Denkmal für die ermordeten Sinti und Roma Europas in Berlin

Text: -wn- (Journalist aus Berlin) / Letzte Aktualisierung: 19.04.2023

Blumen am Rand des Beckens vom Denkmal für die ermordeten Sinti und Roma Europas
Zahlreiche Blumen am Rand des Beckens - dem "See der stummen Tränen" - Foto: © -wn-

Das Denkmal befindet sich Großen Tiergarten und wurde 2012 eingeweiht.

Das Denkmal für die ermordeten Sinti und Roma Europas - Geigensolo aus dem Busch

Die Gedenkstätte für die ermordeten Sinti und Roma Europas im Berliner Tiergarten wird von einem scheinbar harmlosen kreisrunden Wasser bestimmt. Man fragt sich, welche schicksalhafte Bedeutung ein siebzehn Zentimeter tiefes Gewässer mit geringem Durchmesser für die Sinti und Roma haben kann. Nach der Vorstellung des international renommierten israelischen Bildhauers Dani Karavan (geb. 1930), der das Denkmal schuf, soll die schlundhafte Schwärze des flachen Gewässers den Eindruck eines "endlos tiefen" Grundes erzeugen. Und das tut sie auch. Das symbolische Verweisen auf das nunmehr in geschichtlichen Tiefen liegende entsetzliche Vergangene zeigt sich bald. Denn auch oben, auf dem Beckenrand aus geschmiedetem Stahl, verweist ein Gedicht mit dem Titel "Auschwitz" auf das Anliegen der Installation. Der Text stammt vom italienischen Musiker Santino Spinelli (geb. 1964); er schrieb ihn auf Englisch und Deutsch und auf Romanes - der indoarischen Sprache der Roma. Das Gedicht assoziiert grausame Szenerien, darunter solche, die die Befreier der faschistischen Konzentrationslager vorfanden:

"Eingefallenes Gesicht
erloschene Augen
kalte Lippen
Stille
ein zerrissenes Herz
ohne Atem
ohne Worte
keine Tränen".
In der Mitte des Teichs der Blickfang: Eine dreieckige steinerne Stele. Sie erinnert an die stigmatisierenden Winkel auf der Kleidung der KZ-Häftlinge.

Das zwölfjährige Sinti-Mädchen Messina Weiss ehrt die Ermordeten

So kam der 24. Oktober 2012, der Tag der Einweihung des Denkmals. In seinem Hintergrund weiß man das nahe Brandenburger Tor, im Blick nach vorn ist der Deutsche Reichstag zu sehen. Allein diese beiden Punkte befördern den Gedanken, dass diese neue Stätte des Erinnerns räumlich direkt an den Orten schicksalhafter Geschehnisse des vorigen Jahrhunderts liegt. Zur Weihe des Denkmals sind die Spitzen der deutschen politischen Klasse erschienen, die die repräsentative Demokratie derzeitigen Zuschnitts verkörpern. Und wer die Meinung hegt, man sollte es sich dreimal überlegen, Kinder für politische Symbolhandlungen zu verwenden, weil sie zumindest im Osten oft dazu dienen mussten, bei Erwachsenen flache und frenetische Gefühle aufzurühren - hier am Denkmal scheint es sich anders zu verhalten. Wieder ist ein Kind im Spiel - das Sinti-Mädchen Messina Weiss (geb. 2002), Urenkelin der Auschwitz-Überlebenden Gertrud Rocher, zieht die Blicke auf sich. Es ruft kein Bekenntnis aus, schwenkt keine Fahne, hält kein Transparent hoch, hat keinen Blumenstrauß in der Hand - sondern einen einzigen frisch geschnittenen Stängel eines Blauen Eisenhutes (Aconitum variegatum). Das anmutige Mädchen lässt Vorsicht walten, ist konzentriert, will verhindern, dass die Blume vom weißen Kissen, das es in seinen Händen vor sich her trägt, zu Boden fällt. Messina Weiss ist dunkel gekleidet. Hellfarben an ihr ist ein bauschiger weißer Schal um den Hals. Ein schöner Seitenzopf fällt aus dem straff gekämmten Kopfhaar über die linke Schulter nach vorn. Nachdem das Mädchen ein kurzes Stück am Wasser entlang gelaufen ist, muss es nun in einen verborgenen unterirdischen Raum gehen und dort den Stängel auf die heruntergefahrene Stele legen. Mit der Blume belegt kann die Stele nun durch den wasserlosen Schacht hydraulisch wieder zum Licht empor fahren und dort bleiben bis die Blume welkt und durch eine neue ersetzt wird. Der gestalterische Einfall Dani Karavans, der auch den technischen Aufwand des Ganzen deutlich macht, hat singulären Charakter. Wie die Volksgruppe selbst auch, deren Angehörige man heute in Berlin trifft und deren Schicksal nun in Deutschland vor dem langsamen Vergessen geschützt ist. Auch der Dichter der Aufklärung Heinrich Heine (1797 od. 1799 od. 1800-1856) wollte sie im öffentlichen Bewusstsein halten, als er in seiner "Romantischen Schule" von 1836 über "das wanderschaftliche Treiben der Zigeuner" schrieb. Da diesen damals das Schlimmste, die physische Vernichtung vieler von ihnen, noch bevorstand, kann der Dichter mit dem großen Herzen anfangs noch arglos fabulieren: "Hier lebt und webt das seltsame Märchenvolk mit seinen braunen Gesichtern, freundlichen Wahrsageraugen und seinem wehmütigen Geheimnis. Die bunte, gaukelnde Heiterkeit verhüllt einen großen mystischen Schmerz", heißt es weiter.

Fußplatten am Denkmal für die ermordeten Sinti und Roma Europas
Auf einigen der steineren Fußplatten rund um das Becken sind die Orte zu lesen, in denen Sinti und Roma ermordet wurden: Vernichtungslager Treblinka (Woiwodschaft Masowien, Polen), Königsberg (heute Kalinigrad, Russland) und Litzmannstadt, das heutige Lodz in Zentralpolen.
Foto: © -wn-

Wir nennen sie heute Sinti und Roma, weil der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma und die kleinere Sinti Allianz Deutschland die durch den Faschismus belasteten Bezeichnungen "Zigeuner und Zigeunerin" als diskriminierend ablehnt. Heinrich Heine begründet die Vorurteile gegen diese Menschengruppe mit den Worten: "Die Zigeuner müssen nämlich nach der Sage ... eine Zeitlang in der ganzen Welt herumwandeln, zur Abbuße jener ungastlichen Härte, womit einst ihre Vorfahren die heilige Muttergottes mit ihrem Kinde abgewiesen, als diese, auf ihrer Flucht in Ägypten, ein Nachtlager von ihnen verlangte. Deshalb hielt man sich auch (für) berechtigt, sie mit Grausamkeit zu behandeln." Gegen niemand seien "die Gesetze barbarischer gewesen als gegen die armen Zigeuner. In manchen Ländern erlaubten sie, jeden Zigeuner bei Diebstahlsverdacht, ohne Untersuchung und Urteil, aufzuknüpfen". Da machte Preußen keine Ausnahme. 1709 und im Folgejahr hatte König Friedrich I. (1657-1713) Edikte gegen die Sinti und Roma erlassen. Bei deren Erscheinen in einem preußischen Ort sollten die Sturmglocken angeschlagen werden. Der Monarch behauptete sogar, die Ankommenden verbreiteten die Pest. Überall an den Grenzen wurden Galgen mit der Inschrift errichtet: "Strafe des Diebs- und Zigeuner-Gesindels, Mann- und Weibspersonen". Auch Friedrichs Sohn, der bigotte Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I. (1688-1740), erließ 1725 ein Gesetz, in dem es heißt: "Die Zigeuner männlichen oder weiblichen Geschlechts, so in den Preußischen Staaten betroffen werden, sollen, wenn sie über 18 Jahre alt, ohne alle Gnade mit dem Galgen bestraft werden." Unter dem Sohn Friedrich II. (1712-1786) schien sich die Lage zu mildern. Es kam zu - wenn auch zwangsweisen - Ansiedlungen von Sinti und Roma. Zum Beispiel in dem vom "Philosophen von Sanssouci" gegründeten Weiler Friedrichslohra bei Nordhausen. Der König ließ dort Bauern und Weber ansiedeln - und auch, als Versuch einer Seßhaftmachung, einige Sinti und Roma. In den Urkunden ist vom "Zigeunerdorf Friedrichslohra" die Rede. Die Nachkommen der Angesiedelten mussten ab 1939 im Steinbruch in Krimderode, einem Stadtteil von Nordhausen, Zwangsarbeit leisten. Sieben von ihnen wurden in Auschwitz ermordet. Es überstieg die Phantasie Heinrich Heines sich vorzustellen, dass etwas mehr als 100 Jahre später, 1942, der deutsche Reichskanzler Adolf Hitler (1889-1945) die Deportation aller in Deutschland lebenden Sinti und Roma nach Auschwitz befahl.

Die Rhapsodie "Tzigane" - Maurice Ravels wunderbares musikalisches Klischee

Der Begriff Zigeuner ist alt. Ihn gibt es seit dem 15. Jahrhundert - wenn auch nicht als eine Selbstbezeichnung der Sinti und Roma - ihnen ist das Wort bekannt, aber fremd. (Lediglich in Ungarn nennen sich Menschen cigány, Zigeuner.) Und auch heute, nachdem sich die Wendung Sinti und Roma im deutschen Sprachgebrauch etablierte, hält sich das Zigeunerische in Wortverbindungen wie Zigeunerschnitzel, Zigeunerkapelle und im Operettentitel "Der Zigeunerbaron". Ebenso gibt es keinen Versuch, die Bezeichnung einer etwa zehn Minuten langen, atemberaubenden Rhapsodie für Violine und Orchester zu verändern, die wir als französischen Begriff "Tzigane" kennen. Maurice Ravel (1875-1937) komponierte das Stück im Jahre 1924, das zu den anspruchsvollsten Werken der virtuosen Violinliteratur gehört - aber wohl nicht zu denen, die das Leben der Sinti und Roma realistisch aufklingen lassen. Die Rhapsodie besteht aus zwei Kadenzen, die erste ist ein Solo, von dem man meinen könnte, es ist tatsächlich der Bericht eines Lebens, in dem Leid, Kummer und Träume vom Besserwerden des Daseins erzählt werden. Die Kadenz kann für das Gedicht "Zigeuner" des österreichischen Lyrikers Georg Trakl (1887-1914) aus dem Jahre 1909 stehen, in dessen erster Strophe es heißt:

"Die Sehnsucht glüht in ihrem nächtigen Blick
Nach jener Heimat, die sie niemals finden.
So treibt sie ein unseliges Geschick,
Das nur Melancholie mag ganz ergründen."
Am Beginn der zweiten Kadenz setzt das Orchester ein, ohne dass die Sologeige zum Schweigen kommen will. Im Gegenteil: Sie nimmt teil an einer farbenreichen Fröhlichkeit, die sich in wilden und festlichen Formen vollzieht. "Tzigane" ist letztlich ein - wunderbares - jedoch musikalisches Klischee. Der Titel wird bleiben. Und wir werden es auch weiterhin hören wollen.

Anders als der wild-traurige "Tzigane" bewegt den Besucher des Denkmals ein Grave, ein einsames Geigensolo voller Ernst und Eindringlichkeit. Es kommt - woher Geigensoli sonst nicht kommen - aus den Büschen, die die Gedenkstätte umstehen. Wird man den Geigenton gewahr, meint man erst, es begänne der dritte langsame Satz von Ludwig van Beethovens (1770-1827) Neunter Sinfonie in D-Moll, in dem das zweite Fagott verhalten und weit ausholend beginnt und die übrigen Instrumente nacheinander einsetzen. Was sich aus den Büschen des Tiergartens verbreitet, ist der "Klang einer einsamen Geige ... schwebend im Schmerz", heißt es, eine außergewöhnliche Komposition, die ihr Schöpfer, der deutsche Geiger und Pianist Romeo Franz (geb. 1966) als seine bisher bedeutendste Arbeit bezeichnet. "Mare Manuschenge" nennt er das Stück, das auch heißt: See der stummen Tränen. Die Musik hat keinen beiläufigen Charakter; sie gehört als Ingredienz zur Gesamtinstallation. Würden sich die Geigentöne nicht auf dem Wasser treffen, womöglich würde man zu dem Becken im Berliner Slang bald "Schwarzer Teich mit Blume" sagen. Was der Besucher jedoch hört, erinnert an das Children's Memorial in der israelischen Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem auf dem Jerusalemer "Berg der Erinnerung", einer Hügelkette, mit der die Stadt nach Westen hin ins judäische Bergland hineinragt. In diesem Memorial herrscht eine ebenso schwer zu ertragende Eindringlichkeit, wenn im dunklen Felsenraum drei Kerzen auf den kleinteilig verspiegelten unplanen Wänden ein gewaltiges Sternenmeer erzeugen und in diese Stille hinein eine ruhige Stimme bisher erfasste Namen der - so schätzt man - 1,5 Millionen im Holocaust ermordeten Kinder verliest. Die Nennung der Namen vollzieht sich sachlich wie Nummern-Aufrufe in einem Amtskorridor. Dennoch sind Mitleid, Trauer, Bestürzung übliche Gefühlsregungen unter Besuchern - alle Empfindungen sind zu schwach, sich dem Unfassbaren auch nur anzunähern. Und ähnlich ist es auch in Berlin. Im verhaltenen Geigenton schwingen Zürnen und Zagen, Vorwurf und versuchte Vergebung. Trauer und Tröstung will die Geige an die Nachgeborenen tragen und im Sinne Martin Luthers (1483-1546) "Regiererin der Herzen" sein. Die Geige erinnert an den Porajmos, den Höhepunkt des Völkermordes an den europäischen Roma. Die Opferzahl - sechsstellig.

Minister Thomas de Maiziere will nicht "herumzigeunern"

Im heutigen politischen Alltag werden Ausrutscher von Großkopfeten besonders gern zitiert, zumal ihnen die Sprachschnitzer oft als comedy-fähige Freudsche Versprecher über die Lippen kommen. Da bleibt auch "Zigeunerisches" nicht ausgespart. Und das auch noch bei einem Politiker, der stets den Eindruck zu erwecken sucht, die Political Correctness mit der Muttermilch eingesogen zu haben. Die Jazzsängerin und Autorin Michaela Dotschy Reinhardt (geb. 1975), die einer Teilgruppe der europäischen Roma entstammt, berichtete - eher erheitert als empört - von einem "Rausrutscher" des deutschen Innenministers mit hugenottischem Hintergrund Thomas de Maiziere (geb. 1954). Auf dem Bundespresseball 2009 wird er gefragt, ob er sich vorstellen könne, ein so unstetes Musikerleben wie das der auftretenden Kölschrockband BAP zu führen. Offenherzig meinte der Minister, für ihn persönlich wäre ein solches "Herumzigeunern" nicht das Richtige. Das Malheur des Ministers für Inneres ist lässlich. Gar nicht, was vor einiger Zeit in einer Studie der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) mitgeteilt wurde: Keiner Bevölkerungsgruppe werde heute in Deutschland weniger Sympathie entgegengebracht als den Sinti und Roma. Besonders auffällig sei, dass sie in allen sozialen Schichten und über Altersgrenzen hinweg nicht als gleichberechtigt wahrgenommen würden. "Die Studie ist ein Warnsignal", kommentiert Behördenchefin Christine Lüders (geb. 1953). Bedenkt man, dass das Denkmal im Tiergarten erst nach jahrelangen Streitigkeiten zwischen Schöpfern, Verbänden und Behörden geschaffen und verspätet eröffnet werden konnte, so gibt es Grund zu der Erwartung, dass der deutsche Rechtsstaat und seine Bewohner letztlich die Gleichbehandlung aller hier Lebenden einer Diskriminierung einzelner Gruppen vorziehen werden.

Wie man zum Denkmal kommt:

Der weitgehend barrierefreie Eingang zum Denkmal befindet sich am Simsonweg zwischen Brandenburger Tor und Reichstagsgebäude in 10557 Berlin.

Verkehrsverbindungen:
Bus: Reichstag / Bundestag und Hauptbahnhof Linien 100, M85, M41, TXL, 120, 123, 142,245
S-Bahnhöfe: Brandenburger Tor und Hauptbahnhof, Linien S1, S2, S25, S5, S7, S75
U-Bahnhöfe: Bundestag und Brandenburger Tor, Linie U55

Öffnungszeiten vom Denkmal für die ermordeten Sinti und Roma Europas:

Das Denkmal ist Tag und Nacht frei zugänglich.
Alle Angaben ohne Gewähr!

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