Das Max-Lingner-Haus in Berlin Niederschönhausen

Text: -wn- (Journalist aus Berlin) / Letzte Aktualisierung: 19.04.2023

Haus des Malers und Pressezeichners Max Lingner
Das Haus des Malers und Pressezeichners Max Lingner in der Beatrice-Zweig-Straße in Berlin Niederschönhausen - Foto: © -wn-

Das Max-Lingner-Haus ist Teil der Erich-Weinert-Siedlung in Niederschönhausen, die 1950/51 erbaut wurde.

Max Lingner-Haus in Berlin-Niederschönhausen - La maison d'Yvonne

Man geht glattweg vorbei an dem grau geputzten, von wild gewachsenen mittelgroßen japanischen Lebensbäumen halb verdeckten Haus mit einem einfachen Satteldach. Auf den ersten Blick ist nichts Besonderes an dieser Adresse Nr. 2 in der 200 Meter langen Beatrice-Zweig-Straße in Berlin-Niederschönhausen. Nur eine Tafel am Zaun erklärt das Besondere. In dem Haus am Rande der Schönholzer Heide, in dem heute kulturhistorische Vorträge, Gespräche und Buchlesungen stattfinden, lebte der Maler und Pressezeichner Max Lingner (1888-1959); nur neun Jahre lang, dann stirbt er. Dem 1950 gebauten Gebäude sieht man auch die für einen bildenden Künstler eingerichtete Zweckdienlichkeit nicht an: der spanische Garten (Patio) bleibt den Blicken verborgen.

Hinweisschild vor dem Lingner-Haus
Hinweisschild vor dem Lingner-Haus - Foto: © -wn-

Er wird von der rückwärtigen Hauswand, dem seitlichen Atelieranbau und der gegenüber liegenden Garagenwand gebildet; man vermutet nicht den schönen Klubraum im Erdgeschoss, das große Arbeits- und Esszimmer, nicht zu sprechen von einem weiteren Atelier, das Kleine geheißen. An einer füglichen Arbeitsatmosphäre jedenfalls hat es nicht gefehlt. Heute werden hier über 1000 Zeichnungen sowie einzelne Gemälde des ehemaligen Hausherren aus den Jahren 1930 bis 1958 aufbewahrt. Kaum noch ist erinnerlich, dass sich in der Beatrice-Zweig-Straße die Häuser der nach dem Dichter Erich Weinert (1890-1953) benannten ehemaligen Prominentensiedlung befinden. Die Anwohnerschaft war illustre in jeder Hinsicht. Unter den Anliegern war der berüchtigte linkssektiererische Autor Kurt Bartel (KuBa) (1914-1967), der im Juni 1953 die demonstrierenden Bauarbeiter in der Stalin-Allee mit den Worten anfeindete: "Da werdet ihr sehr viel und sehr gut mauern ... müssen, ehe euch diese Schmach vergessen wird." Bertolt Brecht (1898-1956) reagierte darauf mit dem schnell berühmt werdenden Gedicht "Die Lösung". Er machte den hintersinnigen Vorschlag: "Wäre es da / Nicht doch einfacher, die Regierung / Löste das Volk auf und / Wählte ein anderes?" Auch der Präsident des PEN der DDR Heinz Kamnitzer (1917-2001) genoss hier die Ruhe des grünen Berliner Nordens. Er gilt als einer der ersten überführten Plagiatoren der DDR. 1953 wiesen westdeutsche Historiker nach, dass er in seinem Buch "Thomas Müntzer und seine Zeit" Feststellungen anderer Autoren benutzte, ohne sie als Zitat zu kennzeichnen. Obwohl das Plagiat offiziell bestritten wurde, verliert Heinz Kamnitzer seine Geschichts-Professur an der Humboldt-Universität. 1989 wird bekannt, dass er im Ministerium für Staatssicherheit als IM "Georg" gelistet ist. In der Nachbarschaft wohnte der Publizist Walther Victor (1895-1971). Er machte sich mit der Herausgabe der populären "Lesebücher für unsere Zeit" einen Namen. In der Reihe erschienen Texte u.a. von Goethe, Heine, Lessing, Tucholsky, Brecht und Kleist. Sein Domizil in der Siedlung hatte auch der geachtete Professor für Chirurgie an der Charité Willi Felix (1892-1962), der die Nachfolge des weltberühmten deutschen Arztes Ernst Ferdinand Sauerbruch (1875-1951) antrat. So bunt und durchwachsen war die Elite in der DDR.

Wichtige Informationen über das Max-Lingner-Haus in Berlin

Adresse:
Max-Lingner-Stiftung
Beatrice-Zweig-Str. 2*
13156 Berlin
Tel: 030/ 48 64 702

* [* Früher Straße 201 - Am 15. Oktober 2014 wurde die Straße 201 in Beatrice-Zweig-Straße umbenannt. Die Malerin Beatrice Zweig (1892-1971) war die Ehefrau des Schriftstellers Arnold Zweig (1887-1968).]

Anfahrt:
S- / U-Bahn: S2, S8, U 2 bis Pankow
S 1, S 25, S 85 bis Schönholz
Bus: 155 bis Beatrice-Zweig-Straße oder 150 bis Heinrich-Mann-Straße
Auto: Mit dem Auto fährt man auf der Schönhauser Allee nordwärts, über die Mühlenstraße und die Grabbe-Allee und biegt links in die Tschaikowski-Straße ein. Von der Heinrich-Mann-Straße, in die man links einbiegt, geht, wiederum links, die Beatrice-Zweig-Straße ab. Von dieser Seite ist die Beatrice-Zweig-Straße jedoch nur zu Fuß zu begehen. Haus Nr. 2 steht gleich an der Ecke.

Öffnungszeiten des Max-Lingner-Haus:
Die Öffnungszeiten erfragen Sie bitte telefonisch.

Eintrittspreise:
Derzeit liegen uns keine Informationen vor.

Über Max Lingner

Bis zu seinem Einzug in Niederschönhausen hat Max Lingner zunächst in wesentlich bescheideneren Verhältnissen gelebt, wohl in der Nähe des Pariser Boulevards du Montparnasse, wo sich noch heute das Café du Dôme befindet, ein beliebter Treffpunkt der Pariser Bohème. 1928 war der damals 40jährige Leipziger Maler auf Anraten der Grafikerin und Bildhauerin Käthe Kollwitz (1867-1945) nach Frankreich gegangen. "Der Gedanke an Paris tauchte auf, galt doch damals in Berlin nur das, was in Paris seine Weihe empfangen hatte. Ich bildete mir ein, wenn ich einige Zeit in Paris zubringen könnte, würde ich etwas ganz modernes schaffen", schreibt er in seinem 1955 in Dresden erschienenen Buch "Mein Leben und meine Arbeit". Aus dem geplanten Jahr an der Seine werden 21 Jahre. Obwohl er auch dort zunächst kaum das Geld selbst für die Staffelei, für Leinwand und Farben zusammenbringt, lamentiert er nicht wie seinerzeit der schreibende Nomade Heinrich von Kleist (1777-1811) am selben Ort. Hatte der doch - ebenso knapp bei Kasse - 1804 notiert: "Man geht (in Paris) kalt aneinander vorüber; man windet sich in den Straßen durch einen Haufen von Menschen, denen nichts gleichgültiger ist, als ihresgleichen." Das erlebt Max Lingner anders: "Jeder Deutsche, der nach Paris kommt, ist in den ersten Wochen von dieser einzigartigen Stadt wie berauscht. Um wie viel mehr noch ein Künstler! Der Riesenverkehr auf den Straßen, das mildere Klima, eine gewisse Nonchalance, eine freundliche Art des Sich-gehen-Lassens, die nicht ohne Reiz ist." Im Juni 1930 bekommt er Kontakt zum Direktor der Zeitung "Monde", Henri Barbusse (1873-1935). Das Blatt versteht sich als "Wochenzeitung für literarische, künstlerische, wissenschaftliche, ökonomische und soziale Information", nennt sich ab 1932 im Untertitel kurz "Internationale Wochenzeitung". Zunächst ist der eingestellte Max Lingner für die zweifarbige erste Seite der "Monde" zuständig, doch schon nach Monaten überträgt man ihm die gesamte Gestaltung des sechszehnseitigen und reich bebilderten Blattes. Auf seine Anregung hin beginnen die Artikel nun mit Initialen. Auf den deutschen Pressezeichner, dessen Talent Anerkennung findet, geht schließlich das berühmte "Monde"-Alphabet zurück. Er gewinnt die Freundschaft zu dem Maler, Zeichner und Bildhauer Henri Matisse (1869-1954), der in seinen Werken leuchtende reine Farbflächen in scharfer Abgrenzung zur Geltung bringt; ebenso persönlich vertraut wird er mit dem Maler und Grafiker Fernand Leger (1881-1955), der sich mit geometrischen Abstraktionen aus Kuben, Zylindern und Kugeln einen Namen macht. Sie alle schätzten den Deutschen. Nach der Einstellung der "Monde" arbeitet er u.a. für die Parteizeitung l'Humanité. Kurz nach dem Beginn des Zweiten Weltkrieges, der ihn (ohne Ortsveränderung) zum Emigranten macht, wird er verhaftet, kann fliehen und schließt sich der französischen Widerstandsbewegung an - es ist sein Beitrag zur damals noch ausstehenden deutsch-französischen Aussöhnung.

So kommt er ein halbes Jahr vor der Gründung der DDR am 7. Oktober 1949 in die sowjetisch besetzte Zone, zwar mit krankem Herzen, aber voller Aufbauelan und Hoffnung. Sein Rückkehr-Motiv schildert er so: "Ich fühlte, dass von nun an mein Platz an der Seite meines Volkes sei, dass ich, obgleich persönlich nicht beteiligt, die Gesamtverantwortung der Schuld meines Volkes teilen müsste, dass ich mit meinen, wenn auch geminderten Kräften helfen müsste, ein neues, besseres Deutschland aufzubauen." Eine ehrenwerte politische Begründung. Außerdem hat er auch künstlerisch etwas zu bieten. "Lingners Stil wurde (in den Pariser Jahren) "französisch": betont zeichnerisch wie bei Jean Auguste Dominique Ingres (Das türkische Bad, Das Goldene Zeitalter) oder Matisse, leicht und charmant, nie pathetisch oder inhaltsschwer", schreibt die Kultur-Redakteurin der "Berliner Zeitung" Ingeborg Ruthe. Als Briefmarkeneditionen erscheinen 1959 das in Niederschönhausen entstandene Bild "Weintraubenverkäuferinnen in Nîmes", vor allem eines seiner bekanntesten Bilder, die 1939 gemalte "Mademoiselle Yvonne". Wir sehen eine selbstbewusste französische Frau in einem eng anliegenden violetten Kleid und mit eleganten Handschuhen, die Lippen betont rot gemalt. Man könnte fast den Eindruck gewinnen, bei dieser beeindruckenden Dame handele es sich um die barbusige Barrikadenkämpferin auf dem Gemälde "Die Freiheit der Barrikaden" von Eugene Delacroix (1798-1863), die - selbstredend nach dem Besuch einer Mode-Boutique - weiter in Richtung des Bildbetrachters läuft. Yvonne gab es tatsächlich, sie war eine junge Arbeiterin, die in der Résistance als Kurier arbeitete, verhaftet und 1944 in Auschwitz ermordet wurde. Es wäre nicht verwunderlich, würde das Lingner-Haus eines schönen Tages den Namen La maison d'Yvonne erhalten.

Im Max-Lingner-Haus in Berlin

Max Lingner erhält einen Auftrag, von dem er meint, es habe ihm damit nichts Besseres passieren können: Auf einem 24 mal drei Meter großen Wandfries soll es um den Aufbau der ostdeutschen Republik gehen. Er will auf seine "französische Art" den Aufbruch froher, hoffnungsvoller Menschen und Familien zeigen. Der erste Entwurf verfällt der Kritik seines "Beraters", des DDR-Ministerpräsidenten Otto Grotewohl (1894-1964), der sich zu allem Übel als malender Dilettant auch noch für einen talentierten Künstler hält. Dieser verwirft den zweiten Entwurf, den dritten ... Erst nach Vorlage des sechsten hat Grotewohl nicht mehr - wie vorher - "schwerwiegende politische und ästhetische Einwände". Max Lingner hält das Endergebnis für fatal. Aus seinen Figuren waren Losungen und Beschlüsse in menschlicher Form geworden, die sich zwar lachend, redend und Gruppen bildend gerieren - aber doch den Eindruck mechanischer Puppen eines Jahrmarkt-Theaters machen. Das Wandbild besteht aus über 1800 bemalten und in Meißen gebrannten Porzellankacheln.

Wandfries von Max Lingner: Der Arbeiter, der Bauer und der Wissenschaftler
Detail aus dem Wandfries: Der Arbeiter, der Bauer und der Wissenschaftler - Foto: © -wn-

Neben den robusten proletarischen Typen steht der Parteifunktionär mit Schlips und Kragen, in der Rechten eine braune Aktentasche mit diversen Plänen und Beschlüssen. Ihn erfreut das rhythmische Über-Kopf-Applaudieren heran marschierender FDJlerinnen, die allerdings die Meinung aufkommen lassen, sie hätten die Phase der Jugend bereits hinter sich. Neben einer Akkordeon- und einer Bandoneonspielerin sowie einem Gitarrist hält sich eine Gruppe Junger Pioniere auf. Ein Mädchen scheint in eine verzückte Erregung geraten zu sein, in die heute nordkoreanische Kinder verfallen, wenn Onkel Un plötzlich auftaucht und sie ihn vor Freude weinend berühren dürfen. Nebenan nimmt jene Szene Gestalt an, mit der mittels Menschen ein Bündnis gezeigt wird. Der Professor mit Anzug und scharfer Bügelfalte macht den Eindruck, als bedeuteten ihm Fabriken, Forschung und Formeln nichts - wenn er nur endlich in die Arbeiterhand einschlagen kann. Schließlich die zwei Traktoristen; sie necken die Erntehelferin mit der Garbe in der Hand. - Offen bleibt, ob Otto Grotewohl nur Änderungen verlangte oder, wie vermutet wird, solche selbst vornahm. Das Bild spricht stark dafür. Der Kunsthistoriker Günter Feist (geb. 1929) meint: "Das Werk (in seiner letzten Fassung) gibt falsches Zeugnis von einem Maler, der durchaus nicht vom Dutzend gewesen ist."

Die letzte Fassung erfreute nun auch Grotewohls Stellvertreter Walter Ulbricht (1893-1973), der am 31. Oktober 1951 vor der Volkskammer klarstellt: "Wir brauchen weder die Bilder von Mondlandschaften noch von faulen Fischen und Ähnliches. Es ist höchste Zeit, an den Kunsthochschulen einen entschiedenen Kampf gegen den Formalismus und Kosmopolitismus zu führen". Im Falle des Wandfrieses war es darum gegangen, dass die Figuren nicht nach Maßgabe der bürgerlichen (hier der französischen) Malkunst gestaltet werden sollten. Für Max Lingner ist die Angelegenheit auch nach dem parteiamtlichen Plazet zur sechsten Fassung noch keineswegs ausgestanden. Nun muss er sich für seine falschen Pinselstriche politisch verantworten. Zwar ist von keinem Parteiverfahren die Rede, erhalten blieb eine Selbstbezichtigung des "einsichtig gewordenen" Malers. Er, der mit seiner "französisierenden Malweise" die ostdeutsche bildende Kunst hätte bereichern können, aber an den meist amusischen Kleingeistern in der SED-Führung scheitert, muss sich mit der Stellungnahme erniedrigen: "Ich habe nun meine seit meiner Rückkehr nach Deutschland geschaffenen Arbeiten geprüft und habe feststellen müssen, dass die Vorwürfe zu Recht erhoben wurden. Denkfaulheit, ungenügendes Anpassungsvermögen an eine durch 24-jährige Abwesenheit fremd gewordene Umwelt und ein gewisses Ausruhen auf alten Lorbeeren waren die Ursachen." Ingeborg Ruthe schreibt: "Lingner muss sich bis zur Qual gemüht haben, dem gegen ihn erhobenen Vorwurf des Formalismus zu entkommen." Schließlich hatte in seiner Seele der Kommunist, der politische Disziplin für die wichtigste Tugend hält, über den Künstler von Welt, der er war, gesiegt.

Werke von Max Lingner

Größere Werkbestände Lingners existieren in den Sammlungen der Staatlichen Museen zu Berlin, des Museums Weißenfels und des Museums der bildenden Künste Leipzig. Um den Wandfries am heutigen Finanzministerium geht in diesem Portal auch im Beitrag "Die Außenkunst am Detlev-Rohwedder-Haus: Aufbruch und Zorn". Nach Auskunft seiner Frau ist Max Lingner vor der fertig gestellten Wandgestaltung in der Pfeilervorhalle an der Nordostecke des heutigen Detlev-Rohwedder-Hauses nie mehr vorbei gekommen.

Gedenkstätten in Berlin:

Sehenswürdigkeiten in Berlin: