Grab von Adelbert von Chamisso in Berlin Kreuzberg

Adelbert von Chamissos schattiges Grab /
Peter Schlemihls schattiger Handel
Steht die Mittagssonne gleißend über der Tempelhofer Freiheit, finden ein paar abgestrahlte Lichtquanten auch zum südlich gelegenen Friedhof III der Jerusalems- und Neuen Kirchengemeinde in Berlin-Kreuzberg.
Auf dem Grabstein, auf dem die Schatten der Äste und Blätter unselig spielen, ist zu lesen:

GEB. D. 30 Januar 1781
GEST. D. 21 August 1838
ANTONIE von CHAMISSO
Geb. PIASTE
GEB. D. 30 OCTOBER 1800
GEST. D. 21 MAI 1837
Der Schriftsteller Julius Rodenberg (1831-1914) beschreibt in seinen "Bildern aus dem Berliner Leben" die Ruhestätte des Dichters zu damaliger Zeit: "Ein Grab, ein Stein für beide (Eheleute), reich mit Efeu umwunden und ein Kranz darauf von Lorbeerblättern mit Astern und weißen Rosen. Er hatte sich mit der Achtzehnjährigen vermählt, die er im Hause (des Verlegers) Hitzig aufwachsen sah und mit der er, da sie noch ein Kind war, gespielt (hatte). Sie starb früh, und er hat sie nur um ein Jahr überlebt; er, der ein Wandrer, ein Fremder, ein Franzose (war, der) zu uns kam und nach allem, was er an Liebe, Freundschaft und Ruhm hier gefunden, um nichts (weiter) bat, als um ein Grab in deutscher Erde." Die Bitte äußert er bereits 1818 in einem expressiven Gedicht. Er formuliert, es habe er, der Wanderer, nach wegereichen Jahren seinen Stab in die Ecke gestellt "und knieet nieder / Und feuchtet (der Erde) Schoß mit stillen Thränen, / O deutsche Heimat! - Wollt ihm nicht versagen / Für viele Liebe nur die eine Bitte: / Wann müd' am Abend seine Augen sinken, / Auf deinem Grunde laß den Stein ihn finden, / Darunter er zum Schlaf sein Haupt verberge". Der Wunsch wird ihm am Ende der zwanzig noch verbleibenden Lebensjahre in großer Einmütigkeit des gesellschaftlichen Umfeldes erfüllt. Keiner ahnt damals, dass diese singuläre Bestattung nur ein Vorzeichen ist. 175 Jahre später werden millionenfache Bleibe- und damit auch Bestattungswünsche Deutschland in nicht gekanntem Ausmaß beben lassen.
Chamisso: Ein deutscher Ehrendoktor mit Migrationshintergrund
Adelbert von Chamisso ist im Zweit-, oder wenn man will im Erstberuf Botaniker; 1814 nimmt er an der Berliner Universität ein naturwissenschaftliches Studium auf. Er wird später zu einem Ehrendoktor mit Migrationshintergrund, mit einem geburtlichen Bezogensein wie es so mancher in der geistigen Elite des deutschen Sprachraumes besitzt (Fontane, Beethoven, Chodowiecki) und der mit Liebe, Leidenschaft und Leistung die deutsche Kultur bereichert, ja in Teilen mitbegründet. Stammt er doch aus einem kultivierten adligen französischen Elternhaus, dessen Privilegien die Französische Revolution 1789 abschafft. Seine Familie flieht daraufhin vorübergehend nach Preußen. Der Sohn bringt es dort zum Edelknaben, worunter man sich eine niedere dienende Position am Königshof vorstellen muss. Viel Gutes sieht er nicht; er ist bedienstet im engeren Umfeld der Pro-Forma-Gemahlin Friedrich Wilhelms II. (1744-1797), der in Preußen auch als "Der dicke Lüderjahn" (Taugenichts) verhohnepiepelt wird. Wilhelms Gattin Elisabeth Christine Ulrike (1746-1840) steht, wie es heißt, dem notgeilen Ehemann in Sachen "Fremdgehen" nicht nach.
Die Schlemihl-Novelle entsteht als "verrückte Idee"
Die Schlemihl-Novelle entsteht nicht, wie man vermuten könnte, nach einem tiefgründigen gesellschaftspolitischen Diskurs im Freundeskreis, sondern eher nebenher. Sie geht auf eine "verrückte Idee" zurück, die während eines Besuches beim befreundeten Dichter Friedrich Heinrich Karl Baron de la Motte Fouqué (1777-1843) aus heiterem Himmel Gestalt annimmt. Der Einfall soll den beiden im Park des Schlosses Nennhausen im heutigen Landkreis Havelland gekommen sein. Chamissos Herausgeber Wilhelm Rauschenbusch (1818-1881) ist Ohrenzeuge unter den alten Bäumen des Parks: "Die Sonne warf lange Schatten, so dass der kleine Fouqué nach seinem Schatten fast so groß aussah als der hochgewachsene Chamisso. Sieh, Fouqué, sagt da Chamisso, wenn ich dir nun deinen Schatten aufrollte und du ohne Schatten neben mir wandern müsstest? Fouqué fand die Frage abscheulich und reizte dadurch Chamisso, die Schattenlosigkeit neckisch weiter auszubeuten" (zu diskutieren). Thomas Mann schildert die Entstehungsgeschichte der Novelle noch etwas anders: "Zerstreuungsbedürfnis, Onkelgüte gegen ein paar Kinder (in der Familie Hitzig), ... ein Scherz unter Freunden, Muße und Langeweile, - das sind äußerst bescheidene Anlässe und Beweggründe für das Entstehen einer Dichtung, die man unsterblich nennen darf." Diese bei heiterem Brainstorming in frischer Luft entstandene Geschichte erhielt, schreibt Thomas Mann, "unter den Händen eines Dichters die Eigenschaften, eine Welt zu ergötzen".
Für ihn ist Schlemihls noch vorhandener Schatten ein "Symbol aller bürgerlichen Solidität und menschlichen Zugehörigkeit".
Auf die heute unverminderte Aktualität der Novelle verweist auch der in dieser Sache allerdings pessimistische Schriftsteller Alfred Georg Hermann Henschke (Klabund) (1890-1928). Sie sei ein "Glanzstück unserer novellistischen Poesie" und "eine sinnbildliche und sprichwörtliche Figur geworden. Ich weiß allerdings nicht, ob (sie) auf meine Mitbürger noch viel Eindruck macht. Sie sind ja längst gewohnt, nicht nur ihren Schatten, sondern auch den Schatten ihres Schattens, und die Sonne, die den Schatten hervorruft, zu verkaufen. Ja, sie verkaufen sogar Peter Schlehmils wundersame Geschichte, statt sie einem jeden gratis ins Haus zu bringen", heißt es unheilverkündend bei Klabund. Trotzdem hat der "Schlemihl" in den über 200 Jahren seit seinem ersten Erscheinen den Status einer Erfolgsgeschichte. Mit begründetem Stolz schreibt der Autor bereits Anfang 1819 an den französischen Naturwissenschaftler Louis de La Foye (1780 od. 1781-1847): "Und noch ein Wort von Schlemihl - selten hat ein Buch so eingerissen - man liest es, die Kinder laufen mir nach dem Schatten - in Copenhagen, Petersburg, Reval ist unberufen Schlemihl da, so bei den Deutschen am Cap, aus Lesebibliotheken wird er regelmäßig gestohlen und keine Zeitung hat ihn je angekündigt oder genannt."
Der friedfertige Jesus Christus wird handgreiflich
Es gibt im Werdegang der Menschheit drastischere Versuche, frühe händlerische Exzesse zu stoppen als die von Bucherscheinungen, die auf die Vernunft des Menschen setzen. Von einem solchen Versuch berichtet die christliche Bibel. Er spielt sich ab in Jerusalem. Dort kommt es vermutlich zum einzigen Gewaltausbruch des ansonsten friedfertigen Jesus Christus (4. V. Chr.-30 od.31 n.Chr.). Dieser schreitet ein gegen den Konsumismus seiner Zeit - und wird handgreiflich. Nach heutigen Begriffen erfüllt sein Vorgehen die Tatbestände Hausfriedensbruch, Sachbeschädigung und Beleidigung. Die Bibel berichtet im Evangelium des Johannes, Jesus habe bald nach seiner Ankunft in Jerusalem von einem Markttreiben in der jedermann zugänglichen Vorhalle des heiligen Tempels gehört. Daraufhin sei er dort erschienen und habe sich über die Geldwechsler und Verkäufer von Opfertauben und Weidevieh empört. "Und er fand im Tempel sitzen, die da Ochsen, Schafe und Tauben feil hatten, und die Wechsler", berichtet Johannes. Jesus, heißt es, "machte eine Geißel (Peitsche) aus Stricken und trieb alle zum Tempel hinaus samt den Schafen und Ochsen und verschüttete den Wechslern das Geld und stieß die Tische um". Heinrich Heine (1797 od. 1799-1856) findet die Aktion absolut sympathisch. Aber er ist Realist und weiß: Rechthaben und Vernunft anmahnen ist das Eine... Im Versepos "Deutschland ein Wintermärchen" kommt er darauf zu sprechen: "Geldwechsler, Bankiers, hast du sogar / Mit der Peitsche gejagt aus dem Tempel - / Unglücklicher Schwärmer, jetzt hängst du am Kreuz / Als warnendes Exempel!" Angesichts trickreicher Berliner Händler, Banker und Finanziers ächzt Heinrich Heine in seinen "Briefen aus Berlin" von 1822: "O Gott, welche Gesichter! Habsucht in jedem Muskel. Wenn sie die Mäuler öffnen, glaub ich mich angeschrien: "Gib mir all dein Geld!"
Ein Rat zum Schluss: Man beneide die nicht, die einen vollen Säckel, aber keinen Schatten haben.
Wie man zum Grab Adelbert von Chamissos kommt:
Der Friedhof III der Jerusalems- und Neuen Kirchengemeinde in Berlin-Kreuzberg ist Teil der Friedhöfe vor dem Halleschen Tor. Der Eingang zum Friedhof III befindet sich in der Nähe des U-Bahnhofes Gneisenaustraße am unteren Mehringdamm. Zum Ehrengrab des Dichters kommt man, wenn man sich sofort nach dem Betreten des Friedhofes rechts hält und in Richtung der Friedhofsmauer an der Baruther Straße geht. Das etwas versteckt, aber am Weg liegende Grab ist nur ca. 150 Meter vom Eingang entfernt.
Der Mehringdamm ist mit der U-Bahn U7 zu erreichen.
Text: -wn- / Stand: 06.01.2021
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