Erfahren Sie in diesem Artikel was Johann Wolfgang Goethe in Berlin erlebt hat.
Johann Wolfgang Goethe in Berlin - einmal und nie wieder
Niemand war bei der Ankunft in Berlin erschienen; handelte es sich doch immerhin um den damaligen Newcomer-Dichter Johann Wolfgang Goethe (1749-1832).
Der "Herr Legationsrat v. Göthe" sei am 15. Mai 1778 in der fünften Nachmittagsstunde im Gasthof Erster Klasse "Hotel de Russie, bei der Witwe Obermann", am Boulevard Unter den Linden 23 nahe der Kreuzung Friedrichstraße abgestiegen. Die als hochklassig geltende Unterkunft wird vom Journalisten Julius Rodenberg (1831-1914) später in seinen "Bildern aus dem Berliner Leben als "kein sehr wohnliches oder einladendes Haus" geschildert. "Im Erdgeschoß war ein kleiner Zigarrenladen, im zweiten Stock ein Restaurant, das nur noch wenig frequentiert ward, wo (aber) es einen erlesenen "Salate du Prince Pueckler" gab, den Fürst Pückler gelegentlich selbst mischte, und (es gab) einen Ballsaal, in dem nicht gerade die beste Gesellschaft von Berlin tanzte", schreibt der Chronist. Wie die ,,Berlinischen Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen'' berichten, hätten sich in Goethes Begleitung die "Herren Kammerjunkers von Wedell und von Ahlefeld aus Weimarschen Diensten" befunden. Niemand stellte die Frage, wer der Goethe-Reisegefährte von Ahlefeld ist. Das Inkognito hatte bis dahin gehalten. Der Herr von Ahlefeld ist der zu diesem Zeitpunkt 20jährige Karl August, spätere Großherzog von Sachsen-Weimar-Eisenach (1758‒1815). Er ist auch derjenige Fürst und Dienstherr, der mit dem neun Jahre älteren Goethe lebenslang eng befreundet bleibt. Die Reisegesellschaft war früh gegen Sechs im Übernachtungsort Treuenbrietzen aufgebrochen und zunächst nach Potsdam gefahren, wo sie das Großes Militär-Waisenhaus und den Langen Stall (Exerzierhaus) in Augenschein nahm. In Goethes Tagebuch heißt es: "Nachmittag nach Sanssouci. Castellan ein Flegel." Der König abwesend. Er befindet sich im schlesischen Schönwalde (heute Stoszowice) und bereitet sich dort - geplagt von Hämorrhoiden, Darmblähungen und Gicht - auf seinen letzten Krieg vor, den man den Bayerischen Erbfolgekrieg nennen wird.
Die Berlin-Reise ist kein Ausflug in den preußischen Frühling. Karl August führte in Berlin, Potsdam und Dresden interne Gespräche, bei denen er mögliche Folgen des rund zwei Monate später beginnenden Bayerischen Erbfolgekrieges für sein Herzogtum herausfinden will. Auch geht es um Friedrichs Ansuchen an den Weimarer Hof, das Anwerben von Soldaten auf seinem Hoheitsgebiet zuzulassen. Österreich, das im Siebenjährigen Krieg (1756‒1763) auf Schlesien hatte verzichten müssen, wollte sich nun - als 1777 die bayerische Linie des Wittelsbacher Herrschergeschlechts erloschen war - ein Stück herrschaftslos gewordenes Bayern einverleiben. Der Wiener Plan stieß nicht nur auf bayerische, sondern auch auf preußische Gegenwehr. Am 3. Juli 1778 bricht Friedrich II. durch Einmarsch in Böhmen und Mähren den Krieg - wie so oft - präventiv vom Zaun; er nimmt einen unerwarteten Verlauf. Wegen der schlecht organisierten rückwärtigen Dienste auf beiden Seiten kommt es zu keinen nennenswerten Kampfhandlungen, sondern im Wesentlichen nur zum Mundraub von Kartoffeln. Daher der für eine Kriegshandlung ungewöhnliche Name: Kartoffelkrieg. Auf der österreichischen Seite nannte man dieses Requirieren von Lebensmittel für die Soldaten einen "Zwetschkenrummel". Dieser Krieg war der letzte des kämpferischen Philosophen von Sanssouci.