Der Sänger und Schauspieler Ernst Busch

Buschs Grab - Revolutionär, Mephisto und Rhapsode
Aus dem Nichts heraus dröhnen sieben sekundenschnelle Trommelschläge; nicht unähnlich einer Salve aus der Kalaschnikow. Pause.
Ein Faktencheck hinsichtlich sprachlicher Ausdrucksstärke der sowjetischen und russischen Mächtigen sieht den "kleinen, kahlköpfigen Mann mit dem hohen Schädel und dem schlauen (kalmückischen) Tatarengesicht", wie ihn der Erzähler Max Barthel (1893-1975) beschrieb, ganz weit oben über spätere Potentaten wie den sowjetischen Partei- und Staatsführer Leonid Iljitsch Breschnew (1907-1982). Im fortgeschrittenen Alter sprach dieser mit tiefer Stimme so unverständlich, als hätte er kleine Kieselsteine im Mund. Champion ist Lenin auch im Vergleich mit dem Politiker Boris Nikolajewitsch Jelzin (1931-2007), dessen mit den Jahren anschwellendes Nuscheln einen Eindruck vom Stand des tagesaktuellen Alkoholspiegels gab. Vom Alkohol hielt Lenin nicht viel; auch rauchte er nicht. 1956 aber - in der sogenannten politischen Tauwetterperiode (1953-1964), erinnerte der sowjetische Schriftsteller Naum Moisejew Korschawin (geb. 1925) daran, dass sich Lenin früh der humanistischen und liberalen Bildungswelt seines Vaters Ilja Nikolajewitsch Uljanow (1831-1886) entzog. Mit schwerwiegenden Folgen. Im Gedicht "Lenin in Gorki", das sich wie eine Mahnung an die Funktionäre der Chrustschow-Ära liest, erwähnt der Schriftsteller, welche Rolle z.B. die "revolutionäre Gewalt" in Lenins politischem Leben spielte. Deshalb die überzeitliche Mahnung: "Opfere nicht das Licht beim Versuch, Licht zu gewinnen! / Denn du weißt nicht, was du in Wirklichkeit tust. / Der Zweck heiligt nicht die Mittel...".
"Barrikaden-Tauber" mit metallischer Stimme

Dass Lenin, dem der Ruhm eines Staatsgründers blieb, trotz allem der Nachwelt vielfach als Menschheitsbefreier und rhetorisches Genie erscheint, hat mancherlei Gründe. Einer geht auf einen Mann zurück, der die Leninschen Wortblitze besang und dessen meistenteils schön gepflegtes Berliner Ehrengrab man auf dem Friedhof Pankow III besuchen kann: das des Sängers und Schauspielers Ernst Busch (1900-1980), genannt auch Barrikaden-Tauber, weil seine Stimme Einmaligkeitswert besaß. Sie vereinnahmte die Zuhörer, artikulierte sich mit archaischer Stärke und tönte zuweilen sphärisch fein; mancher sagt, sie hätte metallisch geklungen. Auch Hanns Eisler lobte 1961 die Singstimme des Freundes: "Wer es versteht, Sentimentalität, Bombast, Pathos, Dummheiten aller Art zu vermeiden ... der wird meine Lieder gut singen. Ernst Busch ist wirklich ein genialer Sänger. Da gibt es keinen Mann in Ost und West, der ihm das Wasser reichen kann." Mit seinem besonderen Timbre konnte Ernst Busch in einer noch von Hoffnungen auf bessere Zustände erfüllten Welt revolutionäre Songs darbieten, andere Lieder gefühlvoll und rhapsodisch interpretieren. Die Spanne reicht vom populären "Spaniens Himmel breitet seine Sterne" nach einer Melodie von Paul Dessau (1894-1979) bis hin zum erfolgreichsten russischsprachigen Gedicht des 20. Jahrhunderts "Wart auf mich" (Schdi menja). Den Text schrieb der Schriftsteller Konstantin Michailowitsch Simonow (1915-1979); die Melodie stammt vom Komponisten Kyrill Wladimirowitsch Moltschakov (1922-1982). Das 1941 entstandene Lied ist ein emphatischer Appell an die Soldatenfrauen daheim, vom Warten auf die Männer, die in den Krieg mussten, nicht abzulassen. Warten bedeutet hier auch, die Männer, die längst in fremder Erde liegen, und ihre Opfertode zumindest nicht zu vergessen. "Warte, wenn vom fernen Ort /
dich kein Brief erreicht. /
Warte - bis auf Erden nichts /
deinem Warten gleicht",
heißt es in dem Gedicht. Es ist dank des Interpreten in der deutschen Fassung nicht weniger eindrucksvoll als in der russischen.
Goethes neue Sicht auf den Mephisto im "Faust"
Die 1940er und 1950er Jahre waren für Ernst Busch auf der Bühne eine erfolgreiche Zeit. 1946 spielt er den arbeitsscheuen Satin in Maxim Gorkis "Nachtasyl", später die Hauptrolle in Brechts "Leben des Galilei", dann den Abenteurer, Koch und Frauenhelden Pieter Lamb in Bertolt Brechts Anti-Kriegsstück "Mutter Courage und ihre Kinder". Am Schluss der Vorstellungen gibt es immer viel Beifall und zahlreiche Vorhänge. Besonders das Jahr 1954 bringt ihm weitere Bühnenerfolge. In Brechts "Kaukasischem Kreidekreis" spielt er den schlauen Dorfschreiber Azdak. Bald darauf brilliert er als "neuartiger" Mephisto in Goethes "Faust". Die Zeitung "Neues Deutschland" vom 7. Januar 1955 spendet nach der Premiere überschwängliches Lob. Dabei hatte der Rezensent weniger Ernst Busch im Auge - sondern vor allem Mephisto, für ihn das Böse an sich. Der Autor ignoriert die Intention Johann Wolfgang von Goethes (1749-1832), der den Teufel als nicht mehr durchweg abscheulich sah. Für das "Neue Deutschland" hingegen ist er ein Faktor im Klassenkampf, besonders gegen die BRD (alt). Das Blatt schreibt: "Ernst Busch ist ein weltlicher Mephistopheles von großartiger Prägnanz. Er ist nicht nur der Geist des ewig Verneinenden ... er ist auch Verkörperung von bourgeoiser Geldgier und Ausschweifung." Man muss innehalten. Als ob es in den oberen Etagen der DDR keinen ausgeprägten Hedonismus gegeben hätte: keine Gier auf "Westwaren" in den Funktionärs-Shops, keine Gier auf luxuriöse Unterkünfte in Naturschutzgebieten und Wäldern oder keine krankhafte Gier auf Trophäen von unweidmännisch umgebrachtem Wild. Es ging um die Frage: Ist Goethes Mephisto, der sich als "ein Teil von jener Kraft (begreift), die stets das Böse will und stets das Gute schafft", tatsächlich eine durch und durch menschenfeindlich angelegte Figur? Sie ist es nicht wie der Philosoph und Schriftsteller Rüdiger Safranski (geb. 1945) im tiefschürfenden Goethe-Buch erklärt: "Wie Goethe die Eigenschaften unter Faust und Mephisto verteilt hat; es ist kein einfaches Gut-Böse-Schema, sondern durchaus gemischt." Denn herauskommt, dass der "Geist, der stets verneint", einen Menschentyp kennzeichnet, der beim Erreichen von Neuem in der Gesellschaft notfalls auch mutig zu unangenehm erscheinenden Änderungen bereit ist.
Wegen dieses Abfalls vom Marxismus wurde Ernst Busch dennoch kein Gegner der DDR. Er gehörte zu den deutschen Antifaschisten, die sich nach dem Zweiten Weltkrieg (1939-1945) für den Aufbau eines sozialistischen ostdeutschen Staates zur Verfügung stellten und an einen demokratischen Sozialismus glaubten. Nach einer Odyssee durch Europa (Belgien, Holland, Schweiz, Sowjetunion, Spanien, Österreich) wurde Ernst Busch in Frankreich von der Grenzgendarmerie verhaftet und an die Gestapo ausgeliefert. 1945 befreit ihn die Sowjetarmee im Zuchthaus Brandenburg.
Aus dem sowjetischen Exil zurückgekehrt war auch der Arzt und Schriftsteller Friedrich Wolf (1888-1953). Im Frühjahr 1949 traf der Maler und Pressezeichner Max Lingner (1888-1959) aus Frankreich mit krankem Herzen, aber voller Aufbauelan ein. Sein Rückkehr-Motiv schildert der 61-jährige Künstler, der als einer der wenigen Deutschen in der französischen Résistance kämpfte, so: "Ich fühlte, dass von nun an mein Platz an der Seite meines Volkes sei, dass ich, obgleich persönlich nicht beteiligt, die Gesamtverantwortung der Schuld meines Volkes teilen müsste, dass ich ... helfen müsste, ein neues, besseres Deutschland aufzubauen." Auf alle drei Männer warten Enttäuschungen. Max Lingner, Schöpfer der berühmten "Mademoiselle Yvonne", wird beim Gestalten des 24 mal drei Meter großen Wandfrieses "Aufbau der Republik" an der Nordseite des heutigen Detlev-Rohwedder-Hauses Opfer einer wiederholten nervenaufreibenden Zensur der SED-Führung, die erst den sechsten Entwurf befriedigend fand; entstanden war eine Personifizierung von Parteithesen. Der kompromittierte Maler ist nie wieder zum Fries zurückgekehrt. (Besuchen Sie mal das Max-Lingner-Haus in Niederschönhausen)

Wilhelm Pieck muss Ernst Busch herauspauken
Friedrich Wolf protestierte 1953 erfolglos gegen die Auflösung der politisch unabhängigen Volksbühnenbewegung in der DDR. Er hatte, "trotz vieler kleiner Seelen, Dummköpfe (und) Karrieristen" um ihn herum am Aufbau der DDR teilnehmen wollen - und resignierte: Im Parteiapparat stünden neben "100 Scheißkerlen" ganze "3 gute Kerle". (Besuchen Sie auch das Friedrich-Wolf-Haus in Lehnitz) Es wundert nicht, dass sich auch Ernst Busch mit manchem SED-Funktionär überwarf. Seine Parteimitgliedschaft ruhte jahrelang, weil er eine politische Überprüfung nicht über sich ergehen lassen wollte. Er wusste, dass er Kommunist war. Einreden wollte er das niemand. (1977 trug ihm die SED ein neues Parteibuch an, das er annahm.) Gelegentlich stellte er Behauptungen auf, die er später bereute - so auch eine generalisierende Bewertung der SED-Spitze: "Alle Mitglieder des Politbüros sind Arschlöcher." Staatspräsident Wilhelm Pieck (1876-1960), zu dem es eine persönliche Beziehung gab, musste Ernst Busch aus der misslichen Lage herauspauken und vor einer Rache der "Arschlöcher" schützen. Der Spruch steht auch mit dem Verbot einiger Lieder Ernst Buschs im Zusammenhang - darunter von Texten gegen den Koreakrieg (1950-1953). Sie wurden als formalistisch, also nicht als "sozialistisch realistisch" eingestuft.
Zeitweilig erhielt er Auftrittsverbot und der Rundfunk nahm alle seine Aufnahmen aus dem Programm. Ungeachtet dieser schmählichen Tatsachen konnte sich der Politiker Erich Honecker (1912-1994) in seinem Buch "Aus meinem Leben" nicht enthalten schmusend zu behaupten, er habe Ernst Busch auf Kongressen immer sehr gern getroffen. "Da konnte ich Ernst Busch, dem Sänger der revolutionären Arbeiterbewegung, die Hand schütteln." Die beiden - ein schönes Paar: Der lebenserfahrene Sänger, der mit seiner Meinung nicht hinter dem Berg hielt, und der verklemmt lächelnde und undurchsichtige Politiker, dem jedes Charisma fehlt.
Wie man zu Ernst Buschs Grab kommt:
Mit der U-Bahn U2 gelangt man zum Bahnhof Pankow. Von dort fährt der Bus 155 in Richtung Wilhelmsruh zum Heinrich-Mann-Platz. Der Eingang des Friedhofes Pankow III ist über die Leonhard-Frank-Straße in wenigen Minuten zu erreichen. Das Grab liegt rechterhand ca. 120 Meter vom Eingang entfernt.
Text: -wn- / Stand: 01.10.2016
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