Skulpturen im Großen Tiergarten in Berlin

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Skulpturen im Tiergarten Berlin / "Frauenkenner" Goethe von Luise entzückt
"Noah, guck mal: Hier is sogar een König!" Oma und Opa kommen mit dem Enkel aus der Großen Querallee des Berliner Tiergartens und sind in einen der namenlosen Wege gegenüber der Luiseninsel eingebogen. Der Junge blinzelt hoch zur Skulptur des Mannes mit dem introvertierten Blick. "Das ist Friedrich der Dritte", erklärt die Oma, "kammer grad noch so lesen." "Lese richtig, Mutter, Friedrich Wilhelm der Dritte heißt er", korrigiert Opa, "det is doch der mit die schöne Luise." Des Enkels Interesse an König und Luise: Wenig mehr als Null. "Hab Durst, Oma" ningelt er. "Kriegst gleich was", sagt die, "erst gehen wir noch rüber bei Luisen. Da steht se doch schon." Die Drei gehen weiter, Noah bleibt wieder ein paar Schritte zurück, will was trinken. Von seinem hohen Sockel scheint Friedrich Wilhelm III. (1770-1840) den Dreien traurig nachzublicken. Er hat schon manche Berliner vorbeiflanieren sehen. In der "Vossischen Zeitung" schreibt Kurt Tucholsky (1890-1935) im September 1929: "Abends nach sechs Uhr (nach der Arbeit) gehen im Berliner Tiergarten lauter Leute spazieren, untergefasst und mit den Händen nochmal vorn eingeklammert ... So gehen sie dahin, die vielen, vielen Liebespaare ... erzählen sich gegenseitig, klagen sich ihr kleines Leid, und haben alle recht. Sie stellen das Gleichgewicht des Lebens wieder her." Das Standbild des Königs schuf der Bildhauer Friedrich Drake (1805-1882). Er ist aber vor allem der Schöpfer der römischen Siegesgöttin Viktoria oben auf der Siegessäule.

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Luises Kleid nicht "nicht aus dem Kasten Noahs"
Der König hat freie Sicht auf die jenseits des Tiergartenfließes liegende Luiseninsel. Hier steht die Skulptur seiner 34-jährig verstorbenen Gattin Luise (1776-1810), eine Arbeit des Bildhauers Erdmann Encke (1843-1896). Im richtigen Leben wäre zu befürchten, dass Friedrich Wilhelm an Luisens elegantem und körperbetontem Outfit wieder etwas auszusetzen hätte. Ihr unter der Brust gebundenes Kleid war - wie man in Preußen sagte - "nicht aus dem Kasten Noahs", also modern. Es gibt Grund, das modische Detail zu erwähnen. Als berühmtes Werk des Klassizismus erleben wir heute die unaffektierte Prinzessinnengruppe im Eingangsbereich der Alten Nationalgalerie, eine Skulptur des Bildhauers Johann Gottfried Schadow (1764-1850). Wir sehen die damalige Kronprinzessin Luise zusammen mit ihrer jüngeren, alsbald in Ungnade gefallenen Schwester Friederike (1778-1841). Zum Entsetzen aller tat der verklemmte Friedrich Wilhelm das fertige Werke mit seiner berüchtigten Kurzbemerkung "Mir fatal" ab. Und verbot es. Warum? Schadow hatte es gewagt, Busen und Hüften der beiden ansehnlichen Mädchen durch die fließenden Gewänder erahnbar werden zu lassen. Dafür steckten die Figuren über hundert Jahre lang in einer Kiste.
Nach den Worten der Historikerin Gertrude Aretz (1889-1938) war auch Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832), dessen Denkmal ein paar Gehminuten entfernt steht, hingerissen von Luisens natürlicher Erscheinung und - so schreibt sie - "er verstand gewiß etwas von Frauenliebreiz und Frauenschönheit". Beide Prinzessinnen habe er "im Gefolge des Großherzogs von Weimar, am 29. Mai 1793 im Lager vor Mainz" gesehen. Goethe schildert die damalige Prinzessin Luise in seinem Tagebuch, das er während seiner Teilnahme am Ersten Koalitionskrieg europäischer Verbündeter gegen Frankreich führte, als er den Herzog Karl August von Sachsen-Weimar-Eisenach (1757-1828) begleitete. Er notiert: "In mein Zelt eingeheftelt, konnte ich sie vertraulich mit den Herrschaften auf und nieder und nahe vorübergehend auf das Genaueste beobachten, und wirklich muss man diese beiden jungen Damen (Luise und Friderike) für himmlische Erscheinungen halten, deren Eindruck auch mir niemals erlöschen wird."
Goethes Denkmal auf ungeliebtem Berliner Boden
Der Tagebuchschreiber steht - einen Vierzigjährigen darstellend - am Großen Hain im Osten des Tiergartens, natürlich aus Carrara-Marmor, aus dem die Denkmale vieler Geistesgrößen gefertigt sind. Unten am Sockel sitzen leicht gewandete Damen - Allegorien der lyrischen und dramatischen Kunst sowie der wissenschaftlichen Forschung. Das Ganze ist das Werk des Bildhauers Fritz Schaper (1841-1919). Auch wenn man dem hier aufs Podest Gehobenen die Dreiheit aus Gestirn, Genie und Geistesheros nicht streitig macht - so ist es doch bemerkenswert, dass er auf ungeliebtem, auf Berliner Boden steht. Bei manchen Besuchern des Tiergartens mag die Statue deshalb nicht so wirken, wie sich das der Berliner Enzyklopädist Johann Georg Krünitz (1728-1796) vorstellte, dass nämlich eine so erhaben wirkende Statue "in den Gemüthern empfindungsvolle Vorstellungen von den Personen oder Sachen (erweckten), zu deren Andenken (sie) gesetzt" seien. Hier scheint sich das Erweckende nicht in vollem Maße zu entfalten. Erinnert man sich doch daran, wie der Olympier aus Weimar sein Verhältnis erstens zu den Deutschen klarstellte, nämlich mit den verbrieften Worten von 1808: "Sie mögen mich nicht! ... Ich mag sie auch nicht!" Offen bleibt, wann diese Aversion entstand. War es im Mai 1778, als er als Dichter und Minister das einzige Mal in Berlin war und im Gasthof Erster Klasse "Hotel de Russie, bei der Witwe Obermann", Unter den Linden 23, abgestiegen war. Lernte er bei dieser Gelegenheit harsche Berlinische Umgangsformen kennen? Fand er sich nicht genügend beachtet? Jahre später schreibt er an seinen Freund, den Berliner Musikpädagogen und Musiker Carl Friedrich Zelter (1758-1832): "Ihr Berliner ... seid mir die wunderlichsten Leute: ihr schmaust und trinkt und verzürnt euch untereinander; so dass Mord und Totschlag im Augenblick und tödlicher Hass in den Lebensfolge daraus entspringen müsste, wäre es nicht eurer Art, das Widerwärtige auch stehen zu lassen, weil denn doch am Ende alles nebeneinander verharren kann, was sich nicht auf der Stelle aufspeist."
Udo Lindenberg ergänzt die Nationalhymne: Hinterm Horizont geht's weiter

Einzig von Joseph Haydn geht an diesem Orte Hoffnung aus. Da ist unter seinen sechs Quartetten des Opus 76, die dem ungarischen Grafen Joseph Georg von Erdödy (1754-1824) gewidmet sind, jene Variation in C-Dur, die sich "Das Kaiserquartett" nennt. Schicksalhaft für Deutschland; das Stück enthält die Melodie des heutigen emphatischen Liedes der Deutschen, der Nationalhymne. Auf jeder hochrangigen Feier, vor Boxkämpfen oder Fußballspielen wird sie intoniert - und sie erzeugt zunehmende Popularität mit ihren von Hoffmann von Fallersleben (1798-1874) formulierten Kernworten Einigkeit, Recht und Freiheit. Zwar verspricht die Hymne nichts, aber sie ist wegweisend und ermutigend - so wie es übrigens auch die Hymne der DDR war, der die Funktionäre den Text entzogen. Eine weitere grandiose Strophe zu diesem Lied der Deutschen schuf der Rockmusiker und Schriftsteller Udo Lindenberg (geb. 1946). Udo Lindenberg singt seine tänzelnden Schlenderschritte vollführend:
"Hinterm Horizont geht's weiter
ein neuer Tag
hinterm Horizont immer weiter
zusammen sind wir stark!
Das mit uns ging so tief rein
das kann nie zu Ende sein
sowas Großes geht nicht einfach so vorbei!"
Der Text zeigt, welch tiefe Gefühle auch "lässige Sprache" auslösen kann, wenn sie sich denn Entschlossenheit und Hoffen der Menschen zum Thema macht.
Unweit dieses selbstredend gedachten Klanggeschehens, direkt an der Lennè-Straße, steht ein weiterer wichtiger Deutscher, dessen Botschaft Teile der Menschheit in den Wind zu schlagen scheinen. Gotthold Ephraim Lessing (1729-1781) figuriert auf seinem Sockel, die Rechte wie aus Entrüstung in die Seite gestemmt, rechts hält er ein Buch. In seinem Stück "Nathan der Weise" spricht der reiche Jude Nathan die Ringparabel. Dabei zitiert er einen Richter, der auf die Frage, welches die rechte Religion sei, antwortet: "Wohlan! Es eifre jeder seiner unbestochnen von Vorurteilen freien Liebe nach! Es strebe von euch jeder um die Wette, die Kraft des Steins in seinem Ring an Tag zu legen!" Wie nahe sind uns Nathans Worte! Wie sehr wurden diese Worte bisher in den Wind geschlagen!
Wie man zum Tiergarten kommt:
Der Große Tiergarten ist Teil des Bezirks Mitte von Berlin. Die Berliner Bezirke Charlottenburg-Wilmersdorf und Tempelhof-Schöneberg grenzen unmittelbar an den Park. Die Parkanlage liegt entsprechend zentral in der Stadt und ist aus allen Richtungen sehr gut erreichbar.
Weitere Denkmale im Tiergarten:
Im Tiergarten befinden sich weitere Denkmale u.a. für Richard Wagner, Albert Lortzing, Jean-Jacques Rousseau, Theodor Fontane, Rosa Luxemburg und Otto von Bismarck.
Text: -wn-, Stand: 03.04.2021
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