Bauarbeiter-Skulptur in Berlin

Die Bauarbeiter Skulptur wurde von Gerhard Thieme im Auftrag des Magistrats von Ost-Berlin angefertigt.

"Goldfinger" - die Bauarbeiter-Skulptur in der Liebknechtstraße

"Steht rum wie ein Arbeiterdenkmal!" Der Begriff war ironisch gemeint und eine Anspielung auf die dem DDR-Volk vorgehaltenen Übernaturen, auch Arbeitshelden genannt. In Berlin kündet noch heute ein solches Denkmal von der ruhmarmen staatssozialistischen Zeit. Von niedrigen Eschengehölzen umgeben, steht der letzte Arbeitsmann, an dem noch Walter Ulbricht (1893-1973) mit wohlgefälligem Blick vorbeikam, nahe der Ecke Hirtenstraße/Karl-Liebknecht-Straße. Es ist die 1968 gegossene, rund vier Meter hohe Bronze-Skulptur "Bauarbeiter" des Bildhauers Gerhard Thieme (geb. 1928). Der Künstler war keineswegs auf glückliche Proletarier spezialisiert. Aus seiner Werkstatt stammt auch ein Relief des Philosophen Moses Mendelssohn (1729-1786) in der Großen Hamburger Straße, dem Denklust und Scharfsinn ins Gesicht geschrieben stehen. Er ist der Großvater des Komponisten Felix Mendelssohn Bartholdy (1809-1807). Im Nikolai-Viertel sind Thiemes Berliner Originale zu sehen, darunter der Dienstmann und allbekannte Eckensteher Ferdinand Strumpf (1803-?), der sich Nante nannte. Ein halb sitzender halb liegender Archimedes, griechischer Mechaniker und Mathematiker (285 -212 v.u.Z.), räkelt sich im hinteren Garten der Archenhold-Sternwarte in Treptow. Kletternde Kinder ziehen am Tröpfelbrunnen an der Ecke Berliner Straße / Breite Straße in Pankow die Blicke auf sich.

"Goldfinger" - die Bauarbeiter-Skulptur

Bronze-Skulptur Bauarbeiter in Berlin
Bronze-Skulptur "Bauarbeiter" des Bildhauers Gerhard Thieme aus dem Jahre 1968 nahe der Ecke Hirtenstraße / Karl-Liebknecht-Straße Foto © -wn-

Was macht den einsam gewordenen Bauarbeiter so sehenswert, der der Abräumlust von Wendepolitikern widerstand? Es scheint, als ob die Bronzefigur schon ins Panoptikum Berliner Originale aufgenommen ist - und dann natürlich auch in die Nomenklatur des Volkshumors - registriert unter dem Spitznamen "Goldfinger", weil der Zeigefinger der linken Hand abgegriffen ist und eine goldene Färbung annahm. Ungeklärt bleibt hingegen, was seine erhobene Rechte bedeutet. Den Daumen hat er abgespreizt, den kleinen Finger eingeknickt. Bestellt er, wie Witzbolde erkannt haben wollen, drei Klare? Zeigt er auf Ulbrichts Fernsehturm? Schwört er gar mit dieser Geste, seine ganze Kraft für den Aufbau des Sozialismus einzusetzen? Könnte man meinen, wüsste man nicht, dass allen so verschiedenartigen bronzenen Geschöpfen Gerhard Thiemes eines gemeinsam ist: Ruhe und Innigkeit, die nichts mit dem verzerrenden Pathos des Pseudorevolutionären zu tun haben. Der an einen Polier erinnernde Bauarbeiter fällt durch gebremstes Pathos auf. Seine Miene gibt zu erkennen, was in der späten DDR eine seltene Ressource war: Vertrauen. Es war im Land mit dem krankhaft geblähten konspirativen Unterbau oft abhanden gekommen. Die Skulptur erinnert überdies an die meist gebildeten Menschen in der DDR, an jene Personengruppe, die bereit und entschlossen war, Arbeitsleistungen ohne ideologisches Brimborium zu erbringen und selbst in einer Atmosphäre zunehmender Resignation Verantwortungsbewusstsein zu zeigen. Diese Menschen werden oft zu Unrecht den Mitläufern zugeschlagen. Im Gedicht des Lyrikers und Brecht-Meisterschülers Heinz Kahlau (1931-2012) aus dem 1985 veröffentlichten Band "Lob des Sisyphus" erscheinen sie auch als "sehr viele Leute - / die einfach da wohnen". Unter jeder zunächst hoffnungsvollen Idee, schreibt Kahlau, versammelten sich Märtyrer, Heilige, kleine Gauner, große Schurken, Wahrsager, Rechthaber und eben die Mitläufer. Er erwähnt Vorschreiter, Hoffnungsträger und die Schrittmacher, die - soweit nicht von der Partei erkoren - ihr Arbeitsethos nicht vor sich hertrugen, sondern nichts anderes als ihren Job ordentlich machen wollten.

In der Propaganda nannte man sie auch Wegbereiter des Neuen oder Bahnbrecher. Die Reihe reicht von der Mutter aller ostdeutschen Produktions-Parolen, der Zittauer Weberin Frida Hockauf (1903-1974) mit ihrer Hohlwort-Formel von 1953 "So wie wir heute arbeiten, werden wir morgen leben" bis hin zur Jugendbrigade "German Titow" aus dem Berliner Betrieb Elektroprojekt und Anlagenbau, die in den Achtzigern so diszipliniert war, sich von Funktionären die Plattitüde "Mein Arbeitsplatz - mein Kampfplatz für den Frieden" als ihr geistiges Produkt vorsagen zu lassen. Wie ein Kometenschwarm durchzogen diese zu Supermännern und -frauen erklärten Menschen die Publizistik und Literatur der DDR. Sie sind die am meisten bedichtete Personengruppe der "sozialistischen Menschengemeinschaft". Verzückt dichtete ein schreibender Arbeiter: "Sie sind überall, / wo auch wir sind. / Sie haben die gleichen Gedanken wie wir. / Doch sie denken weiter. / Wo viele den Punkt setzen, / stellen sie ein Komma". Voluntaristische Verstiegenheit kommt in einem anderen Gedicht zum Ausdruck: "Wir holen den Himmel auf die Erde / und haken die Träume von gestern / im Buch der Erfüllung ab. / Erledigt. / Her mit der nächsten Galaxis!" Heinrich Heines Aufruf in "Deutschland - ein Wintermärchen" (Caput 1) "Ein neues Lied, ein besseres Lied, / O Freunde, will ich Euch dichten! / Wir wollen hier auf Erden schon / Das Himmelreich errichten" - es nimmt sich bescheiden aus gegen den Versuch, gleich Teile des Weltalls auf die Erde zu holen. Der Autor des viel gesungenen Liedes "Wir sind überall" Reinhold Andert (geb. 1944), der es heute vielleicht bedauert, die Orgelbaulehre in der Sechzigern zugunsten eines Philosophiestudiums abgebrochen zu haben, ging mit in der Schrittmacher-Hype. In seinem Lied "Danke, weitermachen" von 1969 taucht auch der Vater aller Schrittmacher auf: "Danke dem Genossen Walter / für die kluge Politik. / Wissenschaft als Machtentfalter, / wir entfalten uns gleich mit." Dass Andert Ulbricht so hofierte, hat mit dem Ausschluss die Kategorie des Zweifels aus der für marxistisch gehaltenen Philosophie zu tun.

Wandbild aus gebrannten Kacheln am Detlev-Rohwedder-Hauses
Allegorische Darstellung des Zusammenwirkens der Arbeiter, Bauern und Wissenschaftler auf dem Wandbild "Aufbau der Republik" des Porträt- und Landschaftsmalers Max Lingner (1888-1959). Das 24 mal drei Meter große Wandbild aus gebrannten Kacheln befindet sich in der Pfeilervorhalle an der Nordostecke des heutigen Detlev-Rohwedder-Hauses. Foto © -wn-

Doch die Schrittmacher und Bestarbeiter in den Betrieben eilten in Wirklichkeit keinesfalls von Erfolg zu Erfolg. Über seinen Produktions-Alltag schrieb der Maschinenstricker und mehrfache Aktivist Gerhard Eichwald aus dem thüringischen Horsmar damals in sein Tagebuch: "November/Dezember 1970: Jeden Sonnabend und Sonntag 12 Stunden gearbeitet. Auch an diesem Jahresende klemmts mit dem Plan. Oft hat Wolle gefehlt. Es muss aufgeholt werden." Dass der reale Sozialismus dereinst mit solchen Problemen zu kämpfen haben würde, das konnte sich auch - wie auch - die gebildete Rosa Luxemburg (1870-1919) nicht vorstellen. In einem Artikel im Dezember 1918 hatte sie noch optimistisch geschrieben: "Der Arbeiter der sozialistischen Wirtschaft muss zeigen, dass er auch ohne die Hungerpeitsche, ohne den Kapitalisten und seinen Antreiber hinter dem Rücken fleißig und ordentlich arbeiten, Disziplin halten und sein Bestes leisten kann." Sie hielt eine "innere Wiedergeburt des Proletariers" für notwendig. Es würden Menschen gebraucht, "von denen jeder an seinem Platz voller Glut und Begeisterung für das allgemeine Wohl ist, voller Opferfreudigkeit und Mitgefühl für seine Mitmenschen, voller Mut und Zähigkeit, um sich an das Schwerste zu wagen". Die Luxemburg war nicht naiv. Solche Eigenschaften konnte ein Mensch nach ihrer Meinung nur unter demokratischen Umständen entwickeln. Ihre Vorstellung vom demokratischen Sozialismus ging nach dem Mord an ihr verloren.

Deshalb sollten die Schrittmacher im dogmatischen Staatssozialismus alles richten. Einen von ihnen beschrieb der proletkultistische Autor Herbert Jobst (1915-1990) mit den Worten, er sei groß, breitschultrig, mit offenem Gesicht, einem Durch-die-Wand-Schädel und Goldschmiedhänden, die sowohl brutal als auch feinnervig zupacken könnten. In Erwin Strittmatters (1912-1994) Roman "Der Wundertäter" (3. Teil) hat die örtliche Parteileitung den Kohlekumpel Kimme zwecks "Erstellung eines Braunkohlehelden" zur Sonderschicht in den Schacht beordert. "Die Anfertigung des Helden fand fünfundsiebzig Meter unter Tage beim Scheine von zwanzig Grubenlampen statt. Diese außergewöhnliche Beleuchtung gab der Wirklichkeit ... etwas von einer Theaterszene." Beim Interview mit der Parteizeitung am nächsten Tag erklärte Kimme dem Reporter: "Wie mir zumute war, haste gefragt? Es war mir, will mal sagen, als ob ich einen in die Fresse schlage. ... Schreib man, schreib! Es war, glaube ich, der Imperialismus." 1951 verfasste der Schriftsteller Rudolf Leonhard (1889-1953) einen orgiastischen Bericht über den Bau des Eisenhüttenkombinates Ost nahe der später Stalinstadt genannten neuen Kommune, die heute Eisenhüttenstadt heißt. "Und nun, ich schwöre es, ich habe es selbst gesehen, ging es los: der Minister, dem man ein Beil gegeben und der eine der kleinen Kiefern umgehauen hatte, saß noch nicht wieder in seinem Wagen, er war noch nicht wieder auf der Straße, da ratterten schon die Traktoren los und legten, die Lichtung vergrößernd, Bäume um."

Auch der Zimmermann und Vorarbeiter Hans Balla aus dem bekannten Roman "Spur der Steine" von Erik Neutsch (geb. 1931) ist von solchem Schrot und Korn. Auf der Großbaustelle geht es um die Einführung des Dreischichtsystems. Im Roman liest man: "Und da tat Balla das, was er tun musste. Er handelte, wie er immer gehandelt hatte, wenn sich alle anderen widersetzten. Auch (dem Parteisekretär) Horrath wollte er zeigen, wer die Baustelle wirklich beherrschte, die Partei oder die Ballas. ... Balla sagte: "Das ist eine Kleinigkeit für uns. Wir Ballas haben schon andere Dinger gedreht. Im Januar fangen wir an damit. An der Chemikalienstation. Dreischichtig. Nachts." Diese enorme Hingabe "an die Sache" schützte den 1966 nach dem Roman von Regisseur Frank Beyer (1932-2006) gedrehten Film nicht vor dem Verbot. Die SED-Führung war plötzlich der Meinung, dass Filme mit solch selbstbewussten Schrittmachern "dem Sozialismus Schaden zufügen" würden. Gerhard Thiemes Bauarbeiter hingegen überstand die staatssozialistische Zeit erfolgreich und in großer Ruhe. Ein Verbot muss er nicht mehr fürchten. Ist zu hoffen, dass es zu keiner Entsorgung kommt. "Goldfinger" soll bleiben. Nicht alles war schlecht.

Wie man zur Bauarbeiter-Skulptur kommt:

Sie ist in wenigen Minuten vom Alexanderplatz aus zu Fuß zu erreichen, wenn man die Liebknechtstraße wenige Meter in nördliche Richtung geht.
Text: -wn- / Stand: 19.04.2023 / Alle Angaben ohne Gewähr!

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