1750), für Friedrich Wilhelm Ernst Bach (1759-1845). Der älteste Sohn des "Bückeburger Bachs" Johann Christoph Friedrich (1732-1795) ist anfangs Musikdirektor in Minden und wird 1789 von Preußenkönig Friedrich Wilhelm III. (1770-1840) nach Berlin weggeholt, weil ihn eine Kantate Bachs begeistert hatte. In der preußischen Hauptstadt wird der Neuzugang Klavierlehrer von Elisabeth Christine (1715-1797), der Witwe von Friedrich II., und Organisator des Musiklebens am preußischen Hof. Später wird er Klavierlehrer der Königin Luise (1776-1810), deren Kinder er ebenfalls unterrichtet. Die Nähe zur lernbegierigen Königin muss angenehm gewesen sein. Das Verhältnis beider ist gut. Erlebte er sie doch selbst in unkonventionellen Situationen. Der Kunstkritiker Heinz Ohff (1922-2006) beschreibt in einem Luise-Roman einen Morgen und einen Vormittag der Monarchin: "Noch im Bett las sie die Zeitungen ... auch wohl Bücher. Gegen elf Uhr genoss sie häufig etwas Gerstenschleim, ... um stärker zu werden. Gewöhnlich erst nach elf Uhr erhob sie sich und blieb in einem weißen Morgenkleid mit einem Morgenmützchen die älteren Kinder empfangend, den Arzt, auch (den) einen oder anderen ihrer Lehrer im Englischen und in der Musik."

Nach Luises frühem Tod wird Bach Privatier

Dann kommt das schicksalhafte Jahr 1810: Luise stirbt. Trauer überfällt das Land. Friedrich Wilhelm Ernst Bach, jetzt 51 Jahre alt, zieht sich bestürzt ins Privatleben zurück. Er konnte sich das finanziell leisten, weil ihm eine lebenslange Pension in Höhe von 300 Reichstalern (ca. 460 Euro) zugesprochen worden war. Es wird nun aber sein Schicksal sein, wie der Großvater für einige Zeit in der Öffentlichkeit zu verschwinden, und zwar so vollkommen, dass selbst der umtriebige Felix Mendelssohn Bartholdy (1809-1847), dem wir die Wiedergeburt Johann Sebastian Bachs verdanken, die Existenz des Enkels gar nicht kannte. (Siehe auch den Beitrag "Die Singakademie am Kastanienwäldchen - "Rotznasen" machen Geschichte") Erst als sich der vergessene Enkel bei Felix Mendelssohn Bartholdy brieflich erkundigt, wann das Denkmal für den Großvater in Leipzig, von dem er hörte, eingeweiht würde, erhielt er postwendend eine freundliche Einladung. Am 23. April 1843 ist er als Ehrengast dabei. Er wird später nach Leipzig schreiben: "Zu tief war ich ergriffen und erschüttert, als dass ich es vermocht hätte, an jenem Tage irgendwie öffentlich darzulegen..., welches Glück ... über mich in meinem hohen Alter gekommen ist ... Ich danke Ihnen im Namen meines unsterblichen Großvaters." Unangemessen wäre es, das überschaubare Werk des Enkels mit dem gewaltigen Oeuvre seines in jeder Weise unvergleichlichen Großvaters ins Verhältnis zu setzen. Der Nachkomme hinterließ eine beachtenswerte Musik; sie ist vom originellen und witzigen Geist der Musik Wolfgang Amadeus Mozarts (1756-1791) beeinflusst. Die C-Dur-Sinfonie etwa bietet viele Facetten menschlichen Fühlens - vom aufgeräumten Optimismus bis hin zum traurigen Sentiment, das man - wie beim Großvater - als aufwühlend tief und insofern als schön empfindet. Seine Musik rauscht nicht unverdaut an einem vorüber. Sein wohl bekanntestes Werk ist aber ein "Musikalischer Spaß" - wieder im Mozartischen Stil: "Das Dreyblatt", ein aufgewecktes Klavierstück mit heftigen Rhythmen zu sechs (!) Händen auf einem (!) Klavier. Beim Vortrag umfasst der mittlere Spieler seine beiden Nachbarn von hinten und spielt die hohen und tiefen Töne. Oder er greift über deren Schöße zu den äußeren Tasten.

Albert Lortzing: Ein großer Künstler, der im Elend starb

Familiengrab Kollo auf dem Komponisten-Friedhof Berlin
Familiengrab des Operetten-Komponisten Walter Kollo
Foto © wn

Bachs Begräbnisplatz ist eine kleine Insel einer von manchem Leid durchwirkten Heiterkeit. Schräg hinter ihm ragt aber das Grabmal von Albert Lortzing (1801-1851) auf, eine 1859 gestiftete neugotische Sandsteinstele mit einem Bildnismedaillon. Der Schriftsteller Julius Rodenberg (1831-1914) bemerkt in seinen "Bildern aus dem Berliner Leben": "Wer auf dem mehr als bescheidenen Denkstein diesen Namen liest, dem mag das Herz wohl übergehen in dankbarer Erinnerung an die vielen lieblichen, erquickenden Melodien, deren Schöpfer er war, und in Wehmut über das Schicksal dieses wahrhaft spontanen Talents, welches im kleinen Genre so groß war! Er hat es nicht erleben sollen, der nach unstetem Wandern kaum achtundvierzigjährig und im Elend starb, seine Werke mit dem königlichen Glanz unseres Opernhauses aufgeführt zu sehen ...". Vermutlich fällt einem zuerst die Komische Oper "Zar und Zimmermann" ein, für die Albert Lortzing auch das Libretto schrieb. Ohrwürmer sind die Huldigungskanate für den eintreffenden Zar Peter I. "Heil sei dem Tag, an welchem du bei uns erschienen..." oder die Arie des Bürgermeisters van Bett "O, ich bin klug und weise, und mich betrügt man nicht". Albert Lortzings grandiose und vom Publikum angenommene Musik zahlt sich für ihn nicht aus. Seine Einnahmesituation bleibt jämmerlich. Die letzte Anstellung ab 1850 als Kapellmeister im Friedrich-Wilhelm-Städtischen Theater (dem heutigen Deutschen Theater) bringt ebenfalls nur bescheidene Einnahmen. Das belegt ein Brief, den er am 17. Juni 1850 an seine Frau, die Schauspielerin Rosina Regina Ahles (1799-1854) schrieb: "Mein liebstes Weib! Einliegend sende ich dir zwanzig Thaler von meiner Gage; fünf habe ich zurückbehalten. Du wolltest zwar edelmüthiger Weise diesmal nichts haben, aber es beunruhigt mich, euch so karg versorgt zu wissen. Meinetwegen mache dir keinen Kummer, ich schlag mich durch." Ein halbes Jahr später ist er tot.

Der Berliner Feuilletonist und innovative "Grabfahnder" Heinz Knobloch (1926-2003) schrieb: "Der sterbende Komponist hatte die Kündigung seines Vertrages zum 1. Februar 1851 (schon) in der Tasche. Umso ehrenvoller sein Begräbnis: Generalintendant Küstner (der königlichen Theater) und Generalmusikdirektor Meyerbeer waren erschienen, Sänger und Musici von der Hofkapelle, mehrere Kapellmeister. ... Es war (Ernst Ludwig) Kossak, der für Lortzings mittellose Hinterbliebene ein Konzert veranstaltete, dessen Einnahmen ihre größte Not linderten."

Wer nun auf dem Friedhof erneut ins Heitere wechseln möchte, gehe ein paar Schritte weiter, und er steht vor dem Grab des Operetten-Komponisten Walter Elimar Kollo (1878-1940) und seiner Frau Marie (1883-1954). Der Großvater des Opernsängers Renè Kollo (geb. 1937) ist der Komponist der inbrünstigen Berlin-Hymne "Solang noch Untern Linden die alten Bäume blühn, kann nichts uns überwinden, Berlin bleibt doch Berlin" (Text: Fritz Oliven alias Rideamus). Wenn sich diese Vision als gültig herausstellen sollte, spräche nichts dagegen, sich als Atheist bei eingetretender Weltmütigkeit und nach zahlreichen kriegsfreien Lebensjahrzehnten in das Ambiente einzubringen, das der Friedhof II der Sophiengemeinde bietet. Man ist dort zwar nicht im Paradies, hat dafür angenehme Nachbarn.

Verkehrsinformation:

Der Friedhof II der Sophiengemeinde ist zu erreichen mit den Straßenbahnlinien M8 und M12.

Öffnungszeiten des Komponisten-Friedhof Berlin:

Täglich von 8:00 Uhr bis 16:00 Uhr

Gräber bekannter Persönlichkeiten

Auf dem Friedhof sind weitere geschichtlich interessante Menschen bestattet, darunter der Erbauer des Roten Rathauses Hermann Waesemann, der Gründer der Pianofortefabrik Bechstein, Carl Friedrich Bechstein, der Schauspieler Otto Gebühr und der Philosoph Max Stirner.

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