Badstraße in Berlin Wedding

Text: -wn- (Journalist aus Berlin / Letzte Aktualisierung: 19.04.2023

Badstraße im Wedding
Blick in die Badstraße vom südöstlichen Ende aus gesehen. - Foto: © wn

Die Badstraße im Wedding - An der Quelle saß der König

Die preußischen Hohenzollern-Potentaten residieren beim Ausüben ihrer absoluten Macht nie nur in Kabinetten, Kanzleien und Kammern und fertigten Befehle und Belehrungen aus. Auch wenn sie die Public Relations, das Steuern der eigenen Wirkung auf andere, noch nicht kennen, so begreifen sie doch instinktiv den Nutzen einer oft leutselig gesuchten Nähe zu den Untertanen. Gnädig-väterlicher Populismus breitet sich dann aus. Viel spricht dafür, dass es sich bei Friedrich II. (1712-1786) um einen solch berechnenden Menschen handelt - auch wenn er fest an sein allgegenwärtiges Charisma glaubt. Als er am 28. Dezember 1745 nach dem Dresdener Friedensschluss, der das zweite Schlesische Kriegsgemetzel beendet, nach Berlin zurückkehrt, wird er von einer Menge mit frenetischen Lebehochs überschüttet. Biograf Franz Kugler (1808-1858) notiert: "Der König war ernst und tief bewegt; er grüßte nach allen Seiten, sprach mit allen, die seinem Wagen nahe kamen, und bemühte sich sorglich, die Zudrängenden vor Schaden zu behüten." Der Jubel streichelt die Seele des Dreiunddreißigjährigen, der in den vorangegangenen beiden Jahren erhebliche Schuld auf sich lud. Hatte er doch einen Krieg gegen Sachsen losgetreten. 13662 preußische Soldaten verlieren in drei Schlachten ihr Leben. Meist bleiben sie sterbend oder entseelt auf den Schlachtfeldern zurück. Zur Pflege seiner angekränkelten Corporate Identity bietet sich Friedrich an diesem Abend in Berlin ein Besuch an, der sich in seinem Sinne gut verkaufen lässt. Er fährt zu einem Sterbenden. Franz Kugler schreibt: "In einem abgelegenen Gässchen ließ er den Wagen halten, trat in ein Haus und stieg die engen Treppen empor. Dort wohnte sein alter treuer Lehrer, Duhan." Es ist der todkranke Geheimrat Jacques Égide Duhan de Jandun (1685-1746). Anstatt eines tröstenden Wortes aus Friedrichs Mund nimmt der König eine Huldigung des Siechenden entgegen. "Nun wird mir das Sterben leichter werden", haucht der Kranke unterwürfig. Etwas Besseres kann dem "Ersten Diener im Staat" gar nicht passieren. Fünf Tage später ist Duhan tot.

Auf ähnliche Weise macht Friedrichs Vater, Friedrich Wilhelm I. (1688-1740), von sich reden. Berüchtigt ist dieser nicht nur wegen seiner Saufgelage, Jagdsucht und seiner Brutalität gegenüber dem Sohn. Wie der Historiker Johann Gustav Bernhard Droysen (1808-1884) berichtet, stiefelt dieser König auch gern ohne Gefolge - jedoch keineswegs inkognito - in Potsdam herum und greift überall dort mit Befehl und Order ein, wo er glaubte, dass er das Bild eines treusorgenden Königs verfestigen kann. Eines frühen Morgens habe er vor der Potsdamer Poststation orientierungslos umherirrende Reisende angetroffen, die mit der Nachtpost aus Hamburg gekommen waren - ein Fall für ihn. Der König habe den Postmeister, der sich hätte um die Reisenden kümmern müssen, "eigenhändig mit dem Rohrstock aus dem Bett und zugleich aus dem Amte (gejagt), die Passagiere um Entschuldigung bittend, dass preußische Beamte so pflichtvergessen seien".

Einen Sinn für die eigene Bedeutsamkeit hatte auch dessen Vater, der erste preußische König Friedrich I. (1657-1713), der zuvor von 1688 bis 1701 als Kurfürst Friedrich III. von Brandenburg regierte. Bei Franz Kugler heißt es: "Er umgab sich mit einem prunkvollen Zeremoniell ... Er feierte die denkwürdigen Ereignisse seiner Regierung mit einer ausgesuchten Pracht, welche das Ausland staunen machte und sein Volk mit demütiger Bewunderung erfüllte." In seiner Regierungszeit kam es ab 1697 zu erheblichen Finanzskandalen. Die hohen Staatsausgaben führten aufgrund einer massiven Besteuerung zur Verelendung von Teilen des preußischen Volkes. Steuern wurden nicht nur auf Karossen und Perücken erhoben, eingeführt wurde auch eine Kopfsteuer für Reiche wie Arme. Ab 1707 wurden den Beamten ein Zwölftel der Gehälter abgezogen.

König Friedrich I. - Verschwender und Entdecker

Luisenbad in der Badstraße
Das 1760 eröffnete Heilbad am nordwestlichen Ende der Badstraße, das ab 1809 den Namen Luisenbadehaus trägt. - Foto: © wn

Dennoch bezeichnet ihn die Geschichtsschreibung nicht nur als Verschwender. Eines Tages wird er ein Entdecker. Denn im Jahre 1701 oder 1702 kommt ein Tag, an dem er "nahe am Pankefluss" im Caninchengarten genannten Wald auf Jagd war, heißt es in einer zeitgenössischen Schilderung. Das Flüsschen "quillt in einer nicht sehr angenehmen und sandichten Gegend aus dem mineralischen Grund einer Wiese". Der Monarch soll nach dem letzten Halali in der Nähe der Weddinger Papiermühle plötzlich starken Durst bekommen haben. Man weiß nicht, ob ihn Leutseligkeit oder tatsächlich Durst in die Mühle trieb, wo er befahl, ihm ein Glas Wasser einzugießen. Die Erfrischung erlangt lokalgeschichtliche Bedeutung. Denn der König findet das Wasser "so vorzüglich, dass er nicht nur mehr trank, sondern die Quelle zu reinigen und den Aerzten zu untersuchen befahl".

Auf seine Anweisung wird die Quelle mit dem eisenhaltigen Wasser, das bei Frost nicht gefriert, "eingehegt und zu Brunnenkuren eingerichtet". Damit beginnt die Geschichte der Badstraße im Gesundbrunnen. So wie sein Enkel Friedrich II. die Kartoffel in Preußen einführt, gilt der Großvater als Entdecker der Quelle nahe der Panke. Die Wasserader befindet sich auf dem heutigen Grundstück Badstraße 39 und wird in großem Stil ausgebaut. Bei Wikipedia heißt es: "Die Heilquelle, die jährlich das Wasser zu mehr als 1000 Wannenbädern gab, wurde in Backstein eingefasst, dazu ein sechseckiges Brunnenhäuschen mit großen Rundbogenfenstern errichtet. Darum gruppierten sich ausgedehnte Gartenanlagen, Bade- und Trinkhäuser. 40 Kurgäste konnten in den Logierhäuschen nächtigen und Linderung für chronische und rheumatische Krankheiten und Augenleiden erhalten."

Inspektor Friedrich II. prüft den Badebetrieb vor Ort

Etwa 80 Jahre nach ihrer Entdeckung, am 9. September 1784, taucht überraschend Friedrich II. an der Panke auf, nicht um eine Kur zu beginnen, sondern um den Badebetrieb zu inspizieren. Hatte er doch 1751 seinem Hofapotheker Heinrich Wilhelm Behm (1708-1780) das Gebiet an der Panke zugesprochen, damit dieser die Heil- und Badeanstalt in großem Stil aufbauen kann. Behm ist 1784 schon vier Jahre tot. Die Berliner "Historischen Beyträge" berichten: "Den 11. August (1780) starb an einer Entkräfftung hieselbst Heinrich Wilhelm Behm, Doctor Medicinä und Königlicher Hof-Apotheker im 72jährigen Alter." Der gichtkranke König trifft deshalb auf "einen der Erben des vorigen Besitzers", und es entspinnt sich ein Gespräch, mit dem Friedrich auch den Eindruck erwecken will, dass er sich als strenger Inspektor auch um die geringste Angelegenheit im preußischen Alltag kümmert.

Der Schriftsteller Franz Eyssenhardt (1838-1901) überliefert das Frage- und Antwortspiel. U.a. heißt es da:

Frage: Wozu ist das Brunnenwasser nütz?
Antwort: Insonderheit für die Gicht.
Woher wisst Ihr das?
Es sind Beispiele davon vorhanden.
Und welche?
Es war ... im vorigen Sommer eine Frau hier, die so mit der Gicht behaftet war, dass sie ihre Hände nicht brauchen konnte, nach Verlauf einiger Wochen aber besser ward.
Was war das für eine Frau? (War das) eine gemeine Frau?
Ja, in gewissem Betracht wohl, denn sie ist nur eine Bürgersfrau aus der Stadt; sie ist aber reich.
Habt ihr (sonst) viele Brunnengäste gehabt?
Nein, Ew. (Eure) Majestät, kaum eine Drittel gegen sonst.
Warum das?
Es war anfangs des Sommers immer kühle Witterung.
Wann baden die Leute - (baden sie) im Juli, August und September?
Nein, Ew. Majestät, im Juni, Juli und August.
Warum nicht im September?
Es pflegt dann schon kühle Abende zu geben, wo man sich leicht erkälten kann.
Warum nicht gar! Es ist ja das schönste Wetter. (Es war diesen Tag sehr warm.)


1809 besucht die Frau von König Friedrich Wilhelm III. (1770-1840), die allseits beliebte Luise (1776-1810), das Bad und erlaubt, es fortan Luisenbad zu nennen. Der Kur- und Badebetrieb geht trotz des prominenten Namens nach 124 Jahren zu Ende, nachdem die Quelle 1882 bei Arbeiten an der Kanalisation in der Badstraße unrettbar verschüttet wurde. Heute gibt es noch zwei markante Häuser aus dieser Zeit. Am nordwestlichen Ende der Badstraße fällt das sechsstöckige ehemalige Luisenbadehaus ins Auge. Das im Michael Imhof Buchverlag im hessischen Petersberg erschienene Buch "Denkmale in Berlin-Wedding und Gesundbrunnen" beschreibt das 1809 eröffnete Gebäude: "Mit seiner eigenwilligen, aufwendigen, vielfarbigen Dekoration beherrscht das Luisenhaus den umliegenden Straßenraum. Der Architekt Carl Galuschki (1844-1910) verkleidete das Gebäude mit roten, weißen, gelben und grünen Klinkern, die zu geometrischen Ornamenten und Friesen zusammengesetzt sind. Das lebendige Spiel von Formen und Farben wechselt von Stockwerk zu Stockwerk. Über den hervortretenden Erkern sind Giebelachsen mit geschwungenen Bogengiebeln ausgebildet. Die beiden obersten Geschosse werden durch Pilaster zusammengefasst." Es lohnt sich, dort einmal stehenzubleiben und die eindrucksvolle Hausfassade zu betrachten. Das nahe Trinkhaus des Luisenbades wird 1890 abgerissen. Die erhalten gebliebene Fassade des Hauses wird denkmalgerecht rekonstruiert. Hinter ihr befindet sich seit 1995 die "Bibliothek am Luisenbad".

Robuste Fröhlichkeit bei "Affenseidel"

Trinkhaus des Luisenbades
Der erhalten gebliebene Eingangsbereich zum Trinkhaus des Luisenbades und zu den späteren Tanzsälen in der Badstraße. Heute befindet sich hinter dieser Fassade die "Bibliothek am Luisenbad". - Foto: © wn

Nach dem Ende des Badebetriebes geht die Geschichte der etwa 900 Meter langen Badstraße stürmisch weiter. Sie ist die Verlängerung der aus südöstlicher Richtung kommenden Brunnenstraße und öffnet sich am nordwestlichen Ende wie drei Krallen eines Vogelfußes: in die Exerzier-, die Schweden- und in die Koloniestraße. Das Gebiet der Badstraße entwickelt sich Ende des 19. Jahrhunderts zu einem beliebten Vergnügungsviertel mit zahlreichen Ausflugsgaststätten und Biergärten, in denen robuste Fröhlichkeit herrscht. Zu Pfingsten 1888 etwa sind 60000 Berliner in den Lokalen und Biergärten unterwegs. Berühmt ist das Wirtshaus "Seidel's kleiner Volksgarten" in der Badstraße 60. Den Wirt Hermann Seidel nennt man auch den "Affenseidel", weil er im Garten Primaten hält. Am 17. Mai 1873 lädt der "Allgemeine Deutsche Maurerverein" im Rahmen eines Stiftungsfestes in den Volksgarten zum "Militär-Concert und Ball" ein. Ihm voraus geht ab 12 Uhr eine "Große Hirschjagd", ein Strategiespiel für jeweils zwei Teilnehmer. Der Eintrittspreis beträgt für Herren fünf, für Damen zweieinhalb Silbergroschen. Vermutlich werden dort auch stadtbekannte Damen aufgetaucht sein, von denen einige laut Polizeiberichten "Ottilie, die schöne Schwindlerin", "Louise D., die Amazone von Berlin" oder "Die dicke Jeannette" genannt werden.

Die Nähe der Panke nutzen aber auch wasserintensive Betriebe wie Gerbereien und Färbereien. Ihre Abwässer leiten sie in den schmalen gemächlichen Fluss. Industrieansiedlungen sowie ausgedehnte Rieselfelder tragen zu einer weiteren Verschmutzung der Panke bei. Sie wird bald zu einem übel riechenden Fließgewässer. Stinkepanke nennte man den Fluss jetzt. Noch 1997 wird ihre Gewässergüte als stark geschädigt bewertet. Über den Ruf der Gegend an der Panke schreibt der Potsdamer Kunstprofessor Johann Gottlob Samuel Rösel (1768 od. 1769-1843) kurz nach Ostern 1826 spöttisch:

"Wo seid Ihr heute,
Liebe Leute?
An der Panke ?
Ich danke.
An der Spree?
Da käm ich. Juchhe!"


In den zwanziger Jahren erlebt die Badstraße Aufmärsche von KPD-Anhängern. Der Schriftsteller Erich Weinert (1890-1953) verfasst dazu den Liedtext "Roter Wedding". Das von Hanns Eisler (1898-1962) vertonte Gedicht lässt es an antikapitalistischen Ungestüm nicht fehlen:

"Denn was wir spielen, ist Klassenkampf
Nach blutiger Melodie!
Wir geben dem Feind einen kräftigen Tritt,
Und was wir spielen, ist Dynamit
Unterm Hintern der Bourgeoise.
"Roter Wedding" grüßt euch, Genossen,
haltet die Fäuste bereit!"


Das weitere Schicksal der Badstraße bis in unsere Tage ist nicht weniger turbulent und pulsierend als das vorausgegangene. Darüber wird noch zu berichten sein...

Wie man zur Badstraße kommt:
Die Badstraße ist mit der U-Bahn U8 zu erreichen. Die Straße beginnt nahe dem Bahnhof Gesundbrunnen.
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