Groß, einzig, fritzisch - 300 Jahre Mythos Friedrich Zwei

Nicht selten war es gegen Zwölf, als in diesem beispiellosen vierundsiebzig Jahre und ein paar Monate währenden Erdenleben Existentielles geschah - schlechterdings
Gruft von Friedrich II.
Am 24. Januar 2012, dem 300. Geburtstag von Preußen-König
Friedrich II., legten zahlreiche Menschen auf dessen Grab
neben dem Schloss Sanssouci Blumen und Kränze nieder.
Friedrichs Sarg war am 17. August 1991 von der Burg
Hohenzollern nach Sanssouci überführt worden. / Foto: -wn-
zunächst die Geburt. Die Polung auf Zwölf mag dem Zufall oder sonstiger Schickung geschuldet gewesen sein. Jedenfalls ist es Sonntagmittag in Berlin, am 24. Januar 1712, als sich die Geburt eines durchlauchtigsten Säuglings vollzieht, von dem der Historiker Johann David Erdmann Preuß (1785-1868) schreibt: „Mit großer Sehnsucht ist seine Erscheinung herbeigewünscht, und dann mit großem Gepränge gefeiert worden; denn die Thronfolge des Geschlechts der Hohenzollern in Brandenburg-Preußen bedurfte neuer Hoffnungen.“ Bereits zwei Kleinkinder männlichen Geschlechts sind dem damaligen Noch-Kronprinzen Friedrich Wilhelm - später Friedrich Wilhelm I. (1688-1740) – weggestorben, fielen als Anwärter auf den Thron aus, auf dem um diese Zeit noch Großvater Friedrich I. (1657-1713) sitzt. Zu allem Unglück starb auch noch frühzeitig die Mutter beider Kinder, Elisabeth Henriette von Hessen-Kassel (1661-1683). Als nun die zweite Gattin, Sophie Dorothea von Braunschweig-Lüneburg (1687-1757), niederkommt, ist die Freude groß im Schloss angesichts des diesmal gelungenen hohenzollerischen Fortpflanzungsversuches. Es heißt aber, nicht viel hätte gefehlt, und der Säugling wäre in den Armen seines fröhlich aufgewühlten Vaters einen Erstickungstod gestorben. Unter dem Abküssen und Knuddeln seines Sohnes sei der Kronprinz in unmittelbare Kaminnähe gelangt, so dass dem der Hitze ausgesetzten Sehnsuchtskind beinahe die Luft weggeblieben wäre. Nur dem Eingreifen einer Bediensteten sei es zu verdanken, dass das Neugeborene seinen Stiefbrüdern nicht in den Tod zu folgen gezwungen war. „Alsbald erhielten die Einwohner der Residenz durch das Läuten aller Glocken, durch den Donner sämtlichen Geschützes, welches auf den (damals noch vorhandenen) Wällen
Grabeinhausung von Friedrich II.
Das ganze Jahr über liegen auf der Gruftplatte Blumen -
auch Kartoffeln fehlen nicht, die Friedrich mit dem
"Kartoffelbefehl" vom 24. März 1756 in der Mark Brandenburg
zu verbreiten suchte. / Foto: -wn-
stand, Kunde von dem segensreichen Ereignis. Mannigfache Gnadenbezeugungen und Beförderungen treuer Diener des Staates, die Speisung aller Armen in den Armenhäusern der Stadt erhöhten die Feier des Tages“, schreibt die Chronik. Sieben Tage später dann die Taufe in der Schlosskapelle. Der Kleine, ein geborener Prinz von Preußen und Oranien, wird auf den Namen Karl Friedrich getauft. Wäre es achtzehn Jahre später nach seinem inzwischen gekrönten Vater, dem Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I. gegangen, wäre dem ehemaligen Täufling das einst so feierlich benetzte Haupt abgeschlagen worden. Mit seinem Vertrauten Hans Hermann von Katte (1704-1730) hatte er versucht, sich ins Ausland abzusetzen, um nicht mehr seinem tyrannischen Vater ausgesetzt zu sein. Dieser war ein plumper Pietist und Militarist geworden, der seine Frau öffentlich abschätzig Fieckchen nennt – ein Begriff der Gassensprache, den selbst die Gebrüder Grimm nicht listen. Der französische Dichter Voltaire (1694-1778) kennzeichnet die Herrschaft des Soldatenkönigs mit den Worten: „Man muss gestehen, dass die Türkey, im Vergleich mit dem von Friedrich Wilhelm ausgeübten Despotismus, eine Republik ist…“. Während Katte in Küstrin wegen Verrat hingerichtet wird, überlebt der Sohn und steigt 1740 auf den Thron. In einer anonym erschienenen Biografie – „skizzirt von einem freymüthigen Manne“ - wird der Herangewachsene mit den Worten beschrieben: „Sein Wuchs betrug nicht über 5 Schuh (plus) einige Zoll (etwa 155 Zentimeter). Der Kopf hieng etwas nach der Seite, welches vermuthlich von dem vielen Flöten spielen herkam. Sein Gesicht, das weder voll noch mager war, hatte starke und ernsthafte Züge; die Nase war lang, und die Augen drükten besonders den Zorn auf eine schreckbare Art aus.“

Und wieder sind wir im Leben des - nach eigenem Anspruch - Philosophen von Sanssouci in einer Mittagsstunde. Der 12. August 1759 ist heiß, es drückt der Planet.
Skulptur Friedrich II.
Als die bedeutendste Skulptur Friedrichs II. gilt das
Reiterstandbild am östlichen Ende der Mittelpromenade der
Straße Unter den Linden in Berlin. Das vom Bildhauer
Christian Daniel Rauch (1777-1857) 1851 geschaffene
Standbild wurde 1950 in den Park Sanssouci gebracht.
Nachdem sich in der DDR-Geschichtswissenschaft ein
realistischeres Bild des Monarchen abgezeichnet hatte,
kehrte das Kunstwerk wieder nach Berlin zurück. Es steht
heute an seinem ursprünglichen Standort. - Foto: -wn-
Viel hätte nicht gefehlt, und wir wären an diesem Augusttag im Jahre 2009 veranlasst gewesen, den 250. Todestag dieses preußischen Königs zu begehen. Wir sind östlich von Kunersdorf, dem heutigen polnischen Flecken Kunowice unweit der Oder. Eine Schlacht steht an. Es ist das dritte Jahr im Siebenjährigen Krieg, den Friedrich um das wirtschaftsstarke, einst zu Österreich gehörende Schlesien führt und um das er Preußen vergrößern will.
Seit fast zwanzig Jahren ist er nun auf dem Thron und vom untertänigen Sohn zu einem selbstbewussten Mann herangereift, der dem russischen Dichter Lew Tolstoi insofern ähnelt, als Thomas Mann über diesen feststellen wird: „Seine Optik von sich selbst war immer von historischer Großartigkeit“.
Umso entsetzter ist der sieggewohnte, als der Große und der Einzige apostrophierte Monarch nach dem martialischen Ausgang der Kunersdorfer Schlacht gegen die russisch-österreichischen Streitkräfte. Auch hier war es nun kurz vor Zwölf, als die Preußen vor Schlachtbeginn mit 44700 Mann die Ortschaft umgangen hatten und – nun in Richtung Westen blickend – angriffsbereit im Schutze eines Waldrandes stehen. Der Feind hat sich gegenüber auf einer flachen Hügelkette verschanzt. „Dann rückte die preußische Infanterie gegen die Anhöhen vor... Trotz des feindlichen Kugelregens kletterte sie mutig über den Verhack (Hindernisse aus Baumstämmen), den die Russen zum Schutz ihrer Stellung angelegt hatten, erstieg die Anhöhen und eroberte die Batterien. Ein russisches Regiment nach dem andern wurde geworfen; bald waren die Preußen im vollkommenen Besitz der Anhöhen“, reportiert Friedrich-Biograf Franz Kugler (1808-1858). Der König lässt in „schiefer Schlachtordnung“ kämpfen, die darin besteht, zunächst einen Flügel der angetretenen Armee in Bewegung zu setzen und den Rest einen Scheinangriff ausführen zu lassen. Die Gegner sind überrascht, weichen zurück. Die Preußen wähnen sich schon als Sieger. Doch nun ein überraschender Gegenangriff der Koalition. Die erschöpften Preußen werden aufgerieben, Chaos bricht aus, wer überlebte, rennt in Richtung Oder. Das ist kein Rückzug - es ist heillose Flucht. Friedrich gehört zu den letzten Verbliebenen im Kampfgelände, denn bekanntlich ließ er nicht kämpfen – bei ihm kämpfte der Monarch noch selber mit. Zwei Pferde hat man ihm weidwund geschossen. Vom Rücken des dritten schaut er vom Mühlenberg hinunter in den Kuhgrund. Russen und Österreicher stürmen schon von dort auf ihn zu. Erstmals gibt er sich auf. Todesbereit soll er gerufen haben: „Gibt es denn heute keine verwünschte Kugel für mich?“ Mit Mühe gelingt es einem Rittmeister Prittwitz, den konsternierten Kampfmonarchen zur gerade noch möglichen Flucht zu drängen. Zurück bleiben 8000 tote preußische Soldaten; 15000 sind unterschiedlich schwer verwundet. Der recht gut entwickelte preußisch-militärische Feldbergungsdienst kann aufgrund von Masse nicht alle retten; mancher Angeschossene bleibt liegen, stirbt im Verlaufe der nächsten Stunden. Die Russen und Österreicher, die mit über 80000 Mann angetreten waren, verlieren 24000 Soldaten.

Der Publizist Carl von Ossietzky (1889-1938) schreibt im Dezember 1930 in der Weltbühne, Friedrichs Kriegen habe das Kreative gefehlt. „Aus dem vergossenen Blut einer Generation spross kein neues Leben, auf den Schlachtfeldern dreier (Schlesischer) Kriege wuchs, in des Wortes traurigster Bedeutung, kein Gras mehr.“ Auch Friedrichs zeitweiligen Gesellschafter Voltaire bewegt die Frage, warum sich der Hausherr von Sanssouci so lange und so oft auf den Kriegspfad begab. Immerhin war der Franzose Herausgeber von Friedrichs früher Schrift „Antimachiavel“, in der der Autor, wie Voltaire resümiert, „jeden gewaltsamen Eingriff in eines andern Rechte … für ein Verbrechen“ ansah. Und er erkennt, dass es dem Monarchen stattdessen „natürlich (war), beständig das Gegentheil von dem zu thun, was er sagte, oder was er schrieb“. „Warum marschierte Friedrich in Schlesien ein …? Eine banale Antwort auf diese Frage könnte lauten: Weil er dazu imstande war. Die internationale Lage war höchst günstig“, schreibt der australische Historiker und Preußenkenner Christopher M. Clark (geb. 1960).
Zweifellos war es ihm um ein größeres, einflussreicheres Preußen in diesem Flecken-Land gegangen, das noch nicht Deutschland hieß. Der österreichische Kulturphilosoph Egon Friedell (1878-1938) meint, Friedrichs Kriegslust sei darauf zurückzuführen, dass dieser auf philosophischem Gebiet zwar ambitioniert und belesen, aber doch ein Dilettant geblieben war. In seiner „Kulturgeschichte der Neuzeit“ schreibt Friedell, der Alte Fritz „hätte auf seinen Thron und sein Heer und alle seine Eroberungen und Siege mit Freuden verzichtet, wenn er dafür … bloß ein bescheidener Maupertuis hätte sein dürfen“. (Der französische Mathematiker und Philosoph Pierre-Louis de Maupertuis (1698-1759) war von 1746 bis 1753 Präsident der Preußischen Akademie der Wissenschaften.) Friedrichs Kriegsdrang und sein gleichzeitiges Philosophentum hält Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832) im Zweiten Buch seiner Biografie „Dichtung und Wahrheit“ nicht davon ab, den keineswegs unbekannten Begriff „fritzisch“ mit neuem Inhalt aufzuladen. Bedeutete das Wort bis dahin vor allem so etwas wie „durchtrieben“, so wurde es bei Goethe zu einem friderizianischen Bekenntnis. „Und so war ich denn auch preußisch, oder um richtiger zu reden, Fritzisch gesinnt; denn was ging uns (damals in Frankfurt am Main) Preußen an!“ lesen wir im Lebensbild.

Und erneut kommt eine Stunde zwischen Elf und Zwölf. Gleich bricht der 17.August 1786 an, der Todestag. Ein trockener Husten habe den alten Mann in seinem Haus
Skulptur Friedrich II. in Berlin
Die Skulptur Friedrichs II. aus der Universitätsstraße
heraus gesehen - Foto: -wn-
„Ohne Sorge“ beklemmt und die Luft geraubt. „Der Kammerlakai Strützki fasste ihn, indem er niederkniete, unter den Arm und hielt ihn aufrecht, um ihm Erleichterung zu gewähren. Allmählich veränderten sich die Gesichtszüge, das Auge ward matter und gebrochener; dann wurde der Körper ruhig, nach und nach schwand der Odem“ schreibt Kugler. Nach Mitternacht sei er in seinem überbreiten barocken Ohrensessel vom Typ Bergère en confessional verschieden. Die Trauer um den alten, verbittert gewordenen Fritzen ist nicht durchweg stark; aber es kommt nicht zu einem unverhohlen verächtlichen Aufatmen wie nach dem Tod seines eher glücklosen Nachfolgers Friedrich „Lüderjan“ Wilhelm II. (1744-1797) „Wohl ihm! Wohl uns!“ heißt es damals sarkastisch.

Es bleibt die Frage nach Friedrichs auf uns gekommenen Mythos. Der ZEIT-Autor Jens Jessen (geb. 1955) hat ihn recht schlüssig zusammen gefasst: Alles sei bei Friedrich hell ausgeleuchtet: Der Kriegsruhm und die Reformen, die Toleranz und die demütige Pflichterfüllung; ebenso seine Untaten, Rechtsbrüche, Willkür, Jähzorn und zynische Spottlust. „Die Widersprüche des Charakters und seiner Erscheinung müssen nicht mühsam ans Licht gebracht werden, sie lagen schon den Zeitgenossen wie in einer Vitrine zu Gegensatzpaaren geordnet zutage, die Menschenliebe und der Menschenhass, die Bescheidenheit und die Ruhmsucht, Aufgeklärtheit und absolute Herrschaft, künstlerischer Feinsinn und militärische Brutalität und über allem sein fiebernd rastloser, ständig reflektierender, an den Widersprüchen laborierender und sich rechtfertigender Geist.“ Er konnte seine Schlachtfelder - als Sieger oder fluchtweise - verlassen; das Stöhnen und Schreien der – nicht selten - unversorgt bleibenden und sterbenden Soldaten nahm er durchaus nicht kaltblütig hin – er nahm es jedoch als Tribut an Preußen. Und er konnte sich kurz darauf in eine seiner Sonaten vertiefen und sich an einer luftig verzierten Flötenstimme erfreuen. Er wird uns noch lange zu denken geben.

Wie man nach Sanssouci kommt:
Bus: Ab dem Potsdamer Hauptbahnhof benutzt man die Busse 695 oder X15. Die Buslinien 605 und 606 fahren zum Luisenplatz, von dem man etwa 100 Meter bis zum Parkeingang läuft.
Straßenbahn: Die Linien 91 und 94 fahren vom Hauptbahnhof zum Park.
Das Grab Friedrichs II. befindet sich im Zentrum eines Halbrondells an der linken Schlossseite.
Text: -wn-

 
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