Kleist-Gedenkstätte in Berlin

Text: -wn- (Journalist aus Berlin) / Letzte Aktualisierung: 19.04.2023

Kleistgrab in Berlin am Wannsee
Das Grab Heinrich von Kleists und Henriette Vogels in der aus Anlass des 200. Todestages des Dichters am 21. November 2011 neu eröffneten Kleist-Gedenkstätte in der Bismarckstraße am Kleinen Wannsee - Foto: © -wn-

Das Grab des Dichters Heinrich von Kleist befindet sich an der Stelle an der er am 21.11.1811 seine Frau und dann sich erschoss. Im Jahr 2011 wurde die Gedenkstätte neu gestaltet.

Kleists ungewisser Ort - Kleist Grab & Gedenkstätte am Kleinen Wannsee

Bei Goethe im "Werther" geht's drastischer, ja blutiger zu als bei Kleist - bei diesem für Lebenswillige unfassbaren Abschied vom Weltenlauf, diesem von starker Verzweiflung getriebenen Streben zum Tode hinan. Der in jedem Falle elendigliche Vorgang tritt uns hier erst einmal nicht als Realität, sondern als Literatur entgegen. Von zwei Frankfurter Dichtern ist die Rede, denen der Suizid zur Perspektive wurde, dem einen, dem tragisch endenden Kleist, vom Ufer der Oder, dem anderen, dem Bezwinger des Depressiven, vom Ufer des Mains - dem "Werther"-Autor Johann Wolfgang Goethe (1749-1832). 1774 erscheint dessen Bericht über einen sich europaweit verbreitenden, Generationen ansprechenden Exitus mit dem Titel "Die Leiden des jungen Werthers". Der Selbstmörder, liest man, hatte sich "über dem rechten Auge ... durch den Kopf geschossen, das Gehirn war herausgetrieben". "Die Lunge röchelte noch fürchterlich, bald schwach, bald stärker; man erwartete sein Ende." Im Umkreis des Leichnams wird verspritztes Blut erwähnt. Im Dreizehnten Buch von "Dichtung und Wahrheit" berichtet Goethe über den Grund für die Niederschrift dieses andere Menschen unerwartet aktivierenden Manuskriptes. Er habe sich als junger Mensch selbst in einem verhängnisvollen Dreiecksverhältnis befunden, das - könnte man meinen - der unerfüllten Beziehung Susette Gontards (Diotima) und Friedrich Hölderlins geähnelt haben muss. Die bei ihm, dem unglücklichen Liebhaber, einsetzende suizidale Krise habe er mit dem vierwöchigen Aufschreiben des "Werthers" glücklich bewältigt. Doch im Weiteren ist es ihm vielmehr um jene jungen Selbstmörder zu tun, denen "durch übertriebene Forderungen an sich selbst das Leben verleidet" wird. Denn mit einiger Bestürzung wird der zum Starautor aufgestiegene Goethe wahrnehmen, dass aus verschiedensten Gründen lebensunlustig gewordene Leser des "Werther" glauben, man müsse "einen solchen Roman nachspielen und sich allenfalls selbst erschießen". Beispiele gibt es. 1784 publiziert die Zeitschrift "Für Aeltere Litteratur und Neuere Lectüre" unter der Überschrift "Lezter Aufsaz eines Selbstmörders" einen Beitrag über das Ende des jungen "Officiers von A.", der seinen Freitod damit begründet, das Leben sei ihm "eine Chimäre (geworden); ist es nicht löblich, wenn ich die Einbildung (einer lebenswerten Welt) verwerfe, und nach dem Wahren (dem Tod) strebe?" Wie der Mann seine Selbsttötung marktschreierisch erkläre, zeige, schreibt der anonyme Autor, wie "Verzweiflung mit höchster Kälte, schwärzester Trübsinn mit heiterstem Selbstgefühl, gänzliche Verirrung der Seele mit anscheinendem Scharfsinn (aneinander) grenzen". "Man giebt ... seiner Liebe zu einer gewissen Art von Lektüre, hauptsächlich seinen öftern Lesen des Werthers, große Schuld", heißt es weiter.

Wichtige Informationen über die Kleist-Gedenkstätte in Berlin

Kleist-Gedenkstätte:
Bismarckstraße 2-4
14109 Berlin

Auf dem Areal zwischen dem Kleinen Wannsee und der Bismarckstraße

Anfahrt:
Aus der Berliner Innenstadt kommend benutzt man die Autobahn A115 und biegt an der Abfahrt Steglitz in die Potsdamer Chaussee Richtung Potsdam ein. Nach der Passage des S-Bahnhofes Wannsee biegt man links die Bismarckstraße ein. Nach wenigen Minuten sieht man rechterhand die zum Kleinen Wannsee abfallende Gedenkstätte, in deren zentralem Teil die neu hergerichtete Grabstätte ins Auge fällt. Der Fußweg vom S-Bahnhof Wannsee (Linie S1) zur Gedenkstätte beträgt fünf bis zehn Minuten.

Öffnungszeiten der Kleist-Gedenkstätte:
Immer zugänglich

Eintrittspreise:
Eintritt frei!
Audio-Guides können von April bis Oktober im Souvenirwagen an der Schiffsanlegestelle am S-Bahnhof Wansee ausgeliehen werden.

Am Grab von Heinrich von Kleists

Es wird angenommen, dass auch Heinrich von Kleist (1777-1811) zu jenen gehört, die sich nach dem Passieren zahlreicher prekärer Lebenspunkte der Lektüre des "Werthers" entsinnen. Wenige Jahre vor dem Freitod tritt er noch als zukunftsfester Analyst des Lebensglückes auf, verfasst den "Aufsatz den sichern Weg des Glücks zu finden ...". Diesem Ziele diene eine "möglichst vollkommne Ausbildung aller unser geistigen Kräfte, ... mit der Zeit (soll man sich) die Grundsätze des Edelmuts, der Gerechtigkeit, der Menschenliebe, der Standhaftigkeit, der Bescheidenheit, der Duldung, der Mäßigkeit, der Genügsamkeit usw." aneignen. Das führe zu beständigem Lebensglück und dazu, "den Menschen unter der Last niederdrückender Schicksale vor der Verzweiflung zu sichern". Die Annahme erweist sich in dieser Ausschließlichkeit als lebensfern - allein wenn man sieht, wie dieser Mann mit dem Kindergesicht von einem Schicksalsloch ins andere stolpert.

Los ging's mit dem Abschied vom ungeliebten Militär. Er verlässt nach kurzer Zeit auch die Frankfurter Viadrina wieder, wo er sich in die Naturwissenschaften so recht hineinknien wollte. Plötzlich motzt er gegen die als seelenlos empfundene Wissenschaft, watscht mal so nebenbei in einem Brief den englischen Mathematiker, Physiker und Astronom Isaac Newton (1643-1727) mit den Worten ab: "Ich glaube, dass Newton an dem Busen eines Mädchens nichts anderes sah, als seine krumme Linie, und dass ihm an ihrem Herzen nichts merkwürdig war, als sein Kubikinhalt." Jetzt enttäuschen ihn samt und sonders auch die Menschen. In Paris, einer Zwischenstation, notiert er: "Man geht kalt aneinander vorüber; man windet sich in den Straßen durch einen Haufen von Menschen, denen nichts gleichgültiger ist, als ihresgleichen." Nach der Lektüre von Rousseaus kulturverneinender Abhandlung "Über Kunst und Wissenschaft" will er nun in der Schweiz Bauer werden: "Ein Feld zu bebauen, einen Baum zu pflanzen, und ein Kind zu zeugen". Eine Enttäuschung der schwereren Art ist mit Goethes Person verbunden. Dieser erkennt die literarische Bedeutung des steifköpfigen Kleist nicht. Dabei wäre der 28 Jahre Jüngere so gern an die Stelle des 1805 verstorbenen Friedrich Schiller getreten und ersatzweise Goethes engster Freund geworden. Zu allem Übel wird auch noch die Uraufführung des "Zerbrochnen Krugs" am 2. März 1808 im Weimarer Hoftheater ein furioser Reinfall. Wie wollte man auch die aktionsreiche Komödie unter Berücksichtigung der von Goethe verfassten "Regeln für Schauspieler" aufführen, nach denen die Darsteller z.B. laut §37 darauf zu achten haben, dass "die Haltung des Körpers ... gerade (sein soll), die Brust herausgekehrt, die obere Hälfte der Arme bis an die Ellbogen etwas an den Leib geschlossen, der Kopf ein wenig gegen den gewendet, mit dem man spricht"? 1810 ist er nach einer Dresdener Zwischenstation wieder in Berlin, gibt jetzt die "Berliner Abendblätter" heraus. Sie werden bald ein Fall für die Zensur. Ein angeblich von ihm nicht redigierter, unkluger Artikel gegen die preußischen Hardenbergschen Reformen war ins Blatt gelangt. Allen Ernstes verlangt er wegen des Verbots des Blattes vom preußischen Staat eine Entschädigung. Natürlich erhält er nichts. Er ist pleite.

Das Kleist Grab in Berlin

In den Blick kommt nun die letzte Station seines Lebens: die (heute nicht mehr existierende) Gaststätte "Stimmings Krug", gelegen an der Königsstraße Wannsee, in Richtung Potsdam links gleich nach der Brücke über den schmalen Durchfluss zwischen Großem und Kleinem Wannsee. Als nunmehr Mittdreißiger schreibt er im Obergeschosszimmer am 21. November 1811 - "am Morgen meines Todes" - an seine Schwester Ulrike: "... die Wahrheit ist, dass mir auf Erden nicht zu helfen war ... möge Dir der Himmel einen Tod schenken, nur halb an Freude und unaussprechlicher Heiterkeit dem meinigen gleich". Bei ihm ist die todkranke und wie er heiter gestimmte Freundin Henriette Vogel. An der nordöstlichen Uferspitze des Kleinen Wannsees spielt sich das frohgemute Drama ab. Dorthin begeben sich beide zwischen der dritten und vierten Nachmittagsstunde. Der Wirtshausdiener Johann Friedrich Riebisch wird später zu Protokoll geben, er und seine Frau hätten "beide Fremde Hand in Hand den Berg hinunter nach dem See springen (gesehen), schäkernd, und sich jagend, als wenn sie Zeck spielten". "Stelle dir doch die Tollheit vor, die beiden Menschen wollen dort oben Caffee trinken!" habe sich seine Frau gewundert; sie bringt ihnen den Kaffee hinaus - und ist die letzte, die beide lebend sieht. Im Weggehen hört sie die zwei Schüsse. Sie, ihr Mann, Stimmings Frau sowie Tochter und Magd finden die Leichen in einer flachen Mulde. Henriette liegt auf dem Rücken, er auf ihren Leib gesunken. Irgendwelches Blut ist auf den ersten Blick nicht zu sehen. Sie verändern am Tatort nichts. Am Abend kommen der gemeinsame, von ihnen am Vormittag noch angeschriebene Freund, Kriegesrat Peguilhen, und Henriettes Mann aus der Stadt und regeln das nötige. Die Leichen bleiben wohl die Nacht über so liegen, wo und wie sie sind. Die Wächter nehmen lediglich Kleists Oberkörper auf und legen ihn nach hinten, so dass der Körper wie ihrer daneben sarggerecht ausgestreckt liegt bevor die Totenstarre eintritt. Eine amtliche Obduktion am nächsten Tag (22. November) ergibt, dass Kleist, der sich in den Mund schoss, "größtentheils durch Erstickung des Schießpulvers sehr schnell gestorben ist". Henriette Vogel ließ sich ins Herz schießen, der Einschuss ist kaum zu sehen. Noch am Abend werden sie eingesargt und in eine ausgehobene Grube direkt am Tatort hinabgelassen. Eine pastorale Nachsegnung muss es am 2. Dezember gegeben haben. Ein Stahnsdorfer Pfarrer berechnet für seine am geschlossenen Grab ausgesprochene Bitte an Gott, sich der Seele Kleists anzunehmen fünf Reichstaler und 60 Groschen und für die seelsorgerischen Grabesworte Henriette betreffend zwei Reichstaler und 21 Groschen. Bis in unsere Zeit hinein ziehen sich nun die Rätsel. Ist diese Grabstätte identisch mit dem Grab in der 2011 neu eröffneten Gedenkstätte am Kleinen Wannsee? Oder befindet sich ein Scheingrab in der meistenteils aus Eiben und Eichen bestehenden, zum See abfallenden Lockerwaldfläche? Stößt die Pfahlwurzel der Grabes-Eiche mit der Nr. 010027 auf der Baumliste des Fachbereichs Grünflächen des Bezirksamtes Steglitz-Zehlendorf mit ihren Seitenwurzeln nur durch märkisches Steingemenge oder tangieren sie tatsächlich auch menschliche Gebeine? Die Frage ergibt sich aus Berechnungen der Berliner Gräber-Spezialistin Erika Müller-Lauter, denen zufolge zwischen dem lokalisierten Freitodort "hart am Wannsee" und der jetzigen, vom Ufergestade etwas entfernten Grabstelle rund 170 Meter liegen. Von einer Umbettung aber ist nichts bekannt. In unmittelbarer Nähe des zwischenzeitlich verwahrlosten Grabes ließ eine Ziegelei Lehm abfräsen, und schlimmstenfalls könnten die beim Abbau freigelegten Gebeine sang- und klanglos entsorgt worden sein.

Kleist-Gedenkstätte in Berlin

Verse auf dem Grabstein des Kleist-Grab in Berlin
Der Grabstein (wieder) mit den Versen des Dichters Max Ring "Er lebte, sang und litt / in trüber schwerer Zeit, / er suchte hier den Tod, / und fand Unsterblichkeit". Weil Max Ring Jude war, war dieser Stein von den Nazis entfernt worden. - Foto: © -wn-

Man müsste es hinnehmen, so wie man in Weimar mit Schillers fehlendem Schädel lebt oder in Berlin Weltkriegs-Bomben aus Fontanes Ruhestatt vermutlich ein Scheingrab werden ließen. Kleists Tragik ist von anderer Art: Er verlässt die Welt und weiß nichts von seiner Genialität, kann sich einen weltläufigen Erfolg seiner Texte nicht vorstellen. Fast 150 Jahre vergehen, bis Thomas Mann (1875-1955), wenn auch nicht als erster, im Vorwort zu einer amerikanischen Ausgabe mit Novellen von Kleist feststellt: "Er war einer der größten, kühnsten, höchstgreifenden Dichter deutscher Sprache, ein Dramatiker sondergleichen, - überhaupt sondergleichen, auch als Prosaist, als Erzähler, - völlig einmalig, aus aller Hergebrachtheit und Ordnung fallend, radikal in der Hingabe an seine exzentrischen Stoffe bis zur Tollheit, bis zur Hysterie, - allerdings tief unglücklich, mit Ansprüchen an sich selbst, die ihn zermürbten, um das Unmögliche ringend, von psychogenen Krankheiten niedergeworfen alle Augenblicke und zu frühem Tode bestimmt ..." Er hörts nicht mehr. Zwar haben er und Henriette allerhand Vorstellungen vom postmortalen Weiterleben: Wir "träumen lauter himmlische Fluren und Sonnen, in deren Schimmer wir, mit langen Flügeln an den Schultern, umherwandeln werden", schreibt er. Zu den letzten Verrichtungen gehört der brieflich niedergelegte Wunsch: "... und erinnert euch in Freud und Leid der zwei wunderlichen Menschen, die bald ihre große Entdeckungsreise antreten werden". Zwar vermutet er in den himmlischen Gefilden ebenfalls eine Sonne, die buntere Felder als die irdischen beleuchtet. Im "Prinz Friedrich von Homburg", zehn Jahre zuvor geschrieben und zehn Jahre nach den Schüssen in Wien uraufgeführt, heißt es: "Ich glaubs; nur schade, dass das Auge modert, / Das diese Herrlichkeit erblicken soll." Mithin kann als wahrscheinlich gelten, dass er sich nach dem irdischen Tod nicht im Kreise von Engeln sieht, die ihm im ewigen Leben die Zeit nicht lang werden lassen, wenn er einmal nicht auf das Treiben der Nachwelt hinunter schauen will. Er neigte wohl letztlich der Annahme zu, die da lautet "post mortem hihil est" - nach dem Tod ist nichts. Deshalb sehen, lesen und erleben nur wir Lebenden, dass er zwar in vielem ein Pechvogel war, aber den fortdauernden Rang eines Begnadeten inne hat.

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