Mendelssohn Platz in Berlin
Text: -wn- (Journalist aus Berlin) / Letzte Aktualisierung: 19.04.2023
Der Mendelssohn Platz (offiziell: Fromet-und-Moses-Mendelssohn-Platz) wurde am 26.04.2013 vor dem Jüdischen Museum in Kreuzberg eingeweiht.
Berlin-Kreuzberg, Lindenstraße: Fromet und Moses Mendelssohns "Guter Platz"
Denkmäler kosten Geld und die Wirkkraft eines Entschlusses. Vonnöten sind Förderer und Sponsoren, aber einen Anstoßer braucht man auch. In dieser Rolle fühlte sich 1880 der Frankfurter Dirigent und Komponist Ferdinand von Hiller (1811-1885). In seiner Publikation "Künstlerleben" hält er es für überfällig, dass die Stadt Berlin dem Philosophen Moses Mendelssohn (1729-1786) - Großvater des Komponisten Felix Mendelssohn-Bartholdy (1809-1847) - endlich ein Denkmal baut. "Unbegreiflich ist es", schreibt er, "dass die berliner Juden, getaufte und ungetaufte, die gelegentlich so viel Enthusiasmus und so viel Geld ausgeben, (ihm) nicht längst eine Statue gesetzt haben -, seine Büste wenigstens müsste in der Hauptstadt des Deutschen Reiches überall zu finden sein". Ferdinand von Hiller meint jenen in Dessau in ärmsten Verhältnissen geborenen Mann, von dem es schon zu dessen Lebzeiten heißt, er sei der "erste Deutsche unter den Juden und der erste Jude unter den Deutschen". In Preußen gilt er überdies als "Vater der Haskala", der jüdischen aufklärerischen Bewegung, deren Ziel eine unorthodoxe jüdische Vernunftreligion ist. Heinrich Heine (1797 od. 1799 od. 1800-1856) nennt ihn im Essay zur "Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland" von 1834 gar "den Reformator der deutschen Israeliten". Und warum? Ganz einfach: "Wie Luther das Papsttum, so stürzte Mendelssohn den Talmud, und zwar in derselben Weise, indem er nämlich die (von Menschen geschaffene rituelle) Tradition verwarf, die Bibel für die Quelle der Religion erklärte und den wichtigsten Teil derselben übersetzte. Er zerstörte hierdurch den jüdischen, wie Luther den christlichen Katholizismus." Bei dem so Gelobten handelt sich auch um denjenigen deutschen Juden, den der Dichter und Freund Gotthold Ephraim Lessing (1729-1781) zum literarischen Vorbild für die Hauptperson seines weltbekannten Bühnenstückes "Nathan der Weise" erwählt. Lessings Nathan - auf der Bühne oft im hellen Mantelgewand eines nichtorthodoxen Juden mit Kippa, Bart und Schläfenlocken unterwegs - spricht in Lessings Dramatischem Gedicht die heute hochgradig aktuelle Ringparabel, in der er für einen verträglichen, vor allem gewaltfreien Wettbewerb der Religionen wirbt.
Die Gestapo zerstörte Moses Mendelssohns Grab, den Guten Ort
Das angemahnte Denkmal wird in Berlin nie errichtet. Doch nach 1945 wird es dennoch ein Denkmal für ihn geben.
Es ist sein nach ursprünglichem Aussehen und ungefährer Lage rekonstruiertes Grab auf dem Alten Jüdischen Friedhof in der Großen Hamburger Straße im Berliner Stadtteil Mitte. Die Geschichte dieses Totenackers zeigt, dass dem Holocaust nicht nur lebende, sondern auch tote Juden zum Opfer fielen. Der Friedhof wurde - so wie er war - von der Gestapo zerstört. Auf dem Gelände veranlassten die Faschisten den Bau eines zickzackförmigen Splittergrabens zum Schutz gegen in die Stadt eindringende Feinde. Schweres Gerät riss den Boden auf. Zur Befestigung des Grabenrandes wurden die Steine der geschändeten Gräber in Stellung gebracht. Die dem Erdreich entrissenen Gebeine der Bestatteten wurden "entsorgt"; und es steht zu befürchten, dass im Zuge dieses Verbrechens auch die Überreste Moses Mendelssohns beseitigt wurden. Man muss wissen: Nach jüdischer Vorstellung ist das Grab eines Verstorbenen ein Guter Ort mit zugestandener dauerhaften Totenruhe, die erst mit dem Erscheinen des Messias endet.
Wer heute das Grab besucht, ist nicht daran gehindert, der kleingewachsenen, buckligen großen Gestalt der deutschen Geistesgeschichte zu gedenken. Man steht aber - sie oben - vor einem einsamen Kenotaph, einer Grabrekonstruktion, einem Scheingrab. Es ist ein ehemals Guter Ort, der nach Lage der Dinge zum Denkmal wurde.
Aber es tat sich Weiteres in Berlin. Die Stadt verfügt seit April 2013 über einen Erinnerungsort, der auch Frau Fromet Mendelssohn (1737-1812) mit ins Spiel bringt.
Zwischen dem Kollegienhaus des Jüdischen Museums und (auf der anderen Seite der Lindenstraße) der Akademie des Museums gibt es nun den "Fromet-und-Moses-Mendelssohn-Platz". Selbst wenn nicht alle Einzelheiten von Moses Mendelssohns Brautwerbung im Haus des in Hamburg ansässigen Wiener Kaufmanns Abraham Gugenheim (ca. 1700-1766) bekannt sind, so hat sich doch dessen Tochter Fromet (1737-1812) nachweislich nicht aus Barmherzigkeit für den Mann mit den körperlichen Handicaps entschieden. Sein Sohn Joseph (1770-1848) beschreibt den Vater später so: "Er war von kleiner Statur, verwachsen in den Schultern, die einen starken Höcker bildeten; er stotterte oft im Sprechen. Im Gegensatz zu dieser misslichen Leibesgestalt war der Kopf sehr schön gebildet, und alle seine Gesichtszüge verkündeten einen hohen Geist und ein herrliches Gemüt." Fromet Gugenheim fühlte, dass es ein Mann war, mit dem sie durch ein erfülltes Leben gehen konnte. Der Berliner Sprachwissenschaftler Anatol Stefanowitsch (geb. 1970) gibt den Versuch des Freiwerbers, ein Mädchenherz für sich selbst zu gewinnen, so wieder: "Nach allem, was man liest, hat der Philosoph Moses Mendelssohn seine Frau Fromet ... sehr geliebt, und sie ihn. Als die beiden sich kennenlernten, soll die schöne Tochter (des) Hamburger Kaufmanns zunächst von Mendelssohns Wirbelsäulenverkrümmung irritiert gewesen sein. Er gewann (jedoch) das Herz der 24-jährigen blonden und blauäugigen Kaufmannstochter, die sowohl zurückhaltend erscheinen als auch sehr selbstbewusst auftreten konnte. Der 33-jährige Moses Mendelssohn soll ihr erzählt haben, dass bei der Geburt eines jüdischen Kindes im Himmel verkündet würde, wen es einmal heiraten würde. Als er geboren wurde, habe Gott ihm seine zukünftige Frau genannt und ihm gesagt, dass sie einen Buckel haben werde. "Lieber Gott", habe er gesagt. "Ein missgestaltetes Mädchen würde verbittert und unglücklich werden. Lass mich den Buckel haben, und mache sie dafür wunderschön." Der Gott der Juden scheint mitgespielt zu haben. Es gibt (wahrscheinlich) nur ein Bild der jungen Frau. Es zeigt eine sitzende hanseatische Schönheit mit freundlichen aufmerksamen Augen. Sie trägt ein gemustertes Kleid und einen schwarze Schulterumhang. Auf dem Kopf hat sie eine jüdische Mitpachat zum Bedecken der Haare. Zwischen 1763 und 1782 bringt die "zärtliche Gugenheim", wie er die geliebte Ehefrau später nennt, zehn Kinder zur Welt, von denen drei Töchter und drei Söhne das Erwachsenenalter erreichen.
Jüdisches Museum und Akademie widmen sich der Pluralisierung der Gesellschaft
Blickpunkt des nach den Mendelssohns benannten Platzes ist die Akademie des Jüdischen Museums, ein Ort der Forschung und Diskussion.
Beide Einrichtungen wollen sich nicht allein der jüdischen Geschichte und Gegenwart widmen, sondern das Spektrum um die Themen Migration und kulturelle Vielfalt erweitern und, wie erklärt wird, "eine Plattform (bieten) für die Auseinandersetzung mit Deutschland als Einwanderungsland und der damit verbundenen Pluralisierung der Gesellschaft". Einen besseren Platz konnte Berlin wohl nicht bieten, den man nach dem Philosophen des gesunden Menschenverstandes und des lebenslangen Lernens und seiner Frau hätte nennen können. Im Judentum ist das Lernen bekanntlich keine zeitgebundene Tätigkeit, sondern etwas im Einzelleben immer Existierendes. Von Moses Mendelssohn, der dieser Haltung seinen grandiosen Aufstieg verdankt, besitzt die Universität Leipzig das Bild eines 42-jährigen feinsinnig wirkenden Mannes. Es stammt aus der Werkstatt des klassizistischen Porträtmalers Anton Graff (1736-1813), der die von ihm Porträtierten nicht nur photographisch genau abbilden, sondern auch deren Charakter darstellen konnte. Der Betrachter blickt in das Gesicht eines Mannes, dessen Jugend noch nicht entschwunden ist und dessen Alter zumindest aufscheint. Hinter der hohen Stirn vermutet man eine weitgesteckte Gedankenwelt. Die vielleicht vom vielen Lesen etwas entzündenden Augen unter den dunklen Brauen blicken den Betrachter partnerschaftlich nach dem Motto an "Sag was, ich werde erwidern". Die etwas apart geschürzten Lippen scheinen bereit, mit dem Aussprechen eines Gedankens zu beginnen. Er hat noch fünfzehn Jahre zu leben. Als er in seiner Wohnung im Haus Spandauer Straße 68 - zufällig unter eine Büste Gotthold Ephraims Lessing - stirbt, ist er siebenundfünfzig Jahre alt.
Seine nicht sehr hünenhaften Züge hielten den Maler und Zeichner Daniel Chodowiecki (1726-1801) nicht davon ab, den zu einem Gespräch mit Friedrich II. (1712-1786) am 14. Dezember 1771 nach Potsdam zitierten Philosophen neben einen ihn um Haupteslängen überragenden und freundlichen Kontrolloffizier zu stellen. Daniel Chodowiecki zeigt den 42-jährigen Philosophen in seiner geringen Wuchshöhe, ohne dass die Zeichnung auch nur mit einem Strich zur Karikatur gerät. Der angereiste Philosoph wird vom König mit einiger Sympathie empfangen. Friedrich umgab sich gern mit gebildeten Leuten, lebenslang litt er darunter, dass ihm nie eine abgeschlossene wissenschaftliche oder künstlerische Ausbildung zuteil geworden war.
Selbstbewusstsein und Mut waren in Preußen nötig, um wie Moses Mendelssohn für die Gleichbehandlung der Religionen einzutreten und Vordenker einer pluralistischen Gesellschaft zu sein. Mit einem anonymen ***r. unterzeichnet, erscheint nach seinem Tod in dem Berliner Verlag Johann Wilhelm Schmidt ein Text unter der Überschrift "Wider die Juden", ein "Wort der Warnung an alle unsere christlichen Mitbürger". Entgegen der vollzogenen Integration zahlloser Juden in die preußisch-deutsche Gesellschaft bestreitet der Autor diese Tatsache und sucht Alarm zu schlagen: "Vergeblich ist jede Hoffnung, dass sich der verderbliche, der bürgerlichen Gesellschaft höchst gefährliche, allen Völkern feindselige Geist des Judenthums je ändern, und in einen freundlichen wohltätigen Genius der Menschheit verwandeln wird." Es ist Antisemitismus aus der untersten Schublade. Die Haskala zerstörte zwar in Preußen das traditionelle Judentum nicht, sie beförderte aber in großer geistiger Freiheit eine säkulare jüdische Intelligenz, die sich neben der alten Elite der Rabbiner und Talmutgelehrten entwickeln konnte. Die Angehörigen dieser Intelligenzschicht fühlten sich bestärkt durch das "Edikt betreffend die bürgerlichen Verhältnisse der Juden im preußischen Staate" vom 11. März 1812, mit dem König Friedrich Wilhelm III. (1770-1840) die 70000 in Preußen lebenden Juden zu gleichberechtigten Staatsbürgern gemacht hatte. Für sie gilt die Gewerbefreiheit, und sie können akademische Ämter begleiten. Zwar gibt es Einschränkungen: In den Staatsdienst bei Verwaltung und Justiz können Juden nur einrücken, wenn sie zuvor zum Christentum konvertiert sind. In der kopfstarken Nachkommenschaft Moses Mendelssohns ist die religiöse Konversion keine Seltenheit.
Trotz seines enormen Ansehens war Moses Mendelssohn auch persönlich Zielpunkt mancher Verbalinjurie. Nachdem gegen Ende des 18. Jahrhunderts die Aufklärung von gegenläufigen Geistesbewegungen wie Romantik und Sturm und Drang abgelöst worden war, gelüstete es ausgerechnet den Privatgelehrten Karl Heinrich Marx (1818-1883) danach,
den Berliner Aufklärer mit spitzer Feder zu diskreditieren. 1870 brandmarkt er dessen Werke in einem Brief an seinen Hauptsponsor Friedrich Engels (1820-1895) als "klugscheißende, verdrießliche (und) besserwissende Nörgelei". Als sei es angesichts solcher misslichen Ausfälle eine Rache der Geschichte gewesen, als sich nach Marxens Tod Gesellschafts-"Wissenschaftler" - unter ihnen allerhand Schwärmer und Schwafler - über seine geniale, den Kapitalismus betreffende Analyse hermachten. Sie versimpelten die von ihrem Urheber erkannten dialektischen Grundgesetze und entfernten aus ihnen unter anderem die ständige "Negation der Negation", den notwendigen und ständigen Zweifel am Bestehenden, der erst eine Entwicklung zu besseren Zuständen möglich macht. Aber das Zweifeln wurde zur kriminellen Straftat. Es entstand der Verhaltenskodex einer staatssozialistischen Diktatur mit der Maßgabe marxistisch zu sein. Marxisten mit freiem Geist sind heute dabei, den wehrlos gewesenen Karl Marx aus dem staatssozialistischen Korsett zu befreien, in das er fest eingenäht war. Eine Marx-Renaissance ist seit längerem im Gange. - Übrigens auch die von Moses Mendelssohn! Wie es scheint, wird zumindest eines seiner Werke, das 1767 erschienene Buch "Phädon oder über die Unsterblichkeit der Seele" vielleicht in neuem Licht diskutiert. Im Herbst 2014 ging der Philosoph Wilhelm Schmid (geb. 1953) (Arbeitsschwerpunkt Lebenskunstphilosophie) mit einer bemerkenswerten These an die Öffentlichkeit. Er meint, dass zwar der menschliche Körper sterblich sei, nicht aber die Seele. "Ich erkläre mir das so, dass in diesem Moment (des Sterbens) die Energie aus einem Körper entweicht, die ihn das ganze Leben hindurch getragen hat, und dass diese Energie mutmaßlich das wesentliche und Eigentliche des Lebens - und unsterblich ist." Beim Tod eines Menschen flösse dessen Seele ins "Meer der kosmischen Energie" zurück, aus dem heraus neue Formen des Lebens mit Energie gefüllt werden. "Ich stelle mir vor: Es ist eine Gesamtheit von Energie, die ungeheuerlich groß ist. Man kann dazu auch Gott sagen." Eine spannende Debatte steht womöglich ins Haus.
(Siehe auch den Beitrag "Die Mendelssohn-Dauerausstellung in Berlin")
Wie man zum Mendelssohn Platz kommt:
Sie erreichen den Mendelssohn Platz mit der U1, U3, U6 bis Hallesches Tor oder U6 bisKochstraße sowie mit der Buslinie 248 bis Jüdisches Museum.
Mit dem Auto fahren Sie über die B96 oder B1 in Richtung Mitte.